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Der einzige Anspruch im Deliktsrecht, der als Generalklausel auf primärer Ebene Vermögensschutz betreibt, ist der aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung

(§ 826 BGB

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).

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Der Anspruch stellt – nach § 823 I BGB und § 823 II BGB – die dritte der kleinen Generalklauseln dar, welche zusammengenommen nach Vorstellung des Gesetzgebers den Rechtsgüterschutz langfristig, und an die je-weiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst, sichern sollen.

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§ 826 BGB ist dem Wortlaut nach grundsätzlich als Haftungsnorm für den (sittenwid-rig handelnden) Vorsatztäter konzipiert. Sofern ein bestimmtes Verhalten von Rechtsprechung und Literatur überwiegend als sittenwidrige Vermögensschädi-gung eingestuft wird, erhält es zumindest faktisch das Siegel eines Verbots. Vor der erstmaligen Anerkennung eines Verhaltens als sittenwidrig ist zu fragen, was der Verkehr im Hinblick auf das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Den-kenden erwarten durfte. Ist diese Wertung aber einmal vollzogen, so wird die Einhaltung des postulierten Verhaltensstandards Bestandteil einer existierenden Verkehrserwartung. Die innerhalb von § 826 BGB etablierten Fallgruppen könn-ten dann als akzeptierte Verhalkönn-tensstandards gegenüber Vermögensinteressen Dritter theoretisch zu Verkehrspflichten im Sinne von § 823 II BGB werden.

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Dieser Schritt wird aber von der herrschenden Meinung wegen der scharfen Trennlinie zwischen Fahrlässigkeits- und Vorsatzhaftung und der Prärogative des Gesetzgebers für den Erlass von Schutzgesetzen nicht vollzogen. § 826 BGB ist dem Wortlaut nach schließlich als Haftungsnorm für den (sittenwidrig han-delnden) Vorsatztäter konzipiert.

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Würde über die Rechtsanwendung aus § 826 BGB eine Haftung für (grobe) Fahrlässigkeit gemacht, so widerspräche dies dem

411 § 826 BGB lautet: „Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.“.

412 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 15. Aufl. 2018, Rn. 250 („Zentralnorm des deliktischen Vermö-gensschutzes“); vgl. zur Praxisrelevanz der Norm im Bereich der Beratungsleistungen generell Hdb. Anwaltshaftung/D. Fischer, 4. Aufl. 2015, § 15 Rn. 128ff.

413 Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Deliktsrecht, 9. Aufl. 2016, S. 173f.; jurisPK-BGB/Reichold, 8. Aufl. 2017, § 826 Rn. 6 („Entwicklungsfunktion“).

414 Dafür letztlich K. Huber, FS von Caemmerer, 1978, S. 359, 383f.; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 251ff.

415 Hdb. Anwaltshaftung/D. Fischer, 4. Aufl. 2015, § 15 Rn. 117; krit. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 15. Aufl. 2018, Rn. 438 („sehr hohe Hürde […], die nicht immer angemessen ist“).

Haftungsgrund der Norm.

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Stattdessen ist eine Tendenz zu beobachten, das Vorsatzerfordernis in § 826 BGB zumindest faktisch zu entwerten

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, was wiede-rum Teile der Literatur in der Ansicht bestärkt, dass ein Übergang einer Verhal-tensanforderung von § 826 BGB zu § 823 II BGB möglich sein müsse

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: So wird in der Rechtsprechung gerade im Bereich der Gutachterhaftung bisweilen die Leichtfertigkeit und Gewissenlosigkeit des Handelns als Indiz für die An-nahme bedingten Vorsatzes genommen.

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Hierin ist zwar keinesfalls eine forma-le Aufgabe des Vorsatzerfordernisses zu sehen.

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Dennoch ist es als faktische Verquickung der tatsächlichen Umstände zu sehen, welche die Begründung von sittenwidrigem Verhalten und vorsätzlicher Schädigung (jeweils separat) tragen sollen.

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In der Subsumtion ist bei einer solcher Vorgehensweise die Prüfung des Vorsatzes – obschon formal unangetastet – nur zweitrangig, entscheidend für den gerichtlichen Erfolg ist das beweisbare Ausmaß des objektiven Pflichtver-stoßes im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit.

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416 BGH, Urt. v. 21.4.2009 – VI ZR 304/07, Rn. 24; von Bar, Gutachten, Band II, 1981, S. 1681, 1705; Honsell, FS Medicus, 1999, S. 211, 215f.

