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Kapitel 4: Rechtliche Beurteilung diskriminierender Darstellungen

A. Allgemeine Grundsätze zur diskriminierenden Wer- Wer-bung

III. Zuordnung einer Fallgruppe 1. Gefühlsbetonte Werbung

Der BGH versucht die Fälle der Image-Werbung513 der etablierten Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung zuzuordnen.514 Diese umfaßt Werbemaßnahmen, die an Ge-fühle des Umworbenen wie Mitleid, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitssinn, Mildtätigkeit, Spendenfreudig-keit, EitelSpendenfreudig-keit, soziale Verantwortung, Vaterlands-liebe, Frömmigkeit und Trauer appelliert.515 Ursprüng-lich fand diese Fallgruppe Anwendung auf die Fälle des Türverkaufs von Artikeln, die in Behindertenwerk-stätten hergestellt worden sind (z.B. Seife, Grußkar-ten ect.). Die gefühlsbetonte Werbung gilt als be-liebtes Mittel der Verkaufsförderung und wird mitt-lerweile in einer Vielzahl von Fällen angewandt.

Für sich alleine genommen ist gefühlsbetonte Werbung noch nicht sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG.516 Nicht jeder werbemäßige Appell an ein Gefühl ist unzuläs-sig. Denn es gehört zum Bild der modernen Werbung, auch den emotionalen Bereich des umworbenen Verbrau-chers anzusprechen, um diesen zum Erwerb der angebo-tenen Ware oder Leistung zu veranlassen. Es kann da-her nicht jedes bloße Ansprechen von Gefühlsregungen der Umworbenen als wettbewerbswidrig angesehen

513 Insbesondere die Benetton-Fälle sowie den Busengrapscher-Fall.

514 Schricker EWiR § 1 UWG 18/95, 919f. (919).

515 Es handelt sich hierbei nicht um eine abschließende Aufzählung.

Vgl. hierzu Baumbach/ Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 1999, § 1 UWG, Rn.

185ff.; Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 1986, § 49, Rn. 22;

Nordemann, Wettbewerbs- und Markenrecht, 1995, Rn. 191ff.; Schramm GRUR 1976, 689ff. (689).

516 BGH GRUR 1995, 742ff. (743) – „Arbeitsplätze bei uns“; BGH GRUR 1991, 545f. (545) – „Tageseinnahmen für Mitarbeiter“; BGHZ 112, 311ff. (313, 315) – „Biowerbung mit Fahrpreiserstattung“; BGH NJW-RR 1987, 991f. – „McHappy-Tag“; BGH NJW 1976, 753f. – „UNICEF-Grußkarten“; so auch Baumbach/ Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 1999, § 1 UWG, Rn. 185ff.; Fezer JZ 1998, 265ff. (269f.); Schramm GRUR 1976, 689ff. (689).

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den. Vielmehr begründen erst zusätzliche unzulässige Tatumstände die Wettbewerbswidrigkeit.517 Dies gilt zumindest für eigennützig tätige Erwerbsunterneh-men.518 Solche Tatumstände liegen beispielsweise vor, wenn über die karitative Stellung des Werbenden ge-täuscht wird oder sich der karitative Zweck als un-wahr herausstellt.519

Dazu hat der BGH mehrfach ausgeführt, daß bei der Er-weckung des Kaufinteresses aus sozialem Verantwor-tungsgefühl, Hilfsbereitschaft oder Mitleid die Wett-bewerbswidrigkeit eines wettbewerblichen Vorgehens anzunehmen ist, wenn ein sachlicher Zusammenhang zwi-schen dem sozialen Engagement und der Ware oder Lei-stung nicht besteht, die Gegenstand der Werbung ist;

wenn vielmehr zielbewußt und planmäßig an die soziale Hilfsbereitschaft appelliert wird, um diese im eige-nen wirtschaftlichen Interesse als entscheidende Kaufmotivation auszunutzen.520

Es überzeugt, wenn eine unmittelbare Kausalität zwi-schen der Gefühlsregung des Verbrauchers und seiner Kaufentscheidung liegt, der Verbraucher folglich „un-sachlich“ beeinflußt wird.521 Bei der Benetton-Werbung liegt der Fall hingegen anders. Zwar handelt es sich

517 BGH GRUR 1965, 485ff. – „Versehrtenbetrieb“; vgl. auch Schramm GRUR 1976, 689ff. (689).

518 Anders liegt der Fall, wenn es sich bei dem werbenden Unternehmen um eine gemeinnützige Organisation mit karitativer Tätigkeit handelt, so bereits BGH NJW 1976, 753f. – „UNICEF-Grußkarten“. Vgl. hierzu auch Schott EWiR § 1 UWG 17/95, S. 917f. (917).

