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Flüchtige Lust

Im Dokument Joseph Lanner (Seite 117-121)

„Flüchtige Lust“ ist der Titel eines frühen Lannerwalzers (op. 46, aus 1830), mit „Flüchtige Lust“ war die große Lannerausstellung 2001 in Wien überschrieben.

Eine Liste der wichtigsten Komponisten Wiens in den Dreißiger-Jahren des 19. Jahrhunderts ernüchtert:

Beethoven und Schubert waren tot, die Werke des einen wurden vermehrt gespielt, die des anderen erst nach und nach in ihrer Bedeutung erkannt. Pianisten wie Thalberg und Moscheles komponierten auch, Hummel feierte Erfolge, eine Sinfonie Lachners gefiel und fiel sogleich dem Vergessen anheim. In der Oper dominierten Italiener und der deutsche Weber, sie alle kamen gerne für eine Einstudierung vorbei, keiner blieb. Namen wie Ries und Czerny, damals führend, sind heute Spezialisten nur mehr geläufig.

So bleibt das Paradox, dass ausgerechnet die Komponisten der Gelegenheitswerke, der Gebrauchsmusik bis heute gespielt werden. Seit Lanner und Strauß gibt es eine durchgehende Musikziertradition, ihre Werke sind zeitlos, auch wenn sie zeitweise durch die Kompositionen der nächstfolgenden Generation überschattet wurden.

Dass Strauß und Lanner das Musikgeschehen ihrer Zeit dominierten, war den Zeitgenossen bewusst, gab aber auch Anlass zu kritischer Betrachtung: „ … da die zwei echt genialischen Koryphäen der Tanzmu-sik, Strauß und Lanner, das Publikum Wiens seit längerer Zeit gleichsam an sich fesseln … entstand in manchen Freunden der Musik das Besorgnis, der Geschmack der Bewohner Wiens … dürfte sich nun ausschließlich diesem Zweige der Musik widmen.“299 Gänzlich unrecht hatten sie nicht: im sinfonischen Repertoire konnte Brahms erst wieder an Beethoven anschließen, gewichtige Opernuraufführungen fan-den in Deutschland, in Italien und an der Pariser Oper statt. Wien profitierte, war aber nie Vorreiter, weder bei allgemeinen noch bei spezifischen Entwicklungen. Schönberg und Mahler hatten Wien viel zu verdanken, waren aber Kosmopoliten, großteils unfreiwillig.

Der politischen Restauration im 19. Jahrhundert entsprach eine merkwürdige Parallelhaltung in der Kunst: nicht nur beschäftigte man sich mit früheren Komponisten und ihren Werken, man setzte ihnen Denkmäler, feierte Feste anlässlich der Wiederkehr von Geburts- und Todestagen, gründete Gesell-schaften und Stiftungen. Fruchtbringender waren die zaghaften Versuche, Editionen und Gesamtaus-gaben der bedeutendsten Tonschöpfer zu redigieren und zu drucken. Autographe wurden gesammelt, Abschriften zirkulierten und verbreiteten Geschichtsbewusstsein und Ahnung von Ruhm über den Tod hinaus.

Die noble Redoute, der kleine Hausball überdauerten die Wandlungen der Zeit, der Gesellschaft, trotzten Kriegen und Krisen. Gehobene Tanzmusik wird bis heute durch Strauß verkörpert, von dessen Glanz ein kleiner Schimmer auf Lanner fällt. Flüchtig wie das Vergnügen der durchtanzten Ballnacht ist der Geschmack des Publikums, ein heute berühmter Walzer hält einige Zeit sich im Repertoire der Tanzka-pellen, dann wird er unmodern und landet in den Archiven. Instinktiv erkannt hatte dies der Journalist der Theaterzeitung, der sich über die Wahl von „Monument-Walzer“ als Untertitel für den Walzer „Ab-schied von Pesth“ mokierte: „Das Leben ist nur ein Moment. Der Walzer ist auch nur einer!“300, gab er zu bedenken, „Monument als Leichenstein für die zukünftigen Bälle, denn nichts ist leichter verwöhnt, als ein Publikum!“

Dass Lanner heute kaum mehr gespielt und rezipiert wird, ist ihm am wenigsten anzulasten. Gerade noch

„Die Schönbrunner“ konnten sich neben „Donauwalzer“ (beider Komponisten populärstes, nicht bes-tes Werk) und „Fledermaus“ behaupten, Aufnahmen von Lannertänzen sind Raria, Rundfunkanstalten fühlen der Quote und nicht dem Kulturauftrag, aus dem sie ihre Finanzierung legitimieren, verpflichtet.

Vielleicht hätte Lanner sogar Verständnis gezeigt für die Kommerzialisierung der Musik: mitleidlos hatte

299 Theaterzeitung 21. 10. 1834.

300 Theaterzeitung 12. 2. 1835.

er seine Vorläufer beiseite gedrängt, selber sich stets neben Strauß behaupten müssen, seine eigene Exis-tenz auf kaum mehr als wenige Wochen geplant.

