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Recht und Naturrisikomanagement

7 Soziale Systeme und Naturrisikomanagement

7.1 System Wirtschaft

7.2.3 Recht und Naturrisikomanagement

7.2 System Recht 129 f.)

Um weiter kommunizieren zu können, transformiert das System Recht die unscharfe Aussage in etwas Eindeutiges: Die Sicherheit, es nicht sicher sagen zu können. Was an das Sokrates'sche „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

erinnern mag, ist ein kluger Mechanismus, um als System kommunikationsf-ähig zu bleiben. Das System Recht kann mit beiden Antworten der Experten umgehen. Kann der Experte eine Ursache-Wirkungs-Beziehung bestimmen, so kann sich die weitere Rechtsargumentation darauf stützen. Kommt der Experte zu dem Schluss, dass der Sachverhalt zu komplex ist, um eine eindeutige Aussage zu treffen, ist dies auch eine brauchbare Aussage für das Rechtssystem, denn auch bei Uneindeutigkeit gibt es eine klare Regel: Wenn der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang nicht geklärt werden kann, ist auch der Verursacher nicht eindeutig feststellbar. Damit greift folgende in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergeschriebene Aussage: „Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist“ (BGBl.1952 II: 686).

Systemtheoretisch gesprochen wird hier eine Seite der Unterscheidung bevor-teilt, nämlich „nicht schuld“. Das System Recht kann also seine internen Unterscheidungen treffen, auch wenn das Gutachtersystem keine eindeutigen Ergebnisse produziert. Für den einzelnen Kläger oder Angeklagten mag diese Unschärfe unangenehme Konsequenzen mit sich bringen. Für die beteiligten Systeme sind die Inhalte jedoch austauschbar, es kommt auf die gewählte Seite der Form, also auf die Entscheidung durch den Experten an. Wichtig ist allein, dass Anschlusskommunikation möglich ist.

7.2 System Recht

„und nichts garantiert vorab eine adäquate Proportion oder einen kau-salen Erfolg der Reaktion im Hinblick auf die Gefährdung.“ (Luhmann 2004a: 129)

Recht allein kann also nicht zweckorientiert sein. Für das Festlegen von Zielen ist das politisch-administrative System verantwortlich. Dabei dient die Gesetz-gebung als strukturelle Kopplung zwischen den Systemen. Davon unberührt bleibt weiterhin deren Autopoiesis.

„Die Grundform des Rechts bleibt daher, so sehr man gerade im Umwelt-recht von „Zielen“ spricht, das Konditionalprogramm. […] Politisch kann man sich zwar unter Zweckgesichtspunkten entschließen, Recht zu setzen und Rechtsetzung zum Mittel zum Zweck zu rechtfertigen, aber es wäre ein Irrtum, darin eine Kausalaussage zu sehen.“ (Luhmann 2004a:

129)

Recht kann demnach nicht einfach instrumentalisiert werden – auch nicht vom politisch-administrativen System. Gesetze werden bei richterlichen Entscheiden immer wieder neu ausgelegt. Urteile bleiben damit also auch kontingent und folgen nicht deterministisch den Gesetzen, nicht einmal zwingend der gängigen Rechtsprechung.

Das System Recht für Naturrisikomanagement nutzbar zu machen würde bedeuten, dass die Rechtsprechung in Bezug auf den Umgang mit Naturrisiken optimiert wird. Was hier unter „optimal“ zu verstehen ist, muss im System Politik entschieden werden. Angenommen es gäbe eine konkrete Vorstellung davon, wie optimales Naturrisikomanagement auszusehen habe - wie könnte dann die Rechtsprechung und somit die Entwicklung des Systems Recht beeinflusst werden?

Am Beispiel eines beschädigten Wohnhauses im Untersuchungsgebiet Öschingen zeigt sich eine der ersten zu nehmenden Hürden einer thematisch fokussierten Entwicklung der Rechtsprechung: Gebäudeschäden müssen klar auf Hangrutschungen zurückgeführt werden können. Bleibt eine Unsicherheit

7.2 System Recht

bezüglich der Ursache des Schadens, haben wir eine Situation wie auf Seite 96 beschrieben: Wenn natürliche Auslöser nicht ausgeschlossen werden können, ist keine eindeutige Zurechenbarkeit auf menschliche Entscheidungen möglich, sodass die Beschuldigten entlastet werden. Das System Recht braucht eindeutige Aussagen seitens der Experten, es ist somit auf Systeme in der Umwelt angewiesen, in diesem Fall auf die Wissenschaft. Denn nur Eindeutigkeit ermöglicht es, Entscheidungen Personen zuzurechnen. Damit verlagert sich die Problematik vom System Recht auf das System Wissenschaft.

In Kapitel 7.3.3 wird ausgeführt, welche Grenzen und Möglichkeiten in der Optimierung der Wissenschaft als Datenlieferant liegen.

