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Wirtschaft und Hangrutschungen

7 Soziale Systeme und Naturrisikomanagement

7.1 System Wirtschaft

7.1.2 Wirtschaft und Hangrutschungen

Bevor die Frage beantwortet wird, wie das Wirtschaftssystem „Hang-rutschungen“ beobachtet, soll erst einmal die Frage gestellt werden, wer im Wirtschaftssystem solche natürlichen Prozesse beobachtet. Als Akteure im Untersuchungsraum zählen vor allem die folgenden Organisationen47: Architekturbüros, Ingenieurbüros (sowohl in der Planungs- als auch in der Gutachterfunktion), Bauentwicklungsgesellschaften, Makler und

hinzuzufügen.

47 Zwar mögen auch Interaktionen eine gewisse Rolle spielen, doch sind die Teilnehmer einer Interaktion im Kontext des Naturrisikomanagements vor allem als Vertreter einer Organisation anwesend.

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Versicherungen. Im Folgenden werden die Beobachtungen aus den Interviews mit Architektur- und Ingenieurbüros dargestellt.48

Eine Organisation hat generell die Möglichkeit „Hangrutschungen“ zu beobachten oder eben nicht. Erst nach dem „ob“ kommt die Frage nach dem

„wie“.

In den Interviews gab es große Anschlussmöglichkeiten für Kommunikation über Hangrutschungen, da bei den interviewten Wirtschaftsorganisationen sowohl eine thematische Spezialisierung als auch ein regionaler Bezug vorhanden war. Die räumliche Nähe zu Hangrutschungen macht die Kommunikation über dieses Thema wahrscheinlicher49, denn „der Baugrund- und Gründungsgutachter, der lebt von der regionalen Geologie“ (Interview 22:

419). Wer sich nicht mit der regionalen Geologie beschäftigt, würde das Risiko eingehen, Fehlentscheidungen zu treffen. Daher ist es für Unternehmen50 vorteilhaft, sich langfristig an einen Raum zu binden, weil sie so Erfahrungswissen über die regionale Geologie ansammeln können und damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber (inter-)national agierenden Anbietern ohne regionales Spezialwissen haben:

„also in Hamburg sind andere wahrscheinlich besser als wir, ja, weil sie einfach mehr Erfahrung haben und das ist natürlich ein Stück weit unsere Erfahrung, ja.“ (Interview 22: 421)

Diese Erfahrung wird in das Medium des Wirtschaftssystems übersetzt: „Klar, das ist unser Kapital“ (Interview 22: 417). Bevor es jedoch dazu kommen kann, ist auch für angehende Spezialisten zunächst das Sammeln von Erfahrung notwendig:

„[...] so Sachen [51] sollte man eigentlich als Architekt gar nicht machen,

48 In anderen genannten Organisationen wurden keine Experteninterviews durchgeführt. Die Begründung hierzu findet sich in Kapitel 6.2.1.

49 Vgl. ergänzend die Ausführungen über Raum in Kapitel 6.3.

50 Unternehmen sollen hier als Organisationen des Wirtschaftssystems verstanden werden.

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da war zum Beispiel kein Geologe dabei. [...] da waren wir noch relativ jung im Geschäft, da war ich mir einfach dieser, dieses Risikos gar nicht so bewusst, aber da wird man dann auch über die Erfahrung relativ sensibel.“ (Interview 13: 76)

Spezialwissen über Hangrutschungen ist ein Mischung aus einer guten Ausbildung, eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen von Kollegen, die in der gleichen Region arbeiten.

Die Bebauung von rutschgefährdeten Hängen kann für Baugrundgutachter natürlich eine interessante Irritation aus der Umwelt sein, die sie für ihre Eigenlogik zu nutzen wissen. So hat ein von uns interviewtes Ingenieurbüro - gleich nachdem bekannt wurde, dass ein rutschgefährdeter Hang zum Bau-gebiet ausgewiesen wird - eine Anzeige im lokalen „Blättle“ mit dem folgenden Inhalt geschaltet:

„Der Baugrundgutachter sitzt im Dorf. Sie bauen in einem Rutschhang.

