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Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester

Im Dokument Joseph Lanner (Seite 40-43)

Dass Lanners Werke fast ausschließlich in Bearbeitungen für Klavier, allenfalls für kleine Besetzungen erhältlich sind, ist skandalös genug, trägt darüber hinaus zu einem Gutteil Schuld daran, dass der Or-chesterleiter und –komponist Lanner bis heute nicht hinreichend gewürdigt wird. Sein Schaffen ist in erster Linie in den zahllosen Klavierausgaben dokumentiert, also ausgerechnet in Bearbeitungen für jenes Instrument, das er selber nicht gespielt und für welches er nie komponiert hatte.

Vazierende Tanzmusiker traten in Kleinstbesetzungen auf, häufig solistisch131, manchmal als Duo oder Trio bei wechselnder Besetzung. Fast immer war eine Geige dabei, häufig unterstützt durch einen Bass, der den für den Tanz elementaren Rhythmus schrammte. In kleineren Räumen wären größere Besetzun-gen weder möglich noch (aus ökonomischen Gründen) erwünscht gewesen. Ein Tanzveranstalter musste für die Musik zahlen, Abrechnungen etwa für den Apollosaal belegen, dass die Tanzmusik einen der höchsten Ausgabeposten darstellte132.

Die zahllosen Ausgaben von Ländlern für Sologeige belegen, dass Tanzmusik nicht in Ensembles ge-spielt werden musste. Hausbälle wurden von Klavierspielern bestritten, mancher Pianist diente sich via Inserat als musikalischer Begleiter an. Andererseits konnte die Größe der aufgebotenen Tanzkapelle als werbewirksames Zugpferd in der Ballanzeige dienen, wie die diversen Annoncen „mit verstärktem Or-chester-Personale“133 beweisen. In der von Johann Strauß Vater besorgten Stimmenabschrift zu op. 24 („Eröffnungs-Walzer mit der wilden Jagd-Coda“) vermerkt dieser extra: „für ein grosses Orchester“. Ähn-liche Bezeichnungen (z. B. „für ein ganzes Orchester“) finden sich laufend. Lanners Manuskripte bzw.

Stimmenabschriften zeigen eine schrittweise Erweiterung seines Ensembles, andererseits wurde Johann Strauß Vater früh, 1827 (also in der Zeit seiner allerersten eigenständigen Schritte als Orchesterleiter) in den „Zwei Tauben“ mit 36 Orchestermitgliedern angekündigt134.

Unterschiedliche Aspekte müssen auseinander gehalten werden: eine Komposition stellte eine „idea-le“ Fassung dar, welche den Aufführungsumständen angepasst werden konnte. Ein Gartenfest, welches bei Schlechtwetter kurzfristig in geschlossene Räume verlegt wurde, erforderte nur mehr ein kleines Ensem ble. Der große repräsentative Ball oder ein Konzert in einem Gasthausgarten hingegen ließen eine größere Formation zum Einsatz kommen. Komponist zu sein hieß, zugleich flexibler Arrangeur sein zu müssen, jedes Werk musste in seiner Konzeption die Möglichkeit der Kleinstbesetzung zulassen. Johann Strauß Vaters Bratschenstimmen zu Lanners Frühwerken dokumentieren diese Adaptionen: ein

Klarinet-130 Theaterzeitung 20. 2. 1833.

131 „Bey dem ärmlichen Klange der Drehorgel tummelte sich rüstig paarweise alles im Tanze“, Theaterzeitung 14. 8. 1832.

132 Ein Beispiel für einen Ball bringt Hanson S. 185, die Datumsangabe macht allerdings stutzig, da Lanner 1824 mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht Eigenveranstalter war.

133 Diese und ähnliche Formulierungen finden sich in zahllosen Zeitungsanzeigen.

134 Der Wanderer, 4. 9. 1827, Ankündigung für den 5. 9., u. a. mit diversen Ouvertüren.

tensolo war durch die Bratsche zu substituieren, ein markanter Bläserakkord musste zwangsweise ersetzt werden etc135

Wie sich Formationen bildeten, ist weitgehend unerforscht. Man spielte zusammen (Lanner und Strauß möglicherweise bei Pamer), man ergatterte ein Engagement, für welches man befreundete Mitspieler an-warb. Der Veranstalter fragte nicht nach Details, solange die Tanzmusik garantiert war.