417 Krit. hierzu Honsell, FS Medicus, 1999, S. 211, 215ff.

418 So jüngst Staudinger/Oechsler, Neubearbeitung 2014, § 826 Rn. 36.

419 BGH, Urt. v. 12.12.1978 – VI ZR 132/77, Rn. 10 („ein besonders leichtfertiges, gewissenloses Verhalten eines Wirtschaftsprüfers […] [kann] als sittenwidrig zu bezeichnen sein, und, wenn er es selbst erkannt hatte, den Schluß auf bedingten Vorsatz zulassen“); BGH, Urt. v. 24.9.1991 – VI ZR 293/90, Rn. 25 („Auf bedingten Vorsatz läßt ein leichtfertiges, ge-wissenloses Verhalten bei Ausstellung unrichtiger Gutachten […] schließen“); BGH, Urt. v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, Rn. 46 („Gemäß § 826 BGB haftet allerdings nicht nur, wer die die Sittenwidrigkeit seines Handelns begründenden Umstände positiv kennt, sondern auch, wer sich dieser Kenntnis bewusst verschließt […] und etwa seine Berufspflichten in solchem Maße grob fahrlässig und leichtfertig verletzt, dass sein Verhalten als bedenken- und gewis-senlos zu bezeichnen ist […]. Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist […]. Von vorsätzlichem Handeln ist auszugehen, wenn der Schädiger so leichtfertig gehandelt hat, dass er eine Schädigung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss“) (BGHZ 176, 281, 294f.); BGH, Urt. v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, Rn. 39 (BGHZ 184, 365, 375); wohl restriktiver BGH, Urt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, Rn. 25 („genügt nicht, wenn die relevanten Tatum-stände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen“).

420 Das belegt die Obersatzbildung der Rechtsprechung, vgl. BGH, Urt. v. 24.9.1991 – VI ZR 293/90, Rn. 20, 23f.; BGH, Urt. v. 21.4.2009 – VI ZR 304/07, Rn. 24 („Sittenwidrigkeit und Vorsatz getrennt festzustellen“).

421 Vgl. auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 633 („Denaturierung“); MüKo-BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 31f. („Aufweichungstendenzen“).

422 Anschaulich zu dieser Vorgehensweise BGH, Urt. v. 14.4.1986 – II ZR 123/85, Rn. 17 („Sollte die Beweisaufnahme […] [den] Befund [eines unrichtigen Gutachtens] bestätigen, so ist es

B Haftung aus einem Schuldverhältnis 103

Beispiel 17 Ein Wirtschaftsprüfer erstellt für ein Unternehmen die Jahresab-schlüsse („Wirtschaftsprüferfall“).

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Auf einer internen Veran-staltung, an der hauptsächlich Vertriebsmitarbeiter des Unter-nehmens teilnehmen, hält der Wirtschaftsprüfer über die wirt-schaftliche Situation des Unternehmens einen Vortrag und er-wähnt unter anderem, dass es sich bei den Unternehmensanleihen um „Blue Chips“ handle und die Eigenkapitalausstattung des Un-ternehmens ausgezeichnet sei. In Wahrheit bestand das Eigenkapi-tal des Unternehmens fast ausschließlich aus Forderungen gegen (Privat-)Anleger, die als atypisch stille Gesellschafter des Unter-nehmens ihre Einlageverpflichtung lediglich in monatlichen Raten über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren erbringen mussten. Auf-grund des hochkomprimierten Risikos eines Zahlungsausfalls we-gen eines Vertrauensverlusts der Anleger und eines nur unzurei-chend vorhandenen Forderungsmanagements war die wirtschaftli-che Situation des Unternehmens von der eines erstklassigen Anla-gegeschäfts (Blue Chip) weit entfernt. Die Äußerungen des Wirt-schaftsprüfers wurden von den Vertriebsmitarbeitern aufmerksam aufgenommen und in die (vorbereiteten) Beratungsgespräche zum Verkauf der Anlage integriert. Ein Vertriebsmitarbeiter überzeugt einen Anleger zur Beteiligung an dem Unternehmen als atypisch stiller Gesellschafter über eine Einlage von 100.000€. Wenige Wochen später stellt das Unternehmen wegen inkompetenter Ge-schäftsleitung und dem überraschenden Wertabfall einiger

möglich, daß die Art der Mängel auf ein grob leichtfertiges Verhalten des Beklagten zu 2 hin-weist, aus dem wiederum gefolgert werden könnte, daß der Beklagte eine Schädigung der An-leger in Kauf genommen, also - zumindest bedingt - vorsätzlich gehandelt haben muß“); BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, Rn. 98 („Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlußfolgerung ergeben, daß mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist […]. Steht daher nicht fest, ob den Schädiger der Vorwurf sittenwidrigen Handelns trifft, kann nicht ohne weiteres festgestellt werden, daß er nicht mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Das ist nur dann zulässig, wenn ausgeschlossen werden kann, daß sich aus Art und Weise des Handelns ein Rückschluß auf den (bedingten) Vorsatz des Handelnden ergeben würde“) (BGHZ 129, 136, 177); BGH, Urt. v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, Rn. 43 („Die Beklagte hat zu-mindest so leichtfertig gehandelt, dass sie die als möglich erkannte Schädigung der Klägerin in Kauf genommen haben muss.“) (BGHZ 184, 365, 376).

423 Fall nach BGH, Urt. v. 19.11.2013 – VI ZR 336/12.

gen Insolvenzantrag. Der Anleger möchte nun mangels anderer,