• Keine Ergebnisse gefunden

Zauderer, Verzögerer und Verweigerer

Nicht nur den tatsächlichen Kreuzzugsdeserteuren drohte die Exkommunika-tion, sondern auch diejenigen, die ein Kreuzzugsgelübde abgelegt hatten, dann aber nicht aufgebrochen waren, sollten durch Androhung von Kirchenstrafen zur unverzüglichen Erfüllung ihres Gelübdes gedrängt werden. Die Existenz dieser Gruppe lässt sich unter anderem anhand von Briefen nachweisen, die während des Ersten Kreuzzuges noch vor der Eroberung Antiochias entstan-den. In einem Schreiben vom Oktober 1097 appellierten Adhemar von Le Puy und Simeon II., der Patriarch von Jerusalem, an die fideles partium Septentrionis, dafür Sorge zu tragen, dass alle körperlich Fähigen umgehend den Kreuzzug antraten. Sollten sich diese aber weigern, ihr Kreuzzugsgelübde zu erfüllen und nicht bis zum nächsten Ostertermin eintreffen, müssten sie mit dem Schwert des Anathems verfolgt und als exkommuniziert betrachtet werden.54 Zu diesem Zeit-punkt hatte die Belagerung von Antiochia zwar gerade erst begonnen, dennoch beklagten die Autoren bereits die zu geringe Zahl an Kämpfern angesichts der Übermacht an Feinden. Der Tonfall des nächsten Schreibens, das ebenfalls vom Patriarchen von Jerusalem sowie von nicht näher genannten griechischen und lateinischen Bischöfen stammt, ist sehr emotional. Der Brief wurde Ende Jänner 1098 zu einem Zeitpunkt verfasst, als vermutlich die Versorgungslage im Feld-lager bereits katastrophal war, die Kreuzfahrer mit Hunger, Kälte und schweren Verlusten zu kämpfen hatten und rasch neue Kämpfer benötigten. Vor diesem Hintergrund wurde die Androhung der Exkommunikation aller Verzögerer und ihres Ausschlusses aus der Kirchengemeinschaft mit großer Eindringlichkeit wie-derholt und betont, dass ihre Beerdigung unter Christen nicht erfolgen dürfe.55 Die adeligen Anführer des ersten Kreuzzuges unter Federführung Bohemunds von Tarent widmeten sich ebenfalls diesem Thema. Im September 1098 richteten sie einen Brief an Papst Urban II., in dem sie den Vorwurf erhoben, der Papst

53 Kimberly A. LoPrete: Adela von Blois. Countess and Lord (c. 1067 – 1137), Dublin 2007, S. 113f.

54 Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088 – 1100, hg. von Heinrich Hagenmeyer, Inns-bruck 1901, Nr. 6, S. 141f.

55 Ebd., Nr. 9, S. 146–149.

selbst habe Männer, die bereits das Kreuz genommen hatten, von ihrer Pflicht befreit. Darüber äußerten die Verfasser ihr Befremden und empfahlen, dass die-jenigen, die ihren Aufbruch hinauszögerten, bis zur Erfüllung ihres Gelübdes keine Vergünstigungen vom Papst erhalten sollten.56 Sowohl die Androhung von Kirchenstrafen als auch die Nachricht von der Eroberung Jerusalems, die sich im Westen rasch verbreitete, dürften dazu beigetragen haben, dass sich schließlich viele dem Kreuzzug von 1100/01 anschlossen, die zuvor noch gezögert hatten, dieses beschwerliche Unterfangen in die Tat umzusetzen.

Normative Quellen belegen, dass Kreuzzugsverzögerung von kirchlicher Seite sehr ernst genommen wurde. Um die adelige Führungselite unter Druck zu setzen, sah Kanon 10 des ersten Laterankonzils von 1123 für diesen Tatbe-stand die Verhängung des Interdikts vor.57 Im Laufe des 12. Jahrhunderts scheint es jedoch für die kirchlichen Autoritäten immer schwieriger geworden zu sein, den europäischen Kriegereliten ein Kreuzzugsgelübde abzuringen und sie zum militärischen Engagement in der Levante zu bewegen. Nach dem Scheitern des Zweiten Kreuzzugs erlahmte die Kreuzzugsbegeisterung endgültig. Zwischen 1157 und 1184 riefen die Päpste mindestens sieben Mal zum Kreuzzug auf. Ihre Appelle verhallten, ohne eine größere Kreuzzugsbewegung auszulösen.58

