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Tochter-SE Gesellschaft/

C. Zahl der Gründer

Es müssen mindestens zwei Aktiengesellschaften an der Verschmelzung beteiligt sein, wie aus dem letzten Halbsatz des Art. 2 Abs. 1 SE-VO hervorgeht.

Art. 3 Abs. 2 S. 2 SE-VO schließt im Rahmen der Gründung einer Tochter-SE durch eine SE die Anwendung nationaler Vorschriften aus, die eine Mehrzahl von Gründern verlangen. Daraus lässt sich schließen, dass entsprechende Vorschriften bei den übrigen Gründungsformen Anwendung finden. Fordert das nationale, für Aktiengesellschaften geltende Recht eine bestimmte Zahl von Gründern, gilt dies auch für die Gründung einer SE mit Sitz in diesem Mitgliedstaat542.

Nationale Vorschriften, gemäß denen eine Aktiengesellschaft mehr als einen Aktionär haben muss, sind auf die SE anzuwenden. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 3 Abs. 1 S. 2 SE-VO, wonach entsprechende Vorschriften für die Gründung einer Tochter-SE durch eine Tochter-SE nicht gelten. Schreibt das nationale Recht vor, dass mindestens zwei Aktionäre an einer Aktiengesellschaft beteiligt sein müssen, dürfen zwei 100%ige Tochtergesellschaften derselben Gesellschaft nicht zu einer SE mit Sitz in diesem Mitgliedstaat verschmelzen.

537 Art. 25 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SE-VO: „Mitgliedstaat...., dessen Recht die jeweilige verschmelzende Gesellschaft unterliegt“

538 Siehe 2. Kap. C II 1 Fn. 234

539 Art. 18 SE-VO: „Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates...,dessen Recht sie unterliegt“

540 Von Caemmerer in: FS Kronstein S. 185

541 Hirte NZG 2002, 1 (4); Menjucq Le Dalloz 2001, N° 13, 1085 (1087)

D. Mehrstaatlichkeitsprinzip

I. Zweck

Ziel der SE-Verordnung ist es, grenzüberschreitend tätigen Unternehmen die Neuordnung ihrer Aktivitäten zu ermöglichen543. Die Gründung einer SE muss daher einen grenzüberschreitenden Charakter aufweisen544. Durch Verschmelzung kann eine SE nur gegründet werden, wenn mindestens zwei der Gründungsgesellschaften „dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen“545. Diese Voraussetzung wird als „strenges Prinzip der Mehrstaatlichkeit“ bezeichnet546.

Das Mehrstaatlichkeitsprinzip soll den Rechtsverkehr in seinem Vertrauen darauf schützen, dass eine Gesellschaft, die den Rechtsformzusatz europäisch trägt, sich grenzüberschreitend betätigt oder zumindest über die für eine europaweite Tätigkeit erforderliche Größe und Marktstellung verfügt547.

Nicht zuletzt soll das Mehrstaatlichkeitserfordernis verhindern, dass die Rechtsform der SE die nationalen Gesellschaftsformen verdrängt. Nationale Gesellschaften sollen sich dem möglicherweise strengeren nationalen Aktienrecht nicht durch eine Flucht in die europäische Rechtsform entziehen können548. Das Subsidiaritätsprinzip verbietet es dem europäischen Gesetzgeber, eine europäische Rechtsform ohne grenzüberschreitenden Bezug zu schaffen549.

Verschiedentlich werden Zweifel geäußert, ob das Mehrstaatlichkeitserfordernis seinen Zweck erfüllen kann550. Da Mehrstaatlichkeit nur im Zeitpunkt der Gründung vorliegen muss551, garantiert das Erfordernis nicht, dass sich die gegründete SE tatsächlich

542 Nicht eindeutig a.A.: Rasner ZGR 1992, 320

543 1. Erwägungsgrund

544 Pagel/ Gless, Verschmelzung, S. 25; Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S.

135 545 Art. 2 Abs. 1 SE-VO

546 Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S. 135

547 Hommelhoff AG 1990, 422 (423); Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 70 ; Pagel/ Gless, Verschmelzung, S. 27 f; ; vgl. Gessler BB 1967, 381 (382, 383)

548 Merkt BB 1992, 652 (655); Hommelhoff AG 2001, 279 (280); Jaeger BetrR 1998, 5 (9) 549 Hommelhoff AG 2001, 279 (281); ders. in: Symposium, S. 57 (65); Hirte NZG 2002, 1 (4); vgl. 29. Erwägungsgrund

550 Überblick über die Kritikpunkte bei Wenz, SE, S. 64 f; siehe auch Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments, ABl Nr.C 48/73 ff vom 25.2.91, Änderungen 4, 7 und 8; Hommelhoff AG 1990, 422 (423); Merkt BB 1992, 652 (655);

Hauschka EuZW 1990, 181; Pfister, Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 75; Trojan-Limmer RIW 1991, 1010 (1013); Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 70; Barz/

