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Freie Zeit als wirtschaftliche Kategorie

3 Freizeit in Perspektive

3.2 Freie Zeit als wirtschaftliche Kategorie

Die oben aufgeführten veränderten Zeitstrukturen bilden jedoch nicht nur ein soziales, sondern gleichzeitig auch ein wirtschaftliches Phänomen.

Arbeitszeitverkürzungen, Frühpensionierungen und Teilzeitarbeit sowie die ständig gesunkene Lebensarbeitszeit einerseits und ein genereller Wertewandel andererseits sind die Auslöser für die gestiegenen Ansprüche der Bundesbürger an die Gestaltung ihrer Freizeit. Im Zuge dieses Prozesses nimmt der Freizeitkonsum einen immer größeren Stellenwert ein. Die Freizeitwirtschaft zählt seit drei Jahrzehnten zu den dynamisch wachsenden Wirtschaftszweigen. Die deutsche Gesellschaft für Freizeit schätzte im Jahr 1998 den Umsatz noch auf rund 440 Milliarden DM / 225 Milliarden €. Im Jahre 2001 gaben die Deutschen in ihrer Freizeit bereits 280 Milliarden Euro aus, das entspricht gut einem Viertel ihres gesamten Haushaltbudgets.

1 vgl. Otte, G.: 2000, S. 492

2 vgl. Otte, G.: 2000, S. 489

Mit 110 Milliarden Euro ließen sich die Bundesbürger den Löwenanteil für Unterhaltung, Pauschalreisen, Sport und Kultur kosten.

Abbildung 8: Konsumausgaben deutscher Haushalte im Jahr 1998

4% 5%

12%

2%

13%

4%1%

7%

32%

6% 14%

andere Dienstleistungen Beherbungs- und Gaststättendienstleistung Freizeit, Unterhaltung, Kultur Nachrichtenübermittlung

Verkehr Bildung

Gesundheit, Pflege Innenausstattung, Haushaltsgeräte

Wohnen, Energie Bekleidung, Schuhe

Nahrung, Getränke, Tabak

Quelle: Datenreport 2006, Statistisches Bundesamt

Die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2003 zeigen in der Gegenüberstellung nahezu exakt die gleiche prozentuale Verteilung der Konsumausgaben wie im Jahr 1998. Allein bei den absoluten Werten stiegen die durchschnittlichen Monatsausgaben für Freizeit, Unterhaltung und Kultur auf 261€. Das entspricht erneut einem Anteil von insgesamt 12% an den Gesamtausgaben.

Abbildung 9: Konsumausgaben deutscher Haushalte im Jahr 2003

5% 5%

12%

3%

1% 14%

6% 4%

31%

5% 14%

andere Dienstleistungen Beherbungs- und Gaststättendienstleistung Freizeit, Unterhaltung, Kultur Nachrichtenübermittlung

Verkehr Bildung

Gesundheit, Pflege Innenausstattung, Haushaltsgeräte

Wohnen, Energie Bekleidung, Schuhe

Nahrung, Getränke, Tabak

Quelle: Datenreport 2004, Statistisches Bundesamt

Zieht man die Ausgaben für Verkehr (305€) und Beherbergungs- und Gaststättendienstleitungen (100€) hinzu, denn diese fließen im engeren Sinne ebenfalls in Urlaubs- und Freizeitkonsum mit ein, so entsprechen diese drei Faktoren insgesamt knapp einem Drittel aller Konsumausgaben.

Im Jahr 2006 betrugen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes allein die Ausgaben für Freizeit, Unterhaltung und Kultur bundesweit im Durchschnitt 483 DM / 247 € im Monat, auch das entsprach einem Anteil von 12%. Das Institut für Freizeitwirtschaft prognostiziert bei den Ausgaben für Freizeitgüter und Tourismus weiterhin ein jährliches Wachstum von über 2% im Jahr und rechnet bis zum Jahr 2010 hier mit Ausgaben von knapp 300 Milliarden Euro.1

Trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten und temporärer Massenarbeitslosigkeit, wie wir sie zu Beginn dieses Jahrtausends erlebt haben, ist Freizeit und Urlaub bei der deutschen Bevölkerung ein selbstverständlich gewordenes Konsumgut.

