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Wie im Fall der vier medizinethischen Prinzipien gezeigt, ermöglicht eine Liste von Prinzipien mittlerer Reichweite eine Systematisierung ethischer As-pekte von zur Wahl stehenden Handlungsoptionen und kann damit Lösungs-wege vorzeichnen. Dieses Vorgehen stößt an eine Grenze, wenn es zu Konflik-ten zwischen Prinzipien kommt, wenn also eine Handlung zwar einem Prinzip entspricht, dafür aber einem anderen widerspricht. Solche Widersprüche ver-weisen oft auf tieferliegende Wertekonflikte. Im Bereich der Medizinethik sind die Einstufung und der Umgang mit dem Willen Demenzkranker ein Bei-spiel für einen solchen Konflikt. Es ist erst der rechtliche Rahmen im Hinter-grund, der in einer solchen Situation eine allgemeinverbindliche Gewichtung der Prinzipien zulässt.

In der Medizin, bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, gibt es diesen rechtlichen Rahmen. Bei Biotechnologien gibt es diesen Rahmen dage-gen nicht oder nur sehr unvollständig und flickenhaft. Benötigt werden hier angesichts der geographischen Weite der Auswirkungen solcher Technologien internationale Übereinkünfte, die eine Vielzahl von Aspekten zu regeln hätten, u.a. Fragen von volkswirtschaftlichem Schaden und Nutzen, gerechter Bezah-lung, Kompensationsleistungen und Umwelt- und Naturschutz. Die »Conven-tion on Biological Diversity« mit dem Cartagena- und dem Nagoya-Protokoll ist ein Beispiel für eine Übereinkunft in diesem Feld, ist aber ganz auf den

Bereich des Umweltschutzes fokussiert. Ohne international bindende und durchzusetzende Regelungen wird eine Prinzipienethik der Biotechnologie in vielen Konfliktfällen zwar analysieren können, worüber gestritten wird, zu ei-ner Lösung dieses Streits aber wenig beitragen können.

Konflikte sind vor allem entlang einer Bruchlinie zu erwarten, die sich auch an den Prinzipien der PCSBI recht genau nachzeichnen lässt. Prinzipien wie

»Autonomy« und »Beneficence« leben von der Annahme, dass wir die Welt von Morgen biotechnologisch konstruktiv und zum Guten gestalten und ver-ändern können. Unsere Vorstellungen davon, wie eine gute Zukunft aussehen kann, sind verlässlich, und unsere wissenschaftliche und technologische Kre-ativität versetzt uns in die Lage, Wege zu finden, wie diese Zukunft erreicht werden kann. Dies ist die eine Seite der Bruchlinie.

Im Prinzip der »Responsible Stewardship« dagegen kommt eine zurückhal-tendere Vision von menschlicher Gestaltungskraft zum Ausdruck. Etwas ver-antwortlich zu verwalten und zu pflegen bedeutet nicht, schon zu wissen, wo-raufhin es zum Besseren umzugestalten wäre. Im Gegenteil, darin kommt zum Ausdruck, dass es etwas zu erhalten gibt, weil es gut ist, so wie es ist. Aus die-ser Perspektive läuft gestaltendes Eingreifen immer Gefahr, mehr zu zerstören als zu verbessern. Der Ethiker Erik Parens hat diese zwei Visionen in der Dis-kussion um verbessernde Eingriffe in die menschliche Natur als »creativity«- und »gratitude«-Frameworks beschrieben (Parens 2014). Die Übertragbar-keit auf die Debatten um Eingriffe in die nicht-menschliche Natur liegt auf der Hand.

Gerade unter den Vorzeichen unsicherer Prognosen können diese Hinter-grundvisionen ihre Kraft entfalten. Wenn bei dem Versuch, Konkretes über Folgewirkungen einer Technologie in Erfahrung zu bringen, letztlich ein gro-ßer Unsicherheitsfaktor bleibt, liegt es nah, in allgemeinen Annahmen über den Wert des Gegebenen oder der Gestaltungskraft des Menschen Anleitung zu suchen. Wenn sich solche Annahmen dann antagonistisch gegenüberste-hen, wie dies bei den beiden genannten Visionen der Fall ist, dann ergibt sich eine Blockadekonstellation, die mit Mitteln der Prinzipienethik gerade nicht mehr aufgelöst werden kann. Hier wird es, wenn man den Blick in die Zukunft richtet, nicht nur um die Etablierung rechtliche Rahmenbedingungen gehen, sondern auch um vertrauenswürdige Monitoring- und Evaluationsinstanzen und um ein gesellschaftliches Debattenklima, das nicht zu vorschnellen dicho-tomischen Lagerbildungen führt.

Wenn es bei der Beurteilung einer Technologie prognostische Unsicherheiten gibt und wenn darüber hinaus sehr grundsätzliche und normative Haltungen und Überzeugungen angesprochen werden, dann ist es schließlich auch un-umgänglich Entscheidungen über die Einführung und Entwicklung solcher Technologien nicht Expertengremien zu überlassen, auch nicht ethischen Ex-pertengremien, sondern sie gesellschaftlich breit angelegten, offenen Foren zu diskutieren und zu legitimieren. Das Prinzip der »Democratic Deliberation«

Biologische Technik – Technische Biologie. Ethische Einordnungen

Institutionen gibt, die diese Anforderung angemessen umsetzen können, und dass sich eine Kultur entwickelt, die die Teilnahme an und Durchführung von entsprechenden Veranstaltungen unterstützt. Auch dies ist ein nicht kurzfris-tig zu erreichendes Ziel, ohne das prinzipienethische Analysen und Evaluati-onen von neuen Biotechnologien wirkungslos bleiben werden.

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Anstelle eines Schlusswortes I:

10 Die Sehnsucht nach der guten Technik. Zur