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Widmungsträger

Im Dokument Joseph Lanner (Seite 97-103)

So wenig Lanner teilhatte am traditionellen Konzertleben der Stadt Wien, so fortschrittlich seine Kom-positionen und seine Arbeit mit dem Orchester war, an einem Detail hielt er fest: seine Werke wurden (zu einem großen Teil) gewidmet.

Widmungen spielten bis in Lanners Zeit eine wichtige Rolle für Komponisten: selbst Beethoven, der sich als freischaffender, selbstständiger Künstler verstand, konnte auf pflegliche Kontakte mit Wiens Adel nicht verzichten. Wo Einnahmen aus Konzerten unsicher, aus Verlagsgeschäften unregelmäßig waren, stellte die mit der Dedikation verbundene Zuwendung einen gewichtigen Posten im Haushaltsbudget dar.

Solcherlei Geschenke erfolgten nicht immer in Geld-, sondern häufig in Sachwerten. Mozarts Stolz über Uhren und Brillantringe stieß bei seinem Vater nicht immer auf Gegenliebe: „Du hast also eine goldene Uhr erhalten, die auf zwanzig Louis d’or geschätzt wird! Es wäre freilich gar besser, du hättest zwanzig Louis d’or als eine goldene Uhr, denn zum Reisen ist das Geld notwendiger, ja unentbehrlich.“243 Aus Lanners Leben sind Phasen von finanzieller Not nicht bekannt, die mit Widmungen verbundenen Geschenke dürften somit zwar seinem Selbstbewusstsein zuträglich, materiell unverzichtbar aber nicht gewesen sein.

Die Empfänger Lannerscher Widmungen lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: persönliche Freun-de, hochgestellte Persönlichkeiten aus Adel und Hochadel bis hin zu gekrönten Häuptern und Personen-gruppen, die entweder als Auftraggeber für das Werk fungierten oder zu denen Lanner eine besondere Beziehung hegte.

Vermerkt wurde die Widmung prominent auf dem Titelblatt der Klavierausgabe, sie war sogar Teil des Titels. In Partituren, Stimmenabschriften und -drucken steht sie nicht (in der Regel auch nicht bei Bear-beitungen für andere Formationen), woraus zu schließen ist, dass die Empfänger der Widmung zuweilen erst nach Vollendung des Werkes im Zuge der Drucklegung auserkoren wurden (bei Auftragswerken dürften sie von vornherein festgestanden haben).

Die frühen Werke tragen noch keine Widmungen, zu unbekannt war Lanner, als dass eine Dedikation beim Empfänger als Auszeichnung angekommen wäre. Erstmals wird der „Trennungs-Walzer“ op. 19 (April 1828) gewidmet (Fräulein Maria Seitz), dann tritt wieder eine Pause ein.

Opus 26 „Katharinen-Tänze“ ist „den Schönen gleichen Namens“ zugeeignet, also allen Trägerinnen des Namens „Katharina“. Eine solche Widmung war nicht ungewöhnlich bei einem Tanz, der für einen bestimmten Anlass, eben dem alljährlichen Katharinenfest (25. November) geschrieben wurde. Es ist der seltene Fall, wo die Widmung von Lanner in seinem erhaltenen Partiturautograph festgehalten wurde.

„Zauberhorn-Ländler“ op. 31 ist wieder einem Freund der Familie, Joseph Schmidt, dediziert. Schmidt war Trauzeuge bei Lanners Hochzeit.