519 Schramm GRUR 1976, 689ff. (690).

520 BGH GRUR 1995, 742ff. (743) – „Arbeitsplätze bei uns“; BGH GRUR 1991, 545f. (545) – „Tageseinnahmen für Mitarbeiter“; BGHZ 112, 311ff. (313, 315) – „Biowerbung mit Fahrpreiserstattung“; BGH NJW-RR 1987, 991f. – „McHappy-Tag“; BGH NJW 1976, 753f. – „UNICEF-Grußkarten“.

521 Anderes muß natürlich gelten, wenn ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung angesprochenen sozialem Engagement und der umworbenen Ware besteht. So wurde eine in einer Informationsbro-schüre eines Krankenhauses veröffentlichte Anzeige, in der für die Durchführung von Erd-, Feuer- und Seebestattungen durch ein Unterneh-men nebst Preisen geworben wurde, als wettbewerbsmäßig beurteilt. LG Hamburg NJW-RR 1989, 488f. – „Werbung eines Bestattungsinstituts“.

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um Werbebilder, die die Gefühle der Verbraucher an-sprechen. Dieser Appell an die Gefühle ist aber gera-de nicht mit gera-dem Absatz gera-der von Benetton vertriebenen Produkte verbunden. Mit den Werbebildern der Firma Benetton soll der Verbraucher nicht unmittelbar zum Kauf eines Pullovers angeregt werden. Ein direkter Bezug zum umworbenen Produkt existiert nicht. Die Be-netton-Kampagne zeichnet sich vielmehr durch progres-sive Werbung aus, die ausschließlich dazu dient, den Bekanntheitsgrad der Firma Benetton zu erhöhen. Der Verbraucher kauft nicht einen Pullover, um einen Bei-trag für den Umweltschutz oder die Armut und das Leid in Teilen der Bevölkerung zu leisten. Auch ist die Annahme nicht überzeugend, die Kaufmotivation des Verbrauchers liege darin, mit dem Kaufentschluß das Gefühl zu erhalten, ebenso wie die Benetton-Werbung nicht als langweilig zu gelten und damit Gegenstand aktueller Diskussion zu sein.522 Es liegt eben kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gefühlsregung des Verbrauchers und seiner Kaufentscheidung.

Dennoch sieht der BGH den Vorwurf des sittenwidrigen Werbeverhaltens der Firma Benetton im Kern darin be-gründet, daß sie mit der lediglich auf sie als publi-zierendes Unternehmen hinweisenden Darstellung des Elends geschundener Kreatur bei einem nicht unerheb-lichen Teil der Verbraucher starke Gefühle des Mit-leids und der Ohnmacht über die Umweltzerstörung wek-ke, sich dabei als gleichermaßen betroffen darstelle und damit eine Solidarisierung der Einstellung sol-chermaßen berührter Verbraucher mit dem Namen und zu-gleich mit der Geschäftstätigkeit ihres Unternehmens herbeiführe. Wer im geschäftlichen Verkehr Gefühle

522 Kassebohm, Grenzen schockierender Werbung, 1995, 2. Kapitel, 1.1.3, S. 59.

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des Mitleids oder der Solidarität mit sozialem Enga-gement ohne sachliche Veranlassung zu Wettbe-werbszwecken ausnutze, setze sich dem Vorwurf sitten-widrigen Handelns im Wettbewerb aus. Eine solcherart gefühlsbetonte Werbung sei nicht nur dann wettbe-werbswidrig im Sinne des § 1 UWG, wenn sie unmittel-bar oder mittelunmittel-bar im Zusammenhang mit dem Waren-oder Dienstleistungsangebot des werbenden Unterneh-mens stehe.523 Diese Begründung vermag nicht überzeu-gen. Es liegt schon ein Wertungswiderspruch darin, daß einerseits Image-Werbung, die keinerlei Bezug zum Waren- oder Dienstleistungsangebot des Unternehmen aufweist, für sich alleine genommen noch keine Sit-tenwidrigkeit begründet. Nach Ausführungen des BGH kann dann die Schwelle sittenwidriger Aufmerksam-keitswerbung noch nicht als überschritten angesehen werden.524 Andererseits aber soll eben diese Image-Werbung als sittenwidrig gelten, wenn die Gefühle des Verbrauchers ohne sachliche Veranlassung ausgenutzt werden.525 Der BGH verwendet zwar den Begriff „sachli-che Veranlassung“ und nicht den sonst übli„sachli-chen Aus-druck „sachlichen Bezug“, dem Inhalt nach dürfte es jedoch keinen Unterschied machen.526 Denn es ist

