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Tapferkeit und Todesverachtung

Bemerkungen zur „kriegerischen Männlichkeit“ im späten Mittelalter*

4. Tapferkeit und Todesverachtung

In den Erzählungen wird deutlich, dass kriegerische Männlichkeit verbunden ist mit einer notwendigen positiven Aggressivität. Diese Aggressivität wird in Erzählungen auch in Form von Jagdmetaphern dargestellt. Diese Schematisie-rung ist besonders adressatenorientiert, denn sowohl bei der Jagd als auch im

24 Vgl. Dazu z.B. Karras: From Boys to Men (wie Anm. 5), S. 11; Matthew Bennett: Mili-tary Masculinity, in: D.M. Hadley (Hg.): Masculinity in Medieval Europe, London 1999, S. 71–88, hier S. 82–84.

25 Gray: Scalacronica (wie Anm. 11), S. 81–83; dazu auch Andy King: A helm with a crest of gold. The Order of Chivalry in Thomas Gray’s Scalacronica, in: Nigel Saul (Hg.): Fourteenth Century England 1, Woodbridge 2000, S. 21–36.

26 Rogge: Kämpfer als Schreiber (wie Anm. 9), S. 85–86.

Kampf ist tapferes und aggressives Verhalten angebracht und notwendig. Der Dichter Hirzelin benutzt diese Schemata, um das tapfere Verhalten der Kämpfer in der Schlacht bei Göllheim 1298 zu erzählen. Markward von Schellenberg, so schrieb er, habe sich dem Feind so stolz gestellt wie kein Keiler je einer Hunde-meute (Vor hunden nie ein swäner gestaont so stolz ze pile).27 Und Ulrich von Waldsee sei wie ein hungriger Jagdfalke auf Beutefang heran gejagt und habe die Schlachtreihen der Gegner durchbrochen (Reht sam ein lustich federspil, neben einer rivir auf hungers zil, chom er dort herjagende).28

Die ultimative Darstellung kriegerischer Männlichkeit erfolgt mit dem Schema „Todesverachtung und im Kampf sterben“. Der mittelrheinische Anony-mus erzählt, König Adolf von Nassau habe sich bei Göllheim 1298 wie ein Mann, der den Tod herausfordert, verhalten.29 Mit dem König gefallen waren auch drei junge Ritter, die gemeinsam mit ihm gekämpft und mit ihm Not und Tod erlitten hatten (Die dâ bî ime liden nôt, wie drin juncherren lâgen dôt.).30

Jean Froissart beschreibt in seiner Chronik den Tod von James Douglas in der Schlacht bei Otterburn 1388. Die Schotten wurden abends in ihrem Lager von den Engländern überrascht und diese waren kurz davor, die Schotten zu besie-gen. Doch dann griff sich James Douglas eine Streitaxt und stürzte sich – ohne vorher seine komplette Rüstung angezogen zu haben – in das Kampfgetümmel.

Wie Hector, der trojanische Held, sei er vorangestürmt, wurde dann aber, von Lanzen in der Hüfte und im Bauch getroffen, schwer verletzt. Neben ihm lag – ebenfalls schwer verwundet – ein weiterer Ritter (Robert Hart). Als die beiden von weiteren schottischen Kämpfern erreicht wurden, lag James Douglas zwar im Sterben, feuerte seine Männer aber noch zum Weiterkämpfen an. Er dankte Gott dafür, hier auf dem Schlachtfeld sterben zu dürfen, denn nur wenige seiner Vorfahren seien im Bett gestorben. Danach forderte er seine Kämpfer auf, sein Banner wiederaufzurichten, den Schlachtruf ‚Douglas‘ zu schreien und weiter zu kämpfen. Sie sollten nicht verbreiten, dass er tödlich verwundet sei, denn dadurch könnten ihre Kämpfer den Mut verlieren.31 Froissart strukturiert seine Erzählung vom Kämpfen und Sterben des James Douglas mittels der Schemata als eine Heldenerzählung von einem Kämpfer, der noch im Sterben über seine

