• Keine Ergebnisse gefunden

Tochter-SE Gesellschaft/

B. Vorrang der SE-Verordnung

III. Begriff der Regelungslücke

Nach den Verweisungsnormen Art. 9 Abs. 1 lit. c, 15 Abs. 1 und 18 SE-VO kommt nationales Recht zur Anwendung, wenn eine Regelungslücke besteht108. Für die Annahme einer Regelungslücke genügt es nicht, dass die SE-Verordnung zu einer bestimmten Frage schweigt. Der Gesetzgeber kann die Frage auch bewusst nicht geregelt und damit die Anwendung nationalen Rechts ausgeschlossen haben109. Eine Regelungslücke wird in der Methodenlehre des deutschen Rechts überwiegend als „eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes“ definiert110. Wo es um Regelungslücken im Gemeinschaftsrecht als Voraussetzung für die Anwendung nationalen Rechts geht, kann Planwidrigkeit nicht bedeuten, dass dem Gesetzgeber das Fehlen einer Regelung nicht bewusst gewesen sein darf111. Denn der europäische Gesetzgeber setzt Regelungslücken in Verbindungen mit Verweisungsnormen in der SE-Verordnung bewusst als Mittel der

105 Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (551)

106 Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (551)

107 Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (551). Ebenso zum Regelungsbereich des geplanten Statuts über die Europäische Privatgesellschaft: Völter, Europäische Privatgesellschaft, S.

47; Helms, Europäische Privatgesellschaft, S. 170

108 Siehe Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO, Art. 15 Abs. 1 SE-VO und Art. 18 SE-VO.

109 Vgl. Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 191 zur Regelungslücke als Voraussetzung der richterlichen Rechtsfortbildung; Völter, Europäische Privatgesellschaft, S. 36 zur Feststellung von Lücken im Statut der Europäischen Privatgesellschaft; Dänzer-Vanotti in: FS Everling S. 205 (219); Wagner, Europäische Verein, S. 63

110 Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 194 m.w.N.; Dänzer-Vanotti in: FS Everling S.

205 (219); Thamm (Lückenfüllung, S. 21) verwendet diese Definition auch in Bezug auf die SE-Verordnung.

111 Nach Ansicht der Autoren Larenz und Canaris (Methodenlehre, S. 199) können auch Punkte, die der Gesetzgeber bewusst offen lässt, um ihre Entscheidung der Rechtsprechung und der Wissenschaft zu überlassen, unter den Begriff der Regelungslücke fallen. Ebenso Thamm, Lückenfüllung, S. 22. A.A. wohl Völter, Europäische Privatgesellschaft, S. 36. Brandt/ Scheifele (DStR 2002, 547 (551)) verstehen unter der planwidrigen lediglich die unbewusste Unvollständigkeit, und sprechen sich daher für eine abweichende Definition der Regelungslücke im Gemeinschaftsrecht aus. Siehe auch vom Brocke, Europäische Genossenschaft, S. 15;

Wagner, Europäische Verein, S. 39; Grote, Europäische Aktiengesellschaft, S. 48.

Gesetzgebungstechnik ein112, um nationales Recht zur Anwendung zu berufen113. Anders als in der nationalen Methodenlehre geht es nicht in erster Linie darum, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung abzustecken. Vielmehr soll mit Hilfe des Begriffs der Regelungslücke der Anwendungsbereich der Verweisungsnormen in der Verordnung bestimmt werden. Eine Regelungslücke liegt vor, wenn der Gesetzgeber eine Frage nicht selbst regeln, sondern ihre Regelung dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen wollte.

Eine Unvollständigkeit ist in diesem Sinne planwidrig, wenn nach der Systematik und Zielsetzung der Regelung und dem Willen des Gesetzgebers114 eine Frage nicht ungeregelt bleiben, sondern der Regelung durch nationales Recht überlassen werden soll.

Mit anderen Worten liegt eine Regelungslücke nur dort vor, wo die europäische Regelung nicht abschließend ist115.