„Redout-Carneval-Tänze“ op. 42 nennt erstmals eine adelige Dame als Widmungsträgerin: Sophie Grä-fin von Schönborn, geborene v. d. Leyen (siehe Werkverzeichnis). Ein komplizierter Vorgang musste in Gang gesetzt werden, wollte man Adel oder Könige als Widmungsträger beglücken: diskret wurde vorweg angefragt, ob eine solche Dedikation erwünscht und akzeptiert sei, anschließend wurde ein Exemplar

243 Leopold Mozart an seinen Sohn Wolfgang, der sich auf der Reise nach Paris befand, Brief vom 20. November 1777, zitiert nach: E. Müller von Asow, Gesamtausgabe der Briefe und Aufzeichnungen der Familie Mozart, Berlin 1842.

des Werkes überreicht und eine Geldbörse oder eine Sachzuwendung wechselte den Besitzer.244 Im Titel tauchen Formulierungen wie „ehrfurchtsvoll zugeeignet“, „hochachtungsvoll gewidmet“ etc. auf, je nach Rang des Widmungsträgers245, der Empfänger geruhte huldvoll anzunehmen.

Die „Devisen Redout-Cotillons“ op. 51 sind einem seiner engsten Gönner zugeeignet: August Corti, Be-treiber des Kaffeehauses im Volksgarten, für den Lanner jahrelang auftrat.

Mit op. 52 „Paradies Soirée Walzer“ beginnt eine lange Reihe adeliger Widmungsempfänger. Gräfin Eleonore (richtig: Eleonora) Fuchs geborene v. Gallenberg war mit Graf Wenzel Fuchs verheiratet, sie stand im Brief-wechsel mit Beethoven. Gräfinnen, Barone, sogar Erzherzoginnen finden sich in den nun folgenden Werken.

1832 wird erstmals eine Gruppe Widmungsträger: Lanner dediziert seine „Badner Ring’ln“ op. 62 ganz allgemein den „hochverehrten Gönnerinnen des hohen Adels“.

„Wiener Juristen-Ball-Tänze“ op. 70, im Karneval 1833 aufgeführt, dürfte von den „Gönnern der oben-genannten Gesellschaft“ in Auftrag gegeben und eventuell auf einem von diesen abgehaltenen Ball uraufgeführt worden sein. Die Fortsetzung op. 84., uraufgeführt am 28. Januar 1834 auf dem Gesell-schaftsball im Apollosaal ist ihrerseits „Den Herren Hörern der Rechte an der hiesigen Hochschule“

gewidmet. Opus 71, „Musen-Klänge“ nennt den akademischen Künstler-Verein als Widmungsträger.

Mit „Isabella-Walzer“ op. 74 ist Lanner in den höchsten Kreisen angekommen: Ihre Majestät Maria Isabella, Königin beider Sizilien, ist Widmungsträgerin und Namensspenderin zugleich. Schon die Rezension der Uraufführung nennt ihren Namen. Opus 85 macht die Fortsetzung, erstmals wird der Titel selbst zur Widmung: „Valses dediées à S. M. Marie Amèlie, Reine da la France“. Als Auszeichnung erhielt Lanner einen Brillantring.246 Walzer op. 101, Kaiserin Anna Maria Carolina gewidmet, sowie die Walzer op. 110 „S. M. Ferdinand II., König beider Sicilien, in tiefster Ehrfurcht gewidmet“, und op. 111

„I. M. der Frau Erzherzogin Maria Ludovica in tiefster Ehrfurcht gewidmet“ beschließen diese Serie, zu der auch „Hymens Feierklänge“ op. 115 (I. M. Maria Theresia, Königin beider Sicilien gewidmet) im weiteren Sinn gehört. Das Geschenk Maria Nicolajewnas für die Widmung des „Marien-Walzers“

op. 143, ein „kostbarer Ring, ein Rubin mit zahlreichen Diamanten besetzt, sehr geschmackvoll gefasst“, war der Theaterzeitung eine Erwähnung wert.247 Ein Jahr später wurde im gleichen Blatt sogar eine Aufstellung aller „Auszeichnungen, Hrn. Lanner betreffend“ gegeben, die nicht weniger als 17 Posten umfasste.248

Der „Jubel-Walzer“ op. 100 erinnert an den „Tag der Erbhuldigung“ (Kaiser Ferdinand I. führte am 14. Juni 1835 für Niederösterreich die Bezeichnung „Erzherzogthum Österreich unter der Enns“ ein).