Lutter in: Lutter, Europäische Aktiengesellschaft,, S. 21

551 Siehe 4. Kap. D II

grenzüberschreitend betätigt552. Das Mehrstaatlichkeitserfordernis schützt den Rechtsverkehr daher nicht vor Täuschungen553. Durch Scheingründungen kann das Mehrstaatlichkeitsprinzip umgangen werden. Mit dem Ziel, die grenzüberschreitende wirtschaftliche Betätigung zu fördern, lässt sich nur schwer vereinbaren, dass Unternehmen, die eine europaweite Tätigkeit anstreben, keine SE gründen können554. II. Geltungsbereich

Die Autoren Pagel und Gless555 vertreten zum Verordnungsvorschlag von 1991 die Ansicht, dass das Mehrstaatlichkeitserfordernis entfalle, wenn sich eine SE als Gründungsgesellschaft an der Verschmelzung beteilige. Das ist insoweit nachvollziehbar, als die verschmelzungswillige SE an sich bereits grenzüberschreitenden Charakter hat.

Art. 3 Abs. 1 SE-VO ordnet jedoch im Gegensatz zu dem Vorschlag von 1991 an, dass die SE im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 SE-VO wie eine Aktiengesellschaft zu behandeln ist, die dem Recht des Sitzmitgliedstaats unterliegt. Bei ihrer Beteiligung auf das Mehrstaatlichkeitserfordernis zu verzichten, würde dagegen eine Sonderbehandlung im Vergleich zu nationalen Aktiengesellschaften bedeuten. Folglich unterliegt auch die Gründung unter Beteiligung einer SE dem Mehrstaatlichkeitsprinzip.

Eine Aktiengesellschaft und eine SE mit Sitz und Hauptverwaltung im selben Mitgliedstaat können nicht nach Art. 2 Abs. 1 SE-VO zu einer SE verschmelzen.

Möglicherweise steht ihnen aber eine Verschmelzung nach dem für nationale Aktiengesellschaften geltenden Verschmelzungsrecht offen. Art. 132 Abs. 1 SE-VOV 1991 sah vor, dass eine SE mit anderen SE oder mit Aktiengesellschaften, die ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben, nach dem harmonisierten Verschmelzungsrecht der Mitgliedstaaten verschmolzen werden kann. Nachdem Art. 132 Abs. 1 SE-VOV 1991 gestrichen wurde, ist zu differenzieren:

Da Art. 2 und 3 SE-VO die Möglichkeiten, eine SE zu gründen, abschließend aufzählen556, scheidet eine Verschmelzung durch Neugründung einer SE aus557. Es fehlt an einer Regelungslücke, die gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c Ziff. ii SE-VO durch nationales Verschmelzungsrecht geschlossen werden könnte.

Eine Verschmelzung durch Aufnahme wird durch Art. 2 und 3 SE-VO nicht ausgeschlossen. Nationales Verschmelzungsrecht über Art. 9 Abs. 1 lit. c Ziff. ii SE-VO

552 Merkt BB 1992, 652 (655)

553 Hommelhoff AG 1990, 422 (423); dagegen: Kallmeyer AG 1990, 527 (528)

554 Hommelhoff AG 1990, 422 (424); Wehlau DWiR 1992, 78 (79); Sanders AG 1967, 344 (347); Merkt in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, S. 168 (175);

Kallmeyer AG 1990, 527 (528); a.A. Pagel/ Gless, Verschmelzung, S. 27

555 Pagel/ Gless, Verschmelzung, S. 27

556 Hommelhoff AG 2001, 279 (281); Thoma/ Leuering NJW 2002, 1449 (1451)

557 Ebenso Vossius in: Widmann/ Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwG Rn. 424

anzuwenden, ist sachgerecht558. Die SE-Verordnung lehnt sich weitgehend an die Verschmelzungsrichtlinie an und modifiziert deren Bestimmungen nur punktuell, um dem grenzüberschreitenden Charakter der Verschmelzung Rechnung zu tragen559. Werden zwei Gesellschaften verschmolzen, die dem gleichen Recht unterliegen, kann mangels grenzüberschreitenden Charakters das harmonisierte Verschmelzungsrecht der Mitgliedstaaten unverändert Anwendung finden.

Daneben haben die Gesellschaften die Möglichkeit, zu einer Aktiengesellschaft nationalen Rechts zu verschmelzen.

Mehrstaatlichkeit verlangt die SE-Verordnung nur für den Zeitpunkt der Gründung. Eine Pflicht der SE, die Mehrstaatlichkeit aufrecht zu erhalten, sieht sie nicht vor. Darin kann keine Regelungslücke gesehen werden, die durch nationales Recht auszufüllen wäre. Das nationale Recht nimmt zur Mehrstaatlichkeit naturgemäß keine Stellung. Eine nationale Lösung könnte außerdem dazu führen, dass einige, nicht aber alle SE zur Mehrstaatlichkeit verpflichtet wären. Der Rechtsverkehr könnte sich auf den grenzüberschreitenden Charakter der SE nicht verlassen und das Mehrstaatlichkeitsprinzip seinem Zweck nicht gerecht werden. Es handelt sich um eine

„SE-spezifische Regelungslücke“ die aus der SE-Verordnung heraus geschlossen werden muss560. Da ein Rückgriff auf nationales Recht offensichtlich ausscheidet, ist davon auszugehen, dass der europäische Gesetzgeber der SE an die Aufhebung der Mehrstaatlichkeit keine rechtlichen Folgen knüpfen wollte. Entfällt der Bezug der SE zu verschiedenen Mitgliedstaaten nach der Gründung, führt dies demnach weder zur Auflösung der Gesellschaft oder noch zu sonstigen Sanktionen561.