Zu einer Wende kam es nach der verheerenden Niederlage von Hattin im Jahre 1187 und dem Verlust Jerusalems. Als sich die Rekrutierungsbemühungen nach dem Kreuzzugsaufruf Gregors VIII. verstärkten und die Kreuzzugsbewe-gung wieder in Schwung kam, rückten auch die Kampfunwilligen stärker in den Fokus. Der aus Nordfrankreich stammende Kleriker Peter von Blois verfasste vermutlich zu Beginn des Jahres 1188 für Balduin von Exeter, den Erzbischof von Canterbury, ein Rundschreiben an den Klerus mit dem bezeichnenden Titel Exhortatio ad eos qui nec accipiunt nec praedicant crucem.59 Darin beschuldigt der Autor sowohl Kleriker als auch Krieger, die nicht bereit seien, das Kreuz zu nehmen, kleinmütig, furchtsam und schwach zu sein und den weltlichen Tod zu fürchten, obwohl dieser doch erst den Weg ins Himmelreich eröffne. Sie sollten vielmehr Angst vor dem ewigen Tod haben, der die Feiglinge und Ungläubigen erwarte. Der Autor spart nicht mit biblischen Vergleichen, wenn er jenen die

56 Ebd., Nr. 16, S. 161–164.

57 Konzilien des Mittelalters vom ersten Laterankonzil (1123) bis zum fünften Lateran-konzil (1512 – 1517), hg. und übers. von Josef Wohlmuth (Dekrete der ökumenischen Konzilien 2), Paderborn 2000, S. 191f.

58 Jonathan Riley-Smith: Die Kreuzzüge, Darmstadt 2014, S. 210f.

59 Jean Flori: Prêcher la croisade (XIe – XIIIe siècle). Communication et propagande, Paris 2012, S. 162–166.

ewige Verdammnis prophezeit, die aufgrund ihrer Trägheit die heiligen Ziele nicht verfolgten und lieber an den heimischen Fleischtöpfen verweilten.60 Peter von Blois beherzigte im Übrigen seine eigenen Ermahnungen, ließ die heimi-schen Fleischtöpfe hinter sich und schloss sich gemeinsam mit Balduin von Exe-ter im Jahre 1189 dem Kreuzzug von Richard Löwenherz an.

Eine besondere Abwertung erfahren die Kampfunwilligen im Itinerarium peregrinorum. Darin wird zunächst die unglaubliche Begeisterung für den Kreuzzug hervorgehoben, trotzdem, sagt der Verfasser, hätten Männer einander Wolle und Spindel übersandt, um anzudeuten, dass jeder, der nicht zu diesem militärischen Unternehmen beitrage, auf schändliche Weise zu Frauenarbeit übergegangen sei. Danach werden noch die Frauen und Mütter bemüht, die ihre Ehemänner und Söhne zum Kreuzzug drängten. Deren einziger Kummer sei es gewesen, dass sie – propter sexus ignaviam – nicht selbst den Kreuzzug antre-ten konnantre-ten.61 Diese Passage ist reich an wirkmächtigen Symbolen. Wolle und Spindel sind weibliche Attribute, die hier eingesetzt werden, um unkriegerische Männlichkeit herabzuwürdigen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Männer, die sich dem Kampf entziehen, werden aus der Männerwelt ausgeschlossen und der Frauenwelt verwiesen. Der Kreuzzug wird als rein männliche Sphäre dar-gestellt, die Frauen aufgrund der Schwäche ihres Geschlechts grundsätzlich ver-wehrt ist. Sie können jedoch als moralische Instanz fungieren, indem sie den Männern den Weg zur Erlangung ihrer Männlichkeit aufzeigen. Dadurch stehen sie aus Sicht des Verfassers über den unkriegerischen Männern.62

In den Schriften zum Dritten Kreuzzug taucht wieder verstärkt die Gruppe der Männer auf, die sich durch ein Gelübde zur Kreuzfahrt verpflichtet hatten, diese aber nicht antraten oder hinauszögerten. Vor allem hochrangige Persön-lichkeiten gerieten häufig ins Visier der Historiographen und wurden beson-ders heftig kritisiert. Nicht einmal Könige waren vor ihrem vernichtenden Verdikt sicher. Im Januar 1188 hatten der englische König Heinrich II. und der

60 Peter von Blois: Epistula CCXXXII, hg. von Jean-Paul Migne, in: Patrologia Latina 207, Paris 1904 [1855] Sp. 529–534.

61 Itinerarium peregrinorum (wie Anm. 30), Buch 1, Kap. 17, S. 277: In tantum vero nove peregrinationis fervebat studium, ut iam non esset questio, quis crucem susciperet, sed quis nondum suscepisset. Plerique colum et pensa sibi mutuo transmittebant innuentes occultius, ut ad muliebres operas turpiter demigraret, quisquis huius milicie inveniretur inmunis. Ad tam insigne certamen et nupte viros et matres incitabant filios, quibus dolor unicus erat propter sexus ignaviam conproficisci non posse.

