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Tochter-SE Gesellschaft/

D. Auslegungszuständigkeit des EuGH und der nationalen Gerichte

3. Kapitel: Verschmelzung

A. Definition

I. Allgemeines

Die SE-Verordnung übernimmt die Definition der Verschmelzung aus der Verschmelzungsrichtlinie401. Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 1 SE-VO verweist dazu auf Art. 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 Verschmelzungsrichtlinie.

Art. 3 Abs. 1 Verschmelzungsrichtlinie lautet:

Im Sinne dieser Richtlinie ist die Verschmelzung durch Aufnahme der Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen und zwar gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt.

Art. 4 Abs. 1 Verschmelzungsrichtlinie bestimmt:

Im Sinne dieser Richtlinie ist die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft der Vorgang, durch den mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine Gesellschaft, die sie gründen, übertragen und zwar gegen Gewährung von Aktien der neuen Gesellschaft an ihre Aktionäre und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn der Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt

Die Definition der Verschmelzung ist direkt der Verschmelzungsrichtlinie zu entnehmen.

Die nationalen Vorschriften, mit denen Art. 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 Verschmelzungsrichtlinie umgesetzt wurden, sind nicht anzuwenden.

Wesensmerkmal der Verschmelzung ist die Zusammenführung zweier oder mehrerer Gesellschaften zu einer einzigen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, wobei die Anteilsinhaber erlöschender Gesellschaften Anteilsrechte an der übernehmenden

401 Dritte gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften vom 9. Oktober 1978, ABl Nr. L 295/36 vom 20.10.1978

Gesellschaft erhalten402. Unterschieden wird zwischen der Verschmelzung durch Aufnahme403 und der Verschmelzung durch Neugründung.

Bei der Verschmelzung durch Aufnahme überträgt eine Gesellschaft oder übertragen mehrere Gesellschaften ihr Vermögen auf eine bereits bestehende Gesellschaft. Die übertragenden Gesellschaften erlöschen mit dem Vollzug der Verschmelzung404. Die aufnehmende Gesellschaft nimmt die Form einer SE an405. Die Aktionäre der erlöschenden Gesellschaften erhalten Aktien der SE. Um die Anteile gewähren zu können, muss die aufnehmende Gesellschaft in der Regel eine Kapitalerhöhung durchführen.

Bei der Verschmelzung durch Neugründung übertragen zwei oder mehr bereits bestehende Gesellschaften ihr gesamtes Vermögen auf eine neu zu gründende Gesellschaft. Im Unterschied zur Verschmelzung durch Aufnahme wird der endgültige Rechtsträger der vereinigten Vermögen mit Vollzug der Verschmelzung erst gebildet. Die neu zu gründende Gesellschaft ist eine SE406. Die Aktionäre der Gründungsgesellschaften werden mit dem Vollzug der Verschmelzung Aktionäre der SE. Die Gründungsgesellschaften erlöschen407.

In der nationalen Praxis ist die Verschmelzung durch Aufnahme wesentlich häufiger als die Verschmelzung durch Neugründung408. Die Verschmelzung durch Aufnahme kann kostengünstiger und schneller durchgeführt werden, da nicht wie bei der Neugründung eine Satzung neu ausgearbeitet und beurkundet, die Gesellschaft ins Handelsregister eingetragen und die Unternehmensleitung neu besetzt werden muss409. Bei der Gründung einer SE bietet die Verschmelzung durch Aufnahme diese Vorteile nicht.

Wie sich aus Art. 20 Abs. 1 lit. h SE-VO ergibt, ist auch im Fall der Verschmelzung durch Aufnahme die Satzung der künftigen SE in den Verschmelzungsplan aufzunehmen.

Die Satzung der aufnehmenden Gesellschaft kann nicht uneingeschränkt übernommen werden, sondern muss zumindest den für die neue Rechtsform geltenden Regeln angepaßt werden. Da die Satzung Teil des Verschmelzungsplans ist, kann die SE nur gegründet

402 Vgl. die Definition von Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 13 III 1 a

403 Die Verschmelzung durch Aufnahme war in den Verordnungsvorschlägen von 1970, 1975, 1989 und 1991 nicht vorgesehen. Siehe dazu etwa Sagasser/ Swienty DStR 1991, 1188 (1190).

