• Keine Ergebnisse gefunden

Ziel der Energieperspektiven, Vorgehensweise . Motivation und Ziele

Im Dokument in den Szenarien I - IV (Seite 62-67)

Verzeichnis der Abkürzungen, Akronyme und Symbole

1 Ziel der Energieperspektiven, Vorgehensweise . Motivation und Ziele

Technisch nutzbare Energie mit hoher Zugänglichkeit und Verfügbarkeit ist eine Grund-voraussetzung industrialisierter Gesellschaften. Das zugehörige komplexe Energiesystem muss einer Vielzahl von Anforderungen genügen, die einander z. T. widersprechen kön-nen. Zahlreiche Komponenten des Gesamtsystems unterliegen langen Investitionszyklen.

Hierzu gehören z.B.:

ƒ Energienachfrage:

o Gebäude,

o Heizungsanlagen, o Fahrzeuge.

ƒ Energieangebot

o Kraftwerke zur Bereitstellung von Elektrizität, konventionell und regenerativ, o Förderanlagen und Minen zur Förderung von (Roh-)Öl, Erdgas, Uran, o Raffinerien.

ƒ Energieverteilung:

o Stromnetze, o Pipelines,

o Grosse Speicher.

Das Energiesystem hängt über Preise, Kosten, Verfügbarkeit, Versorgungssicherheit und Technik eng mit dem Wirtschaftssystem zusammen. Zuverlässigkeit und Kosten von Energieimporten sind von den geopolitischen Gegebenheiten abhängig. Das Energiesys-tem wirkt sich mit Emissionen, radioaktiven Abfällen sowie Nebenprodukten bei der Roh-stoffgewinnung auf die Umwelt aus. Bestimmte mit der Energiebereitstellung verbundene Risiken wie Unfallrisiken bei Kernkraftwerken, Proliferationsrisiken sowie die Folgen der Verbrennung von fossilen Kohlenwasserstoffen für das Klima müssen von der (Welt-)Gesellschaft insgesamt getragen werden. Aufgrund dieser Interdependenzen kommt dem Energiesystem und seiner Weiterentwicklung eine erhebliche gesamtgesell-schaftliche Bedeutung zu.

Zur Beurteilung und Weichenstellung für die weitere Entwicklung des Energiesystems sind einerseits Einschätzungen über die Auswirkungen von bereits getroffenen und zu-künftig zu treffenden Investitions- und Systementscheidungen notwendig. Andererseits ist es erforderlich, von politischer Seite verlässliche Rahmenbedingungen für die energiewirt-schaftlichen Akteure zu setzen.

Juli 2007 2 Prognos AG

Das Bundesamt für Energie lässt deshalb in mehrjährigen Abständen „Energieperspekti-ven“ erarbeiten, mit denen sowohl die Auswirkungen von vergangenen und zukünftigen energiepolitischen und -wirtschaftlichen Entscheidungen als auch die Möglichkeiten un-tersucht werden, mit dabei entstehenden Zielkonflikten umzugehen.

Aufgabe der Energieperspektiven ist es, analytische Grundlagen für die Festlegung einer energie- und klimapolitischen Strategie bereit zu stellen. Hierbei sollen – wie es im Be-reich der Treibhausgasreduktion bereits standardisiert ist – auch Ziele quantifiziert und ihre Erreichung messbar gemacht werden. Da es sich um Langfriststrategien handelt, werden auch solche Massnahmen geprüft, die den Rahmen der heute geltenden Gesetze sprengen oder die bisher nicht im Vordergrund energiepolitischer Diskussionen standen.

1.2 Zielkonflikte

Nationale Energiesysteme werden im Allgemeinen (mindestens) hinsichtlich ihrer

ƒ Umweltverträglichkeit,

ƒ Versorgungssicherheit,

ƒ Wirtschaftlichkeit

(hier wurde bewusst die alphabetische Reihenfolge verwendet, die keine Priorisierung beinhaltet) analysiert und bewertet. Diese Ziele sind immer nur näherungsweise zu errei-chen, hängen gegenseitig von einander ab und konfligieren zum Teil miteinander. Diese Situation wird gelegentlich als „Trilemma der Energiewirtschaft“ bezeichnet [Rose 2007].

Erschwerend kommt hinzu, dass die verschiedenen Systemausprägungen mit sehr ver-schiedenen Arten von Risiken verbunden sein können, die sich z. T. nicht oder nur quali-tativ miteinander vergleichen lassen [WGBU 1998].

