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3 Freizeit in Perspektive

3.5 Geschichte des Tourismus

Reisen und Tourismus in der heutigen Form und Ausprägung ist ein relativ junges Phänomen. Seine Wurzeln jedoch gehen weit zurück. Insgesamt lässt sich die Entwicklung des Tourismus in vier Epochen aufteilen.

3.5.1 Die Vorphase

Schon in der Antike des alten Roms und Griechenland war eine Art des Tourismus bekannt, der zwar nur den reichen Schichten vorbehalten war – aber mit dem heutigen Tourismus und seinen Zielen Entspannung, Erholung und Kennenlernen von neuen Kulturen schon vergleichbar war. Dabei beschränkten sich die Reisen eher auf Ausflüge zu bestimmten Ereignissen, wie den Olympischen Spielen der Antike in Griechenland, frei nach dem Motto Brot und Spiele zu Wettkämpfen aller Art oder zu einer frühen Form des Wellness in Parks oder Bäder.1

Doch den damaligen Reisenden fehlte die richtige „Motivation“, denn das Reisen bereitete ihnen kaum Vergnügen. Die Fahrten wurden nicht um ihrer selbst Willen durchgeführt. Im Gegenteil, eine Reise zur damaligen Zeit und zu den damaligen Bedingen war meist beschwerlich bzw. ein anstrengendes Übel.

3.5.2 Die Anfangsphase

Während des späten Mittelalters zum Ende des 17. Jahrhunderts kam es, in der standgeprägten Gesellschaft in Mode, junge Adelige auf eine so genannte Grand Tour zu schicken. Diese meist mehrjährige Tour brachte die jungen Erwachsenen auf mehreren Etappen durch fast ganz Europa – Ziel dieser Reisen war die Bildung in Sprache, Kultur und Menschenkenntnis. Entlang der Wegstrecken bildet sich schon früh eine touristische Infrastruktur Gasthöfen und Herbergen.

Zu den Vorreitern dieser Form des frühen Massentourismus gehörten die Engländer, die durch ihren Status als Kolonialmacht fast in der ganzen damals bekannten Welt unterwegs waren.2

Ab dem 19. Jahrhundert war das Reisen zwar nicht mehr das Privileg der Wohlhabenden, dennoch waren die einfachen Arbeiter weitestgehend davon ausgeschlossen. Dies kann auf die industrielle Revolution und die damit einhergehenden Bedingungen der Arbeiter zurückzuführen sein. Das Lohnniveau war sehr niedrig und die Arbeitszeit betrug häufig 15 Stunden oder mehr. Selbst an Sonntagen musste gearbeitet werden und Urlaub gab es für die Arbeiter in den Fabriken selten.3 Dennoch begannen zu dieser Zeit auch die ärmeren Schichten zu reisen. Es gründeten sich eine Reihe von Vereinen unter dessen Trägerschaft auch finanziell schwächere Schichten es schafften zum Beispiel einen Urlaub in den Alpen verbringen zu können. Dies war der Beginn der so genannten Alpenvereine und die Entstehung erst des Sommer-Alpinismus, ab Ende des 19. Jahrhunderts auch des Winter-Alpinismus. Mediziner hatten herausgefunden, dass die Bergwelt und Bergluft gegenüber den unwirtlichen und krankmachenden Lebensbedingungen in den Ballungszentren heilende Wirkung haben könnte.

Der Adel wich zu diesem Zeitpunkt immer mehr von den klassischen und langsam alltäglichen Zielen zurück und beschränkte sich zum größten Teil auf das Meer und das Hochgebirge, mit dem Hintergedanken sich medizinischer Behandlungen zu unterwerfen. So entstanden parallel dazu an den Küsten prunkvolle Hotels und mondäne Badeorte.

Die ersten Reiseanbieter boten ihren Kunden schon zum damaligen Zeitpunkt Reisen in alle nahen und fernen Länder an.4 Denn die kaiserlich-preußische Verkehrspolitik hatte sich zum Ziel gesetzt, dass jedes Dorf in Deutschland eine Zugangsstraße sowie einen Eisenbahnanschluss bekommen sollte.

Infrastrukturell ein hohes und für die damalige Zeit einzigartiges Ziel.

1 vgl. Freyer, W. 1993, S. 18 f.

2 vgl. Prahl, W. 2002, S. 85 ff. und http://de.wikipedia.org

3 http://de.wikipedia.org

4 vgl. Prahl, W.: 2002, S. 237 ff.

Auch wenn in erster Linie militärische und agrarpolitische Absichten dahinter standen, war doch damit ein Wegenetz entstanden, welches dem Tourismus über alle Klassen hinweg im wahrsten Sinne des Wortes den Weg ebnete.1

3.5.3 Die Entwicklungsphase

Der erste Weltkrieg bildete einen Einschnitt bei der Entwicklung des Tourismus.