523 BGHZ 130, 196ff. (200f.) –„Ölverschmutzte Ente“ mit weiteren Nach-weisen; BGH NJW 1995, 2490ff. (2491) – „Kinderarbeit“; mit ähnlicher Begründung BGH NJW 1995, 2492f. (2493) – „H.I.V.-Positive“.

524 Siehe so BGHZ 130, 196ff. (200) –„Ölverschmutzte Ente“; BGH NJW 1995, 2490ff. (2491) – „Kinderarbeit“; BGH NJW 1995, 2492f. (2493) –

„H.I.V.-Positive“.

525 BGHZ 130, 196ff. (201) –„Ölverschmutzte Ente“; BGH NJW 1995, 2490ff. (2491) – „Kinderarbeit“; BGH NJW 1995, 2492f. (2493) –

„H.I.V.-Positive“.

526 Im Ergebnis so auch Henning-Bodewig GRUR 1997, 180ff. (188); Sos-nitza WRP 1995, 186ff. (188). Schramm hingegen will allein auf die Sachlichkeit der Werbung abstellen. Das Fehlen eines Sachzusammen-hangs der Werbung mit der angebotenen Ware bzw. Leistung führe noch nicht zur Unsachlichkeit. Andererseits führt er aus, die Unsachlich-keit könne auch darin liegen, daß die Werbung so in den Vordergrund geschoben würde, daß sie von Qualität und Preiswürdigkeit der Ware und Leistung ablenke. Siehe hierzu Schramm GRUR 1976, 689ff. (690).

Dies ist in sich schon ein Wertungswiderspruch und vermag zudem nicht überzeugen. Selbst wenn diese Ansicht als Beurteilungsmaßstab für die Benetton-Werbung zugrunde gelegt würde, ließe sich eine

Sittenwidrig-Kapitel 4 A. - Allgemeine Grundsätze zur diskriminierenden Werbung

ßerst problematisch, die Benetton-Werbung in die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung einzuordnen.

Die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung umfaßt nicht den Charakter der neuartigen Image-Werbung.527 Der BGH selbst weist darauf hin, daß derartige Werbe-formen keinen Präzedenzfall bieten.528 Schon dies läßt den Schluß zu, daß die Einordnung in eine herkömmli-che Fallgruppe wie die gefühlsbetonte Werbung nicht zutreffend ist. Vielmehr hätte es der Ausarbeitung einer neuen Fallgruppe bedurft. Denn die gefühlsbe-tonte Werbung ist im Kern nicht betroffen. Es soll keineswegs der Altruismus des Verbrauchers angespro-chen werden oder eine tiefgreifende emotionale Ein-wirkung erreicht werden. Die Firma Benetton will be-wußt mit Abscheu und Entsetzen auf sich aufmerksam machen. Es werden dabei allenfalls negative Gefühle des Verbrauchers angeregt. Natürlich steht dahinter die Intention, den Bekanntheitsgrad des Unternehmens zu steigern. Dieser wird auch wirkungsvoll nachgegan-gen, denn es zeigt sich immer wieder, daß negative Kritik den Bekanntheitsgrad des Unternehmens enorm steigert. Aber dies wird doch nicht mit Mitteln der herkömmlichen Gefühlsanregung verwirklicht. Eine sol-che regt typissol-cherweise den Verbrausol-cher an, zur Be-friedigung der durch die Werbung angeregten Gefühle die Produkte des werbenden Unternehmens zu kaufen.

Die hier zu beurteilende gesellschaftskritische Wer-bung zielt gerade darauf nicht ab. Denn der

keit unter dem Aspekt nicht begründen. Denn die Benetton-Werbebilder zeigen realistische, aus dem Leben gegriffene Szenen (mit Ausnahme des gestellten Bildes „H.I.V.-Positive“), denen es an Sachlichkeit nicht mangelt.

527 So auch Bülow Anm. ZIP 1995, 1289ff. (1290); Fezer JZ 1998, 265ff.

(269f.); Henning-Bodewig GRUR 1997, 180ff. (188); Reichold WRP 1994, 219ff. (222); Sosnitza WRP 1995, 786ff. (789).

