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deutiger Schluss entnehmen. 627 Aus systematischer Perspektive kann auf die bereits geprüften Wirkungsweisen von Nebenpflichten verwiesen werden: Da

Nebenpflichten einforder-, erfüll- und klagbar sind, spricht kein gravierender Einwand systematischer Natur dagegen, in Nebenpflichten eine Verpflichtung zur Leistung zu sehen.

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Entscheidend ist daher die Auslegung nach dem Zweck des Leistungsbegriffs. Was die konkreten Verhaltensanforderungen anbelangt, so kann keine kategorische Unterscheidung zwischen einer Neben- und einer Leis-tungspflicht festgestellt werden. Schließlich kann jede Nebenpflicht durch Ver-einbarung zur Leistungspflicht werden.

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Auch der wortlautgetreue Zweck einer Leistung hat mit der Unterscheidung nichts zu tun: Dem Sprachgebrauch nach ist es womöglich gar eine „größere Leistung“, alle aus den Nebenpflichten folgen-den Verhaltensanforderungen zu wahren, als die tatsächlichen Leistungspflichten zu erfüllen.

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Schließlich ist die Frage, ob Neben- und Leistungspflicht sich funktional unterscheiden. Dafür könnte auf den ersten Blick sprechen, dass der Schuldner einer Leistungspflicht einen klar definierten Erfolg schuldet, während Nebenpflichten nur das diffuse Prinzip des neminem laedere im Schuldverhältnis verkörpern

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. Bei präziser Betrachtung führen Nebenpflichten aber dazu, dass der Schuldner einen „Vermeidungserfolg“ schuldet: An den vom Schutzbereich des Schuldverhältnisses umfassten Rechtsgütern des Gläubigers hat ein durch die Sphäre des Schuldners hervorgerufener Schaden als positiver Erfolg auszublei-ben.

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Neben- und Leistungspflichten sind damit beide Teil „des vom Schuldner zu bewirkenden Handlungsbündels“.

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Schließlich bleibt noch der Einwand, dass der Gesetzgeber mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz unterschiedli-che Rechtsfolgen für die Verletzung von Leistungs- und Nebenpflichten ange-ordnet hat: Für Nebenpflichten gelten die §§ 280, 282, 324, 241 II BGB, wäh-rend für Leistungspflichten die §§ 280, 281, 283, 286, 311a II, 323, 241 I BGB gelten. Zwar haben die Pflichten ausweislich der gesetzlichen Systematik

627 Näher M. Weller, Leistungen, 2012, S. 395f.

628 Vgl. zur Prüfungsreihenfolge M. Weller, Leistungen, 2012, S.396ff.; grundsätzlich a.A. L. Müller, JuS 1998, 894, 895.

629 M. Weller, Leistungen, 2012, S. 397.

630 So zumindest M. Weller, Leistungen, 2012, S. 397f.

631 Katzenstein, Jura 2004, 584, 586.

632 Ähnlich auch Paßmann, Schutzpflichtverletzungen, 2010, S. 161f.

633 So überzeugend M. Weller, Leistungen, 2012, S. 396f.; vgl. auch AK-BGB/Dubischar, 1980,

§ 241 Rn. 6 (Nebenpflichten „mitgeschuldet“).

schiedliche Charakteristika. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sie einen grundsätzlich unterschiedlichen Pflichtentyp verkörpern.

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Die Begriffspaare der Leistung als Erfüllung und Nichtleistung als Pflichtverletzung könnte man daher einheitlich auf Leistungs- und Nebenpflichten angehen.

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Als letzte Konsequenz könnte man dann auch die §§ 281, 286 BGB (analog) auf Nebenpflichten anwenden.

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Ob Schadensersatz statt der Leistung wegen Nicht-leistung oder Schadensersatz neben der Leistung wegen Verzögerung der Leis-tung bei Nebenpflichten verlangt werden kann, wird in der Literatur kaum the-matisiert. Die herrschende Meinung geht schließlich explizit oder implizit davon aus, dass Nebenpflichten eben in keinem Fall unter den Begriff der Leistung im allgemeinen Schuldrecht zu fassen sind.

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Selbst wenn man – wie hier – Neben-pflichten nicht kategorisch aus dem Leistungsbegriff ausschließt, so mag ein Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I BGB oder §§ 280 I, II, 286 I 1 BGB zwar re-gelmäßig ausscheiden. Nebenpflichten entstehen schließlich situativ bei einer Gefahr für die Rechtsgüter des Gläubigers. Bleibt die Leistung der Nebenpflicht

634 So zumindest M. Weller, Leistungen, 2012, S. 407.

635 Näher M. Weller, Leistungen, 2012, S. 408f. Der Begriff der „Nichterfüllung“, der von U. Huber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz anstelle der „Pflichtverletzung“ vorgeschlagen wurden, wurde vom Gesetzgeber indes genau deshalb abgelehnt, weil er „nur schwer“ auf Nebenpflichten passen würde, BT-Drs. 14/6040, SchRModG, Gesetzesbegründung, S. 134.