Mit dem Walzer „Die Lebenswecker“ op. 104 wird wieder eine akademische Gruppe, die „Herren prakti-schen Mediciner“ bedacht. „Aesculap-Walzer“ op. 113 ein Jahr später ist ebenfalls ihnen zugeeignet.

Lanners Reisen führten zu Widmungsträgern, die zu seinem Publikum vor Ort gehört hatten: Mit

„Prometheus-Funken“ op. 123 bedenkt er die „biederen Bewohner Steiermark’s“, vor allem aber seine ungarischen Gastgeber werden belohnt: „Die Humoristiker“ op. 92 „Seinen Gönnern des Adeligen-Na-tional-Casino[s] in Pesth“, der „Pesther Walzer“ op. 93 gleich die ganze ungarische Nation („in tiefster Verehrung“) und „Abschied von Pesth“ op. 95 Gräfin Appolonia Belznay geb. v. Matkovitch.

244 Siehe auch: Lanner-Katalog S. 217ff.

245 Für alle Angaben siehe Werkverzeichnis.

246 Theaterzeitung 8. 11. 1834; für den „Elisabethen-Walzer“ erhielt Strauß ebenfalls einen Brillantring siehe Theaterzeitung 18. 11. 1834.

247 Theaterzeitung 29. 2. 1840.

248 Theaterzeitung 13. 2. 1841.

Die Liste der Widmungsträger wird ergänzt durch den russischen Zaren und die englische Königin (inte-ressanterweise finden sich ausgerechnet seine beiden eigenen Kaiser, Franz I. und Ferdinand I., nicht unter den Adressaten), den türkischen Botschafter ebenso wie den Geigenvirtuosen Ole Bull und nicht zuletzt durch die „Verehrer des unsterblichen Meisters“, nämlich Mozarts.

Eine Übersicht über die Persönlichkeiten, die von Lanner mit Werken bedacht wurden, zeigt uns einen Komponisten, der einen beachtlichen Freundeskreis hatte, der bei Adel und Königshäusern geschätzt und in der Gesellschaft gut verankert war. Mit Beethoven konnte und wollte er sich nicht vergleichen, doch seine Stellung in Wien und in den Kronländern war eine gefestigte und wohlwol-lend beachtete.

Titel

„Bald wird es unmöglich seyn, neue Namen für neue Walzer zu erfinden.

So sind erst wieder Rosalienwalzer, Loandli sittli, Schnepfen- und Schnellsegler-Walzer, und weiß der Himmel was noch für Walzer erschienen.“ 249

Seit Schöpfer von Kunstwerken aus der Anonymität treten und ihre Werke ihnen zugeordnet werden, werden sie von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Zunehmend stellt sich die Notwendigkeit der Bezeichnung ein, um Verwechslungen vorzubeugen. Musik, die nicht mehr nur für den unmittelba-ren Gebrauch geschrieben, sondern in Abschriften verbreitet und in Bibliotheken aufbewahrt wird, muss katalogisiert und inventarisiert werden. Dazu genügen Ordnungssysteme wie Enteilungen in Gruppen, Nummerierungen innerhalb derselben, oder die Vergabe von Opuszahlen.

Erst mit der Beschäftigung mit dem einzelnen Werk an sich, mit seinen Eigenheiten, die es abgrenzen von anderen der gleichen Art, entstehen Titel, Untertitel, vom Komponisten selbst verliehen, zunächst häu-figer aber von Zeitgenossen und Rezensenten zugeschrieben, die das Einzigartige, das Besondere durch einen Namen adeln. Sinfonie Nr. 41 ist eine unter vielen, „Jupiter-Sinfonie“ ist die eine unter den vielen.

Selten ist der umgekehrte Weg, dass eine Nummerierung oder eine Tonart gleichsam Synonym für ein bestimmtes Werk werden. Beethovens „Fünfte“, Mozarts „g-Moll-Sinfonie“ sind hier rare Beispiele.

