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Als die zentrale Haftungserweiterung des Schuldverhältnisrechts gegenüber dem Deliktsrecht wird häufig der umfassende Schutz des Vermögens genannt. 363

Dabei wird das Vermögen durchaus auch im Deliktsrecht geschützt – und zwar

359 Palandt/Sprau, 77. Aufl. 2018, § 823 Rn. 52, 55 („Entlastungsmöglichkeiten“ des § 831 BGB werden „praktisch erheblich eingeengt durch die eigene allgemeine Aufsichtspflicht“); Schaub, FS Medicus, 2009, S. 423, 438; Tröger, Arbeitsteilung, 2012, S. 163f.

360 Medicus/Lorenz, Schuldrecht AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 104; so auch schon früher Medicus, Gutachten, Bd. I, 1981, S. 479, 491 („Allerdings sind im Deliktsrecht schon Wege zur Ein-schränkung der Exkulpationsmöglichkeiten gefunden worden.“); U. Huber, FS von Caemme-rer, 1978, S. 837, 867.

361 Michael Lehmann, Bürgerliches Recht, 1983, S. 94; Medicus, Gutachten, Bd. I, 1981, S. 479, 491; womöglich etwas ausdrucksstark Paßmann, Schutzpflichtverletzungen, 2010, S. 12f. (De-liktsrecht „immer noch weit hinter dem Standard des § 278“).

362 von Bar, Verkehrspflichten, 1980, S. 312; von Bar, JuS 1982, 637, 645; K. Huber, FS von Caemmerer, 1978, S. 359, 376f. (Fn. 87: „Unterschied verwischt“); Kreuzer, Verkehrspflich-ten, 1971, S. 161 („Bei der Haftung für Leute verdrängt die unmittelbare Haftung des Zuord-nungssubjekts (Geschäftsherr) wegen Organisations- oder Überwachungsverschuldens weit-hin die Regel des § 831 BGB“) Schaub, FS Medicus, 2009, S. 423, 440 („§ 831 BGB heute weitgehend durch andere Regeln überlagert“).

363 RG, Urt. v. 22.1.1906 – VI 267/05, RGZ 62, 315, 317 („Eine Haftung aus schuldhaft fahrlässi-ger Vermögensschädigung außerhalb des Vertrages aber kennt das Recht des Bürfahrlässi-gerlichen Ge-setzbuchs nicht.“); AK-BGB/Dubischar, 1980, vor §§ 275ff. Rn. 40; Hadzimanovic, Neben-pflichten, 2006, S. 106; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 660; Katzenstein, Jura 2004, 584, 586;

Medicus/Lorenz, Schuldrecht AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 533; Schäfer, AcP 202 (2002), 808, 811; Schlechtriem, VersR 1973, 581, 584; Staub, Vertragsverletzungen, 1904, S. 38; Teich-mann, JA 1984, 709, 712; Unberath, Vertragsverletzung, 2007, S. 192f. (Fn. 52); Wagner, Schuldrecht, 2003, S. 203, 204; vgl. bereits Michaelis, FS Siber, Bd. II, 1945, S. 185, 324 („Bedeutung der Deliktshaftung […] [im Bereich des Vermögensschutzes] sehr beschränkt“).

sogar auch durch § 823 I BGB

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–, nur womöglich nicht in gleichem Maße wie durch die §§ 280 I, 241 II BGB.

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Das Ausmaß der Unterschiede ist deshalb näher zu untersuchen. Der Gesetzgeber fügte die „Interessen“ des Gläubigers in den Wortlaut von § 241 II BGB ein, um deutlich zu machen, dass auch „Vermö-gensinteressen sowie andere Interessen wie zum Beispiel die Entscheidungsfrei-heit“ als Schutzobjekt von Nebenpflichten in Frage kommen.

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In der rechtwis-senschaftlichen Diskussion ist im Kontext von Nebenpflichten stets vom gegen-über dem Jedermannsrecht erweiterten Vermögensschutz des Schuldverhältnis-rechts die Rede. Schaut man sich jedoch die Beispielsfälle oder die höchstrich-terliche Rechtsprechung hierzu an, so stellt man fest, dass der Begriff des Ver-mögens hier entweder verfehlt ist oder überaus weit verstanden wird.

Beispiel 7 Weil die Bemalung der Wände im Mietwohnungsfall

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laut BGH von § 538 BGB gedeckt war – und der Mieter somit während der Mietdauer berechtigt war, das Eigentum des Vermieters durch die Bemalung zu beeinträchtigen –, lässt sich eine Nebenpflicht zum Schutz des Eigentums des Vermieters nicht völlig widerspruchsfrei begründen. Die vom BGH im Ergebnis bejahte Nebenpflicht muss sich dementsprechend auf ein anderes Schutzgut bezogen ha-ben. Mit der Pflicht des Mieters, die Wandfarbe weiß überzuma-len, sollte die Wohnung im Zeitpunkt der Rückgabe in einen mög-lichst neutralen Zustand versetzt werden. Sie sollte also mögmög-lichst vielen potentiellen Mietern als geeignet erscheinen. Damit wird dem Vermieter die Weitervermietung erleichtert. Die (abstrakte) Möglichkeit des Vermieters aus seinem Eigentum Einkommen zu

