• Keine Ergebnisse gefunden

Einflüsse des nationalen Rechts im Rahmen der Gründung einer SE durch Verschmelzung

Am 8. Oktober 2001 wurden nach jahrzehntelangen Verhandlungen die „Verordnung...

über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)12 und die „Richtlinie...zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer“3 verabschiedet. Den Mitgliedstaaten wurde eine Frist bis zum 8. Oktober 2004 gesetzt, um die Richtlinie umzusetzen und entsprechende Ausführungsvorschriften zu erlassen. Mit Ablauf der Frist tritt die Verordnung in Kraft, die Europäische Aktiengesellschaft wird Wirklichkeit. Damit steht den Unternehmen neben der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung4 eine zweite europäische, supranationale Rechtsform zur Verfügung. Die Europäische Aktiengesellschaft, auch Societas Europaea oder kurz SE genannt, soll Unternehmen in der Europäischen Union grenzüberschreitende Kooperations- und Umstrukturierungsmaßnahmen erleichtern und eine Organisationsform bieten, mit der sie sich innerhalb der Gemeinschaft unabhängig von nationalen Grenzen entfalten können.

Während der Verhandlungen über die Europäische Aktiengesellschaft war die Frage nach dem Einfluss nationalen Rechts heftig umstritten. Der erste Vorschlag einer SE-Verordnung aus dem Jahre 1970 hatte den Anspruch, die Europäische Aktiengesellschaft umfassend und unabhängig von nationalem Recht zu normieren. Im Laufe des Rechtssetzungsverfahrens wurden - auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten - immer mehr streitige Fragen von einer europäischen Regelung ausgenommen. Die nun verabschiedete Fassung beschränkt sich darauf, die Kernbereiche zu regeln, und verweist im übrigen auf das nationale Recht. Die veränderte Konzeption der SE-Verordnung wird zum Teil heftig kritisiert. Einige Autoren stellen sogar den Sinn der neuen Rechtsform in Frage, weil deren supranationaler Charakter aufgegeben worden

1 Die Abkürzung SE steht für „societas europaea“. In der amtlichen Überschrift der Verordnung wurde diese lateinische Bezeichnung wörtlich mit „Europäische Gesellschaft“ übersetzt. Die Europäische Kommission hatte in ihren Vorschlägen stattdessen den Begriff „Europäische Aktiengesellschaft“ verwendet. Da die SE der Aktiengesellschaft deutschen Rechts nahe ist und sich der Begriff „Europäische Aktiengesellschaft“ eingebürgert hat, hält diese Arbeit an der bisherigen Terminologie fest. Dazu Neye ZGR 2002, 377 Fn. 2 und Hommelhoff/ Teichmann SZW 2002, 1 (3).

2 ABl Nr. L 294/1 ff vom 10.11.2001. Im Folgenden SE-Verordnung bzw. SE-VO.

3 ABl Nr. L 294/22 ff vom 10.11.2001. Im Folgenden Arbeitnehmer-Richtlinie bzw. AN-RL.

sei5. Es gäbe keine einheitliche Europäische Aktiengesellschaft mehr, sondern so viele verschiedene SE wie Mitgliedstaaten6. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass angesichts der bestehenden Unterschiede in den Traditionen und Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten eine einheitliche europäische Konstruktion politisch nicht durchsetzbar war und nur die unterschiedliche nationale Prägung der Europäischen Aktiengesellschaft den Konsens ermöglicht hat. Vor- und Nachteile der Verweisungen auf nationales Recht sollen daher nicht Gegenstand der Untersuchung sein.

Die Arbeit widmet sich rechtlichen Fragen, die sich aus der Konzeption der Verordnung als Rahmenregelung ergeben. Untersucht werden soll, inwieweit die SE-Verordnung eine Frage abschließend regelt und inwiefern nationales Recht zur Anwendung kommt. Es ist zu klären, auf welche Vorschriften die Verordnung im Einzelfall verweist und wie diese Normen mit der SE-Verordnung zusammenwirken. Der Schwerpunkt soll nicht auf der theoretischen Erörterung der Frage des anwendbaren Rechts liegen7. Vielmehr wurde das Thema der Gründung einer SE durch Verschmelzung ausgewählt, um zu untersuchen, wie sich SE-Verordnung und nationales Recht gegenseitig beeinflussen und ergänzen. Diese Perspektive bietet den Vorteil, dass die Arbeit sich nicht auf die Darstellung allgemeiner Grundsätze beschränken muss, sondern den abschließenden Charakter einer Regelung, gegebenenfalls die einschlägige Verweisungsnorm und die Gestaltungsspielräume des nationalen Gesetzgebers und des Satzungsgebers konkret bestimmen kann.