IV. Lückenfeststellung

Wenn sich der SE-Verordnung – zumindest im Wege der Auslegung - eine Regelung entnehmen lässt, besteht keine Regelungslücke116. Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 lit. a SE-VO bestätigt das, indem er anders als Art. 9 Abs. 1 lit. b SE-VO nicht nur von den ausdrücklichen Bestimmungen spricht.

An einer Regelungslücke fehlt es außerdem, soweit die Satzung der Gesellschaft mit ausdrücklicher Erlaubnis der SE-Verordnung eine Regelung trifft117.

Enthält die SE-Verordnung Normen zu dem jeweiligen Bereich, ohne aber die konkrete Frage zu regeln, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die SE-Verordnung insoweit abschließend zu verstehen ist oder ob nationales Recht ergänzend zur Anwendung kommt118. Bei der Auslegung von Sekundärrecht kommt dem Ziel und Zweck des Gesetzes besondere Bedeutung zu119. Die SE-Verordnung ist „lückenhaft“, soweit die

112 Siehe etwa 9. Erwägungsgrund und die Begründung der Europäischen Kommission zur Streichung der Art. 13 und 14, 15, 70 und 84 in der Begründung zum Vorschlag einer SE-Verordnung von 1991, Bundestagsdrucksache 12/1004 vom 30.07.1991, abgedruckt bei Gutsche, Europäische Aktiengesellschaft, S. 247 ff

113 Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (551)

114 Das sind nach Dänzer-Vanotti in: FS Everling S. 205 (219) (m.w.N.) die entscheidenden Kriterien zur Bestimmung der Planwidrigkeit.

115 Vgl. Völter, Europäische Privatgesellschaft, S. 41 f

116 Wagner, Europäische Verein, S. 56; Völter, Europäische Privatgesellschaft, S. 38

117 Wagner, Europäische Verein, S. 47 und 61 zu der Vorschrift im Verordnungsvorschlag zur Einführung eines Europäischen Vereins, die Art. 9 SE-VO entspricht; Raiser in: FS Semler, S. 277 (282). Die Grundregel in Art. 9 Abs. 1 lit. b SE-VO gilt daher auch im Rahmen der Spezialverweisungen, siehe 5. Kap. B I 5 h bb (2).

118 zur Feststellung von Regelungslücken im Vorschlag von 1989 vgl. Grote, Europäische Aktiengesellschaft, S. 76 ff

119 Bleckmann NJW 1982, 1177 (1178); Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (552)

bestehenden Normen nicht ausreichen, die Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu erfüllen120. Eine Regelungslücke liegt nahe, wenn Fragen, die sich in Bezug auf die Gründung, Organisation und Tätigkeit einer Aktiengesellschaft typischerweise stellen, in der SE-Verordnung nicht behandelt werden121. Für eine Regelungslücke kann sprechen, dass der betreffende Aspekt in den nationalen Gesellschaftsrechten geregelt ist122.

Die Systematik der SE-Verordnung spricht im Zweifel für eine Regelungslücke. In ihrer heutigen Fassung beschränkt sich die SE-Verordnung darauf, die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der SE selbst zu regeln und verweist im Übrigen auf das nationale Recht. Die SE-Verordnung hat nicht den Anspruch die Materie abschließend zu regeln, sondern enthält gezielt weitgehende Lücken, die der Gesetzgeber durch nationales Recht geschlossen sehen will123. Deutlich wird dies insbesondere in der Generalverweisung in Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO und in den Verweisungen der Art. 15 Abs. 1 und 18 SE-VO für den Bereich der Gründung durch Verschmelzung. Art. 18 SE-VO schreibt die Anwendung nationalen Rechts in den „nicht erfassten Teilbereiche(n) eines von diesem Abschnitt nur teilweise abgedeckten Bereichs“ vor und stellt damit klar, dass grundsätzlich eine Regelungslücke vorliegt, wenn die SE-Verordnung eine Frage nicht regelt.