Um Hangrutschungen als solche zu erkennen und sie klar von anderen Baugefahren wie zum Beispiel Setzungen, abzugrenzen68, werden in einem ersten Schritt Experten benötigt, welche ausreichend qualifiziert sind. Nimmt man an, dass es solche Experten gäbe und damit die Verursacher einer Rutschung eindeutig zu bestimmen sind (Mensch oder Natur), dann ist eine differenzierte Rechtsprechung im Sinne eines Naturgefahrenmanagements möglich.

Es ist anzunehmen, dass die Befürchtung für einen Schaden haften zu müssen, bei den Akteuren dafür sorgt, dass sie besonders vorsichtig handeln und damit Risiken minimieren. Haftungsrechtliche Aspekte würden damit letztendlich auch zur Risikovorsorge führen. Das Beispiel der Architektenhaftung zeigt jedoch deutlich, dass ein solcher Zusammenhang nicht bestehen muss (vgl.

Kapitel 7.2.2). Hier werden Risiken über den Verweis auf Programme zu Gefahren. Somit orientieren sich Architekten nur noch an der Unterscheidung

„einen Gutachter hinzugezogen/keinen Gutachter hinzugezogen“. Das Risiko wird somit aus Architektenperspektive zur Gefahr. Es wird auf ein anderes funktional ausdifferenziertes System verwiesen, welchem das Risiko auch nur insofern zugeschrieben werden kann, wie es innerhalb der eigenen

68 Vgl. hierzu die Unterschiede der Kommunikation über Hangrutschungen im System Wissenschaft in Kapitel 7.3.2.

7.2 System Recht

Programme (zum Beispiel der DIN) anschlussfähig ist. Liegt die Entscheidung außerhalb dieser DIN wird das Risiko wieder zur Gefahr beziehungsweise zum allgemeinen Lebensrisiko, welches niemandem als Störer zugewiesen werden kann. Die funktionale Ausdifferenzierung einer Gesellschaft etabliert also eine Verantwortungsstaffelung, die eine Entscheidung in viele Entscheidungen und deren Sequenzierung umwandelt (Luhmann 2006:139, Luhmann 2003: 205).

Dabei wird aus der Perspektive eines einzelnen Systems die Kontingenz so stark reduziert, dass das Risiko im Sinne einer bewussten Entscheidung auf nur eine einzige Unterscheidung reduziert wird. So muss der Ingenieur beim Erstellen eines Gutachtens lediglich darauf achten, dass er sich an die DIN hält. Alles andere ist nicht von ihm erwartbar und damit nicht mehr eine auf ihn zuschreibbare Entscheidung. Das Risiko ist dann für ihn zur Gefahr geworden. Aus Systemperspektive wird das Risiko damit handhabbar, aus Perspektive des Naturrisikomanagements jedoch zunehmend schwieriger. Zur besseren Veranschaulichung soll Abbildung 4 dienen:

Im Kontext von Hangrutschungsrisiken wird die DIN zur letzten Zuweisungsinstanz. Naturrisikomanagement kann genau da ansetzen und Einfluss auf die Überarbeitung der DIN nehmen. Wenn die

Verantwortungs-Abbildung 4: Verantwortungsstaffelung bei Hangrutschungsrisiken (eigene Darstellung)

Architekt Gemeinde

Gutachter

DIN

7.2 System Recht

staffelung letztendlich auf die DIN verweist, hat eine Veränderung der DIN große Effekte auf den zukünftigen Umgang mit Hangrutschungsrisiken.

Interventionen in bestehende Strukturen sind möglich, wenn neue Informa-tionen über mögliche haftungsrechtliche Konsequenzen existieren. So hat sich eine Kommune im Untersuchungsgebiet dazu entschieden, ein Gemeinde-grundstück in einer risikoexponierten Lage nicht mehr zu verkaufen, nachdem ihr dargelegt wurde, welche rechtlichen Konsequenzen dies mit sich bringen würde. Die Chancen-Risiken-Abwägung hat demnach in Richtung der Risiken ausgeschlagen. Dies stellt ein bemerkenswertes Moment dar, wenn man bedenkt, dass hier Wissen und Geld als Steuerungsmedien genutzt wurden, um Intervention zu betreiben.

Es kann festgehalten werden, dass haftungsrechtliche Aspekte nur dann vor-beugend wirken können, wenn es klare Risikozuschreibungen gibt. Falls diese durch Risikostaffelungen weitergegeben werden, hängt eine adäquate Behand-lung des Hangrutschungsrisikos von der Qualität der verschiedenen system-internen Unterscheidungen ab.

Der Fokus dieses Kapitels liegt auf den haftungsrechtlichen Aspekten. Eine vertiefende Darstellung dieses einen Rechtsbereichs zulasten anderer Rechts-bereiche ermöglicht den theoretisch-konzeptionellen Charakter dieser Arbeit zu erhalten.