• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel 1: Bedeutung, Entwicklung und Erscheinungs- Erscheinungs-formen der Wirtschaftswerbung

B. Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

Die Werbung gilt als das entscheidende Instrument der Marktwirtschaft, als Instrument der unternehmerischen Kommunikation, auf das nicht verzichtet werden kann.1 Sie ist weiterhin wichtig für das öffentliche Leben und politische Auseinandersetzungen.2 Durch die Aus-maße, die die Werbewirtschaft in dem letzten Jahrhun-dert angenommen hat, werden darüber hinaus Arbeits-plätze gesichert.3

Für die freie Marktwirtschaft stellt die Werbung die Basis für das wirtschaftliche Wachstum im letzten Jahrhundert dar.4 Auch wenn Zweifel daran bestehen, daß werbliche Maßnahmen in unserer heutigen plurali stischen Massengesellschaft ihre tatsächliche Wirkung haben, was insbesondere auf der zunehmenden Informa-tionsüberlastung der Konsumenten beruht, kommt ihr dennoch im Rahmen der unternehmerischen Kommunikation große Bedeutung zu.5 Durch ein stetiges Wachstum der Wirtschaft im 20. Jahrhundert hat die Werbung selbst erheblich an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der Masse der Produkte, die auf den Markt gebracht werden, wur-de die Werbung selbst zu einem notwendigen Instru-ment, ein Produkt von der Masse hervorzuheben, um die Gesellschaft auf diese Weise darauf aufmerksam zu ma-chen. Denn auch wenn das wirtschaftliche Wachstum in vielen Bereichen zum Ende des 20. Jahrhunderts abge-nommen hat, wurde gleichbleibend in die Werbung

1 Fezer JZ 1998, 265ff. (267); Kisseler in FS für Gaedertz, 1992, S.

283ff. (285); Kisseler WRP 1979, 761f. mit weiteren Nachweisen; Nie-schlag/ Dichtl/ Hörschgen, Marketing, 1997, Teil III, § 8, 1.2., S.

531ff.; Rogge, Werbung, 1996, A., 4., S. 27; Wünnenberg, Schockieren-de Werbung - Verstoß gegen § 1 UWG?, 1993, Kapitel 1, S. 1.

2 Kisseler in FS für Gaedertz, S. 283ff. (285).

3 Kisseler in FS für Gaedertz, S. 283ff. (285).

4 Wünnenberg, Schockierende Werbung - Verstoß gegen § 1 UWG, 1993, Kapitel 1, S. 1.

Kapitel 1 B. - Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

stiert.6 Die Begründung liegt darin, daß die Gesell-schaft immer selbstbewußter und in ihrem Kaufverhal-ten selektiver wird. Gleichzeitig wird das Marktange-bot immer vielfältiger, leistungsstärker und damit homogener, das heißt die Profilierung des einzelnen Angebots aus der Masse zunehmend schwieriger.7 Auch wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Werbung bestehen, so ist es nichtsdestotrotz eine erforderliche und ausschlaggebende Maßnahme, das jeweilige Produkt von der Masse abzuheben.8

Die Werbung selbst hat in dem letzten Jahrhundert ei-ne gravierende Entwicklung vollzogen - von der markt-schreierischen Reklame bis hin zur digitalisierten Werbung im Internet. Nicht nur die äußere Form der Werbung hat sich gewandelt, auch deren Bedeutungsin-halt ist im Laufe der Jahre ein anderer geworden.

Werbung erscheint in unterschiedlichsten Formen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand die Werbung meist aus Mundpropaganda und persönlichem Verkauf, da es an entsprechenden Werbeträgern fehlte. Nur vereinzelt wurde in Zeitschriften geworben.9 Wenn zu Anfang des Jahrhunderts Werbebilder veröffentlicht wurden, so wurden ausschließlich Zeichnungen verwendet. In den 30er Jahren nutzten einzelne Werbende die im redak-tionellen Teil seit Jahren praktizierte Möglichkeit, ihre Anzeigen mit schwarz-weiß Photographien anstelle

5 Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen, Marketing, 1997, Teil III, § 8, 1.2.1., S. 531ff.

