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Massenmedien und Naturrisikomanagement

7 Soziale Systeme und Naturrisikomanagement

7.4 System Massenmedien

7.4.3 Massenmedien und Naturrisikomanagement

7.4 System Massenmedien

Die 12 bzw. 13 Nachrichtenfaktoren sind, wie zu erwarten war, auch bei der Berichterstattung über Hangrutschungen vorzufinden. Es wäre interessant zu erfahren, in welcher Gewichtung diese Faktoren vorzufinden sind, also welche Faktoren am häufigsten zusammen auftauchen. Um dies zu ermitteln, wurden alle 243 Zeitungsartikel hinsichtlich der Nachrichtenfaktoren analysiert. Die detaillierte Analyse findet sich in Anhang auf Seite 200. Eine erste Interpretation hinterlässt folgenden Eindruck: Es gibt einzelne Nachrichten-faktoren, die besonders häufig ihre Anwendung in der Berichterstattung über Hangrutschungen finden. Dieses Ergebnis ist jedoch aus zwei Gründen mit großer Vorsicht zu genießen: Erstens bestand nicht immer die Möglichkeit, den einzelnen Zeitungsartikeln eindeutig Nachrichtenfaktoren zuzuordnen und zweitens fanden sich oftmals Redundanzen bezüglich der Nachrichten-faktoren „Regionaler Bezug“, „Elite-Personen“, „Elite-Institutionen“ und

„Personalisierung“. Das heißt, häufig tauchte nur einer dieser Faktoren auf und stellte damit den räumlichen und personellem Bezug her. Die Ergebnisse lassen sich demnach wie folgt zusammenfassen: Die Berichterstattung über Hangrutschungen weist tendenziell keine spezielle Struktur auf, sondern folgt der normalen Eigenlogik der Massenmedien.

Im nächsten Kapitel wird deutlich werden, welche Relevanz dieses Ergebnis für Naturrisikomanagement hat.

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interviewt wird, der eine andere Meinung vertritt oder ein Experte, der aus wissenschaftlicher Sicht gar keiner ist. Aber nicht nur die Berichterstattung über konkrete wissenschaftliche Ergebnisse ist ein schwieriges Unterfangen, sondern auch die aktive Nutzung der Massenmedien für den Zweck des Naturrisikomanagements. Das System Massenmedien lässt sich aufgrund seiner Eigenlogiken nicht einfach instrumentalisieren. So kommentierte eine interviewte Journalistin zu der Anfrage, die Forschungsergebnisse des Projekts über sie als Zugang zum System Massenmedien vorzustellen:

„[...] natürlich interessieren wir uns für die Ergebnisse, wobei natürlich klar ist, dass wir uns wirklich für das komplette wissenschaftliche Ergebnis nicht interessieren können in der Detailgenauigkeit, für uns ging's vermutlich schon am ehesten darum zu sagen, wo haben Sie Gebiete festgestellt und wie gehen jetzt die, möglicherweise die Gemeinden damit um und was könnte daraus resultieren [...]“ (Interview 19: 36)

Die Massenmedien selektieren, welche Teilaspekte der wissenschaftichen Ergebnisse für sie beobachtungwert sind. Es geht nicht darum, alle Fakten, die im Rahmen eines Interviews zustande kommen möglichst originalgetreu wiederzugeben, sondern die Fakten aus den Interviews so zu „übersetzen“, dass sie für die Zielgruppe anschlussfähig sind. Das System Massenmedien orientiert sich an seinen Rezipienten und deren Erwartungen. Sie sind dabei auch nicht daran interessiert, die Interpretation der Rezipienten stark zu leiten:

„[...] da sind wir ja oft auch dagegen machtlos, wie die Leute das interpretieren [...] man müsste es sonst explizit dazu sagen, der Nachrichtensprecher müsste dann sagen: »Aber Sie müssen sich jetzt nicht fürchten [...]« Aber das können wir natürlich auch nicht.“

(Interview 19: 36)

Weiterhin sehen nicht alle Radiosender, Zeitungen und Fernsehsender den Bildungsauftrag an erster Stelle. Auf die Frage, inwiefern der Sender eines

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Regionalradios es für wichtig erachten würde, neu hinzugezogene Bürger auf die für sie bisher unbekannten Hangrutschungsrisiken aufmerksam zu machen, war die Antwort:

„Also jetzt in so nem speziellen Sinn... würd' ich das verneinen. Das taucht dann quasi in zweiter Linie auf, wenn ein aktueller Aufhänger ist, dann sagt man, okay, dann machen wir vielleicht ein zweites Stück dazu, um nochmal so was, einen Hintergrund zu erklären, wie es denn allgemein ist [...]. Aber dass wir jetzt von uns aus sagen: So, jetzt haben wir zwei Jahre nix mehr gemacht, jetzt müssen wir wieder den Leuten erklären, wie das so ist. So ganz grundsätzlich nicht [...]“ (Interview 19:

14)

Nachdem nun mehrfach beschrieben wurde, wo die Grenzen eines Managements liegen, bleibt noch die Gegenseite offen: Wie ist es möglich die Eigenlogik der Massenmedien für ein Naturrisikomanagement zu nutzen? Das zentrale Konzept, dass in diesem Zusammenhang wertvoll erscheint, ist das der Pressearbeit. Diese könnte im Rahmen eines Naturrisikomanagments so gestaltet werden, dass die Inhalte in optimaler Art und Weise für das Funktionssystem Massenmedien anschlussfähig sind.91 Es geht um die temporäre Synchronisierung von Eigenlogiken, in diesem Fall darum, die Eigenlogik des Naturrisikomanagements (Naturrisiken zu managen) mit der Eigenlogik der Massenmedien (Nachrichten mit hohem Nachrichtenwert zu veröffentlichen) in Verbindung zu bringen. Naturrisikomanagement sollte Pressearbeit in einer elaborierten Form beinhalten, die deutlich über die bislang praktizierte Form der Informationsverbreitung mittels Faltblättern hinausgeht.

