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Begegnet man heutigen Jugendlichen, kann man in der Regel davon ausgehen, dass sie durch und durch Familienmenschen sind. Familie, das heißt für Jugendliche jedoch vieles: verschiedene Varianten der Patchworkfamilie, die „klassische Form“, in der die Eltern verheiratet sind,

„Kleinstfamilien“ wie z.B. Familien mit einem Elternteil und einem Kind, usw. Unter Familie verstehen Jugendliche auch zukünftige Partnerschaften21 – auch wenn sie aufgrund von veränderten Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen relativ flexibel sein müssen.22 Diese relativ neue Vielfalt an Familienformen, die nicht selten von konservativen Kreisen aus Kirche und Gesellschaft als negativ abgestempelt wird, haben dem Stellenwert von Familie unter Jugendlichen keinen Abbruch getan:

„Im Gegenteil: Für Jugendliche 2010 ist die Familie so wichtig wie für kaum eine Generation

18 Vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 127.

19 Vgl. (http://www-static.shell.com/static/deu/downloads/youth_study_2010_press_release_140910.pdf abgerufen am 13.08.2012).

20 Vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 54. 128.

21 Vgl. ebd. 58.

22 Vgl. Gaiser / Gille, Jungsein heute, 67.

davor.“23, so die Shell-Jugendstudie. Auch Wohlbefinden und Zufriedenheit Jugendlicher hängen nicht von der Familienform ab. Aus der Shell-Jugendstudie geht klar hervor, dass es Jugendlichen wichtiger ist, dass „ihre Eltern Zeit für sie haben, einen demokratischen und wenig autoritären Erziehungsstil pflegen und dass die familiäre Situation nicht durch materielle Engpässe angespannt ist.“24

Thomas Gensicke differenziert noch einmal genauer: Nicht nur familiäre Bindungen sind Jugendlichen „heilig“, so der Autor, sondern ganz prinzipiell personell-soziale Bindungen, in denen Freundschaft, Verlässlichkeit und Vertrauen an oberster Stelle stehen. Diese Werte sind seit 2006 sogar angestiegen.25 Eine Grundhaltung, die in der vorliegenden Arbeit im Kapitel „Ethik und Gesinnung“ genauer beschrieben wird.

Am erstaunlichsten ist wohl die Tatsache, dass sich die Haltung gegenüber den eigenen Eltern stark verändert hat. So kann das Bild einer frühzeitigen, konfliktreichen Ablösung vom Elternhaus schon seit langem nicht mehr als prägendes Merkmal der Jugendphase herhalten. Bei gleichzeitigem Wunsch nach Eigenständigkeit wurde ein enger Bezug zu den Eltern festgestellt, der von einer partnerschaftlichen Beziehung geprägt ist. Dies schlägt sich auch in der positiven Bewertung des Erziehungsstils der Eltern nieder: 73% der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren gaben 2010 an, ihre eigenen Kinder „genauso“ oder „ungefähr so“ erziehen zu wollen, wie sie selbst erzogen wurden.26

An diese Stelle muss jedoch wieder ein großes „Aber“ gesetzt werden. Bei Jugendlichen aus einkommensschwachen Milieus zeigt sich eine entgegengesetzte Bewegung: „Waren 2002 noch 54% dieser Jugendlichen von der Erziehung der eigenen Eltern angetan, so sind es 2010 nur noch 40%.“27, so die Shell-Jugendstudie.

Positiv stimmt jedoch, dass zumindest eine große Mehrheit der Jugendlichen trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten mit ihren Eltern gut auskommt und sich ein entspanntes Miteinander für die meisten Jugendlichen, außer für die aus sozial schwachen Haushalten, sogar als Normalfall etabliert hat.28

23 Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 57.