Einige dieser Zielkonflikte werden im Folgenden exemplarisch angerissen.

1.2.1 „Ökologie vs. Ökonomie“

Eine Umsteuerung des Energiesystems hin zu ökologischeren Eigenschaften ist mit einer Umschichtung von Investitionen und veränderten Kosten verbunden: Die Nutzung der meisten regenerativen Energiequellen ist heute bezüglich der direkten gesamtwirtschaftli-chen Kosten noch teurer als die Nutzung konventioneller Energien. Das zeigt sich auch am Einsatz von Fördermitteln.

Effizienzmassnahmen können die Vollkosten der Energieversorgung senken. Das ist z.B.

bei einfachen Stromsparmassnahmen wie Energiesparlampen oder auch bestimmten Wärmeschutzmassnahmen bei Gebäuden der Fall. Um solche Einsparungen zu erzielen, müssen Investitionen getätigt werden, die ihrerseits wieder unter Wirtschaftlichkeitsanfor-derungen stehen. In Unternehmen reicht bei einer Investitionsentscheidung in Bereichen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, eine Wirtschaftlichkeit im Sinne der Vollkosten über die Lebensdauer häufig nicht aus. Vielmehr stehen die Investitionen in mehr Energieeffi-zienz Konkurrenz mit Investitionen z.B. zur Markterweiterung. Entsprechend hoch sind die Renditeanforderungen. Dies schränkt die umsetzbaren Einsparpotenziale stark ein.

Daneben gibt es zahlreiche organisatorische Hemmnisse wie z.B. das bekannte Investor-Nutzer-Dilemma, auch Mieter-Vermieter-Dilemma genannt, bei dem der Investor die

Kos-Juli 2007 3 Prognos AG

ten seiner Investition nicht weitergeben kann, aber der Nutzer in den Genuss der Ener-gie(kosten)einsparungen kommt. Eine solche Investition wird unterbleiben, wenn keine förderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Privatpersonen haben häufig andere Möglichkeiten und Kriterien, um zu investieren, vor allem bei selbst genutztem Wohneigentum. Hier muss das entsprechende Kapital verfüg-bar sein. Aber auch bei privaten Haushalten stehen Investitionen in Energieeffizienz in Konkurrenzen mit anderen Zwecken. Grundsätzlich ist eine deutliche Erhöhung der Ener-gieeffizienz und ein verstärkter Einsatz erneuerbarer Energien nur dann zu erwarten, wenn sich die Investitionsprioritäten ändern.

Bei der Einbeziehung externer Kosten der Energieversorgung können sich die Kostenrela-tionen in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung deutlich verändern. Allerdings weisen externe Kosten in den meisten Fällen eine grosse Bandbreite auf, die von der jeweils an-gewandten Methodik, den einbezogenen potenziellen Schadensausprägungen und sons-tigen Voraussetzungen abhängt. Auch wenn mit dem sehr aufwändigen wissenschaftli-chen Projekt NewExternE [ExternE 2005] der EU-Kommission eine einheitliche Methodik angestrebt wird, sind bestimmte grundsätzliche Unsicherheiten je nach Betrachtungswei-se und Standpunkt nicht zu vermeiden. Nähere Ausführungen hierzu sowie Angaben zur Bandbreite externer Kosten finden sich in Band 3.

Durch das European Trading Scheme zum Handel mit Treibhausgaszertifikaten wurde mit der Internalisierung externer Kosten in Marktprozesse begonnen. Die Wirksamkeit sowohl in Bezug auf Investitionslenkung als auch auf die Treibhausgasvermeidung oder -verringerung bleibt abzuwarten, ebenso die Einbeziehung weiterer Sektoren und Regio-nen, z.B. durch Anwendung der flexiblen Kyoto-Instrumente. Zum Stand und zur Wir-kungsweise dieser Instrumente wird auf Exkurs 4 in Band 4 verwiesen.

1.2.2 Kernenergie vs. CO2

Die derzeitige Stromerzeugung der Schweiz ist mit den Hauptenergieträgern Wasserkraft und Kernenergie nahezu CO2-frei. Für den möglichen Ersatz stillgelegter Kernkraftwerke werden sowohl neue Kernkraftwerke als auch mit Erdgas befeuerte Kombikraftwerke (im Folgenden Gaskraftwerke genannt) diskutiert. Der Betrieb beider Kraftwerkstypen ist mit Umweltauswirkungen und Risiken verbunden und in der Schweiz nicht unumstritten:

ƒ Gaskombikraftwerke der neuesten Generation können vornehmlich in der Mittellast eingesetzt werden. Bei der Stromerzeugung entstehen Emissionen in Höhe von ca.