27 Göllheim (wie Anm. 17), S. 81.

28 Ebd., S. 82.

29 Ebd., S. 62, Original S. 67: Künine Adolf unversunnen dranc, als ein man, nâ dem dôde rane.

30 Ebd., S. 67.

31 Froissart Chronicles, hg. und übers. von Geoffrey Brereton, Harmondsworth 1978, S. 335–348.

Person hinausdenkt und damit praktisch den Sieg über die Engländer einleitet, indem er diese erstens durch seinen Einsatz aufhält und zweitens seine Männer auffordert, ohne Rücksicht auf ihn zu nehmen, weiter zu kämpfen. Der Tod von James Douglas auf dem Schlachtfeld bei Otterburn 1388 ist jedoch auch anders erzählt worden, nämlich als die Konsequenz seines Versagens als Heerführer und Strafe für sein leichtsinniges Verhalten. Der schottische Chronist Walter Bower schildert ebenfalls den englischen Angriff auf das schottische Lager – allerdings mit dem Vorwurf, Douglas habe nicht die notwendigen Vorbereitungen getrof-fen, um einen Überraschungsangriff zu vermeiden. Beim Anlegen seiner Rüs-tung habe er dann hektisch Fehler begangen, weshalb er Kopfwunden erlitten habe. Schließlich findet Douglas nicht den Heldentod und motiviert zuvor seine Kämpfer, sondern wird fast unbemerkt von einem namenlosen Ritter erschla-gen.32

Froissart beschrieb eine ritterlich kriegerische Männlichkeit in klassischer Weise: Den Tod nicht scheuen, bis zuletzt tapfer kämpfen, erst der Übermacht unterliegen. Aber noch im Sterben seine Männer motivieren und Beispiel für Führungskraft geben. Konsequenz: James Douglas hat Ehre gewonnen, sein tap-feres Verhalten ist zu rühmen und zu erinnern. Bower hingegen erzählte die Epi-sode als Warnung vor unüberlegtem und überheblichem Handeln und Verhalten.

Douglas Hochmut und sein Mangel an Führungskraft führen als Konsequenz zu seinem schäbigen Tod. Die Schotten gewinnen auch ohne seine Anfeuerung die Schlacht. Bower präsentiert James Douglas als ein negatives Beispiel für einen militärischen Führer, der die Lage völlig falsch eingeschätzt hatte. Kriegerische Männlichkeit, so seine Botschaft, bedeutete auch immer, auf Angriffe der Feinde vorbereitet zu sein und diese nicht zu unterschätzen.

5. Fazit

Hier habe ich vor allem Chroniken von Verfassern aus verschiedenen Ländern vorgestellt, um zu zeigen, wie in diesen Texten kriegerische Männlichkeit unter Einbeziehung der Körper der Kämpfer erzählt wurde. Dabei benutzen die Auto-ren ähnliche Erzählmuster bzw. Schemata, um diese Spielart der Männlichkeit

32 Walter Bower: Scotichronicon, hg. von A. Brian Scott, Donald E. R. Watt, 9 Bde., Aber-deen 1987–1998, hier Bd. 7, AberAber-deen 1996, S. 416; dazu auch Alexander Grant: The Otterburn war from the Scottish point of view, in: Anthony Goodman, Anthony Tuck (Hg.): War and border societies in the middle ages, London, New York 1992, S. 30–64;

Alastair MacDonald: Border Bloodshed. England and Scotland at war, 1369–1403, East Linton 2000.

in ihrer praktischen Ausführung des Mannseins zu strukturieren und mit Sinn zu versehen. Die hier vorgestellten Erzählmuster haben die Aufgabe, die prinzi-piell vielfältigen Ausdruckformen von ‚kriegerischer Männlichkeit‘ auf wenige Aspekte, die in der Erzählung betont werden sollen, zu reduzieren. Die Viel-falt der möglichen Erscheinungsformen von kriegerischer Männlichkeit wird mittels der Schemata zu leicht wiederzuerkennenden Typen konfiguriert, ohne sie exakt definieren zu müssen.33 Die Erzählmuster oder Schemata von kriegeri-scher Männlichkeit werden dabei in bestimmten Kontexten jeweils akzentuiert.

Durch das Erzählen unter Benutzung der hier vorgestellten Schemata wird die Idee oder Vorstellung von kriegerischer Männlichkeit in den sozialen Kontex-ten, in denen die Texte gehört oder gelesen wurden, aktiviert. Die Adressaten konnten erfahren und sich bestätigt fühlen, dass diese Art von Männlichkeit sehr sinnvoll ist. In den Erzählungen werden die Vorstellungen gleichsam in die Praxis übertragen.

In den hier vorgestellten Texten wird die kriegerische Männlichkeit mit Erzählmustern vergegenwärtigt, die man unter dem Oberbegriff „male bon-ding“ zusammenfassen kann.34 In der Forschung zu Männerbünden sind einige Merkmale herausgearbeitet worden, die sich auch im Erzählrepertoire für die kriegerische Männlichkeit finden lassen. Dabei werden die Gegner der eige-nen Truppen in Schlachten von den Chronisten nach den gleichen Kriterien bewertet bzw. der Maßstab für das männliche Verhalten in der eigenen Gruppe wird von Autoren zur Bewertung der Gegner benutzt. Man steht sich zwar im Kampf gegenüber, ist jedoch im Prinzip denselben Werten verpflichtet: Härte zeigen; Strapazen aushalten; Tapferkeit im Kampf; Loyalität zu den Waffenbrü-dern; Aggressivität a) mit der Bereitschaft, sein Leben einzusetzen und b) in der Konkurrenz untereinander, und Rangstreit in der Gruppe, Hochachtung der Ehre (die individuelle und die der Gruppe) und Distanz zu Frauen. Diese sind ehrenwerte Zuschauerinnen, denen die Krieger Reverenz erweisen (wie oben am Beispiel der Schlacht bei Göllheim gezeigt) oder sie sind für echte Krieger ein