Fixpunkte ergeben sich aus den ersten Stimmenabschriften, die für Lanner vorliegen: drei Geigen und Bass bildeten das Gerüst, Bläser ergänzten die Formation. Zwei Klarinetten, zu denen bald eine Flöte (häufig mit Wechsel aufs pikante Piccolo) hinzutraten, zwei Hörner, die zugleich Trompete spielen muss-ten, bald eine weiterer Trompete, eine Pauke, die auch eine große Trommel bediente, versammelten sich um den Ensembleleiter Lanner, der stets die Primgeige spielte.

Für die Besonderheiten der Orchesterbehandlung sei auf das Kapitel „Instrumentation“ verwiesen. Lan-ner schrieb für eine solistische Formation, Ergänzungsstimmen für Streicher tauchen zwar fallweise auf, doch kann davon ausgegangen werden, dass die einzelnen Streicherpartien im Prinzip solistisch besetzt waren. Zeitgenössische Abbildungen sind keine große Hilfe, sie bilden das Orchester mehr oder weniger stilisiert ab, die realen Ensemblegrößen lassen sich daraus nicht ableiten.

Eigentümlichkeiten dieser Stimmenabschriften sollen zumindest am Rand erwähnt werden, wenn etwa Bass- und Paukenstimme auf dem gleichen Blatt notiert wurden, so musste zumindest ein räumlicher Zusammenhang bei der Aufstellung geherrscht haben. Aus einem Notenblatt können normalerweise bis zu zwei Musiker spielen, ob Dubletten frühzeitig verloren gegangen sind, kann nicht mehr nachgewiesen werden.

Zieht man die Größe der Säle, vor allem aber die Anzahl der Besucher mit in Betracht, so verwundern die geringen Musikerzahlen bisweilen. Der Apollosaal rühmte sich mit fallweise bis zu 3000 Besuchern auf der Tanzfläche. Kalkuliert man die Geräuschkulisse mit ein (dass in absolutem Schweigen getanzt wurde, lässt sich getrost ausschließen), so war bereits ein repräsentatives Orchester vonnöten, um den Lärm zu übertönen und eine gediegene Ballmusik zu garantieren. Bei Freiluftveranstaltungen (bei Kirtagen konn-ten leicht mehrere zehntausend Besucher die Garkonn-tenanlagen bevölkern) ergab sich die Notwendigkeit einer ordentlich besetzten Kapelle umso mehr136.

Lanner musste eine außergewöhnliche Persönlichkeit nicht nur als Geigenspieler und Komponist, son-dern vor allem alles Orchesterleiter und -erzieher gewesen sein. Tourneen mit einem ganzen Ensemble waren bis dahin nahezu unbekannt. Dass Johann Strauß Vater und Lanner mit ihren eigenen Ensembles quer durch Europa reisen und umjubelte Konzerte geben konnten, war ihrer unermüdlichen Arbeit zu verdanken, die ihre Orchester zu den besten Kapellen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte.

Schier unüberblickbar ist die Zahl der Zeitungsartikel, welche die Qualität der beiden Orchester rühmte (man muss die Fluktuation mit in Betracht ziehen: Strauß und mit Abstrichen Lanner hatten mehrere Formationen an der Hand, die wechselweise Reisen bestritten oder in der Heimatstadt verblieben). Gro-tesk ist das Missverhältnis zwischen den Aufführungen klassischer Musik und der so genannten Unter-haltungsmusik, wie sie Lanner und Strauß boten: Beethoven musste sich mit mühsam ad hoc zusammen-gestellten Orchestern begnügen, die mit seinen komplizierten Werken weit überfordert waren, während Lanner geduldig sein Repertoire einstudierte und so seine Musiker auf einsame Höhen brachte, die seinen Kompositionskollegen weitgehend verschlossen waren.

135 Details der Orchesterentwicklung lassen sich anhand des Werkverzeichnisses nachvollziehen, einen Überblick bietet Nor-bert Rubey, „Mit Gott - für ein ganzes Orchester componirt“ in: Lanner-Katalog, S. 77ff.

136 Die Namen einzelner Musiker, welche in einer der Lannerschen Formationen mitgewirkt hatten, nennt der Lanner-Katalog S. 178ff. Die meisten dortigen Angaben stützen sich auf „Illustrirtes Wiener Extrablatt“, div. Ausgaben von 1882ff.