24 Ebd.

25 Vgl. Gensicke, Wertorientierungen, 214.

26 Vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 63-64.

27 Ebd. 65.

28 Vgl. ebd. 66.

2.3.2 Schule/Ausbildung

Viele Jugendstudien weisen darauf hin, dass Jugendliche deutlich mehr Zeit mit schulischer und beruflicher Bildung verbringen als die Generationen vor ihnen. Durch ständiges Lernen und Erwerben neuer Abschlüsse muss Bildung jedoch in ihrem Wert erhalten bleiben, denn die gestiegene Bedeutung von Bildungsabschlüssen führt den Beobachtungen der Shell-Jugendstudie zufolge zu einer Art Inflation der Bildungstitel. So kommt es, dass das Ausbildungsniveau der Eltern von den meisten Kindern sogar übertroffen werden muss, wenn der Bildungsstatus erhalten bleiben soll. Heutige Jugendliche sind deshalb schon sehr früh mit der Frage konfrontiert, wie sie ihren Bildungsweg bzw. ihren Weg in das Berufsleben gestalten können. Dazu kommt noch, dass das Bildungssystem in Österreich und Deutschland nicht beliebig viele Möglichkeiten des Ausprobierens gewährt und Jugendliche in relativ kurzer Zeit Entscheidungen treffen müssen, die für ihre weitere Laufbahn langfristige Konsequenzen haben. Dieser Entscheidungsprozess beginnt in der Regel meist nach der Volks- bzw. Grundschule.Jugendlichen scheint es durchaus bewusst zu sein, dass in Zeiten unsicherer Beschäftigungsverhältnisse und hoher beruflicher Anforderungen gering qualifizierte Menschen wenig Chancen haben.29 Die Spannung zwischen großen Erwartungen an das eigene Leben aber ungünstigen Prognosen in Bezug auf das Gemeinwesen wollen sie laut Thomas Gensicke durch noch größere Leistung auflösen oder zumindest vermindern. Eine Aufgabe, die Jugendlichen durchaus Stress bereitet und zu ganz unterschiedlichen, mehr oder weniger produktiven Umgangsformen führt. Die bereits erwähnte Angst vor Arbeitslosigkeit bzw. die Sorge um einen eigenen Platz in der Gesellschaft, aber auch ehrgeizige berufliche Ziele sind oft Motor für Leistung aber auch für Leistungsdruck.30 Zu beachten ist dabei folgendes: „Nicht alle Jugendlichen können mit den Anforderungen in der Schule Schritt halten. Die Unsicherheit, den angestrebten Bildungsabschluss am Ende doch nicht zu schaffen, ist nur ein Indikator für den Druck, den Schule auf Jugendliche ausübt.“31 Wieder zeigt sich ein Milieu-spezifischer Unterschied: Während Jugendliche aus der Oberschicht den zu erreichenden Schulabschluss betreffend größtenteils zuversichtlich sind, ist es bei der Unterschicht eher umgekehrt. Dies führt bei diesen Jugendlichen unter anderem zu dem Phänomen, deutlich negativer in die eigene Zukunft zu blicken. Eines sollte ebenfalls hellhörig machen: Dinge auf sich zukommen zu lassen bzw. die Idee, dass sich in Bezug auf Beruf und Ausbildung schon was finden lässt, falls „Plan A“ nicht funktioniert, ist heutigen Jugendlichen tendenziell fremd.32

29 Vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 53. 71.

30 Vgl. Gensicke, Wertorientierungen, 187-188; Picot/Willert, Jugend unter Druck, 338.

31 Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit 76.

32 Vgl. ebd.

Fazit:

Begegnet man Jugendlichen in der Jugendpastoral oder in Jugendliturgien, muss bewusst sein, dass Schule in ihrem Leben eine ganz zentrale Institution darstellt und von ihnen vieles verlangt.Gerade die Liturgie hat an dieser Stelle die Ressource, ein „Anders-Ort“ zu sein, der frei vom Leistungsgedanken jede und jeden so willkommen heißt, wie sie oder er ist. Sie kann ein Ort der Stille sein, ein Ort des nachhaltigen Nachdenkens und In-sich-Kehrens, ein Ort des Dankes und der Bitte, ein Ort, an dem Jugendliche weder Star noch Genie sein müssen. Gerade was die ambitionierten Ziele Jugendlicher angeht, kann Liturgie auch ein Ort sein, an dem „Erfolg“ anders konnotiert wird, aber auch Enttäuschung über Misslungenes artikuliert werden kann.