Zum einen fehlte es an finanziellen Mitteln zum Reisen, zum anderen war die spärliche touristische Infrastruktur größtenteils zerstört. Zwischen den Weltkriegen erholte sich der Tourismus langsam und in den 20er Jahren entwickelte sich er zuvor geschilderte Sommerfrischler-Tourismus, der jeweiligen sozialen Lage angepasst, bodenständig und bescheiden, langsam wieder.2

Während des Nationalsozialismus kam es zu organisierten Formen der Urlaubs- und Freizeitgestaltung. Es wurden staatlich organisierte Reisen zu niedrigen Preisen angeboten. Aus dem Vermögen der Gewerkschaften wurde die Organisation „Kraft durch Freude (KdF) gegründet. Da sich die meisten Menschen zum damaligen Zeitpunkt Reisen an die Küsten oder ins europäische Ausland kaum leisten konnten, wurden diese Reisen von Vielen als zunehmender Wohlstand verstanden, was dem NS-Regime im Hinblick auf die Loyalität der breiten Masse politisch sehr wichtig war.3 Hohe Auslastungen der Transport- und Beherbergungskapazitäten ließen zwischen 1934 bis 1937 mit in der Spitze 10 Millionen Reisen einen ersten Reiseboom entstehen.4

3.5.4 Die Hochphase

Die Hochphase des Tourismus muss man an dieser Stelle in erster Linie als eine westdeutsche Entwicklung betrachten. Sie begann nach dem 2. Weltkrieg und ist eng verbunden mit dem wirtschaftlichen Wiederaufschwung in den westlichen Industrienationen. Steigende Einkommen, mehr Freizeit und sich entwickelnde Transport- und Kommunikationsmittel waren dafür wichtige Voraussetzungen.5

1 http://www.buendische-blaue-blume.de

2 vgl. Freyer, W.: 1993, S. 24 f.

3 vgl. Prahl, W.: 2002, S. 239 f.

4 vgl. Freyer, W.: 1993, S. 24 f.

5 vgl. Prahl, W.: 2002, S. 109 f.

Seit dem der Jahrsurlaub in Deutschland 1963 verbindlich wurde, ist es für ca.

drei Viertel der Bürger in West-Deutschland normal wenigstens einmal im Jahr eine Urlaubsreise zu unternehmen.

Differenziert dazu entwickelte sich der Tourismus in der ehemaligen DDR. Die Sozialstruktur der DDR war hierarchisch gegliedert. Anders als in der BRD wurden in der DDR die Arbeitszeiten in allen Bereichen vom Staat festgesetzt...“1 Die Urlaubsansprüche nahmen zwischen Mitte der sechziger bis Mitte der achtziger Jahren zwar auch hier zu, waren jedoch durch stark eingeschränkte Konsum- und Reisemöglichkeiten gekennzeichnet. Die touristischen Auswahlmöglichkeiten waren durch politische und finanzielle Rahmenbedingungen sehr begrenzt. Das war sicherlich mit der Hauptgrund, dass nach dem Mauerfall in Berlin 1989 die Menschen aus den neuen Bundesländern überproportional viel gereist sind.

Heute hat sich das Reiseverhalten aus Ost- und Westdeutschland nahezu angeglichen und es finden jährlich aus allen Bundesländern regelrechte Völkerwanderungen statt. Die Reiseintensität hat sich dabei mittlerweile in allen Regionen auf ein einheitliches Niveau von knapp 50 Millionen Reisen pro Jahr eingependelt.2 Die Urlaubsformen sind dabei sehr individuell und äußerst vielseitig. Die horizontalen und vertikalen Muster der Urlaubswahl und der Urlaubsgestaltung sind dabei mittlerweile genauso vielfältig wie unsere Gesellschaft selbst. Überfüllte Urlaubsziele zu Schnäppchenpreisen prägen dabei das Bild genauso wie auf Natur, Abgeschiedenheit und Ruhe ausgerichtete Individualreisen oder hochpreisige Wellnessarrangements. Einen zusammenfassenden Überblick der Geschichte des Tourismus in Anlehnung an ein vertikal geschichtetes Gesellschaftsmodell liefert die Darstellung von Kulinat und Steinecke.

1 Prahl, W.: 2002, S. 113

2 vgl. Reiseanalysen 1995 bis 2006

Tabelle 4: Die geschichtliche Entwicklung des Tourismus

Adel Grand Tour Heilbäder, Kurorte Quelle: Kulinat K./Steinecke, A.: 1984, S. 50

So wie die neueren Tourismusstudien zu dem Schluss kommen, dass die Motivation für oder gegen ein bestimmtes Urlaubsgebiet bzw. eine bestimmte Urlaubsaktivität immer im Zusammenhang mit der sozialen Lage und Lebensführung betrachtet werden sollte1, hat auch dieses geschichtliche Zusammenfassung gezeigt, dass die Entwicklung des Tourismus, von seiner Entstehung bis zu seinen heutigen modernen Auswüchsen, immer in direktem Zusammenhang mit den sich wandelnden sozialen Gegebenheiten unserer Gesellschaft stand und steht. Die nun folgende Studie fokussiert die modernen Ausprägungen touristischen Verhaltens und verknüpft die Ergebnisse mit dem aktuellen Stand in der Ungleichheitsdiskussion.

1 vgl. Otte, G.: 2000, S. 489