636 Für die Anwendung von § 286 BGB auch M. Weller, Leistungen, 2012, S. 408; vgl. zum parallelen Problem im Deliktsrecht jurisPK-BGB/Seichter, 8. Aufl. 2017, § 286 Rn. 5 („Auch mit der Erfüllung des Beseitigungsanspruches aus § 1004 BGB kann der Störer in Verzug ge-raten.“). Zumindest § 286 BGB wird auf den Archetyp der gesetzlich geregelten Nebenpflicht – § 618 BGB – zum Teil ohne Bedenken angewendet wird, vgl. Grigoleit, FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 275, 292 („analog“). Fälle, in denen die Erfüllung einer Nebenpflicht vor Eintritt ei-nes Schadens unmöglich wird (§ 283 BGB), sind zwar vorstellbar. Es müssten Umstände vor-liegen, welche es dem Schuldner unmöglich i.S.v. § 275 BGB machen würden, den Gläubiger nicht zu schädigen (z.B. Umkippen eines mitgebrachten Ölkanisters während einer Auftrags-arbeit beim Kunden und unaufhaltsames Durchsickern in Richtung eines wertvollen Tep-piches). Kommt es aber dann zur Schädigung, so ist jede Integritätsbeeinträchtigung bereits nach §§ 280 I, 241 II BGB ersatzfähig. § 283 BGB ist hier zum Ersatz eines Schadens gar nicht erforderlich. Zudem ist die Frage der Unmöglichkeit bei Nebenpflichten nur schwierig zu bestimmen. Die Anwendung von § 283 BGB schafft damit mehr Fragen als Antworten und sollte deshalb unterbleiben.

637 Mit dieser Begründung die Anwendbarkeit der §§ 286ff. BGB auf Nebenpflichten explizit ablehnend Soergel/Benicke/Nalbantis, 13. Aufl. 2014, § 286 Rn. 16; MüKo-BGB/Ernst, 7. Aufl. 2016, § 286 Rn. 6; skeptisch auch Grigoleit, FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 275, 291 („grundsätzlich nicht“); Kreß, Schuldrecht AT, 1929, S. 590; Medicus, Schuldverhältnis, 1987, S. 15; Medicus, FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 835, 843.

B Haftung aus einem Schuldverhältnis 157

aus, so kommt es regelmäßig zum zu vermeidenden Schadenseintritt. Der Schuldner kann im Falle des Schadenseintritts (nur) aus §§ 280 I, 241 II BGB wegen Verletzung der Nebenpflicht vorgehen. Ein Verzögerungsschaden kann dann nicht vorliegen, denn die Erfüllung der Nebenpflicht kann nicht mehr nachgeholt werden, sondern ist unmöglich geworden.

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Schadensersatz statt der (Nebenpflicht-)Leistung scheidet dann ebenso aus, weil alle Schadensposten, die auf dem Ausbleiben der Nebenpflichterfüllung beruhen, sinnvollerweise nach

§§ 280 I, 241 II BGB zu ersetzen sind. Verpflichtet die Nebenpflicht den Schuldner zu einer konkreten Handlung, so ist ein Fall aber denkbar, in dem die

§§ 281, 286 BGB bei Nebenpflichten relevant werden könnten.

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Beispiel 26 Ein Supermarktkunde entdeckt eine Yoghurtpfütze vor dem Kühl-regal eines Supermarktbetreibers („Yoghurtpfützenfall“). Wegen der Breite seines Rollators kann er die Stelle, die relativ nah am Ausgang des Supermarkts liegt, nicht passieren, ohne durch die Yoghurtpfütze zu fahren. Aus Angst davor, wegzurutschen und sich zu verletzen, ruft er einen Angestellten hinzu, um die Pfütze

638 Bei Unmöglichkeit der Leistung kann mangels wirksamer Forderung (vgl. § 275 I BGB) kein Verzug entstehen, MüKo-BGB/Ernst, 7. Aufl. 2016, § 286 Rn. 35. Generell kann aus diesem Grund bei Verstoß gegen eine Unterlassungspflicht nur in Ausnahmefällen ein Verzögerungs-schaden vorliegen. Das Unterlassen kann grundsätzlich nicht nachgeholt werden, so auch für Nebenpflichten Teichmann/Weidmann, FS Hadding, 2004, S. 287, 294; die Unmöglichkeit nach § 275 BGB bei der „Schutzpflicht als abstrakt-relative „Pflichtenquelle““ generell für ausgeschlossen haltend Grigoleit, FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 275, 293; ähnlich Medicus, FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 835, 842. Ist die Unterlassungspflicht von einer fortdauernden Natur, so kommt zumindest für den in die Zukunft gerichteten Teil der Pflicht nach umstrittener An-sicht ein Verzug in Betracht, so bereits H. Lehmann, Unterlassungspflicht, 1906, S. 265; näher MüKo-BGB/Ernst, 7. Aufl. 2016, § 286 Rn. 43 m.w.N.; dagegen Köhler, AcP 190 (1990), 496, 517ff.

639 So auch Grigoleit, FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 275, 292; Köhler, AcP 190 (1990), 496, 522 („begrifflich nicht ausgeschlossen“); Teichmann/Weidmann, FS Hadding, 2004, S. 287, 294f.;

zu kurz gegriffen Soergel/Benicke/Nalbantis, 13. Aufl. 2014, § 286 Rn. 16, nach denen die Anwendung von § 286 BGB ausscheidet, weil „das Mahnungserfordernis [den Gläubiger]

über Gebühr belasten würde“ und die den Gläubiger stattdessen auf die Liquidierung eines etwaig entstehenden Integritätsschadens verweisen wollen. Wenn aber noch kein Schaden ein-getreten ist und der Gläubiger – zugegebenermaßen praktisch ein seltener Fall – den drohen-den Integritätsschadrohen-den durch Mahnung des Schuldners abwendrohen-den will, so belastet die Anwen-dung von § 286 BGB den Gläubiger aber nicht, sondern ermöglicht ihm allein auf der Verzö-gerung beruhende Schäden zu liquidieren, anstatt, den anderweitig drohenden Integritätsscha-den sehenIntegritätsscha-den Auges eintreten zu lassen.

nen zu lassen. Der Angestellte des Supermarktbetreibers weigert