Für die Lückenhaftigkeit der Verordnung spricht die Entstehungsgeschichte der SE-Verordnung und der Wille des Gesetzgebers, wie er in den Erwägungsgründen und den Begründungen früherer Entwürfe zum Ausdruck kommt124. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden zunehmend Vorschriften der SE-Verordnung Das Gebot der autonom europäischen Auslegung folgt aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Das die SE-Verordnung zunächst aus sich selbst heraus auszulegen ist, ergibt sich nach Ansicht von Kunz (Insolvenz, S. 52) ferner daraus, dass der Rückgriff auf die „allgemeinen Grundsätze, auf denen das Statut beruht“, den Art. 7 Abs. 1 lit. a SE-VOV 1975 und 1989 vorsahen, nach der Begründung der Europäischen Kommission zu dessen Streichung (Begründung der Europäischen Kommission zu Art. 7 des Vorschlags einer SE-Verordnung von 1991, Bundestagsdrucksache 12/1004 vom 30.07.1991, abgedruckt bei Gutsche, Europäische Aktiengesellschaft, S. 246) nicht aufgegeben, sondern nur präzisiert und klarer formuliert werden sollte.

Auch Thamm (Lückenfüllung, S. 23) weist darauf hin, dass die Lückenhaftigkeit einer Bestimmung primär der „ratio legis“ entnommen werden kann.

120 Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 193; Völter, Europäische Privatgesellschaft, S. 36;

vom Brocke, Europäische Genossenschaft, S. 15

121 Jaeger, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24; Wagner NZG 2002, 985 (989); Wagner, Europäische Verein, S. 64; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 959

122Jaeger, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24; Wagner NZG 2002, 985 (989); Wagner, Europäische Verein, S. 64; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 959; Brandt/

Scheifele DStR 2002, 547 (552) (zumindest, „wenn es sich bei dem betreffenden mitgliedstaatlichen Recht um harmonisiertes Recht handelt“)

123 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 954 und 959; Wagner, Europäische Verein, S. 64; Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (552)

ausdrücklich zugunsten der Anwendbarkeit nationalen Rechts gestrichen125. In ihrer Begründung zu Art. 11a des Verordnungsentwurfs von 1991, der dem heutigen Art. 15 Abs. 1 SE-VO entspricht, stellt die Europäische Kommission klar, dass „auf die SE neben den ausdrücklichen Bestimmungen der Verordnung alle Vorschriften anwendbar sind, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE für die Gründung von Aktiengesellschaften gelten“126.

Ob die SE-Verordnung abschließenden Charakter hat, kann endgültig nur in Bezug auf die einzelne Regelung geklärt werden. Die Annahme einer Regelungslücke bedarf jedoch eines geringeren Begründungsaufwands als die Feststellung einer abschließenden Regelung127. Angesichts der Konzeption der SE-Verordnung kann erwartet werden, dass der Verordnungsgeber, will er den Rückgriff auf nationales Recht in Bezug auf einen bestimmten Aspekt ausschließen, dies regelmäßig ausdrücklich klarstellt, wie er es etwa in Art. 3 Abs. 2 S. 1 SE-VO oder Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO getan hat128.

Kunz129 vertritt zum Entwurf von 1991 die gegenteilige Ansicht, es bestehe grundsätzlich eine Vermutung für eine abschließende Regelung. Nationales Recht komme über die Generalverweisung in Art. 7 Abs. 1 lit. b SE-VO nur dann zur Anwendung, wenn dies im Einzelfall aus sachlichen Gründen notwendig sei. Ein solcher Grund sei insbesondere dann anzunehmen, wenn die möglichst reibungslose Einfügung der SE in den nationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr in Frage stehe. Kunz begründet ihre Auffassung damit, dass die Vorschriften, die für bestimmte Rechtsfragen nationales Recht für anwendbar erklären, ansonsten neben der Generalverweisung überflüssig wären.