Tanzmusik war Massenware, Fließbandproduktion, und als solche eines Namens nicht würdig. Angekün-digt wurde die Gattung – „Ländler“ oder „Deutsche“ oder „Menuette“ – zusammen mit der Anzahl der Einzeltänze innerhalb der veröffentlichten Serie (in der Regel sechs oder zwölf), Titel brauchte es nicht.

Tanzpaare fragten nicht nach dem einzelnen Werk, nicht nach dem Komponisten, eine Ballnacht musste gefüllt sein mit abwechslungsreicher und anregender Musik gleich welcher Herkunft und Bezeichnung.

Auch auf diesem Feld war Lanner, gemeinsam mit Strauß Vater, Pionier. Sein Opus 1 nannte sich be-scheiden noch „Neue Wiener Ländler mit Coda in G“, von Diabelli zusammen mit „Douze Valses pour le Pianoforte, composées par Eleonore de Contin, née Förster“ veröffentlicht, blättert man die „Wiener Zeitung“ der darauf folgenden Tage durch, so liest man Anzeigen von „Kirchweih-Ländler sammt Coda“

von Zakowsky neben „Zwölf neue Ober-Österreichische Ländler für zwey Violinen“ von Ecker usf. Ne-ben Tanzmusik dominieren „Fantasien“, „Rondeaus“, „Potpourris“ und Bearbeitungen von Opern. Kein einziges Tanzmusikwerk erscheint als singuläres, mit Titel gekennzeichnetes Werk.

In seinen ersten Tänzen blieb Lanner im vorgegebenen Rahmen, mit vorsichtigen Erweiterungen. Früh verweisen seine Werke auf Lokalbezug („Gowatschische Ländler“, „Jewatsdorfer Ländler“,

„Hollabrun-249 AMA 11. 9. 1830.

ner Ländler“, „Dornbacher Ländler“), auf Kirchweihfeste („Wiedner Kirchweih-Ländler“), auf Feiern von nationaler Bedeutung („Krönungs-Deutsche“), auf Gattungsursprung („Tyroler Ländler“, „Natio-nal Ober österreichische Ländler“). Bald schon werden einzelne Tänze mit bestimmten Anlässen und Begebenheiten verbunden, „Aufforderung zum Tanz“ nennt Webers Vorlage auch im Titel, der „Mit-ternachtswalzer“ erinnert an das legendäre Abschiedskonzert Pamers, „Terpsichore-Walzer“ huldigt der griechischen Göttin des Tanzes.

Mit diesen Namen begann Lanner strategisch Bezüge für das Publikum herzustellen: seine Werke wurden wiederholt nicht nur von ihm, sondern auch von anderen Kapellen gespielt, erstmals stellten sich Wie-dererkennungseffekte ein, seine Stücke wurden da capo verlangt, weil sie identifizierbar geworden waren.

Für die Verbreitung war somit ein Titel unverzichtbar geworden.

Wie bei den Widmungsträgern, so lassen sich bei den Werküberschriften Gruppen feststellen. Ortsbe-züge werden seltener, ohne ganz zu verschwinden. Dafür treten neue Namensspender auf: Auftraggeber, die indirekt in den Titeln angesprochen werden, Bezüge zu lokalen oder internationalen Begebenheiten, Verweise auf Persönlichkeiten. Am interessantesten sind die „poetischen“ Titel, welche uns auf heimliche Programme oder Stimmungshaltungen verweisen.

Zu den Auftraggebern zählten Juristen und Mediziner, ersteren sind die „Wiener Juristen Ball Tänze“

op. 70 sowie deren Fortsetzungen, u. a. „Themis-Strahlen“ op. 147 (Themis ist die griechische Göttin der Gerechtigkeit, vergleichbar der Justitia) gewidmet, die Mediziner erhielten anspielungsreich „Die Lebens-wecker“ op. 104, „Aesculap-Walzer“ op. 113 und „Lebens-Pulse“ op. 172, ob Lanner bei „Hygieia“-Galoppe op. 83 (Hygieia ist die Tochter Asklepios, des Gottes der Gesundheit) ebenfalls an seine Mediziner dachte (das Werk ist nicht gewidmet), ist unbekannt.