62 Vgl. auch Sarah Lambert: Crusading or Spinning, in: Susan B. Edgington, Sarah Lam-bert (Hg): Gendering the Crusades, Cardiff 2001, S. 1–15, hier S. 3.

französische König Philipp II. gemeinsam ein Kreuzzugsgelübde abgelegt. Auf-grund der politischen Lage verzögerte sich Heinrichs Aufbruch, was der Kom-pilator der Gesta regis Ricardi heftig verurteilt. Der Aufschub sei das Werk des Teufels, der Hass und Zwietracht unter den Menschen säe, bemerkt er zunächst zurückhaltend.63 Anlässlich des Todes Heinrichs II. im Juli 1189 wird der Kom-pilator deutlicher: Es sei profecto damnabile, sich freiwillig durch ein Gelübde zu etwas zu verpflichten, was dann aus Nachlässigkeit nicht erfüllt werde, denn es gäbe schließlich keine Verpflichtung, ein derartiges Gelübde zu leisten.64

Die überwiegende Zahl der hier angeführten Beispiele von Kampfverweige-rung stammt aus der Welt der adeligen Kriegerelite. Zu nicht adeligen Kreuz-fahrern sind die meisten Quellen wenig aussagekräftig. In der Historiographie erscheinen sie mehrheitlich als namenlose Masse der pauperes oder als Fuß-soldaten. Daher stellen Quellen, die Einblick in die Lebenswelt der niederen Stände gewähren, einen besonderen Glücksfall dar. Ein solcher liegt mit zwei Dokumenten vor, die um 1197 in Lincolnshire und Cornwall entstanden sind.

Vermutlich auf Anweisung des Papstes befahl im Jahre 1196 Hubert Walter, der Erzbischof von Canterbury, seinem Klerus, säumige Kreuzfahrer zu zwingen, ihr Gelübde zu erfüllen. Dazu wurden Listen erstellt, welche die Namen jener Per-sonen enthielten, die ein Kreuzzugsgelübde abgelegt, aber nicht erfüllt hatten.65 Zwei dieser Listen sind erhalten. Eine davon wurde im Archidiakonat Cornwall erstellt, ist nach Ortschaften gegliedert und enthält Namen von 41 Männern, die vermutlich für den Dritten Kreuzzug rekrutiert worden waren. Unter ihnen befinden sich unter anderen ein Schneider, ein Schmied, ein Schuhmacher, ein Wildhüter, ein Händler, ein Müller und zwei Gerber.66 Die zweite Liste wurde um 1197 in Lincolnshire angefertigt, ist ebenfalls nach Ortschaften gegliedert und enthält insgesamt 31 Namen. Die soziale Zusammensetzung ähnelt der Liste aus Cornwall. Etliche Namen deuten auf eine adelige oder zumindest nieder-adelige Herkunft hin, daneben stößt man wieder auf Handwerker, etwa einen Töpfer, einen Gerber und einen Fleischer.67

63 Itinerarium peregrinorum et gesta regis Ricardi, hg. von William Stubbs, in: Chronicles and Memorials of the Reign of Richard I., 2. Bde. (Rolls Series 38), London 1864–1865, hier Bd. 1, London 1864, Buch 2, Kap. 3, S. 141.

64 Ebd., Buch 2, Kap. 4, S. 141.

65 Elisabeth Siberry: Criticism of Crusading. 1095 – 1274, Oxford 1985, S. 49f.

66 Fifth Report of the Royal Commission on Historical Manuscripts. Part 1 (Historical Manuscripts Commission), London 1876, S. 462.