Diese Auffassung überzeugt nicht. Die Anzeichen für eine grundsätzlich gerade nicht abschließende Konzeption der Verordnung überwiegen. In Art. 7 a.F. und Art. 9 SE-VO n.F. finden sich keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer sachlichen Rechtfertigung. Einige der von Kunz genannten Einzelverweisungen sind im Entwurf von

124 Jaeger, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24; siehe auch 9. Erwägungsgrund

125 Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24; vgl. Jaeger, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24

126 Begründung der Europäischen Kommission zum Vorschlag von 1991, BT-Drucksache 12/1004 vom 30.7.91; siehe auch Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 25

127 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 959; Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (552); Jaeger, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24; Wagner NZG 2002, 985 (989);

ähnlich Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24; Wagner, Europäische Verein, S.

64; Rasner ZGR 1992, 314 (319), geht wohl ebenfalls davon aus, dass zur Ergänzung der Verordnung immer nationales Recht heranzuziehen sei; unentschieden Trojan-Limmer RIW 1991, 1010 (1012); a.A. Wenz, SE, S. 33, der jede Regelung im Einzelfall auf ihre Abgeschlossenheit hin überprüfen will, dagegen wohl wiederum Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 24

128 Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (552)

129 Kunz, Insolvenz, S. 52 - 56

2001 gestrichen worden, wohl weil sie neben einer der generellen Verweisungsnormen als überflüssig erkannt wurden130. Im Bereich der Gründung durch Verschmelzung ist die Auffassung von Kunz ohne wesentliche Relevanz, da für diesen Bereich Art. 15 Abs. 1 und 18 SE-VO auf einzelstaatliches Recht verweisen. Kunz stellt die Vermutung für eine abschließende Regelung in der Verordnung gerade nur für den Bereich der Generalverweisung auf und nimmt Verweisungen für bestimmte Bereiche wie etwa Art.

11 a SE-VOV 1991131 davon aus132.

Eine abschließende Regelung ist ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn Ziel und Zweck der Vorschriften der SE-Verordnung die ergänzende Anwendung nationalen Rechts ausschließen. So ist etwa die Aufzählung der Gründungsformen in Art. 2 und 3 SE-VO abschließend zu verstehen, da der Verordnungsgeber damit den Zugang zur SE beschränken wollte. Die Sitzverlegung der SE ist in Art. 8 SE-VO grundsätzlich abschließend geregelt133, da zusätzliche nationale Anforderungen den in Art. 8 SE-VO gefundenen Ausgleich zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen stören würden.

Im Extremfall könnten nationale Vorschriften die Sitzverlegung derart erschweren, dass der Aufwand dem einer Neugründung gleich käme, die durch Art. 8 SE-VO gerade vermieden werden soll134.

Die Gründung einer SE durch Verschmelzung ist im Vergleich zu den übrigen Gründungsformen sehr detailliert geregelt. Das nationale Verschmelzungsrecht, auf das Art. 18 SE-VO verweist, ist durch die Verschmelzungsrichtlinie135 harmonisiert worden.

Der Einfluss des nationalen Rechts ist daher geringer als in anderen Bereichen. Gerade deshalb ist eine genaue Abgrenzung von nationalem und europäischem Recht erforderlich und mit größeren Schwierigkeiten im Detail verbunden, als in Bereichen wie der Gründung einer Tochter-SE, in denen sich die Verordnung weitgehend darauf beschränkt, auf nationales Recht zu verweisen.

130 Im Bereich der Gründung durch Verschmelzung wurden Art. 22 und 29 gestrichen, die Kunz, Insolvenz, in Fn. 243 f auf S. 54 nennt.

131 Entspricht dem heutigen Art. 15 SE-VO

132 Kunz, Insolvenz, S. 54 f (Art. 11 a Abs. 1 erwähnt sie in Fn. 243 ausdrücklich)

133 a.A. Brandt 2002, 991 (994)

134 Wenz, SE, S. 48 und 50; Trojan-Limmer RIW 1991, 1010 (1016); Grote, Europäische Aktiengesellschaft, S. 168 f; Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S. 130; a.A.:

Priester ZGR 1999, 36 ff; vgl. auch Brandt/ Scheifele DStR 2002, 547 (553)

135 3. RL 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978, ABl Nr. L 295/36 vom 20.10.1978;

Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 25.10.1982, BGBl.

1982 I, S. 1425, in Kraft seit 1.1.1983