528 Wenn dies auch in einem anderen Zusammenhang erwähnt wird. BGH NJW 1995, 2490ff. (2492) – „Kinderarbeit“; nicht ganz aussagekräftig dazu Rittner, Wettbewerbsrecht - & Kartellrecht, 1999, Rn. 104.

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cher wird die Produkte der Firma Benetton (z.B. einen Pullover, eine Hose oder ähnliches) nicht kaufen, um damit z.B. einen Beitrag zugunsten des Umweltschutzes zu leisten. Dementsprechend fehlt es an der erforder-lichen Kausalität zwischen Gefühlsregung des Verbrau-chers und seinem Kaufentschluß. Die Werbekampagne der Firma Benetton ist nicht geeignet, den Verbraucher unsachlich zu beeinflussen. Gerade die Umsatzeinbußen der Firma Benetton zeigen, daß Werbemaßnahmen mit ge-sellschaftskritischem Inhalt den Verbraucher nicht vermehrt zur Kaufentscheidung anregen.529

Auch die Solidarisierung des Verbrauchers mit dem werbenden Unternehmen kann kaum zur Begründung der Sittenwidrigkeit ausreichen. Diese muß als zulässiges Werbemittel gelten. Schließlich ist es gerade der Sinn und Zweck der neuartigen Image-Werbung, aufgrund der Bekanntheit des Namens eines Unternehmens die Produkte auf den Markt zu bringen. Letztendlich sind Markenprodukte gegenüber unbekannten Produkten diesen absatztechnisch gesehen immer einen kleinen Schritt voraus.

Nach Ansicht des BGH liegt die Sittenwidrigkeit trotz des Gesichtspunktes verfassungsrechtlicher Rechtfer-tigung vor. Die öffentliche Äußerung zur Auseinander-setzung über das aufgezeigt Elend trage nichts We-sentliches bei, sondern ziele darauf ab, beim Ver-braucher eine mit dem werbenden Unternehmen solidari-sierende Gefühlslage zu schaffen, die der Steigerung des Ansehens des solchermaßen werbenden Unternehmens diene und damit letztlich zu kommerziellen Zwecken

529 Siehe hierzu die Klagen der Einzelhändler, BGH NJW 1997, 3304ff. –

„Benetton I“; BGH NJW 1997, 3309ff. – „Benetton II“. Siehe auch in Fn. 497.

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eingesetzt werde.530 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, denn es ist nicht Aufgabe des Wettbe-werbsrichters, gesellschaftskritische Themen im Rah-men einer Werbemaßnahme auf ihre Essenz hin zu über-prüfen.531

Die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung ist nicht geeignet, diskriminierende Werbebilder rechtlich zu erfassen. Es fehlt schon der für das Eingreifen die-ser Fallgruppe erforderliche sachliche Zusammenhang zwischen der Gefühlsregung durch die Werbemaßnahme und dem Kaufentschluß des Verbrauchers.

2. Belästigende Werbung

Die Fallgruppe der belästigenden Werbung erweist sich ebenfalls als ungeeignet zur Einordnung der vorlie-genden Fälle. Bei der belästivorlie-genden soll durch auf-dringliche Werbung der Verbraucher derart unter psy-chischen Druck gesetzt werden, daß er sich nicht aus sachlichen Gründen, sondern vornehmlich deshalb zum Kauf entschließt, um der Belästigung und der mit ihr verbundenen Zwangslage zu entgehen.532 Der Verbraucher will seinen „lästigen und aufdringlichen Werber“ los-werden. Diese Werbung wird als in die Intimsphäre des Verbrauchers eindringend empfunden.

Dieser Fallgruppe werden z.B. die Hausbesuche533, das direkte Ansprechen des Verbrauchers auf der Straße,534

530 BGHZ 130, 196ff. (205) –„Ölverschmutzte Ente; BGH NJW 1995, 2490ff. (2491) – „Kinderarbeit“.

531 So auch Fezer JZ 1998, 265ff. (270).

532 Baumbach/ Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 1999, § 1 UWG, Rn. 50.

533 Natürlich ist nicht jede Art von Hausbesuchen wettbewerbswidrig, sondern nur solche, bei denen sich der Verbraucher genötigt fühlt.

534 BGH GRUR 1960, 431ff. - „Kfz-Nummernschild“.