404 Art. 29 Abs. 1 lit. c SE-VO

405 Art. 17 Abs. 2 S. 2 SE-VO

406 Art. 17 Abs. 2 S. 3 SE-VO

407 Art. 29 Abs. 2 lit. c SE-VO

408 Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S. 44 und 137; Pagel/ Gless, Verschmelzung, S. 10

409 Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S. 44; Pagel/ Gless, Verschmelzung, S.

10; Heckschen, Verschmelzung, S. 47; Sagasser/ Bula, Umwandlungen, J 146

werden, wenn sich die Gründungsgesellschaften über den Inhalt der Satzung einigen und die Anteilseigner aller Gründungsgesellschaften ihr zustimmen.

Die Mitglieder der Organe der SE müssen nach dem in der SE-Verordnung vorgesehenen Verfahren410 bestellt werden. Wird das Organisationssystem beibehalten, ist es grundsätzlich möglich, dass die bisherigen Amtsträger ihre Funktion auch in der SE wahrnehmen. Voraussetzung ist aber, dass die Gründungsgesellschaften bzw. die Anteilseigner der SE, die die Organmitglieder bestellen411, dies beschließen.

Schließlich muss die Gründung der SE gemäß Art. 12 Abs. 1 SE-VO bei beiden Gründungsvarianten in das Handelsregister eingetragen werden.

Wendet man die Definition der Verschmelzung streng wörtlich an, liegt in den Fällen des Art. 31 Abs. 1 SE-VO keine Verschmelzung vor. Art. 31 Abs. 1 SE-VO ordnet an, dass den Aktionären der übertragenden Gesellschaft keine Aktien gewährt werden, wenn bei einer Verschmelzung durch Aufnahme eine Gründungsgesellschaft sämtliche Aktien und sonstige Stimmrecht verleihende Wertpapiere einer anderen Gründungsgesellschaft besitzt. Trotzdem bezeichnet Art. 31 Abs. 1 S. 1 SE-VO diesen Vorgang als Verschmelzung.

Die Anteilsgewährung ist folglich nur solange zwingendes Merkmal der Verschmelzung, als Art. 31 Abs. 1 SE-VO nichts anderes vorschreibt. Das Merkmal dient letztlich dazu, die Fälle aus dem Begriff der Verschmelzung herauszunehmen, in denen die Aktionäre der übertragenden Gesellschaften nicht hauptsächlich mit Aktien der aufnehmenden Gesellschaft, sondern mit Geldleistungen im Wert von mehr als 10 % des Nennwertes oder – mangels Nennwertes - rechnerischen Wertes der im Austausch ausgegebenen Aktien oder anderen Gegenleistungen entschädigt werden412. Dadurch soll die weitestmögliche Erhaltung der Gesellschafteridentität sichergestellt werden413.

In allen Konstellationen, die Art. 31 Abs. 1 SE-VO nicht erfasst, werden die Aktien der übertragenden Gesellschaften gemäß Art. 29 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 lit. b SE-VO in vollem Umfang gegen Aktien der aufnehmenden Gesellschaft bzw. der SE ausgetauscht414. Die Definition der Verschmelzung ist erfüllt.

410 Art. 39 Abs. 2, 40 Abs. 2, 43 Abs. 3 SE-VO

411 Siehe Art. 39 Abs. 2 und 40 Abs. 2 SE-VO

412 Buchheim, Europäische Aktiengesellschaft, S. 39; Caminades, Gründung, S. 178 zu Art. 2 Abs. 2 Verschmelzungsrichtlinie

413 Bermel in: Goutier/ Knopf/ Tulloch, Umwandlungsrecht, § 2 UmwG Rn. 22

414 Näher dazu siehe 3. Kap. B II 3