67 Report on Manuscripts in Various Collections I (Historical Manuscripts Commission), London 1901, S. 235f.

Einige Namen wurden durch Anmerkungen ergänzt, die nähere Informatio-nen zu den angeführten PersoInformatio-nen liefern. Aus ihInformatio-nen geht hervor, dass fünf Män-ner zwar ihre Kreuzfahrt angetreten hatten, jedoch nie ins Heilige Land gelangt waren. Einer von ihnen kehrte in der Lombardei um, weil er beraubt worden war. Auch ein Kleriker namens Andreas hatte sich bereits auf den Weg gemacht, kehrte jedoch um, weil ihm aus nicht näher genannten Gründen die Überfahrt ins Heilige Land verwehrt war. Dasselbe gilt für einen gewissen Iohannes Buch-art aus Wyberton. Dieser hatte Apulien erreicht, konnte sich aber nicht einschif-fen. Bei den beiden übrigen Männern werden keine Gründe für den Abbruch ihrer Kreuzfahrt genannt.

Unklar ist der Fall eines gewissen Ulf aus Pinchebeck, einer Ortschaft im Süden von Lincolnshire. Er behauptete, nie das Kreuz genommen zu haben, obwohl seine Nachbarn und sogar der Priester, vor dem er das Gelübde abgelegt haben soll, das Gegenteil bezeugten.68 Zwei weitere Männer, Richard aus Algar-kirk und Wilhelm aus Sutterton, gaben an, bereits im Heiligen Land gewesen zu sein, der notwendige Beweis konnte jedoch nicht erbracht werden.

Die Mehrheit der Einträge besteht entweder aus bloßen Namen oder ist mit dürftigen Angaben zu Anzahl der Kinder, Vermögensverhältnissen und physi-scher Eignung sehr knapp gehalten. Diesen Notizen ist zu entnehmen, dass die meisten Männer über zu geringe finanzielle Mittel verfügten und zu alt waren, um die Kreuzfahrt antreten zu können. In Pinchebeck hatte beispielsweise der verheiratete und kinderlose Hugo um 1088 ein Kreuzzugsgelübde geleistet, zum Zeitpunkt der Erhebung war er aber zu arm und von zu fortgeschrittenem Alter, als dass er sein Gelübde hätte erfüllen können.69 Nur wenige waren tatsächlich bereit und körperlich fähig, das beschwerliche und kostspielige Unternehmen auf sich zu nehmen.70

Der Druck auf säumige Kreuzfahrer wurde in den folgenden Jahren im Zuge der Rekrutierungsbemühungen für den Vierten Kreuzzug noch verstärkt. Im Jahre 1201 ermächtigte Papst Innozenz III.  den Erzbischof von Canterbury, jene Kreuzfahrer zu exkommunizieren, die ihr Gelübde nicht erfüllt hatten.

Nach dem Vierten Kreuzzug setzen jedoch Veränderungsprozesse ein, die zu einem, zumindest teilweisen, Wandel in der Haltung gegenüber Kreuzfahrern

68 Ebd., S. 236: Apud Pinchebec. Ulf poucer cruce signatus ab viii. annis, testante sacerdote qui eum cruce signavit, et vicini eius hoc asserunt; ipse tamen contradicit se crucem accepisse: uxorem habet et vii. liberos; pauperrimus est, iuvenis tamen.

69 Ebd., S. 236: Apud Pinchebec. Hugo filius Wid[onis] cruce signatus a x. annis, uxorem habens, non liberos, decrepite etatis est et pauper.

70 Ebd., S. 236: Apud Mulet[un]. Rogerus Stoile, iuvenis et expeditus ad hoc iter.

führten, die ihr Gelübde nicht durch eine tatsächliche Kreuzzugsteilnahme ein-lösten. Bereits 1213 sah die Bulle Quia maior, mit der Papst Innozenz III. zum Kreuzzug von 1217 – 1221 aufgerufen hatte, die Möglichkeit der finanziellen Ablösung des Kreuzzugsgelübdes vor. Im weiteren Verlauf des 13. Jahrhunderts verbreitete sich diese Praxis rasch und wurde vermutlich ab 1230 als wichtiges Instrument der Kreuzzugsfinanzierung aktiv propagiert. Prediger der Medi-kantenorden nahmen nunmehr in großer Zahl Kreuzzugsgelübde entgegen, nur um sie unmittelbar darauf unter Gewährung eines Plenarablasses wieder abzulösen. Die Maßnahme richtete sich vor allem an Nichtkombattanten. Im Zuge der Bestrebungen, Kreuzzugsunternehmen militärisch straffer zu organi-sieren, versuchte man, Frauen, Kranke, Kinder, Alte und andere für den Krieg untaugliche Personen zu einem Teilnahmeverzicht zu bewegen.71 Obwohl kirch-licherseits Versuche unternommen wurden, die individuellen Voraussetzungen für die Ablösung des Gelübdes zu reglementieren und die Einhaltung der dafür aufgestellten Richtlinien streng zu kontrollieren, konnten wohl auch prinzipiell kampffähige Männer auf diese Einrichtung zurückgreifen, wenn sie sich den Anstrengungen und Gefahren eines Orientkreuzzuges zu entziehen suchten, und vermieden dadurch, sich des Eidbruches schuldig zu machen.