6 Kassebohm, Grenzen der schockierenden Werbung, 1995, Kapitel 1, 2., S. 13ff; ZAW, Werbung in Deutschland 1998, S. 9.

7 Pepels, Kommunikationsmanagement, 1996, 1.5.6, S. 44f.

8 Pepels, Kommunikationsmanagement, 1996, 1.5.6, S. 44f.

9 Vgl. hierzu die auffällig gestaltete Eigenanzeige von Rudolf Mosse aus dem Jahre 1907: „Eine gute Annonce muß aus der Menge der übrigen Annoncen wirkungsvoll heraustreten, die Anordnung des Textes muß dem Leser ein schnelles Erfassen ihres Inhalts ermöglichen und dieser leicht im Gedächtnis haften, so daß die Annonce eine gewissermaßen suggestive Wirkung auf den Leser ausübt. Eine solche Annonce bei

tun-Kapitel 1 B. - Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

von Zeichnungen zu illustrieren.10 Inzwischen zählen Photographien zum Standard der Printwerbung, Zeich-nungen und Illustrationen werden als eine Art beson-deres Stilmittel verwendet.11 Veröffentlichte Photo-graphien konnten erst aufgrund des drucktechnischen Fortschritts ab Mitte der 50er Jahre farbig darge-stellt werden.12 In der heutigen Zeit zählen farbige Darstellungen vielfältigster Art zum Standard der Werbemittel. Die Entwicklung ist zum einen mit dem drucktechnischen Fortschritt zu begründen und zum an-deren mit der Professionalisierung der Werbebran-che.13

Mittlerweile wird Werbung durch eine Vielzahl von Werbeträger veröffentlicht. Durch den Konsumrausch, den unsere heutige Gesellschaft durchlebt, ist Wer-bung nahezu allgegenwärtig. Als Werbeträger stehen Zeitungen, Fernsehen, Publikumszeitschriften, Fach-zeitschriften, Anzeigenblätter, KundenFach-zeitschriften, Adreßbücher, Hörfunk, Außenwerbung auf Plakatwänden, Kino, Messen und Ausstellungen, Schaufenster, Verpak-kungen, Gebäude, Verkehrsmittel, Direktwerbung wie etwa Werbebriefe, Versandhauskataloge, Handzettel und Postwurfsendungen und nicht zuletzt auch das Internet zur Verfügung.14

Ordnet man die Werbung marktstrategisch einem Gesamt-system zu, so muß zwischen den verschiedenen Formen wie Verkaufswerbung, Image-Werbung, Sponsoring,

lichster Raum- d.h. Kostenersparnis abzufassen, gelingt in der Regel nur dem geübten Fachmann“ in Berliner Illustrirte, 1907, S. 700.

10 Sektkellerei Henkel in Berliner Illustrirte Zeitung, 1909, S. 322;

Mercedes-Benz in Berliner Illustrirte Zeitung, 1909, S. 338.

11 Wehner, Überzeugungsstrategien in der Werbung, 1996, 3.5., S. 57f.

12 Wehner, Überzeugungsstrategien in der Werbung, 1996, 3.5., S. 57f.

13 Wehner, Überzeugungsstrategien in der Werbung, 1996, 3.2., S. 52f.

14 Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Hundhausen, Wesen und For-men der Werbung, 1954, S. 151ff.; Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen, Mar-keting, 1997, Teil III, § 8, 1.3.2, S. 541ff.; Rogge, Werbung, 1996, A., 5., S. 33.

Kapitel 1 B. - Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

kaufsförderung (Sales Promotions), Öffentlichkeitsar-beit (Public Relations), Produkt-Pleasement sowie dem persönlichen Verkaufsgespräch unterschieden werden.

Der Bedeutungsgehalt der Werbung hat eine nicht unwe-sentliche Wende erlebt. Anfang des Jahrhunderts wurde vornehmlich der Begriff „Reklame“ verwendet. Darunter wurde interpretiert „als Wissender des Guten andere Menschen, die dieses Gute noch nicht kennen, aufzu-klären und ihnen dieses Gute ohne Zwang zugänglich zu machen“.15 Es wurde demnach vorrangig mit nachprüfba-ren Qualitätsversprechen und Preis geworben.16 Mitte der 30er Jahre wurde der Begriff der Reklame von dem der Werbung überholt. Die Ausgangsbedeutung des Be-griffs der „Werbung“, welches von dem mittelhochdeut-schen Wort „wërben“ und dem althochdeutmittelhochdeut-schen Wort

