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Weil der Vertragsbegriff im internationalen Verfahrensrecht deutlich enger ist als das deutsche Verständnis von Schuldverhältnis, werden Nebenpflichten –

insbesondere außerhalb rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse – zum Teil als rein deliktisch eingestuft. Auch innerhalb rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnis-se bestehen gewisSchuldverhältnis-se Zweifel, ob die Haftung aus Nebenpflichtverletzung unter den Vertragsbegriff der Brüssel Ia-VO fällt. Damit wird eine Tendenz der inter-nationalen Rechtsgemeinschaft deutlich, Nebenpflichten zum reinen Integritäts-schutz als inhaltliche Domäne des Jedermannsrechts einzustufen.

2. Internationales Privatrecht a) Schuldverhältnisrecht

Im Kollisionsrecht werden im europäischen Raum vertragliche Schuldverhältnis-se mittlerweile

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von der Rom I-VO erfasst. Wenn die Parteien keine Rechts-wahl getroffen haben, bestimmt Art. 4 II Rom I-VO das anzuwendende Recht primär nach dem gewöhnlichen Aufenthalt derjenigen Person, welche die für den

694 EuGH, Urt. v. 17.9.2002 – C-334/00, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 28.1.2015 – C-375/13, Rn. 44.

695 Ähnlich auch Müko-ZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, EuGVO Art. 5 Rn. 64.

696 EuGH, Urt. v. 27.9.1988 – 189/87, Rn. 19f.

697 Zum Meinungsbild im EGBGB detailliert Benedict, Internationales Recht, 2013, S. 19, 31ff. m.w.N.

Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat.

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Nach Art. 12 I c) Rom I-VO erfasst das Vertragsstatut grundsätzlich auch die Folgen und Voraussetzun-gen einer Vertragsverletzung. Ob aber auch Nebenpflichten

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darunter fallen, ist ungeklärt: So wird der Integritätsschutz in einem vertraglichen Schuldverhältnis zum Teil vertraglich

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und zum Teil deliktisch

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qualifiziert. Ursprung dieses Problems ist, dass integritätsschützende Nebenpflichten zwar nach deutschem Verständnis Teil eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnis sein können, die autonome Auslegung des Vertragsbegriffs diese Besonderheit aber nicht berück-sichtigen muss. Aus diesem Grund erscheint es überzeugend, Nebenpflichten grundsätzlich deliktisch zu qualifizieren.

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Im Einzelfall kann die vertragliche Nebenpflicht dann gem. Art. 4 III 2 Rom II-VO nämlich immer noch unter das Vertragsstatut fallen, wenn zwischen dem Vertrag und der unerlaubten Handlung eine enge Verbindung besteht.

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Für die culpa in contrahendo findet sich in der Rom II-VO mit Art. 12 eine eige-ne Regelung.

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Nach Art. 12 I Rom II-VO ist für das anzuwendende Recht das angestrebte Rechtsgeschäft in den Blick zu nehmen. Dasjenige Recht, welches auf den zu schließenden Vertrag anwendbar gewesen wäre, ist dann auch auf für die culpa in contrahendo maßgeblich. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob das vertragliche Schuldverhältnis tatsächlich zustande kommt.

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Die Regelung für

698 Die vorrangig anzuwenden Regelungen zu einzelnen Vertragstypen bauen auf dieses Prinzip auf, vgl. beispielsweise Art 4 I a), b) Rom VO, näher Palandt/Thorn, 77. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 4 Rn. 4ff.

699 Nebenleistungspflichten unterfallen hingegen nach allgemeiner Meinung dem Vertragsstatut, MüKo-BGB/Spellenberg, 7. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 12 Rn. 54.

700 So Staudinger/Magnus, Neubearbeitung 2016, Rom I-VO Art. 12 Rn. 33; Palandt/Thorn, 77. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 12 Rn. 7 (für die „positive Vertragsverletzung“).

701 So MüKo-BGB/Spellenberg, 7. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 12 Rn. 75; Palandt/Thorn, 77. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 12 Rn. 5 (für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Drit-ter); vgl. auch Leible, Schuldrechtsmodernisierung, 2008, S. 219, 232.

702 Dafür auch Canaris, FS Larenz, 1983, S. 27, 109; Köndgen, Schuldrechtsreform, 2001, S. 231, 237.

703 So auch MüKo-BGB/Spellenberg, 7. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 12 Rn. 55; von einer solchen Möglichkeit hat jüngst auch der EuGH im internationalen Verfahrensrecht Gebrauch gemacht, näher EuGH, Urt. v. 13.3.2014 – C-548/12, Rn. 20ff.; zustimmend Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633, 1635.