1 vgl. Institut für Freizeitwirtschaft, 2002, S. 40

Gespart wird aufgrund der kostentechnischen Veränderungen der einzelnen Haushalte zwar konsumtiv wieder mehr, aber hier in erster Linie bei Luxus- und Investitionsgütern. Auf die Frage der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (F.U.R) „Wo würden Einsparungen am schwersten fallen“ antworteten die befragten Bundesbürger im Rahmen der Reiseanalyse 2005:

Abbildung 10: Konsumprioritäten

Jedem zweiten Bundesbürger ist der Lebensgenuss heute wichtiger als etwa die Gründung einer Familie.1 Dieser Tendenz liegt eine allgemeine Gesetzmäßigkeit zugrunde, die besagt, dass es unterschiedliche Formen von Bedürfnissen gibt, die hierarchisch geordnet sind. Begründet hat diese Theorie 1958 der US-Psychologe Abraham Maslow um Motivationen von Menschen zu beschreiben.

Seine „Pyramide“ stellt die hierarchische Bedürfnisordnung anschaulich dar.

1 vgl. Gruhner + Jahr: 2000, S. 1

Abbildung 11: Die Bedürfnispyramide nach Maslow

Quelle: Maslow, A. H.: 1970, Motivation und Persönlichkeit

Diese postuliert, dass Bedürfnisse einer bestimmten Ordnung immer erst dann entstehen und befriedigt werden, wenn Bedürfnisse der tiefer liegenden Schichten keine Ansprüche mehr erheben. Die unteren drei Stufen (und auch Teile der vierten) nennt man auch Defizitbedürfnisse. Diese Bedürfnisse müssen befriedigt sein, damit man zufrieden ist, aber wenn sie erfüllt sind, hat man keine weitere Motivation in dieser Richtung mehr (wenn man nicht durstig ist, versucht man nicht zu trinken). Wachstumsbedürfnisse können demgegenüber nie wirklich befriedigt werden. Diese treten in der fünften Stufe auf, teilweise aber auch schon in der vierten Stufe.

Das bedeutet, dass bei ausreichender materieller Sicherheit im allgemeinen die Fragen nach gesellschaftlicher Mitgestaltung und persönlicher Entfaltung an Bedeutung gewinnen, während in Mangelsituationen die Befriedigung materieller Bedürfnisse Vorrang hat. Demzufolge neigen Menschen dazu, ihr Anspruchsniveau weiter zu erhöhen, wenn die bisherigen, niedrigeren Ansprüche erfüllt und die damit verbundenen Bedürfnisse befriedigt sind. Diesem Hierarchieprinzip unterliegen auch die Bereiche Freizeit und Urlaub und so lässt sich im Hinblick auf touristische Bedürfnisse wie folgt weiter differenzieren:

Selbstver- wirklichung

Wertschätzung

Soziale Bedürfnisse

Sicherheitsbedürfnisse

Existenzbedürfnisse

Tabelle 3: Touristische Bedürfnisse in Anlehnung zur Bedürfnispyramide nach Maslow Stufe Bedürfnisse bei Maslow Touristische Beispiele

1 Grundbedürfnisse Reisen zur unmittelbaren

Deckung des Grundbedarfs, z.B. Fahrten zur Arbeit 2 Sicherheitsbedürfnisse Reisen zur Sicherung des

Grundeinkommens, z.B. zur Regeneration der Arbeits- kraft

3 soziale Bedürfnisse Besucherreisen zur Kommu- nikation

4 Wertschätzungsbedürfnisse Reisen als Prestige und ge- sellschaftliche Anerkennung 5 Selbstverwirklichungs- Reisen als Selbstzweck:

bedürfnisse Vergnügen, Freude, oder

„Sonnenlust“

Quelle: Freyer 1995, S. 66

Die Bedürfnisse in der Freizeit wandeln sich zu Ansprüchen und Erwartungen.