Auf Tourneen war Johann Strauß Vater mit Lob überschüttet worden, eine Anerkennung, die in mindes-tens dem gleichen Maße seinen Musikern zukam wie ihrem gestrengen Anführer. Nach seiner großen Reise nach London und Paris war Strauß als Orchestererzieher unangefochten, wie ein Bericht in der Theaterzei-tung zeigt: „Es lässt sich aber nicht leicht etwas Exacteres und energischer Ineinandergreifendes denken, als dieses Orchester, welches mit Leib und Seele einem Zwecke hinstrebend, unter dem Winke seines genialen Dictators ein einziger Körper zu seyn scheint, und ich zweifle sehr, ob viele Musikkörper existiren, welche die schwierigsten Musikstücke, die delicatesten Compositionen, mit so schöner Nuancirung, mit solchem Licht und Schatten, so ganz im Geiste des Compositeurs, auszuführen im Stande sind, wie dieses Tanzmu-sik-Orchester, welches in Paris und London zur Mitwirkung bei den berühmtesten Concerten verwendet wurde. Hierher kommt, ihr strengen Rigoristen, ihr Musikenthusiasten in Folio, die ihr schreit: der Sinn für wahre Musik sey in Wien gänzlich erstorben, habe einem lautern Walzerdideldum Platz gemacht, die ganze Geschmacksrichtung sey verderbt, und die einzige und alleinige Schuld komme auf unsere Walzer-Reunionen, hierher kommt, sage ich, und hört Lindpaintners Ouvertüren zum ‚Vampyr‘, zur ‚Genueserin‘, zu Mayerbeers [sic!] Finale der ‚Ghibellinen‘ mit solchem Feuer, mit solcher Präcision ausführen, hört sie in einem Gasthauslocale mit allgemeinem Beifalle aufgenommen, mit noch größerem Beifalle wiederholt;

und dann sagt, dass der Geschmack für echte Musik erstorben sey!“137 Diese Eloge scheint umso berechtig-ter, als das Straußsche ebenso wie das Lannersche Orchester ein reines Privatunternehmen war, das sich auf dem freien Markt zu behaupten hatte und dabei die spärlichen professionellen Ensembles weit hinter sich ließ: „Durch die gründliche Reform seines Orchesters hat sich Strauß ein neues Verdienst um die Erheite-rungen der Residenz erworben. Er exequirt jetzt mit seinem trefflichen Personale nicht blos seine eigenen Compositionen, sondern auch fremde sehr schwierige Orchesterstücke mit solcher Reinheit, Präcision und Vollendung, wie man sie bei einem anderen Privatunternehmen dieser Art gewiß nicht wieder finden wird.“138 Zuweilen griff Strauß zu hoch, was ihm eine milde Rüge einbrachte, als er am 28. Mai 1841 neben den Ouvertüren von Aubers „Feensee“ und Donizettis „La Favorita“ sogar Beethovens 5. Sinfonie in c-Moll aufführte. „So löblich dieses Bemühen Strauß’s ist, dem gebildeten Publikum, das den Volksgarten an solchen Abenden, wo er spielt, zu huldigen, so präcis und vollendet die Executirung durch sein Orchester immerhin ist: die Aufnahme dieser Tonstücke lieferte den Beweis, man wolle sich im Freien lieber mit der heiteren Walzermusik befreunden. Möge dieser Wink zur Beachtung dienen, ohne dass damit gesagt seyn soll, das Strauß’sche Orchester könne größere Compositionen nicht aufführen; hat man doch im Gegen-theile den Beweis, dass sein trefflich organisirtes und eingeübtes Musikcorps manches größere Orchester schon zu Schanden gemacht hat.“139 Nicht eine mangelhafte Interpretation wird also gerügt, lediglich das Unpassende, eine solche Sinfonie im ungewohnten Rahmen zu bringen, wurde bemängelt. Sein Sohn Josef wird es sein, der Jahrzehnte später die Wiener sogar mit Wagners Musik vertraut machen würde.

Ungezählt sind die einschlägigen Zeitungsartikel, welche das Lannersche Orchester lobten. „Es ist eine Lust, wie diese Leutchen so unverdrossen und exakt zusammen spielen – o möchten sich doch andere hießige Musiker ein Vorbild daran nehmen!“140 Beide Dirigenten arbeiteten ernsthaft mit ihren Ensembles, über das bloße Zusammenspiel hinaus wurde der Orchesterklang gerühmt. Wer achselzuckend das „mindere“

