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2. LITERATUR

2.1. Lungenadenokarzinomatose

2.1.2. Pathogenese

2.1.2.4. Zielstrukturen des JSRV und Tumorentstehung

OPA wird durch eine Infektion gesunder, proliferierender Typ II Pneumozyten mit JSRV ausgelöst, da das Virus bevorzugt Zellen in Mitose infiziert. Jungtiere, die verhältnismäßig mehr Typ II Pneumozyten besitzen, sind aufgrund der bis zu 50-fach höheren Proliferationsrate deutlich anfälliger für eine Infektion mit dem JSRV als gesunde adulte Tiere (MURGIA et al. 2011).

Bei adulten Tieren besteht eine höhere Anfälligkeit, wenn eine Vorschädigung des Lungenepithels vorliegt (MURGIA et al. 2011). Diese Beobachtung passt dazu, dass OPA in einigen Studien häufig oder ausschließlich in Vergesellschaftung mit weiteren Lungenerkrankungen vorgefunden wird (PROSKE u. WIEGAND 1991; GANTER 1996).

Anhand verschiedener Mäusezelllinien ist feststellbar, dass der LTR des JSRV vorzugsweise auf differenzierten Lungenepithelzellen präsentiert wird (insbesondere Surfactantprotein (SP) B präsentierende Typ II Pneumozyten und Clarazellen) (PALMARINI et al. 2000). Das Einfügen eines Provirus in die Umgebung von Proto-Onkogenen führt zur Überexpression der Proto-Onkogene aufgrund von hoher Aktivität der Transkriptionsregulationselemente der LTR (MAEDA et al. 2001).

Mittels welcher Mechanismen env die Tumorentstehung auslöst, ist noch unklar (HOFACRE u. FAN 2010). JOHNSON et al. (2011) zeigen, dass das env in einer Kultur von purifizierten, primären Typ II Pneumozyten von Ratten einen Wachstums-vorteil verursacht. Zusätzlich können durch env die kulturellen Zelllinien länger überleben und sterben erst nach und nach ab. Das diesen Untersuchungen zugrunde liegende System kann verwendet werden, um das env in primären Typ II Pneumozyten in vitro zu studieren. Typ II Pneumozyten stellen die Zielstruktur der Onkogenese von JSRV dar. Es wird angenommen, dass durch die erhöhte Proliferation in Zielzellen des JSRV die virale Replikation gefördert wird und die Tumorbildung lediglich einen Nebeneffekt darstellen könnte (JOHNSON et al. 2011).

Aufgrund der verlängerten Inkubationszeit und des langsamen Fortschreitens klinischer Symptome wird vermutet, dass eine virusbedingte genetische Veränderung der Tumorzellen wichtig für deren Pathogenese sein könnte (DEMARTINI et al.

2001). Nach DEMARTINI et al. (2001) sind die verschiedenen Stadien von OPA abhängig von verschiedenen pathogenetischen Mechanismen und OPA folglich ein Modell für die multistep Kanzerogenese nach FAN. Dieses Modell beschreibt die Tumorentstehung anhand von Leukämie bei Mäusen, welche durch das Moloney murine leukemia Virus induziert wird. Es ist unterteilt in vorhergehende Ereignisse (Knochenmarkschädigungen, Milzhyperplasie), Tumorentwicklung (Aktivierung des LTR durch Proto-Onkogene, autokrine Stimulation von Interleukin-2 Rezeptoren) und Tumorwachstum (Trisomie des Chromosoms 15, LTR Aktivierung in Tumor-wachstumslokalisationen) (FAN 1997).