340 g CO2/kWh. Das bedeutet eine zusätzliche CO2-Belastung von ca. 1.1 Mio. t CO2 jährlich je Kraftwerksblock von 550 MW. Der Technik der CO2-Abscheidung und -lagerung (CCS, Carbon Capture and Storage) werden derzeit erhebliche Potenziale zugeschrieben. Bei Funktionieren und Einsatz der Technik sowie gesicherter Lage-rung kann das CO2-Problem zumindest eine Zeitlang entschärft werden, bis entspre-chende Alternativen zur Verfügung stehen. Derzeit ist nach Einschätzung von Exper-ten allerdings nicht ernsthaft damit zu rechnen, dass die Technologie vor 2025 se-rienmässig und zu tragbaren Kosten eingesetzt werden kann. In der Schweiz existie-ren nach derzeitigem Kenntnisstand keine geeigneten geologischen Speicher für die Verpressung von CO2. Falls Gaskraftwerke zumindest während einer Übergangszeit ab ca. 2018 eingesetzt werden, sind die entsprechenden Emissionen ins Kalkül zu ziehen, auch bezüglich internationaler Verpflichtungen.

ƒ Es wird damit gerechnet, dass bis 2030 serienmässig Kernkraftwerke der Generation III / III+ zur Verfügung stehen. Konkret handelt es sich hierbei um den neuen

Europe-Juli 2007 4 Prognos AG

an Pressurized Water Reactor (Druckwasserreaktor, EPR). Dieser verfügt gegenüber den heute in Betrieb befindlichen Reaktoren über verbesserte Sicherheitsausstattun-gen, und er soll leicht höhere Wirkungsgrade aufweisen. Derzeit sind die ersten Ex-emplare im Bau. Der Reaktortyp III / III+ verfügt nicht über die Eigenschaft der so ge-nannten „inhärenten“ Sicherheit, bei der Kernschmelzunfälle zumindest theoretisch aufgrund der Betriebsweise ausgeschlossen werden können. Diese Eigenschaft wird erst dem Reaktortyp IV zugeschrieben, der bis 2030 voraussichtlich noch nicht se-rienreif sein wird [Streffer 2005]. Die grundsätzlichen Risiken, mit denen die Kernkraft verbunden ist, bleiben also bestehen: Schwere Unfälle mit erheblicher Freisetzung von Radioaktivität lassen sich nicht endgültig ausschliessen. Das Problem der Endla-gerung radioaktiver Abfälle ist weltweit nicht befriedigend gelöst. In Zeiten zuneh-mender Terrorfurcht rücken erhöhte Gefahren durch Sabotage, Anschläge und Proli-feration in den Fokus der gesellschaftlichen Diskussion [Oxford 2007].

Falls eine Entscheidung für neue Grosskraftwerke getroffen wird, wird eine gesellschaftli-che Auseinandersetzung mit den beiden sehr verschiedenen Umweltwirkungen bzw. Risi-kostrukturen erfolgen müssen.

1.2.3 Inländische Quellen vs. stochastisches Dargebot – zentrale vs. dezentrale Produktionsstrukturen

Einheimische erneuerbare Energiequellen können einerseits die Abhängigkeit von Ener-gieimporten verringern und andererseits die Klimabelastungen absenken, da sie zumin-dest CO2-neutral (Biomassen) oder CO2-frei sind. Die prominenten Quellen Wind (Elektri-zitätserzeugung) und Sonne (sowohl für Elektrizitäts- als auch für Wärmeerzeugung) wei-sen eine teilweise stochastische Dargebotscharakteristik auf, was ihre Einbindung in das Gesamtsystem ab einem Anteil etwa im zweistelligen Prozentbereich erschwert. Zur Sta-bilisierung des Netzes sind z. T. neue Kurz- und Mittelfristprognosemethoden zu entwi-ckeln sowie Speicher- und Regelungstechniken anzupassen [dena 2005].

Das schweizerische Elektrizitätssystem ist aufgrund seiner Speicher-, Pumpspeicher- und Spitzenlastkapazitäten hier in einer vergleichsweise komfortablen Situation, die es im Grundsatz auch erlaubt, in einem begrenzten Masse Regelenergie für stochastische Ein-speisungen bereit zu stellen [consentec 2004]. Dies würde allerdings organisatorische Veränderungen im System voraussetzen.