Der Rechtsformzusatz SE bezeichnet lediglich die Rechtsform, in der die Gesellschaft organisiert ist. Sein Bestandteil „europäisch“ hat keine eigenständige Bedeutung in dem Sinne, dass eine SE auf eine gemeinschaftsweite Tätigkeit hinweisen würde. Eine SE, die das Merkmal der Mehrstaatlichkeit nicht mehr erfüllt, täuscht den Rechtsverkehr daher nicht562.

558 Ebenso Vossius in: Widmann/ Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwG Rn. 424 f

559 Einleitung der Begründung zu dem Vorschlag einer SE-Verordnung von 1989 (Bundesratsdrucksache 488/89 vom 13.09.1989); Merkt in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, S. 176

560 Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (553); siehe auch 2. Kap. B V

561 Hirte NZG 2002, 1 (10); Thoma/ Leuering NJW 2002, 1449 (1451 Fn. 34); anders noch der Vorschlag von Gessler BB 1967, 381 (384)

562 Ebenso Grote, Europäische Aktiengesellschaft, S. 125 f; a.A. Gessler BB 1967, 383 f

III. Das Kriterium

Kriterium für die Frage der Mehrstaatlichkeit ist nicht der Sitz oder die Hauptverwaltung563 der Gesellschaften, sondern das Recht, dem die Gesellschaften unterliegen564. Mindestens zwei der Gründungsgesellschaften müssen verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen. Das Gesellschaftsstatut jeder weiteren an der Gründung beteiligten Aktiengesellschaft ist unerheblich.

Ob das Erfordernis der Mehrstaatlichkeit erfüllt ist, kann daher davon abhängen, ob der Rechtsanwender565 der Gründungs- oder der Sitztheorie folgt, d.h. auf die Gesellschaft das Recht ihres Gründungsstaates oder das Recht ihres Sitzstaates anwendet566. Darin liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz, dass die Verordnung autonom europarechtlich auszulegen ist567. Die Definition des Tatbestandsmerkmals ist europäisch. Die Abhängigkeit von nationalem Kollisionsrecht ergibt sich allein daraus, dass nach dem Willen des Europäischen Gesetzgebers Kriterium der Mehrstaatlichkeit die Rechtsordnung sein soll, nach der sich die Gründungsgesellschaft tatsächlich richten muss.

Nach den EuGH-Entscheidungen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“ ist zu erwarten, daß künftig alle Mitgliedstaaten auf Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben und folglich Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43, 48 EG genießen, grundsätzlich das Recht ihres Gründungsstaates anwenden568. Das Erfordernis der Mehrstaatlichkeit ist daher erfüllt, wenn mindestens zwei der Gründungsgesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten gegründet wurden.

563 So aber noch Art. 2 I SE-VOV 1991: „sofern mindestens zwei von ihnen ihre Hauptverwaltung in verschiedenen Mitgliedstaaten haben“

564 Menjucq (Le Dalloz 2001, N° 13, 1085 (1087)) hingegen ist der Ansicht, die SE-Verordnung verlange, dass mindestens zwei der Aktiengesellschaften ihren Satzungssitz und ihre Hauptverwaltung in verschiedenen Mitgliedstaaten hätten.

565 Zu der Frage, wer das Erfordernis der Mehrstaatlichkeit prüft und damit nach welchem Internationalen Gesellschaftsrecht sich die Mehrstaatlichkeit beurteilt, siehe 5. Kap. VI. 1

566 Schulz/ Geismar (DStR 2001, 1078 (1080)) gehen ohne Begründung davon aus, dass das Recht, dem die Gründungsgesellschaft unterliegt, immer das Recht ihres Sitzstaates ist.

567 Zu diesem Grundsatz siehe EuGH, Rs. 49/71 (Hagen OHG/ Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1972, 23 (34); EuGH, Rs. 69/79 (Jordens-Vosters/

Bestuur van de Bedrijfsvereniging vorr de Leder- en Lederverwerkende Industrie), Slg.

1980, 75 (84); Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht Rn. 80; Schwarze in: Schwarze:

EU Art. 220 EGV Rn. 30

568 Zu den Entscheidungen des EuGH, Folgeentscheidungen der deutschen Gerichte und dem Meinungsstand in der deutschen Literatur siehe 2. Kap. C II a aa. Der österreichische OGH hat die Sitztheorie ebenfalls aufgegeben (OGH RIW 2000, 378).