Technik – ein Bereich, an dem vor allem die Strauß-Söhne, unter ihnen besonders Josef, Interesse zeig-ten – war Lanner fremd, kam allenfalls am Rande vor. Eine der Aufsehen erregendszeig-ten Erfindungen, die Dampfmaschine, kommt im „Dampf-Walzer“ op. 94 (samt anschließendem Galopp) zu Ehren, das Titelblatt zeigt eine solche, in der Rezension hingegen wird gegen den Titel polemisiert: „Was soll der Titel ‚Dampfwalzer‘ bedeuten? Werden diese Walzer durch den Dampf getrieben, oder bereiten sie dem Tanzenden die Engbrüstigkeit, welche auch unter dem Namen Dampf bekannt ist? Welcher Witz liegt diesem Titel zu Grunde? Auf jeden Fall bleibt er ein unauflösbares Räthsel. Strauß trifft eine sorgfältigere Wahl bei seinen Titeln. So finden wir bei ihm: ‚Das Leben ein Tanz‘, ‚ein Strauß von Strauß’ etc. etc.; bei Lanner: ‚Bruder lauf oder Bruder spring‘, ‚der Wuadla‘ (!), ‚Gusto Ländler‘ oder ‚die Unwiderstehlichen‘, ein Titel, der nicht die Bescheidenheit eines Künstlers andeutet. Möge sich Hr. Lanner bemühen, seinen ideenreichen Compositionen poetische und mehr anpassende Namen zu geben!“250

Feste spielten eine große Rolle im Leben des Wieners, dort fand Lanner ausreichend Anlässe für Komposi-tionen. „Blumen-Fest-Ländler“ op. 23 ist nur einer unter den vielen, die auf die zahllosen Eröffnungsfeste im Frühling hinweisen, „Katharinen-Tänze“ op. 26 ist eine Verbeugung vor den zahllosen Namensfesten wie „Annen-Einladungs-Walzer“ op. 48 und „Sophien-Walzer“ op. 62.

Zahlreich sind die Werke, in denen der Titel auf zugrunde liegende Melodien oder ganze Opern als Ideenspender verweist, bis hin zu Hommagen an die Tänzerinnen Cerrito und Taglioni. Orte wie Pesth kommen zu Ehren, die Pressburger werden ebenso in Titel verewigt wie Grazer und Brünner, Petersburger und Neapolitaner hingegen sind Lanner nur im übertragenen Sinn begegnet.

Das 19. Jahrhundert war ein Zeitalter der Entdeckungen, Humboldts Weltreisen brachten auch einfache Europäer mit Völkern in Kontakt, die sie zuvor höchstens vom Hörensagen gekannt hatten. So wie die indischen Tempeltänzerinnen zogen Gruppen von „Osagen“ (ein bestimmter Indianerstamm aus Dakota)

250 Theaterzeitung 16. 2. 1835.

durch Europa, flinke Komponisten reagierten unmittelbar und schmückten ihre Tänze mit klangvollen Titeln: „Malapou“, „Osagen“ und „Amazonen“ benannte Lanner seine Galoppe.

Die Forderung des Rezensenten nach poetischeren Titeln erfüllt Lanner immer öfter. Götter und Helden der Antike wie Amor, Prometheus und Orpheus finden sich in Überschriften, zunehmend wird Lanner romantisch: „Die Romantiker“ op. 167 bezeichnen den Beginn einer Reihe von ausgedehnten Walzerpar-tien, in denen Lanner den Geist des Titels in Musik zu übertragen sucht. „Abend-Sterne“, „Les Adieux“,

„Ideale“ regten die Phantasie der Zuhörer an und schufen das Bild des gefühlstiefen Komponisten, über das in den Zeitungen breit berichtet wurde und über das im Folgenden noch zu sprechen sein wird.

