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Möglichkeiten und Grenzen der Methoden und der Perspektiven

Im Dokument in den Szenarien I - IV (Seite 92-96)

2 Methode 2.1 Szenarien

2.5 Möglichkeiten und Grenzen der Methoden und der Perspektiven

2.5.1 Grundsätzliches

Grundsätzlich sind auch bei einer detaillierten Modellierung von Zukunftsentwicklungen Warnhinweise angebracht:

Auch sehr komplexe Modell-Systeme können nicht alle für die Entwicklung der Zielgrös-sen bedeutenden Einflussfaktoren berücksichtigen. Das gilt insbesondere für individuelle Entscheidungen, die durch Werte und Prioritäten ausserhalb der rein ökonomischen Rati-onalität beeinflusst werden. Zum Teil können solche Einflussfaktoren als exogen vorge-geben werden (wie dies in den Sz. III und IV in Teilen geschieht), zum Teil finden sie kei-nen Eingang in die Modelle.

Die Qualität der Modelle hängt von der Qualität der Grundlagen (Statistiken, Energie-verbräuche, Kohorten) ab, mit denen sie arbeiten. Hier gibt es an vielen Stellen noch Ver-besserungsmöglichkeiten.

Szenarien versuchen, konsistente Welten abzubilden. Diese Welten müssen jedoch durchaus nicht eindeutig sein. So sind manche der die Szenarien definierenden Bedin-gungen nur hinreichend, aber nicht notwendig, bei anderen kann es umgekehrt sein.

Die Ergebnisse der Szenarien hängen stark von exogenen Rahmenbedingungen ab, die sich z. T. volatil ändern können. Die Szenarien konzentrieren sich auf langfristige Aussa-gen und rechnen mit geglätteten durchschnittlichen RahmenbedingunAussa-gen. Konjunkturell oder durch singuläre Ereignisse ausgelöste Extremwerte (wie z.B. jährliche BIP-Fluktuationen oder Ölpreis-Peaks) werden nicht abgebildet, sondern unterliegen der Durchschnittsbildung.

Volatilitäten und konjunkturelle Schwankungen bestimmen jedoch sehr stark jeweils die aktuelle Wahrnehmung und Zukunftseinschätzung durch die Öffentlichkeit, wie sich an den Debatten über die Energiepreise der Jahre 2005 / 2006 gezeigt hat. Szenarien und deren Diskussion und Kritik können zumindest teilweise den Charakter der Projektion des

„Jetzt“ in ein „Später“ – mit gewissen Anpassungen, die aus dem resultieren, was vom jeweiligen Protagonisten für wahrscheinlich gehalten wird - nicht vermeiden. Dies ist durchaus Teil des Begründungszusammenhangs einer Szenarien-Aufgabenstellung: Es geht ja zum Teil gerade darum, Notwendigkeiten für Gegenmassnahmen und Ansatz-punkte für ein gezieltes Gegensteuern zu identifizieren, wenn die gegenwärtigen Dynami-ken in die Zukunft projiziert werden.

In der hier vorliegenden Arbeit werden als bewusste Entscheidung der Programmleitung keine Katastrophenszenarien oder „Wildcards“ betrachtet – das sind unvorhersehbare Ereignisse mit weltweiten Auswirkungen wie Asteroideneinschläge, schwere Kernkraftun-fälle, das plötzliche Auftauchen einer risiken- und nebenwirkungsfreien kostenlosen uner-schöpflichen Energiequelle o.ä.. Falls solche Ereignisse auftreten würden, wären eine Reihe der hier betrachteten Fragestellungen nicht mehr relevant.

Allerdings werden sehr wohl Sensitivitäten betrachtet, aus denen hervorgeht, wie robust oder anfällig die Energiesysteme gegenüber Schwankungen in den Rahmenbedingungen sind.

Juli 2007 32 Prognos AG

Viele gesellschaftliche und methodische Probleme wie z.B. externe Kosten, die Verteilung der mit Klimawandel oder Kernkraftunfällen verbundenen Risiken, die Kosten des Einsat-zes von Politikinstrumenten oder AushandlungsproEinsat-zesse in Risikofragen können im Rah-men dieser Modellrechnungen nicht gelöst werden. Dafür sitzen andere Konsortien mit anderen Modellen an weitaus grobkörnigeren Fragestellungen. Für kommende Aushand-lungsprozesse wurden aber durch die Szenarienarbeiten Faktengrundlagen geschaffen.