Grundsätzlich ist eine stärkere Nutzung inländischer Quellen, vor allem bei der Elektrizi-tätserzeugung, an die Orte des Aufkommens und Dargebots gebunden: Der Wind wird dort „geerntet“, wo er am stärksten weht (vor allem auf dem Jurabogen [BFE 2004]), die Biomassen sollten keine zu grossen Einzugsradien mit sich bringen. Dies kann eine stär-kere Dezentralisierung der Erzeugung mit Veränderungen in den Verhältnissen zwischen Netzstärke, Nachfra und Angebotsleistung und somit eine deutliche Veränderung ge-genüber der heutigen vergleichsweise zentralisierten Struktur mit grossen zentralen Kraftwerken bedeuten. Eine solche Situation wird in den dezentralisierten Varianten des Elektrizitätsangebots durchgespielt.

1.3 Aktuelle Situation und Handlungsbedarf

Wie zahlreiche andere hoch entwickelte Staaten hängt die Schweiz stark von Energieim-porten ab. Im Jahr 2003 betrug die „Importabhängigkeit“ gem. Energiestatistik des BFE 78.5 %. Hierbei befindet sich die Schweiz aufgrund ihres hohen Wasserkraftanteils in der Stromerzeugung noch in einer vergleichsweise komfortablen Situation.

Juli 2007 5 Prognos AG

Zur Wärmeerzeugung werden überwiegend fossile Energieträger, vor allem Heizölproduk-te sowie Gas, eingesetzt. Der Strassenverkehr ist praktisch vollständig von fossilen Ener-gieträgern abhängig. Die klimaschädlichen Wirkungen der damit verbundenen CO2 -Emissionen stellen eine der grössten Herausforderungen dar, denen sich die Industriege-sellschaften derzeit zu stellen haben.

Sowohl die Nachfrage nach Energie insgesamt als auch insbesondere nach Elektrizität hat in den vergangenen Jahren ständig zugenommen. Auf der Elektrizitätsangebotsseite laufen die langfristigen Bezugsverträge mit französischen Lieferanten innerhalb der kom-menden Jahre aus; ob ähnliche Langfristverträge erneut abgeschlossen werden können, ist derzeit unklar. Langfristige Reservierung von Durchleitungskapazitäten in öffentlichen Netzen sowie Grenzübergangskapazitäten wird aller Voraussicht nach nicht mehr möglich sein. Ausserdem wird erwartet, dass die schweizerischen Kernkraftwerke nach Laufzeiten von 50 – 60 Jahren vom Netz gehen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass im Laufe des kommenden Jahrzehnts eine weiterhin wachsende Nachfrage ohne Kraftwerksneu-bauten nicht mehr inländisch gedeckt werden kann.

Im europäischen Umfeld besteht ein analoges Problem der Alterung und Verknappung von Kraftwerkskapazitäten. In Deutschland wird beispielsweise derzeit ein Investitionsstau beim Ersatz und Neubau von Kraftwerken befürchtet. Es ist unklar, ob perspektivisch am europäischen Markt genügend Kapazität, insbesondere Grundlastkapazität, vorhanden sein wird, so dass dauerhaft und gesichert in die Schweiz importiert werden kann.

Informations- und Handlungsbedarf besteht im Bereich der Nachfrageentwicklung, der Energiebeschaffung, des Energieträgermixes sowie der Stromerzeugung, ebenso in Be-zug auf die Fragen von Importen oder inländischer Erzeugung, Technologien, Grössen-ordnungen und Akzeptanz. Weder beim Klimaschutz noch bei Energieeffizienztechniken noch im Umgang mit Risiken bestehen derzeit Marktmechanismen oder staatliche Instru-mente, die klare Rahmensetzungen für eine Optimierung unter allen Zielsetzungen vorge-ben.

Für den Bau neuer Grosskraftwerke wird aller Voraussicht nach ein umfassender gesell-schaftlicher Konsens notwendig sein, damit es zu Bewilligungen kommen kann.

Falls durch signifikante Reduzierung der Nachfrage (Energieeffizienz) sowie durch ver-stärkten Einsatz erneuerbarer Energien die Probleme entschärft werden sollen, ist eben-falls ein breit abgestützter Konsensprozess notwendig, um die hierfür erforderlichen In-strumente wie zum Beispiel ordnungsrechtliche Bestimmungen, Einführung von Abgaben und/oder zusätzliche Förderinstrumente, umzusetzen.

Juli 2007 6 Prognos AG

2 Methode

Im Dokument in den Szenarien I - IV (Seite 62-67)