„wërban“ abstammt, war „sich drehen“.17 Der Bedeu-tungswandel vollzog sich schon sehr früh und führte zu der Auslegung „die Aufmerksamkeit auf sich zu len-ken“. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahre die Interpretation, Werbung bedeute „jede Darbietung von Botschaften, mit dem Ziel, Einstellungen und Handlun-gen der Adressaten zum Vorteil der Werbenden zu steu-ern“.18

In den 50er Jahren begann dann ein Wandel des Werbe-verständnisses. Die Werbefachleute begannen, sich die Lehre der Psychologie und der Sozialwissenschaft zu eigen zu machen, um noch geschickter den Verbraucher

15 Hundhausen, Wesen und Formen der Werbung, 1954, S. 37.

16 Wünnenberg, Schockierende Werbung - Verstoß gegen § 1 UWG?, 1993, S. 3.

17 Hundhausen, Wesen und Formen der Werbung, 1954, S. 42.

18 Brockhaus, Die Enzyklopädie, 24. Band, Buchstabe Weli-ZZ, 1996, S.

73ff.

Kapitel 1 B. - Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

manipulieren zu können.19 Vance Packard kritisiert in seinem Buch „Die geheimen Verführer“ die Werbung, sie werde als Instrument der Manipulation der Verbraucher mißbraucht, deren Beeinflussung sich der Verbraucher kaum entziehen kann. Dies liege an dem Umstand, daß die Beeinflussung der alltäglichen Lebensführung der Gesellschaft auf zuvor durchgeführten zielgerichteten tiefenpsychologischen und sozialwissenschaftlichen Studien basiere.20 Er beschreibt die Werbung als per-suasiv, als eine Überredungskunst. Der Präsident der Public Relations Society of America faßte in einer Ansprache an die Verbandsmitglieder in einem Satz zu-sammen, was in vielen Fällen Überredungskünstler wol-len: „Das Material, mit dem wir arbeiten, ist die Struktur des menschlichen Geistes.“21

Auch diese Auffassung änderte sich im Laufe der Zeit.

Durch die Überhäufung mit Konsumangeboten und Werbe-maßnahmen in der heutigen Zeit ist es erforderlich, sich von der Masse abzuheben und in irgendeiner Weise aufzufallen. Der Trend ging in die Richtung, sich loszulösen von den ursprünglichen Werbeideen. So wur-de die auf Qualitätszusagen beruhenwur-de Werbung in eine sogenannte „Lifestyle-Werbung“ umgewandelt, bei der vornehmlich mit Gefühlen, Stimmungen und Befindlich-keiten geworben wurde, die sich tendenziell vom be-worbenen Produkt abhebt und keine Produktinformation mehr bezweckt.22 Doch auch diese Lifestyle-Werbung reichte nicht aus, um bei der Massenkommunikation für

19 Packard, Die geheimen Verführer - Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann, 1957, S. 6ff; vgl. hierzu auch Fezer JZ 1998, 265ff.

(266).

20 Packard, Die geheimen Verführer - Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann, 1957.

21 Packard, Die geheimen Verführer - Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann, 1957, S. 7.

22 Gaedertz/ Steinbeck WRP 1996, 978ff. (978); Henning-Bodewig WRP 1992, 533ff. (533); Reichold WRP 1994, 219ff. (219); Wünnenberg, Schockierende Werbung - Verstoß gegen § 1 UWG, 1993, Kapitel 1, S. 3.

Kapitel 1 B. - Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

genügend Aufmerksamkeit zu sorgen.23 Folglich wurde Ende der 90er Jahren ein neuer Trend entwickelt, bei dem der Werbedesigner und Fotograf Oliviero Toscani einer der Vorreiter war: Lieber unangenehm auffallen als gar nicht.24 In seinem Buch „Die Werbung ist ein lächelndes Aas“ zieht Toscani in einer sarkastischen Weise über das „heile-Welt-Bild“ der Werbung her mit dem Kommentar: „Diese idyllische Welt ist, wie Sie bestimmt bemerkt haben, das künstliche und abge-schmackte Reich der Werbung, die uns seit bald drei-ßig Jahren verblödet. - Schluß damit!“25 Die Werbung arte in soziale Nutzlosigkeit aus; die Werbung und die Kommunikation gehe nicht auf die großen gesell-schaftlichen Probleme ein.26 Den Werbeschaffenden er-mangele es an Wagemut und Verantwortungsgefühl, da sie das Wesentliche ihres Handwerkes vergessen: die Kommunikation!27 Es handele sich bei der „heilen Welt Werbung“ um ein Verbrechen gegen die Intelligenz und die Kreativität, um eine heimliche Verführung, die zu einer hemmungslosen Ausplünderung führe.28