33 Albrecht Koschorke: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähl-theorie, Frankfurt 32013, S. 29–32. Schemabildung beruht auf drei Grundvoraussetzun-gen: Verknappung (Erzählen weniger ein Transportmittel als ein Filter, wodurch die Kommunikation entlastet wird), Angleichung und Vervollständigung (unvollständige Schemata werden entsprechend der Erwartungen oder Voreinstellungen ergänzt).

34 Lionel Tiger: Männerbünde aus soziobiologischer Sicht: Reaktion und Rezeption, in: Gisela Völger, Karin von Welck (Hg.): Männerbande – Männerbünde. Zur Rolle des Mannes im Kulturvergleich, 2 Bde., Köln 1990, hier Bd. 1, S. 65–72; Helmut Bla-zek: Männerbünde. Eine Geschichte von Faszination und Macht, Berlin 2001.

Zeitvertreib, aber auf keinen Fall echter Treue und Zuwendung Wert. Die emo-tionale Bindung ist die der Waffenbrüder untereinander. Wie die von Froissart erzählte Geschichte des schweren Konfliktes zwischen den Waffenbrüdern Louis Roubaud und Limousin illustriert, bringt die emotionale Zuwendung zu Frauen automatisch Rivalität in den Männerbund der Krieger.

Es gab eine Vorstellung von kriegerischer Männlichkeit, die als Orientierung für die Praxis des Mannes und Kämpferseins dienen konnte. In den Texten wird die Vermittlung zwischen der Vorstellung und der Praxis mittels der Schemata kommuniziert. Umgekehrt kann man aus der jeweils in den Texten erzählten kriegerischen Männlichkeit auf die im darin behandelten sozialen und kulturel-len Kontext präferierten Vorstellungen und Praktiken von kriegerischer Männ-lichkeit schließen. Dabei sind die Körper der Kämpfer von Bedeutung, denn sie werden mit den eben erwähnten Schemata in sinnhafte Erzählungen eingebaut.35 Mit der Bezugnahme auf Körper können die Autoren ihre Vorstellungen von kriegerischer Männlichkeit für die Praxis des Geschichtenerzählens funktiona-lisieren. Die kriegerische Männlichkeit war, das sei zum Abschluss noch einmal betont, nur eine mögliche Vorstellung und Praxis des Mannseins im Mittelalter wie in der Frühen Neuzeit.36 Mittels der hier vorgestellten Erzählmuster wurden diese jedoch auch in Chroniken, Liedern etc. – und eben nicht nur in der ein-schlägigen höfischen Literatur – präsent gemacht und somit verbreitet. Insofern darf man wohl doch von einer größeren Reichweite der Idealvorstellung vom kampfbereiten und wehrhaften Mann im späten Mittelalter ausgehen, als in der Forschung konstatiert wurde.37

35 Dominik Schuh: Summary and Conclusions. Silent Men and the Art of Fighting, in: Jörg Rogge (Hg.): Killing and being killed: Bodies in battle. Perspectives on fighters in the Middle Ages, Bielefeld 2017, S. 251–265, der S. 262–263 sowohl die Bedeutung der Körper als Werkzeuge für und im Kampf als auch seine Funktion als Ressource sowie als Symbol für vergangene Beteiligung an Kämpfen betont, welche in der zur Verfügung stehenden Überlieferung immer wieder deutlich gemacht werden.

36 Einen Überblick über die einschlägige Forschung liefert Bea Lundt: Die Grenzen des Heros. Vielfältige Männlichkeiten in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Martin Lücke (Hg.): Helden in der Krise. Didaktische Blicke auf die Geschichte der Männlichkeiten, Berlin 2013, S. 67–101.

37 In diesem Sinne argumentierte z.B. Bea Lundt: Der Mythos vom Kaiser Karl. Die nar-rative Konstruktion europäischer Männlichkeit im Spätmittelalter am Beispiel von Karl dem Großen, in: Martin Dinges (Hg.): Männer-Macht-Körper. Hegemoniale Männ-lichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/Main 2005, S. 37–51, hier S. 46: „Auch das Ideal des kampfbereiten und wehrhaften Mannes, wie es etwa mit dem Ritter assoziiert wird, war eher von begrenzter Reichweite“.

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