Flüchtige Lust verhießen Lanners Walzer, flüchtige Lust für wenige Stunden gewährten seine Bälle, seine musikalischen Unterhaltungen. Das junge, feurige Mädchen, das seine blühende Gesundheit lachend zer-nichtete, hatte mehr sich nicht erhofft als ein Vergessen für einige wenige Stunden, ein Hinwegträumen in eine bessere Existenz. Lanners Tänze gaben ihr eine Ahnung von einer anderen Welt, die ihr für immer verschlossen bleiben würde. Von ihr zu wissen, half ihr über bittere Stunden hinweg, nach ihr zu streben gab ihr neue Kraft. Ein Lächeln auf den Lippen, einen letzten Blick auf ihn, den poetischen Walzerdichter gerichtet, eine Ländlermelodie im Ohr, so ging sie ein in die Große Raststunde. Lanner als Begleiter im Leben und Sterben – flüchtig, doch ihrer würdig zugleich.

Im Folgenden wird eine Literaturauswahl geboten, weiters wird auf die in den Fußnoten zitierte Literatur verwiesen.

Lexika (Auswahl)

Otto Schneider – Tanzlexikon, Wien 1985.

Felix Czeike – Historisches Lexikon Wien, Wien 1992ff.

Constant von Wurzbach – Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Wien 1865.

Biographien Lanner

Fritz Lange – Joseph Lanner und Johann Strauß, Wien 1901.

Herbert Krenn – Lenz-Blüthen, Wien 1994.

Otto Brusatti – Joseph Lanner, Wien 2001.

Biographien anderer Tanzkomponisten

Frank Miller – Johann Strauss Vater, Eisenburg 1999.

Werkverzeichnisse

Alexander Weinmann – Verzeichnis der im Druck erschienenen Werke von Joseph Lanner, Wien 1948.

Max Schönherr – Lanner, Strauss, Ziehrer, Synoptisches Handbuch der Tänze und Märsche, Wien 1992.

Max Schönherr, Karl Reinöhl – Johann Strauss Vater, Ein Werkverzeichnis, London 1954.

Zeitungen

„Wiener Zeitung“, Jahrgänge 1825 und folgende.

„Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt“, hrsg. Adolf Bäuerle, Jahrgänge 1825 und folgende.

„Der Wanderer“, hrsg. Joseph Ritter von Seyfried, Jahrgänge 1825 und folgende.

Allgemeiner musikalischer Anzeiger, hrsg. Castelli.

Allgemeine Wiener Musikzeitung, hrsg. A. Schmidt.

Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, hrsg. Johann Schickh.

Kataloge

Flüchtige Lust, Katalog zur Lanner-Ausstellung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Wien 2001.

Allgemeine Untersuchungen zum Kultur- und Musikleben in Wien Norbert Linke – Musik erobert die Welt, Wien 1987.

Norbert Linke – Es musste einem was einfallen, Tutzing 1992.

Alice M. Hanson – Die zensurierte Muse, Musikleben im Wiener Biedermeier, Wien 1987.

Wendelin Schmidt-Dengler u. a. (hrsg.) – Paradoxien der Romantik, Wien 2006.

Eduard Hanslick – Geschichte des Concertwesens in Wien, Wien 1869.

Tagebücher und Reiseliteratur

Frances Trollope – Vienna and the Austrians; some Account of a Journey through Swabia, Bavaria, the Tyrol, and Salzburg, London 1838.

Ludwig van Beethoven – Konversationshefte, Leipzig 1968 und 1970.

Otto Erich Deutsch – Schubert, die Dokumente seines Lebens, Leipzig 1964.

Caroline Pichler – Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, München 1914.

Untersuchungen zum Tanz

Reingard Witzmann – Der Ländler in Wien. Wien 1976.

Einzeluntersuchungen

Philipp Fahrbach – Geschichte der Tanzmusik seit 25 Jahren, in: Wiener Allgemeine Musikzeitung, 20.

u. 25. 3. 1847.

Werkausgaben

Joseph Lanner – Gesamtausgabe (der Klavierfassungen), hrsg. Eduard Kremser, Wien 1888ff.

Joseph Lanner – Auswahl in: DTÖ Bd. 65, hrsg. Alfred Orel, Joseph Haydn – Gesamtausgabe der Werke, div. Tänze.

Wolfgang A. Mozart – Orchesterwerke, Serie IV, Gruppe 13, Abtlg. 1, hrsg. Marius Flothius, Kassel 1988.

Ludwig van Beethoven – Orchesterwerke, Shin Augustinus Kojima, Vorwort zum dritten Band „Tänze für Orchester“ der GA, Bonn 1980.

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Im Dokument Joseph Lanner (Seite 117-121)