Fazit

Die Kreuzzugschronistik des 12. und frühen 13. Jahrhunderts verweist auf eine vielschichtige Hierarchie von Männlichkeiten innerhalb der adeligen Krieger-elite. Auf narrativer Ebene bilden der Kreuzzugsheld und der Kampfverweige-rer die äußeren Pole dieser Hierarchie. Trotz ihKampfverweige-rer antithetischen Konstruktion sind die beiden Figuren eng miteinander verwoben und bedingen einander. Ihre Interdependenz manifestiert sich vor allem in ihrer Interaktion, die dazu dient, kriegerische Männlichkeit zum Ideal zu stilisieren und unkriegerische Männ-lichkeit herabzuwürdigen. Deutungsmacht beanspruchten die geistlichen Ver-fasser. Sie konstruierten aus geistlichen und weltlichen Elementen ein Ideal, dem weltliche Männer nicht entsprechen konnten oder wollten, und bewerte-ten Männlichkeit anhand der von ihnen selbst aufgestellbewerte-ten Kriterien. Dadurch konnte die Kirche auf Deserteure und säumige Kreuzfahrer sowohl auf narrati-ver Ebene durch Diskreditierung und Ausschluss vom Heilsnarrati-versprechen als auch auf normativer Ebene durch Verhängung von Kirchenstrafen Zwang ausüben.

71 Christoph T. Maier: Preaching the Crusades. Mendicant Friars and the Cross in The Thirteenth Century (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series), Cambridge 1994, S. 123ff.

Zur Herabwürdigung der Kampfverweigerer bedienten sich die kirchlichen Historiographen gerne des Instruments der Effeminisierung. Die Zuschreibung einer effeminierten Genderperformanz, die durch die Zuweisung typisch weib-licher Attribute untermauert wurde, führte zu einer Aufweichung der Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit. Den als defizitär wahrgenommenen unkriegerischen Männern wurden Frauen gegenübergestellt, die sich durch eine ansonsten Männern vorbehaltene moralische Stärke auszeichneten und dadurch Überlegenheit beanspruchten. Somit stand in der von den geistlichen Autoren kolportierten Geschlechterhierarchie die sittlich untadelige Frau, die sich nach-drücklich für das ‚heilige Werk‘ einsetzte, über dem unkriegerischen Mann, der sich dem Kreuzzug auf die eine oder andere Art entzog. Die mit männlichen Merkmalen ausgestattete Frau konnte dem verweiblichten Mann den Weg zur Wiedererlangung seiner Männlichkeit weisen.

Die Quellen lassen auch darauf schließen, dass adelige Männer seitens der eigenen sozialen Gruppe erheblichem Druck ausgesetzt waren, da deviantes Verhalten häufig mit gesellschaftlicher Ächtung geahndet wurde, was wiederum zur Marginalisierung des kampfunwilligen Mannes innerhalb der Kriegerelite führen konnte. Desertion und Kampfverweigerung unterlagen jedoch nicht zwangsläufig der sozialen Ächtung. Es gibt Hinweise auf komplexe zeitgenössi-sche Aushandlungsprozesse, die sich mit der Frage auseinandersetzten, welche Art von Mann unter welchen Bedingungen Hegemonie und Dominanz für sich beanspruchen konnte und welche Männer an den Rand ihrer sozialen Gruppe gedrängt wurden.

Alle gegen ihn – er gegen alle. Das Ideal des kämpfenden Königs im Mittelalter*

Abstract: Starting from the observation that several kings were taken prisoner in the late Middle Ages, this paper approaches the ideal of the king as a heroic fighter by analyzing historiographical and normative sources. This ideal was still present in theory and practice throughout the 15th and 16th centuries and already had a long tradition at that time.