Kommen Sie und lassen Sie sich beraten.“ (Interview 16: 242)52

Neben den Vorteilen für die Baugrundgutachter kann eine Rutschungs-gefährdung oder auch nur eine Karte, die eine solche Gefährdung nahelegt, Auswirkungen auf den Preis des Baugrundstücks haben:

„Wenn die wissen, dass das ein rutschgefährdetes Gebiet ist, die haben Mehrkosten bei der Gründung, also muss der Kaufpreis einiges runter.“

(Interview 11: 249)

Aus diesem Umstand heraus sollten Baugrundgutachter ein großes Interesse am Einsatz von Gefährdungskarten haben, während Haus- und Grundstücks-besitzer, die das Haus anschließend verkaufen wollen, die Erstellung solcher Karten eher meiden wollen.

Aber auch bei der konkreten Bautätigkeit werden Hangrutschungen als Kosten erhöhender Faktor angesehen, die der Bauherr zu vermeiden sucht. Ein

51 Gemeint ist hier das Ausheben einer Baugrube mit 6 m Tiefe.

52 Der Inhalt der Anzeige ist vom Interviewpartner so sinngemäß wiedergegeben worden.

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regional tätiger Architekt sagte dazu:

„Es ist halt eigentlich ein ökonomisches Problem, [...] weil das Entsorgen von dem Aushubmaterial ja relativ teuer ist, und man versucht natürlich, als Interessenvertreter des Bauherrn den Aushub so gering wie möglich zu halten, das heißt man geht an diese Böschungswinkel nur immer relativ hart, damit der Geologe 60° sagt, dann versucht halt so ein Unter-nehmer vielleicht so ein klein bisschen steiler das durchstehen zu lassen [...]“ (Interview 13: 10)

Im schlimmsten Fall kann das natürlich dazu führen, dass Menschenleben bedroht werden:

„Und kritisch ist es halt dann, wenn irgendwelche Gefahr für den Mensch oder so sich da auftut und wie es im letzten Jahr hier in Reutlingen passiert ist, da ist mal einer verschüttet worden.“ (Interview 13: 10)

Die Bedrohung eines Menschen liegt im Allgemeinen außerhalb des Systems Wirtschaft und verweist entweder auf die Moral (es ist nicht gewünscht, Menschenleben zu gefährden) oder auf das Recht (der Unfall wird als fahrlässige Tötung beobachtet). Innerhalb des Systems Wirtschaft muss die Bedrohung eines Menschen zum Beispiel auf Schadensersatzansprüche re-kurrieren, um weiterhin im Code „zahlen/nicht zahlen“ operieren zu können.

Wirtschaftliche Kommunikation hat eine Seite der (Leit-)Unterscheidung, die bevorzugt wird53, in diesem Falle: zahlen. Dies führt zu der Vorstellung einer Art „ökonomischen Vernunft“ des Wirtschaftssystems, so dass hier auch der

„rational choice“-Ansatz herangezogen werden kann, um wirtschaftliche Entscheidungen zu beschreiben. Dabei ist zu betonen, dass der Begriff der rational choice hier als Entscheidungsprämisse für das System Wirtschaft dienen soll und der Fokus nicht darauf liegt, individuelles Handeln zu

53 Dies gilt auch für andere Systemen und deren Unterscheidungen.

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beschreiben.54

Die folgende Matrix (s. Tabelle 2) stellt modellhaft Entscheidungen eines Investors und die damit verbundenen Chancen und Risiken dar. Der Investor kann sowohl eine Organisation als auch eine Privatperson sein. Wichtig ist, dass der Investor in diesem Kontext als „Zurechnungspunkte für Kausal-annahmen und insbesondere für Verantwortung“ (Luhmann 1992: 34) innerhalb des Wirtschaftssystems verstanden wird und nicht als frei handeln-des Individuum, welches Unterscheidungen benutzt, die in der Umwelt handeln-des Wirtschaftssystems zu suchen sind.