Repertoire ins Treffen führen will, sei daran erinnert, dass Lanner und Strauß höchst anspruchsvolle Lite-ratur im Gepäck hatten: Ouvertüren von Rossini und Beethoven zählten ebenso zu ihren Standardwerken wie die diffizilsten Passagen in den Opernpotpourris. Und wer immer versucht hat, einen Lannerschen oder Straußschen Walzer nicht einfach herunterzuspielen, sondern ihm mit aller Raffinesse gerecht zu werden, der weiß, welch hartes Stück Arbeit dahinter steckt. Zieht man in Betracht, dass Lanner täglich Konzerte gab und bei Ballveranstaltungen stundenlang, bis in die frühen Morgenstunden aufspielte, dann bleibt das ungelöste Rätsel, wann eigentlich noch Zeit für die Einstudierungen geblieben sein kann. Mozarts Ouver-türe zu „Don Giovanni“ wurde den Musikern noch tintennass aufs Pult gelegt und ohne Probe zur Urauf-führung gebracht, Beethovens Sinfonien unter des Komponisten kaum souveräner Leitung mit einer halben Durchspielprobe der Öffentlichkeit vorgestellt – trotz der mangelhaften Ausführung erahnte das Publikum

137 Theaterzeitung 8. 5. 1839.

138 Theaterzeitung 27. 6. 1839.

139 Der Wanderer 2. 6. 1841.

140 Bericht über Konzerte Lanners im Theater in Baden, Theaterzeitung 6. 8. 1832.

die Größe der Werke. Lanners Walzer schlugen auf Anhieb ein, wurden bei der Erstaufführung mehrfach wiederholt. Seine Musiker dürften Stilsicherheit mit Flexibilität, professionelle Disziplin mit wienerischer Spielfreudigkeit verbunden haben, die den Erfolg der Novitäten garantierten.

Bühne – Podium – Balkon – Pavillon

Unsere Konzertsäle sind größtenteils nach dem romantischen Klangideal gebaut: schuhschachtelförmig, mit einem Podium an der Stirnseite. Akustik ist Glückssache, lässt sich annäherungsweise berechnen, erst der fertige Zustand offenbart Gelingen oder Katastrophe. Ansatzweise wurde im 20. Jahrhundert versucht, abweichend von der Standardform zu planen, kreisförmige Hallen entstanden, punktuell mit Publikumsreihen auch hinter dem Orchesterpodium. Räume, die ursprünglich anderen Zwecken gewid-met waren, wurden für Konzerte entdeckt, manche erstaunen durch ungeahnte akustische Qualitäten.

Die Aufstellung eines Ensembles oder Orchesters in einem Tanzsaal, einem Konzertsaal oder bei Freiluft-veranstaltungen bedarf nicht minder sorgfältiger Planung wie der eigentliche Programmablauf. Bei Tanz-sälen wird ein festes Podium, gerne erhöht, oft auf einem Balkon hoch über der Tanzfläche verwendet.

Abbildungen zeigen unterschiedlichste Konstruktionen, immer mit dem Stehgeiger in der Mitte, dessen Blick über die Tanzfläche schweift, während die Musiker angestrengt in ihre Noten starren. Gleich der Sakralmusik auf der Orgelempore der Kirche, wurde das Tanzorchester über das plebejische Geschehen erhöht, magisch drang der Klang von der Höhe. Die elysischen Gefühle wurden nicht nur akustisch erzeugt, der Dirigent gleich einem griechischen Gott der irdischen Sphäre entrückt. Das entzückte Pu-blikum hörte Lanner nicht bloß, nein, man sah ihn, sah sein magisches Geigenspiel. Lanners Wirkung beruhte auf seiner Ausstrahlung, über die weiter unten noch zu sprechen sein wird.

War das Orchester zu weit vom Tanzparkett entfernt, wurde die Musik vom Lärmen der Gäste übertönt.

Diesem Akustikproblem suchte man z. B. beim Umbau des Elysiums Herr zu werden: „Das Orchester ist nur noch um ein paar Stufen über das Parterre erhoben, wobei sich der Klang der Musik, nicht mehr wie früher verschlagen dürfte.“141

Bei Konzerten im Freien wurde ein kleiner Pavillon aufgestellt. Einerseits waren die Musiker vor dem Unbill des Wetters geschützt, der Pavillon bot auch einen optischen Anziehungspunkt. Potpourris lebten wiederum von z. Tl. bizarren Klangeffekten, Teile des Orchesters wurden in der gesamten Gartenanlage verteilt, mit Signalrufen von allen Seiten, Kanonenschüssen und Schlachtenlärm entwarf Lanner ein Klang-Raum-Konzept, das verlässlich für bewundernde Ovationen sorgte.

Im Dokument Joseph Lanner (Seite 40-43)