Die Erwartungen der Unternehmer, die im Freizeitgeschäft tätig sind, wandeln sich ebenfalls, sie orientieren sich am Verhalten derer, die ihre Freizeit ausfüllen und hierfür Dinge benötigen, die die Unternehmen herstellen. Die sozioökonomische Bedeutsamkeit ergibt sich durch die Vorgabe der Ziele und durch das Verhalten derer, die an der Freizeit teilhaben.1 Kein Wunder, dass die Freizeitindustrie, wie oben erwähnt, seit Jahren eine Boombranche ist. Angaben der Welttourismusorganisation (WTO) zufolge liegt das Wirtschaftswachstum im Tourismus trotz hoher Schwankungen, begründet durch die weltweit schwankende Konjunktur, SARS und den Irakkrieg, in den vergangenen Jahren deutlich über dem anderer Branchen. Seitens der WTO und des World Travel Monitors (WTM) wurde trotz diverser Unwägbarkeiten für das Jahr 2006 im Tourismus ein weltweites Wachstum von rund fünf Prozent identifiziert.2

Nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung und den Beitritt neuer EU-Mitgliedsstaaten hat der Tourismus in Deutschland noch zusätzlich an Gewicht gewonnen.

1 vgl. Lüdtke, H.: 1972, S. 20 f.

2 vgl. www.world-tourism.org

Bundesweit beschäftigt die Tourismusbranche insgesamt rund 2,8 Millionen Menschen in den unmittelbaren und dem Tourismus vorgelagerten Bereichen und trägt mit ca. acht Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.1 Damit legt Deutschland im europäischen Vergleich hinter Italien (ca. 12% BIP) und Spanien (ca. 11% BIP) auf Rang 3. Laut des Deutschem Wirtschafts-wissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr an der Universität München (DWIF), beläuft sich der Gesamtumsatz aus dem Tourismus in Deutschland für das Jahr 1999 auf ca. 275 Mrd. DM bzw. 140,6 Mrd. Euro, im Jahr 2002 waren es 155 Mrd. Euro2 und im Jahr 2004 rund 140 Mrd. Euro3. Es gibt Regionen in Deutschland, wie z.B. Mecklenburg Vorpommern, für die ist der Tourismus der tragende Wirtschaftsfaktor und damit der Schlüssel für ihre gesamtwirtschaftliche Entwicklung.

Vom Tourismus profitieren vor Ort nicht nur das Beherbergungs- und Gastgewerbe, die Übernachtungszahlen in Deutschland aus dem In- und Ausland lagen im Jahr 2005 bei insgesamt 344 Millionen Übernachtungen4, sondern u.a. auch der Einzelhandel und andere Dienstleistungsanbieter.5

Die Werbeausgaben der Reiseveranstalter stiegen im von 269 Mio. DM bzw.

137,5 Mio. Euro im Jahr 1997 auf nahezu 442 Mio. DM bzw. 226 Mio. Euro im Jahr 19986 und lagen im Jahr 2006 bei rund 270 Mio. Euro. Insgesamt nahmen die Ausgaben in den fünf reisenahen Wirtschaftszweigen (Reisegesellschaften, Fluggesellschaften, Schifffahrt, Hotels- und Gastronomie und Fremdenverkehr) in den vergangenen 10 Jahren trotz konjunktureller Flaute stetig und kontinuierlich zu.7 Allein im Jahr 2002 gab es laut Untersuchung des Nielsen Media Research in allen o. g. fünf Tourismusbereichen zusammengefasst ein zweistelliges Wachstum von 23%.

1 vgl. DFV, 1995, S. 43 f.

2 vgl. BTW, Jahrbuch 2003/2004, S. 110 f.

3 vgl. www.deutschertourismusverband.de

4 vgl. www.deutschertourismusverband.de/content/files/zdf2005.pdf

5 http://www.statistik-bund.de/basis/d/bd20.htm

6 vgl. Der Markt für Urlaub und Reisen, Focus Verlag 1999, S. 20

7 http://www.wuv.de/daten/unternehmen/charts

Und obwohl die wirtschaftliche Rezession zu Beginn dieses Jahrtausends einen Trend zur neuen konsumtiven Zurückhaltung und zur Askese ausgelöst hat1, dürfte das erreichte Niveau des Konsums und der Teilnahme an „spaßwertigen“

Freizeitgütern in unserer Gesellschaft den unter den dominanten Leistungszwängen noch gar nicht gänzlich manifest gewordenen Konsumstandard (Anspruchsniveau der Vergnügungsmotive) der meisten Verbraucher noch lange nicht erreicht haben. Es ist demzufolge abzusehen, dass es weiterhin zu einem erhöhten Bedarf an Freizeitgütern kommt und somit zu einer Erhöhung des Konsumstandards.