Bei der Gründung durch Verschmelzung bestimmen zwei besondere Verweisungsnormen den Einfluss nationalen Rechts: Neben dem Recht des künftigen Sitzstaates der SE nach Art. 15 Abs. 1 SE-VO kommt gemäß Art. 18 SE-VO das Recht der Mitgliedstaaten, in dem die Gründungsgesellschaften ihren Sitz haben, zur Anwendung. Art. 15 Abs. 1 und 18 SE-VO treten neben die übrigen Verweisungen der SE-Verordnung und führen zu speziellen Abgrenzungsfragen. Eine weitere Besonderheit im Bereich der Gründung einer SE durch Verschmelzung liegt darin, dass die nationalen Vorschriften durch die Dritte

4 Kurz: EWIV

5 Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 4; Jaeger, Europäische Aktiengesellschaft, S. 20 f; Rasner ZGR 1992, 314 ff (insb. 325f); vgl. Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S. 126; Maitland-Walker ECLR 3/1991, 97 (100)

6 So etwa Leupold, Europäische Aktiengesellschaft, S. 20; Grote, Europäische Aktiengesellschaft, S. 63

7 Die Systematik des anwendbaren Rechts im Rahmen der SE-Verordnung war bereits Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, siehe insbesondere Grote, Europäische Aktiengesellschaft (allerdings zum Verordnungsvorschlag von 1989) und Brandt/

Scheifele DStR 2002, 547.

Richtlinie über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften8 teilweise harmonisiert worden sind und die Vorschriften der SE-Verordnung sich an diese Richtlinie anlehnen.

Es ergeben sich daher über die Regelung in der SE-Verordnung hinaus Grundsätze, die für die Gründung jeder Europäischen Aktiengesellschaft gelten. Auf eine Darstellung der einzelnen mitgliedstaatlichen Vorschriften, die über die Verweisung zur Anwendung gelangen, wird verzichtet, da sie den Rahmen der Arbeit sprengen würde.

Neben dem eigentlichen Gründungsverfahren nach der SE-Verordnung muss vor der Eintragung der SE ein Verhandlungsverfahren durchgeführt werden, in dem die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer festgelegt werden sollen9. Dieses Verfahren ist in der ergänzenden Arbeitnehmer-Richtlinie geregelt. Die Frage des anwendbaren Rechts hat in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung, weil die Richtlinie grundsätzlich nur die Mitgliedstaaten bindet und in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Richtlinie regelt das anwendbare Recht eigenständig10. Der Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung soll daher nicht Gegenstand der folgenden Untersuchungen sein.

Steuerliche Fragen der Gründung einer SE durch Verschmelzung werden im Rahmen der Arbeit ebenfalls nicht behandelt, da an einer Regelung der steuerlichen Fragen noch gearbeitet wird/ die steuerliche Behandlung der SE noch offen ist11. Die Europäische Kommission hat eine breite Diskussion über die Besteuerung von Unternehmen in der Europäischen Union angeregt und wird voraussichtlich im Jahr 2003 einen Bericht über die daraus gezogenen Folgerungen und ihre Pläne – auch betreffend die Besteuerung der SE - veröffentlichen12.

8 3. RL 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978, ABl Nr. L 295/36 vom 20.10.1978. Im Folgenden Verschmelzungsrichtlinie. Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 25.10.1982, BGBl. 1982 I, S. 1425, in Kraft seit 1.1.1983

9 Näher dazu Herfs-Röttgen NZA 2002, 358; Pluskat DStR 2001, 1483; Nagel AuR 2001, 406 10 Gemäß Art. 6 AN-RL ist für das Verhandlungsverfahren grundsätzlich das Recht des künftigen Sitzstaates der SE maßgeblich, weitere Regelungen finden sich z.B. in Art. 3 Abs. 2 lit. b, Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 2 und Art. 8 Abs. 3 AN-RL.

11 Weiterführend siehe Schulz/ Petersen DStR 2002, 1508; Herzig/ Griemla StuW 2002, 55; Förster/ Lange DB 2002, 288; Klapdor EuZW 2001, 677

12 COM(2001)582 final vom 23.10.2001, insb. S. 23