Doch wie genau kann eine Pressearbeit dieser Art gedacht werden? Zunächst ist es wichtig, zu realisieren, dass Pressearbeit auf bestimmte Verbreitungs-medien und bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sein sollte. Ein

Radio-91 Aus dem unternehmerischen Kontext sei hier die Monographie „Praxisbuch Pressearbeit“ (Lutz & Nitzsche 2007) mit dem Untertitel „So kommen sie sicher in die Medien“ empfohlen, welche eine gelungene praktische Anwendung systemtheoretischen Beobachtens darstellt.

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bericht muss andere Kriterien erfüllen als eine Berichterstattung in der Zeitung. Als Zielgruppe können zum einen Experten im Sinne von Positions-inhabern innerhalb von Organisationen gesehen werden, die sich mit Hang-rutschungen beschäftigen, zum anderen aber auch betroffene Bürger. Die Information von Experten durch Pressearbeit ist nach Meinung des Verfassers bisher stark unterbelichtet, obgleich die journalistische Aufbereitung die wissenschaftlichen Informationen deutlich anschlussfähiger machen würde, als die bislang genutzten Formate. Pressearbeit im Rahmen eines Naturrisikomanagements beschränkt sich natürlich nicht nur auf wissen-schaftliche Inhalte. Ebenso können andere Funktionssysteme ihre Beobachtungen zum Thema Naturrisiken über Pressearbeit für Rezipienten beobachtbar machen. Denkbar wären im Bereich der Experten zum Beispiel folgende Themen und Zielgruppen:

Thema Zielgruppe

Aktuelle Rechtsprechung bezüglich der Haftung der öffentlichen Hand bei Baugrundrisiken

Öffentliche Verwaltung

Aktuelle Rechtsprechung bezüglich der Haftung von Architekten und Bauingenieuren

Architekten, Bauingenieure Neue Methoden in der Modellierung von Rutschungen Gutachter,

Bauingenieure, Planungsbüros

Wie durch Pressearbeit ein Naturrisiko zur Chance wird Gemeindeverwaltungen

Als Verbreitungsmedien würden sich hier vor allem Fachzeitschriften sowie die Mitgliederzeitschriften der Fachverbände anbieten, die üblicherweise von den betreffenden Experten gelesen werden.

Für die Pressearbeit mit dem Zielfokus der betroffenen Anwohner können exemplarisch folgende Themen interessant sein:

1. Endlich sicher bauen. Wie Sie sich vor Rutschungsrisiken schützen können: Allgemeine Informationen zu Rutschungen als natürlicher Prozess, die Möglichkeit von Schäden und die (versicherungs-)

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technischen Möglichkeiten, sich davor zu schützen

2. Wer haftet bei Rutschungsschäden? Eine (versicherungs-)rechtliche Darstellung der aktuellen Rechtsprechung bei Schäden durch Rutschungen

3. Gründungsgutachten sparen Geld und ermöglichen einen ruhigen Schlaf: Informationen über die risikokalkulatorischen Vor- und Nach-teile von Gründungsgutachten

4. Rutschungen? Täglich! Von der Allgegenwärtigkeit eines natürlichen Phänomens: Vorstellung der Facetten von Rutschungen in der Region und deren Bewertung durch verschiedene Akteure

5. Rutschungen auf dem aktuellen Stand der Forschung: Warum ist dieser Inhalt für die Forschung interessant? Was sind die Auslöser, Frequenzen und Magnituden im historischen und aktuellen Bezug? Mit welchen Methoden wurde das herausgefunden?

Insbesondere bei der Pressearbeit mit der Zielgruppe Anwohner ist es wichtig, eine einfache, für die breite Masse verständliche Sprache zu wählen. Die Verbreitungsmedien können zwischen Tageszeitungen, Radio und Regional-sendern variieren.

Um die Wirkung der Pressearbeit zu optimieren sind die üblichen Nachrichtenfaktoren zu berücksichtigen (vgl. Seite 132).

Gezielte Pressearbeit im Kontext von Naturrisiken hat noch immer Seltenheitswert. Sie erscheint aber unter dem Aspekt der großen Herausforderungen, die Naturrisikomanagement an alle Beteiligten stellt, der einzig gangbare Weg zu sein, wenn man die Massenmedien sinnvoll in die Arbeit integrieren möchte.

Alles in allem gilt natürlich weiterhin, dass das System Massenmedien autopoietisch und selbstreferenziell arbeitet, so dass letztendlich immer noch das System darüber entscheidet, ob und in welcher Form es

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mitteilungen zur Anschlusskommunikation macht oder nicht. Gute Presse-arbeit kann lediglich die Wahrscheinlichkeit der Übernahme in das System Massenmedien erhöhen.