704 Von der Rom I-VO sind Ansprüche aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen explizit nicht erfasst, vgl. Art. 1 II i) Rom I-VO; Palandt/Thorn, 77. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 1 Rn. 15.

705 Der EU-Gesetzgeber hat den Abbruch der Vertragsverhandlungen als Fallgruppe ausdrücklich von Art. 12 Rom II-VO erfasst gesehen, vgl. Erwägungsgrund Nr. 30 S. 2 Rom II-VO.

C Umgang mit schuldverhältnisbedingten Nebenpflichten 173

die culpa in contrahendo findet sich indes in der Rom II-VO, welche – im Ge-gensatz zur Rom I-VO – die Einordnung der Ansprüche aus dem Jedermanns-recht leistet. Im Tatbestand wird die culpa in contrahendo also deliktisch einge-ordnet

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, in der Rechtsfolge hingegen vertraglich.

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Damit ist bezüglich der dogmatischen Einordnung der culpa in contrahendo im europäischen Kontext eine zweideutige Aussage getroffen worden.

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Über die Sonderregelung des Art. 12 I Rom II-VO richten sich Ansprüche aus culpa in contrahendo zwar grundsätzlich nach dem Vertragsstatut – und somit eben nicht nach den für das Jedermannsrecht geltenden Regeln. Insbesondere die Verletzung von „Offenlegungspflichten“ sowie der „Abbruch von Vertrags-verhandlungen“

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sollen nach Auffassung des EU-Gesetzgebers von der Norm erfasst sein.

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Interessant ist aber, dass der EU-Gesetzgeber in der Gesetzesbe-gründung darauf hingewiesen hat, dass diejenigen Ansprüche aus culpa in con-trahendo, welche sich auf den Ersatz von Personenschäden richten, nicht nach Art. 12 Rom II-VO, sondern nach der allgemeinen deliktsrechtlichen Regel des Art. 4 Rom II-VO qualifiziert werden sollen.

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Insbesondere der Bereich der

706 Vgl. Köndgen, Schuldrechtsreform, 2001, S. 231, 237; Leible, Schuldrechtsmodernisierung, 2008, S. 219, 232 („vertragliche Qualifikation bei Vertragsanbahnung begangener Delikte […] nicht europafähig“); dafür bereits Canaris, FS Larenz, 1983, S. 27, 109.

707 Vgl. Staudinger/Olzen, Neubearbeitung 2015, Einl zum SchuldR Rn. 259.

708 Leible, Schuldrechtsmodernisierung, 2008, S. 219, 233f. sah dies bereits vor Erlass der VO als

„Gefahr“, weil der deutschen Rechtswissenschaft bislang „keine dogmatisch überzeugende Aufschlüsselung der von der cic erfassten und sehr heterogenen Fallgruppen“ gelungen war;

näher zu den Folgen dieses „perplexe[n] Rätsel[s]“ Benedict, Internationales Recht, 2013, S. 19, 38f.

709 Im internationalen Privatrecht wird damit mit Billigung des EU-Gesetzgebers genau umge-kehrt verfahren, wie der EuGH im internationalen Verfahrensrecht entschieden hat, s.o., S. 168f.

710 Erwägungsgrund Nr. 30 S. 2 Rom II-VO. Neben diesen beiden Fallgruppen wird von der h.M. auch die Eigenhaftung Dritter im Rahmen von Vertragsverhandlungen nach §§ 280 I, 311 III, 241 II BGB in den Anwendungsbereich miteinbezogen, obgleich hier die subsidiäre, delik-tische Anknüpfung nach Art. 12 II a) Rom II-VO befürwortet wird, MüKo-BGB/Junker, 7. Aufl. 2018, Rom II-VO Art. 12 Rn. 14ff.; Palandt/Thorn, 77. Aufl. 2018, Rom II-VO Art. 12 Rn. 2.

711 Erwägungsgrund Nr. 30 S. 4 Rom II-VO. Der EU-Gesetzgeber sieht in diesen Fällen also keinerlei vertraglichen Einschlag, der es rechtfertigen könnte, an das Vertragsstatut anzuknüp-fen. Er fordert in der Gesetzesbegründung einen „unmittelbare[n] Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags“, Erwägungsgrund Nr. 30 S. 3 Rom II-VO. Folgerichtig müssten daher auch Ansprüche aus dem vorvertraglichen Bereich, welche auf den Ersatz von Sachschäden gerichtet sind, von Art. 12 Rom II-VO ausgenommen sein, zutreffend MüKo-BGB/Junker, 7. Aufl. 2018, Rom II-VO Art. 12 Rn. 34; Palandt/Thorn,

Verkehrssicherungspflichten ist deshalb insgesamt deliktisch zu qualifizieren,