CAPORALE et al. (2013) können anhand speziesvergleichenden experimentellen Infektionen von Schaf- und Ziegenlämmern mit JSRV feststellen, dass die Lungen-läsionen sich deutlich unterscheiden. In dem Versuchsansatz werden Lämmer am

zweiten Lebenstag intratracheal infiziert. Im Alter von fünf Monaten werden nach der Euthanasie Lungenparenchymproben gesammelt. Während bei Ziegenlämmern klar pathologisch-anatomisch abgrenzbare Läsionen ohne klinische Symptome entstehen, ergibt sich bei Schaflämmern das für OPA typische Bild mit infiltrativem Tumorwachstum und der Entstehung der respiratorischen Symptomatik. Des Weiteren stellt sich heraus, dass Ziegenlämmer zwar durch JSRV infiziert werden können, es auch zu einer Tumorentstehung in den Typ II Pneumozyten kommt, jedoch keine Virusreplikation stattfindet (CAPORALE et al. 2013). Die Dichte an proliferierenden Typ II Pneumozyten ist bei neugeborenen Schaf- und vier Tage alten Ziegenlämmern identisch (MURGIA et al. 2011; CAPORALE et al. 2013). Es findet bei Ziegenlämmern keine Immunabwehr gegen JSRV statt, was den abweichenden Verlauf der Erkrankung im Vergleich zu Schaflämmern hätte erklären können.

Möglich wäre, dass JSRV-Proteine bei Ziegen als Autoantigene erkannt und daher keine Antikörper gebildet werden. Vermutlich vermehrt sich das JSRV nach der Infektion bei Schafen in den infizierten Typ II Pneumozyten. Es befällt angrenzende Typ II Pneumozyten und schafft so multiple Tumorlokalisationen, welche in einander verschmelzen können. Dies entspricht der unter 2.1.5. beschriebenen klassischen OPA Form. Bei JSRV-Infektionen von Schafen mit nicht vermehrungsfähigen Stämmen tritt eine fokale Veränderung des Lungengewebes auf, die identisch mit jenen Läsionen ist, welche bei Ziegen mit Wildtyp-Infektionen entstehen. Dieses ähnelt der atypischen OPA Form, welche unter 2.1.5. genauer beschrieben ist. So können nur die primären Zielzellen entarten und sich durch Zellteilung vermehren, jedoch keine zusätzlichen Zielzellen erkranken. Vermutlich begrenzen Ziegenzellen Schritte im Replikationszyklus von JSRV (CAPORALE et al. 2013). Voraussetzung für eine JSRV Infektion und Viruspräsentation ist, dass die Zellen über die Rezeptoren, Proliferations- und Transkriptionsfaktoren verfügen. Kommt es bei diesen Faktoren zu Veränderungen, kann die Anfälligkeit für JSRV beeinträchtigt sein (MARTINEAU et al. 2011).

Bei Ziegen können Infektionen nur durch initial hohe Virusgaben verursacht werden, welche unter Feldbedingungen kaum auftreten. Das erklärt das generell sehr seltene Vorkommen von Lungenadenokarzinomatose bei Ziegen (CAPORALE et al. 2013).

SUMMERS et al. (2005) zeigen, dass bei einer JSRV Infektion von Schaflämmern zwar eine Immunreaktion stattfindet, diese jedoch durch lokale Hemmung der Makrophageninvasion uneffektiv ist. Als Ursache wird das Vorliegen einer peripheren Toleranz um die Tumorlokalisationen herum durch die hemmenden Faktoren von Surfactantproteinen vermutet. Nachdem die Zielzelle infiziert ist und die Tumorentstehung begonnen hat, kommt es zum Einstrom unreifer Makrophagen in den Alveolarraum im Bereich der Umfangsvermehrung. Folglich muss davon chemotaktische Aktivität ausgehen, dennoch dringen nur wenige Makrophagen in den Tumor ein. Obwohl immer mehr unreife Makrophagen einströmen, die im Alveolarraum ausreifen, gelingt keine effektive Immunantwort (SUMMERS et al.

2005). Es wird vermutet, dass die Immunsuppression eine Konsequenz aus der Expression von retroviralen Proteinen darstellt. Dies wurde bereits bei mehreren anderen Krankheiten, wie dem Felinen Immundefizienzvirus oder dem Manson-Pfizer Monkey Virus festgestellt, indem immunsuppressive regulatorische T-Zellen aktiviert werden (Übersicht bei SUMMERS et al. 2005).