Augenzwinkernd erinnerte Lanner auch an die gute alte Zeit, die in Wien ständig heraufbeschworen wird. Über den Geschmackswandel um 1839, 1840 mit Aufkommen der Quadrille und Renaissance des Menuetts wurde bereits gesprochen. Im „Roccoco-Walzer“ op. 136 erlaubte sich Lanner einen nostalgi-schen Blick zurück: „Sie erregten durch die Anklänge und das Hinneigen an ältere Compositionen, ein besonderes Interesse. Vorzugsweise ergetzte sich an ihnen die ältere Generation, die sich erinnerte, dass man vor dreißig und vierzig Jahren auch bei Wilde und Peh[sic]atschekschen Melodien im Schweiße des Angesichtes walzte, und bei den Träumen eines Haydn, Hummel und Mozart habe sagen können: das war classisch getanzt. Unserer jungen Tanzwelt aber, die ihre Geschichtsstudien auch am Bronnen Terp-sichorens zu schöpfen pflegt, ward es klar, dass man schon vor Erfindung des Strauß, Lanner, und der Dampfmaschinen gewalzt haben müsse, wenn es auch urkundlich nicht erwiesen wäre, dass die Wiener schon in der frühesten Zeit als ein Lebens- und Tanz-frohes Völklein bekannt gewesen.“251

Abgesehen von Titeln für ein ganzes Werk finden wir quasi Untertitel vor allem in Potpourris, wo ledig-lich die Originalquelle bezeichnet wird, fallweise eigentledig-lich überflüssige Hinweise dort, wo die Musik das Offensichtliche ausdrückt: in Lanners „Die vier Jahreszeiten“, einem nicht edierten Frühwerk, angelehnt an Vivaldi, kommen Regen, Jagd und Heuernte zu musikalischen Ehren. Rhetorische Formeln beherrsch-te Lanner wie jeder Komponist, späbeherrsch-ter verzichbeherrsch-tebeherrsch-te er auf solche Einzelereignisse und band sie in einen größeren Zusammenhang ein.

Ungeklärt und einer weiteren Erforschung harrend ist die Frage nach dem Anteil der Verlage an der Titel-wahl. Verlage waren geschäftstüchtig, waren sich daher der Wichtigkeit eines zugkräftigen, gut klingen-den Titels bewusst. Ob sie lediglich Vorschläge machten, ob sie gezielt Titel aussuchten, ob sie gar Titel erfanden, bevor es noch ein Werk gab, ist weitgehend ungeklärt. Hinweise darauf finden sich versteckt in Verlagsanzeigen und Rezensionen. Beliebt waren Ankündigungen am Beginn des Jahres für die folgende Carnevalssaison. Am 26. 12. 1837252 wurden neue Tänze für den Carneval 1838 angekündigt, immerhin schon der Galopp „Die Bestürmung von Constantine“ (der Titel bezieht sich auf die Eroberung der algerischen Stadt Constantine durch Marschall Valée am 13. Oktober 1837, das Ereignis wurde in zahl-losen Quodlibets nachgestellt, Lanners Galopp op. 127 trägt den genannten Titel). Unter „Walzer-Titel“

erschien am 2. 1. 1840 ein eigener Artikel, der „ … einen Blick in ihre [gemeint waren Strauß, Lanner etc.

Anm. d. V.] neuesten Compositionen für das Jahr 1840 …“ machen ließ. „Hui! da sieht es grausig aus“, fährt der Rezensent fort und zählt für Lanner auf: „einen Galop ‚Sturmschritt‘, ‚Draguerrotypen-Bilder‘,

‚Kommst du mir so, komm ich dir so!‘, ‚Liszt und Beriot‘“ usw.253 Ein Vergleich mit den tatsächlich ver-öffentlichten Werken zeigt, dass kaum einer der Titel unverändert überlebte.

Ein beliebtes Spiel bei Ballveranstaltungen war die „Titelwahl“. Einer noch unbezeichneten Novität wur-de per Los ein Titel zugewiesen, was manchmal zu eher merkwürdigen Ergebnissen führen konnte, was von Verlagen in der nachfolgenden Druckausgabe stillschweigend korrigiert wurde.