Es wurde daraufhin eine Werbung entwickelt, die im höchsten Maße provokant ist und dadurch erheblich auffiel. Toscani thematisierte in seiner für das Mo-deunternehmen Benetton kreierten Werbekampagne Miß-stände in anprangernder Form, um das Unternehmen in die politische und soziale Wirklichkeit seiner

23 Gaedertz/ Steinbeck WRP 1996, 978ff. (978); Henning-Bodewig WRP 1992, 533ff. (533); Reichold WRP 1994, 219ff. (219); Wünnenberg, Schockierende Werbung - Verstoß gegen § 1 UWG, 1993, Kapitel 1, S.

3f.

24 Gaedertz/ Steinbeck WRP 1996, 978ff. (978).

25 Toscani, Die Werbung ist ein lächelndes Aas, 1997, Kapitel 1, S. 9 -12.

26 Toscani, Die Werbung ist ein lächelndes Aas, 1997, Kapitel 2, S.

18.

27 Toscani, Die Werbung ist ein lächelndes Aas, 1997, Kapitel 2, S.

19.

28 Toscani, Die Werbung ist ein lächelndes Aas, 1997, Kapitel 2, S. 15 - 37.

Kapitel 1 B. - Der Wandel der Werbung im letzten Jahrhundert

tiellen Kundschaft zu interpretieren.29 Die Zielgrup-pe soll sich nicht aufgrund ihrer Hoffnungen, Wün-schen oder Idealvorstellungen, sondern aufgrund ihres Problembewußtseins und Protestverhaltens mit dem Un-ternehmen identifizieren bzw. solidarisieren. Dabei wurde der sogenannten „life-style“-Werbung den Rücken gekehrt und sich von einer neuen Entwicklung, der drastischen Darstellung von wirklich existierenden Problemen unserer heutigen Gesellschaft zugewandt. Es handelt sich hierbei um die sogenannte diskriminie-rende und schockiediskriminie-rende Werbung, von der auch die ge-schmacklose Werbung umfaßt wird, welche vielfach un-ter den Begriff der Image-Werbung gefaßt wird. Diese Entwicklung ist sicherlich mit dem gesellschaftlichen Wertewandel unserer heutigen Zeit zu begründen. Mit der Werbung wurde nur leider nicht der gewünschten Erfolg erzielt. Sie löste vielmehr Entsetzen und Un-verständnis in breiten Teilen der Bevölkerung aus.

Aufgrund der Schaltung dieser Werbekampagne erlitt das Unternehmen Benetton einen deutlichen Umsatzrück-gang seiner Produkte.30

Da diskriminierende Werbung in letzter Zeit vermehrt aufgetreten ist, soll im weiteren Verlauf dieser Ar-beit diese unter verfassungsrechtlichen und wettbe-werbsrechtlichen Gesichtspunkten analysiert werden.

29 Luhmann, Konzeptkunst, in FAZ vom 19.05.1995, S. 27.

30 Vgl. die erfolglos gebliebenen Klagen der Vertriebsmittler und Ver-tragshändlern - entschieden in letzter Instanz vom BGH - die gegen das Unternehmen Schadensersatzforderungen geltend machten aufgrund von außergewöhnlichen Umsatzeinbußen, die auf der von Toscani kreier-ten Werbekampagne beruhkreier-ten verbunden mit einem dadurch verursachkreier-ten hohen Imageverlust der Marke Benetton, BGH NJW 1997, 3304ff. - „Be-netton I“; BGH NJW 1997, 3309ff. - „Be„Be-netton II“.

Kapitel 1 C. - Verhaltensbeeinflussung durch die Werbewirtschaft

C. Verhaltensbeeinflussung durch die Werbewirtschaft