Um eine dauerhaft durchhaltbare energiepolitische und energiewirtschaftliche Strategie festzulegen und einen Konsens über eine mögliche und zulässige Erreichung der z. T. in den Auswirkungen konfligierenden Ziele zu erreichen, müssen letztlich auch ethische Fragestellungen in den gesellschaftlichen Diskurs einfliessen:

ƒ Was will sich die Gesellschaft leisten? Diese Fragestellung beinhaltet im Kern die Frage der Grundlagen und Funktionsweisen einer postindustriellen reichen westeuro-päischen Gesellschaft: Welche Ansprüche an Komfort, Lebensstil, Versorgung, Wirt-schaft, gesellschaftliche Disparitäten, Umgang mit einer alternden Bevölkerung, etc.

werden formuliert?

ƒ Was ist die Gesellschaft bereit, dafür in Kauf zu nehmen? Diese Frage betrifft zumeist und zumindest Kosten, Risiken (z.B. grosse Anlagenunfälle, Blackoutrisiken, Abhän-gigkeitsrisiken), Einschränkungen von Freiheiten, Gesundheitsgefährdungen sowie Komplexitätsentwicklungen.

ƒ Was kann die (jetzige) Gesellschaft verantworten? Diese Fragestellungen beinhaltet insbesondere die Auseinandersetzung mit negativen Auswirkungen auf Regionen, Menschen(gruppen) und Generationen, die nicht direkt von den angestrebten Nutzen profitieren. Hierzu gehören z.B. langfristige Umweltschäden, irreversible Auswirkun-gen von EnergienutzunAuswirkun-gen (radioaktive Abfälle, die über Jahrzehntausende gesichert werden müssen, Klimawandel), Proliferationsrisiken, Risiken von Grossunfällen, geo-politische Risiken aufgrund von Verteilungsungleichgewichten?

2.5.2 Systemgrenzen und allgemeine Voraussetzungen

Aufgrund der Systemgrenzen, der Trägheit der Energiesysteme und der Stetigkeit der Entwicklungen der letzten ca. 20 Jahre werden einige Annahmen über Voraussetzungen und unveränderte Rahmenbedingungen getroffen:

ƒ Es wird davon ausgegangen, dass im EU-Umfeld weiterhin eine wettbewerbs- und liberalisierungsorientierte Energiepolitik sowie eine ernsthafte Effizienz- und Klimapo-litik betrieben werden; beide PoKlimapo-litikfelder und -ziele sind mit zähen Aushandlungspro-zessen und langsamen Fortschritten verbunden. Für die Szenarien III und IV werden notwendige Bedingungen für die Rahmensetzungen im EU-Umfeld abgeleitet.

ƒ Bezüglich des schweizerischen Energiesystems wird von den folgenden grundsätz-lichen Voraussetzungen ausgegangen:

o Die Infrastruktur des Systems mit gut funktionierenden Elektrizitätsnetzen, derzeit hinreichenden Grenzübergangskapazitäten und ausreichenden Aus-gleichsmöglichkeiten zwischen Erzeugungs- und Nachfrageregionen bleibt erhalten.

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o Falls eine stärkere Dezentralisierung der Elektrizitätserzeugung erfolgt, kann die vom Netz bereit gestellte Infrastruktur diese verarbeiten (z.B. mit Ver-schiebungen im Speichermanagement).

o Bezüglich der Wärme-Infrastruktur gibt es keine tiefen Eingriffe oder Verän-derungen; es werden keine grossen neuen Fernwärmenetze unterstellt. Der Ausbau von Nahwärmenetzen, die Nutzung von Niedertemperaturwärme-quellen wie bspw. Abwassernetzen ist allerdings grundsätzlich denkbar.

o Es wird nicht davon ausgegangen, dass in nennenswertem Umfang Wasser-stoffinfrastruktur bis 2035 aufgebaut wird; diese Annahme wird durch die Ex-perten-Befragung [Prognos 2006a] im Zusammenhang mit der Entwicklung des Szenario IV gestützt.

o Es werden so wenig implizite Annahmen wie möglich zur Verteilung der Biomassen auf Energieträger gemacht. In den „ambitionierteren“ Szenarien wird davon ausgegangen, dass grössere Mengen an Biotreibstoffen wie Bio-ethanol, Biodiesel, Synthesetreibstoffe und Pflanzenöle importiert werden.

2.5.3 Offene Fragen

Mit Bottom-up-Energiesystemmodellen lassen sich Energieverbrauch, Energieträger, Aufwand für Verwendungszwecke und auch Kosten der Energieversorgung unter ver-schiedenen Voraussetzungen über den soziodemographischen und politischen Rahmen sehr präzise ermitteln. Für Fragestellungen ausserhalb des Energiesystems sind sie nicht geeignet.

Im Zusammenhang mit Energiesystemprognosen und -szenarien wird in der politischen Debatte immer wieder gefordert, ausserhalb des Systems liegende Effekte zu quantifizie-ren. Hierzu gehören die „Externen Kosten“ mit ihren Rückwirkungen auf nationale und internationale Wohlfahrtsfragen sowie – verstärkt durch den zunehmenden Handlungs-druck in Fragen der Klimaveränderungen – der „Externen Nutzen“ sowie „secondary be-nefits“ politischer Eingriffe.