251 Theaterzeitung 19. 1. 1839.

252 Theaterzeitung 26. 12. 1837.

253 Theaterzeitung 2. 1. 1840.

In einem Punkt unterschied sich Lanner von seinen Mitbewerbern: das Spiel um vornehm klingende französische Titel machte er nie mit. Mit Ausnahme der Quadrille, die eine französische Gattung ist, sind nahezu alle seine Titel deutschsprachig. Dass der Urwiener Carl Bendl für seine Quadrillekompositionen sich in Charles Bendl verwandelte, so etwas wäre Lanner nie eingefallen. Ein Anbiedern an sein Publi-kum, in dem er seine Werke mit fremdländischen Titeln schmückte, hatte er nicht nötig.

Verlage

„Die Dansomanie muß ihren Culminationspunct erreicht haben, wenn das Ameisenheer von Tanzmelodien ununterbrochen Absatz findet,

welche fort und fort wenigstens allwöchentlich durch die Druckereipressen sich multipliciren.“ 254

In einer Zeit, in der Verlage fusionieren oder ganz schließen, wo Komponisten wie Autoren gezwungen sind, erhebliche Eigenmittel aufzubringen, wollen sie ihre Werke gedruckt sehen, erscheint uns das begin-nende 19. Jahrhundert wie das Paradies: Verlage kündigten Novitäten am Fließband an, ihre Annoncen erstreckten sich über mehrere Seiten, machten oft nahezu die Hälfte einer Zeitungsausgabe aus. Verlage waren Unternehmen, und viele florierten. Die Nachfrage muss groß und stetig gewesen sein, anders ließe sich das überquellende Angebot nicht erklären.

Viele der Namen sind heute nur mehr Spezialisten geläufig. Der Weigelsche Kunst- und Musikverlag, Mörschner und Jasper, Sauer und Leidesdorf, J. Bermann brachten regelmäßig Tanzmusik auf den Markt wie große renommierte Verlage, die Klassik ebenso im Programm hatten wie Salon- und Virtuosenmusik.

Drei Verlage insgesamt bemühten sich um Lanner:

Seine ersten gedruckten Kompositionen wurden von Diabelli herausgegeben. Anton Diabelli, 1781 in Mattsee geboren, Kompositionsschüler von Michael Haydn, ist als Komponist in Kirchenmusikkreisen, sein Name durch die „Diabelli-Variationen“ Beethovens einer interessierten Öffentlichkeit bis heute be-kannt. Als Hauptverleger Schuberts war er eine der wichtigsten Verlegerpersönlichkeiten Wiens am Be-ginn des 19. Jahrhunderts. 1818 war er in den Verlag Peter Cappi als Teilhaber eingetreten, ab 1824 nannte sich die Firma Diabelli & Co. Cappi trat aus, C. A. Spina folgte ihm nach, ab 1857 führte er den Verlag unter seinem Namen weiter. 1876 wurde der Verlag an August Cranz (Hamburg) verkauft.

Neben Kirchenmusikwerken bearbeitete Anton Diabelli Tanzmusik. In der „Wiener Zeitung“ vom 10. 2.

1824 wurden „Leopoldstädter-Theater-Tänze“ von Diabelli „bearbeitet und für das Pianoforte eingerich-tet“ sowie Ausgaben „für ein ganzes Orchester“ angekündigt neben Kompositionen von damals populären Tanzmusikern wie Faistenberger und Pamer.255

In den drei Jahren von 1825 bis 1827 erschienen insgesamt vierzehn Tänze Lanners bei Diabelli. Am Be-ginn des Jahres 1828 wechselte Lanner zu Haslinger.

Tobias Haslinger, 1878 in Zell geboren, übernahm 1826 den von Senefelder 1803 gegründeten und seit 1815

Tobias Haslinger, 1878 in Zell geboren, übernahm 1826 den von Senefelder 1803 gegründeten und seit 1815

Im Dokument Joseph Lanner (Seite 97-103)