364 Zwar ist das Vermögen grundsätzlich kein von § 823 I BGB geschütztes Rechts-gut. Ausnahmen werden hiervon aber dann gemacht, wenn sich das Vermögen hinreichend ab-solut manifestiert, sodass eine Gleichstellung mit den in § 823 I BGB genannten Rechtsgütern gerechtfertigt ist. Die prominentesten Beispiele bilden der Unternehmensschutz sowie der Schutz (der vermögenswerten Bestandteile) des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. MüKo-BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 316ff., 363ff.; allgemein zum schutz im Deliktsrecht Deutsch, Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 873ff.; Doobe, Vermögens-schäden, 2014, S. 65ff.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 15. Aufl. 2018, Rn. 430ff.

365 Canaris, FS Larenz, 1983, S. 27, 90 („Kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unter-schied gegenüber dem Deliktsrecht“); Faust, AcP 210 (2010), 555, 557; Faust, Europäisches Kaufrecht, 2012, S. 161, 162; Faust, Gutachten DJT, 2016, S. 38f.

366 BT-Drs. 14/6040, SchRModG, Gesetzesbegründung, S. 126; Canaris, JZ 2001, 499, 519.

367 S.o., S. 33.

B Haftung aus einem Schuldverhältnis 93

generieren, könnte also zu seinem Vermögen als von § 241 II BGB geschütztem Rechtsgut gehören. Allerdings konnte mangels kon-kreter Mietinteressenten, die allein von der Wandfarbe abge-schreckt wurden, noch nicht von einer im klassischen Sinne ver-mögenswerten Expektanz, welche durch die Rückgabe der Woh-nung mit einer bunt gestrichenen Wand vernichtet worden wäre, ausgegangen werden. Demnach schützt die Nebenpflicht ein abs-traktes, vermögenswertes Interesse des Vermieters, seine Wohnung weiterzuvermieten, ohne hierbei durch eine rücksichtslose Selbst-verwirklichung des Vormieters beeinträchtigt zu werden. Schutzgut der Nebenpflicht ist damit das Vermögen des Vermieters, der die-ser Annahme zugrundeliegende Vermögensbegriff ist aber sehr weit.

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Man muss sich also fragen, ob nicht der Begriff von Vermögensschutz auf tatbe-standlicher Ebene schon im Ansatz unpräzise ist. Unmittelbarer Gegenstand einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht kann schließlich auch laut Gesetzgeber die rechtsgeschäftliche „Entscheidungsfreiheit“

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sein. Aufklärungspflichten bilden aber in der rechtswissenschaftlichen Diskussion durchaus Teil des erwei-terten Vermögensschutzes im Schuldverhältnisrecht.

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Die fehlerhafte oder

368 Vgl. auch BGH, Urt. v. 5.3.2014 – VIII ZR 205/13, Rn. 13ff. Dort hatte ein Mieter innerhalb einer WEG seinen Schlüssel verloren. Die WEG wollte nun vom Eigentümer der Wohnung, der über § 278 S. 1 Alt. 2 BGB für den Mieter einzustehen hatte, die Kosten für den Austausch der gesamten Schließanlage über §§ 280 I, 241 II BGB ersetzt verlangen. Der BGH nahm eine Nebenpflichtverletzung durch den Verlust des Schlüssels an, lehnte aber mangels konkreter Missbrauchsgefahr durch Dritte einen ersatzfähigen Schaden ab. Da es an einem Eingriff in die Sachsubstanz der Schließanalage laut BGH ja gerade fehlte, kann als Schutzobjekt der Ne-benpflicht nur ein vermögenswertes Interesse der WEG in Betracht kommen. Der Schutz-zweck dieser Pflicht erfasste aber offenbar nur dann den Ersatz der Schließanlage, wenn sich konkret eine Gefahr angebahnt hätte, dass der Schlüssel von einem Dritten missbraucht wer-den würde. In der Sache betraf auch der vom BGH im Schawer-den erörterte Teil die Frage, in-wieweit das vermögenswerte Interesse der WEG schutzwürdig war.

369 BT-Drs. 14/6040, SchRModG, Gesetzesbegründung, S. 126; Kersting, Dritthaftung, 2007, S. 347; hiergegen noch Lieb, FS Medicus, 1999, S. 337, 344ff.

370 Grigoleit, Schuldrechtsreform, 2001, S. 269, 272; Staudinger/Olzen, Neubearbeitung 2015,

§ 241 Rn. 438. Im Bereich der Azrthaftung ist die ordnungsgemäße Aufklärung indes Voraus-setzung für einen rechtmäßigen Eingriff in die körperliche Integrität, insoweit ist Schutzgut der Aufklärung regelmäßig ein zumindest auch über § 823 I BGB erfasstes Rechtsgut, vgl. beispielsweise die insoweit parallele Prüfung der §§ 280, 823 BGB des OLG Hamm, Urt. v. 30.5.2011 – 3 U 205/10, Rn. 27.

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