Die Frage der externen Kosten wird seit dem Kernkraft-Unfall von Chernobyl 1986 ver-stärkt bearbeitet. Die mittlerweile für viele Bereiche, Energietechniken und Energieträger vorliegenden Vorschläge streuen allerdings aus systematischen Gründen z. T. erheblich:

Die berechneten Kosten hängen davon ab, welche Effekte mit in die Auswertung einbe-zogen werden und wo die Systemgrenze gesetzt wird. Insbesondere bei Kernenergie gibt es für die Eintrittswahrscheinlichkeiten von grossen Unfällen, die Art eines betrachteten Unfalls, die Schadenshöhe, Schadensradien und zeitliche Auswirkungen sehr grosse Bandbreiten, wie z.B. die in [Prognos 1992] gezeigte „Hohmeyer-Voss-Kontroverse“ zeigt.

Eine objektive Festlegung auf Systemgrenzen gibt es grundsätzlich nicht; hier ist das bestmögliche Ergebnis eine möglichst breit abgestützte Konvention. Mittlerweile liegen mit der ExternE- Methodik und dem Nachfolgeprojekt „newExternE“ [ExternE 2005] zuneh-mend akzeptierte Methodiken vor. Die Arbeit ist allerdings noch im Fluss. Je nach Frage-stellung können spezifisch veränderte Systemgrenzen sinnvoll sein. Ein Überblick über Bandbreite und Methodik externer Kosten findet sich im Anhang zu Band 3.

In die Berechnungen der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen mit dem Gleichgewichts-modell (Ecoplan, Band 3) wurden externe Kosten, soweit plausible Bandbreiten vorlagen, einbezogen.

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Die Situation bezüglich „externer Nutzen“ – insbesondere von Energieeffizienzmassnah-men und der Nutzung erneuerbarer Energiequellen – ist einerseits mit Fragen des Struk-turwandels, andererseits mit subjektiven Einschätzungen bezüglich der Lebensqualität verbunden, hat also auch grundsätzlich qualitative Aspekte. Ein typischer (Spezial-)Fall ist die positive Entwicklung der Luftqualität in energieeffizienten Gebäuden mit kontrollierter Lüftung.

Eine weitere Facette der Frage indirekter Kosten sind die (unbekannten) Kosten des Kli-mawandels und die im Umkehrschluss vermiedenen Kosten durch Klimaschutzmassnah-men und Abschwächung der Klimaerwärmung. Der Stern-Review [Stern 2006] hat erste Anhaltspunkte gegeben, die wissenschaftlichen Arbeiten hierzu sind allerdings bei weitem nicht abgeschlossen. Auch hier ist zunächst auf der qualitativen und methodischen Ebene zu klären, welche Effekte in welcher Stärke und mit welchen Radien einbezogen werden müssen – und was die Referenz ist.

Besser zu operationalisieren und auch zu quantifizieren sind CO2- (bzw. Treibhausgas-) Vermeidungskosten. Für die Stromerzeugung lassen sich diese Kosten recht zuverlässig ermitteln, bei Effizienzmassnahmen ist der Unschärfenbereich grösser. Erste Erfahrungen mit dem Zertifikatshandel ermöglichen Prognosen innerhalb eines gewissen Korridors (und unter bestimmten Annahmen über die Entwicklung und Rationalität des Marktes).

CO2-Zertifikate, CO2-Handel und internationale Projektmechanismen werden in Exkurs 4, Band 4, vertieft dargestellt. In den beiden Zielszenarien III und IV werden CO2 -Vermeidungskosten berechnet; bei der fossilen Stromerzeugung sind Zertifikatskosten berücksichtigt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Debatte über die mögliche Entwicklung der Ener-giesysteme nicht umhin kommt, die mit Modellen und Szenarien ermittelten quantitativen Grundlagen durch qualitative Aspekte zu ergänzen. Hierzu gehören vor allem

ƒ Risikofragen und Akzeptanzfragen bei Kernenergie sowie

ƒ Fragen der gesellschaftlichen Abstützung ambitionierter Klimaziele.

Diese Fragen müssen in Verbindung mit quantitativen Ergebnissen wie Stromgeste-hungskosten verschiedener Technologien sowie Einsparkosten diskutiert werden, um einen möglichst breit abgestützten Konsens über eine Strategie zu erreichen.

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3 Rahmen

Wichtigste exogene Rahmendaten sind die Bevölkerungsentwicklung, die Entwicklung der Wirtschaftsleistung (absolut und pro Kopf) sowie die Entwicklung der Energiepreise. Die sozioökonomischen Rahmendaten lehnen sich eng an die Entwicklungen des Perspektiv-stabes des Bundes an.

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