Tabelle 2: Entscheidungsmatrix beim Hausbau in einem rutschgefährdeten Gebiet (eigener Entwurf)

54 Auch soll an dieser Stelle nicht die Frage nach Menschenbildern gestellt werden, da diese für systemtheoretische Überlegungen keinen entscheidenden Mehrwert bringen. Der Mensch wird in der Systemtheorie in verschiedene Systeme aufgeteilt (vgl. dazu Kapitel 4). Auf innerhalb der Geographie stattfindende Diskurse sei hier lediglich verwiesen (zum Beispiel Hasse & Helbrecht 2003).

Situation Entscheidung Chance Risiko

Investor besitzt Grundstück vorhanden

Wissen über potentielle

Gefahr

nicht vorhanden Hausbau ohne Gutachten und mit normaler Gründung. Es werden keine weiteren Informationen eingeholt.

Baukosten

wie geplant Erhöhte

Instandhaltungs- und Renovierungs-kosten bis Totalverlust Hausbau ohne

Gutachten mit normaler Gründung

Baukosten

wie geplant Erhöhte Kosten bis Totalverlust

Hausbau ohne Gutachten mit verstärkter Gründung

Keine Kosten für den Gutachter

Erhöhte Kosten durch falsche oder

unangemessen starke Gründung Hausbau mit Gutachter

und angemessener Gründung

Planungs-sicherheit in den Kosten

Erhöhte Kosten durch Gutachter und verstärkte Gründung

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Die Tabelle zeigt deutlich, dass es sinnvoll ist Chancen und Risiken immer im Einzelfall durch zu kalkulieren. Die günstigste Art Fehlentscheidungen zu ver-meiden liegt in der Informationsbeschaffung vorab. Das kann insbesondere dann hilfreich sein, wenn man das Grundstück noch nicht besitzt. So wird das Risiko einer Fehlinvestition von vornherein minimiert. Besitzt man das Grundstück bereits, ist es trotzdem wichtig, zu überlegen, ob man sämtliche Maßnahmen außer acht lässt oder sich entweder für das Gutachten oder für die verstärkte Gründung ohne Gutachten entscheidet. Entscheidet man sich für absichernde Maßnahmen, dann ist der Weg über das Gutachten zu emp-fehlen, da dadurch die Investition optimiert wird. Nach Aussage eines regional agierenden Architekten kostet ein Gründungsgutachten zwischen 3.000 und 4.000 Euro, während sich pauschale Verstärkungen des Fundaments nach Aussage eines Ingenieurs auf 5-10 Prozent der Gesamtinvestition des Gebäudes belaufen können und damit deutlich höher liegen (vgl. Interview 13: 27, 35 sowie Interview 16: 242). Es besteht somit eine gute Möglichkeit, dass Funda-mente auf der Basis von Gründungsgutachten günstiger sind als pauschal ver-stärkte Fundamente, selbst wenn die Kosten für das Gutachten in die

Situation Entscheidung Chance Risiko

Investor hat Kaufabsicht vorhanden

Wissen über potentielle

Gefahr

nicht vorhanden Hausbau ohne Gutachten und mit normaler Gründung. Es werden keine weiteren Informationen eingeholt.

Baukosten

wie geplant Erhöhte Kosten bis Totalverlust

Hausbau ohne

Gutachten mit normaler Gründung

Keine Kosten für den Gutachter

Erhöhte Kosten bis Totalverlust

Hausbau ohne Gutachten mit verstärkter Gründung

Keine Kosten für den Gutachter

Erhöhte Kosten durch falsche oder

unangemessen starke Gründung Hausbau mit Gutachter

und angemessener Gründung

Planungs-sicherheit in den Kosten

Erhöhte Kosten durch Gutachter und verstärkte Gründung

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Rechnung integriert werden. Dies gilt natürlich insbesondere für den Fall, dass keine Verstärkungen des Fundaments notwendig werden, da dann nur die Kosten für das Gutachten anfallen.

Gründungsgutachen bieten weiterhin den Vorteil, dass bei umfänglichen Gründungsproblemen noch gänzlich von der Investition abgesehen werden kann. Entscheidet man sich gegen alle absichernden Maßnahmen, ergeben sich sowohl die größten Chancen in Form von geringen Investitionen als auch das maximale Risiko bis hin zum Totalverlust des Hauses.