An seinem Verhalten im Kampf zeigte sich die strahlende Kraft des Königs; mit sei-ner schwingenden Streitaxt haute er auf viele ein und schlug zahlreiche andere in die Flucht, bis plötzlich ein Geschrei aufkam: Alle gegen ihn, er gegen alle! Als die königli-che Streitaxt durch ununterbrokönigli-chene Hiebe der Gegner letztendlich zerstört wurde, zog der König sein Schwert und vollbrachte solange wahre Wunder mit seiner rechten Hand bis auch dieses zerschmettert wurde! Als der tapfere Ritter Wilhelm von Cahanges das sah, eilte er schnell zum König, riss ihm seinen Helm vom Kopf und schrie mit lauter Stimme: „Seht alle her! Ich habe den König gefangen!“ So wurde der König gefangen-genommen.1

Mit diesen Worten beschreibt der englische Chronist Heinrich von Huntingdon in seiner Historia Anglorum das heldenhafte Verhalten König Stephans von Eng-land in der Schlacht gegen die Truppen seiner Konkurrentin Matilda im Jahre 1142. Vor dem Hintergrund, dass der Verfasser ein Parteigänger Matildas war, sind seine positiven Schilderungen des Königs verwunderlich; schließlich hatte der König nach Meinung Matildas und ihrer Anhänger den englischen Thron widerrechtlich usurpiert.

Diese Verwunderung dient als Ausgangspunkt des folgenden Beitrags, in dem es um das Ideal des kämpfenden Königs im Mittelalter gehen wird, dem sich anhand von Beispielen aus England, aus dem Reich und aus Frankreich genähert werden

* Der Verfasser dankt Prof. Dr. Michael Grünbart (Münster), Prof. Dr. Jochen Johrendt (Wuppertal), Prof. Dr. John Watts (Oxford), Prof. Dr. Björn Weiler (Aberystwyth) und Dr. Julia Crispin (Bonn) für zahlreiche wertvolle Anregungen und Gespräche.

1 Henry of Huntingdon: Historia Anglorum. The History of the English People, hg.

und übers. von Diana Greenway (Oxford Medieval Texts), Oxford 1996, S. 738f. (dt.

Übersetzung durch den Verfasser).

soll. Denn gerade in Konfliktsituationen sahen sich mittelalterliche Könige nach Meinung ihrer Zeitgenossen dazu gezwungen, ihren königlichen Status zu demons-trieren oder zu verteidigen. Sie mussten sich daher persönlich am Kampfgeschehen beteiligen, und zwar ungeachtet, bzw. gerade aufgrund der damit einhergehenden Gefahren.2

Ziel der Ausführungen ist es, zu neuen Einsichten von körperlichen Aspek-ten königlicher Machtausübung zu gelangen, um so einen Beitrag zur Erfor-schung des Heroischen und des Heldentums allgemein, bzw. von Prozessen der Heroisierungen von Königen im Besonderen zu leisten. Dabei folge ich den Überlegungen des Freiburger Sonderforschungsbereichs 948 zu „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, der das Heroische als „kulturelles Konstrukt [und als ein] Fremd- und Selbstzuschreibungsphänomen [versteht], das sich in seiner kultur-, gruppen- und zeitspezifischen Prägung essentialistischen Bestimmun-gen entzieht“, während HeroisierunBestimmun-gen „Vorgänge der Zuschreibung [unter-schiedlicher Akteure sind,] durch die eine Figur zum gestalthaften Fokus einer Gemeinschaft wird“.3 Da im Heldentum immer „kulturelle Wertsetzungen und Normen verhandelt, bestätigt oder auch hinterfragt“4 werden, bietet sich eine Analyse der Beschreibungen des Verhaltens von Königen auf dem Schlachtfeld geradezu an, zumal Heldentum im Mittelalter stets „fest mit Krieg und Militär assoziiert war“.5 Damit stellen die Ausführungen zugleich eine Erweiterung der Ideen zum Forschungsfeld des „Königs als Krieger“ dar.6

2 Vgl. Jörg Rogge: Der König als Krieger – Zusammenfassung, in: Martin Clauss, Andrea Stieldorf, Tobias Weller (Hg.): Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorlesungen und Vorträge 5), Bamberg 2016, S. 371–383, hier S. 375.

3 Vgl. dazu Ralf von den Hoff: Herologie als Forschungsfeld (http://www.hsozkult.de/

literaturereview/id/forschungsberichte-2216; Zugriff am 27.10.2016); vgl. auch: Ders.,

literaturereview/id/forschungsberichte-2216; Zugriff am 27.10.2016); vgl. auch: Ders.,