2.3.3 Freizeit

Leistung, die hier Fleiß und Ehrgeiz voraussetzt, ist im Leben der Jugendlichen nicht alles: Aus den Studien geht hervor, dass Genuss und hedonistische Ansprüche bei Jugendlichen an gleicher Stelle wie die zunehmende Leistungsbejahung stehen.33

Es scheint, als würden sie „in einer Zeit, die ihnen immer mehr Qualifizierungsaufwand und Leistungsenergie abfordert die Freiräume der Lebensfreude sogar verteidigen“ 34 bzw. irgendwie unter einen Hut bringen wollen. Die Lösungen sind unterschiedlich und spiegeln sich in der Freizeitgestaltung der Jugendlichen wieder. Deutlich zu erkennen ist jedoch wieder der Milieu-spezifische Unterschied: „Während sich Jugendliche aus privilegierten Elternhäusern verstärkt mit Lesen und kreativen Tätigkeiten befassen und vielfältige soziale Kontakte pflegen, sind Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien vornehmlich mit Computer und Fernsehen beschäftigt.“35, so die Shell Jugendstudie. Die Nutzung des Internets ist jedoch in allen Milieus hoch im Kurs. So verbringen Jugendliche im Durchschnitt etwa 13 Stunden pro Woche im Internet.36 Gleichzeitig sind Jugendlichen sozial-personelle Bindungen sehr wichtig: So ist „sich mit Leuten treffen“ neben „im Internet surfen“ die häufigste Freizeitbeschäftigung.37 Dass es sich (auch) in Bezug auf die Freizeitgestaltung um eine unglaublich heterogene Gruppe handelt, ist bei genauerem Hinsehen deutlich erkennbar:

33 Vgl. Gensicke, Wertorientierungen, 200.

34 Ebd. 188.

35 (http://www-static.shell.com/static/deu/downloads/youth_study_2010_press_release_140910.pdf abgerufen am 15.8.2012)

36 Vgl. (http://www-static.shell.com/static/deu/downloads/youth_study_2010_press_release_140910.pdf abgerufen am 15.8.2012)

37 Vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 97.

Vier fast gleich große Gruppen lassen sich je nach Freizeitaktivitäten einteilen. Zu erwähnen ist an erster Stelle die „kreative Freizeitelite“, die gerne Bücher liest, Freizeitsport betreibt, gerne Dinge mit der Familie unternimmt und eine kreativ-künstlerische Ader besitzt. Disco, Shoppen oder Barbesuche stehen bei ihnen allerdings kaum auf dem Programm. Ganz anders die Gruppe der

„geselligen Jugendlichen“: Hier liegt der Schwerpunkt auf „Leute treffen“, Disco, Shoppen und Barbesuche. „Medienfreaks“, das sind eine Gruppe von Jugendlichen, die vor allem Fernsehen, Internet surfen, Musik hören, DVD's ansehen oder einfach nur „herumhängen wollen“. Bücher lesen, Familienunternehmungen starten oder sich mit Sport und Kreativem beschäftigen ist ihnen zum Großteil fremd. Die letzte Gruppierung nennt die Shell-Jugendstudie die „engagierten Jugendlichen“. Diese sind häufig mit Vereinssport und Freizeitsport beschäftigt, engagieren sich gerne in Projekten, spielen aber auch gerne Computer und treffen sich mit Leuten. Musik hören oder einfach nur „herumhängen“ tun sie weniger gern. Wer zu welcher Gruppierung gehört kann je nach Altersgruppe allerdings wieder wechseln.38 Auch das Geschlecht gibt hier in Bezug auf die Heterogenität Jugendlicher einen Aufschluss: „Fast jeweils ein Drittel aller jungen Männer sind engagierte Jugendliche (32%) und Medienfixierte (31%). Eher seltener lassen sich junge Männer als gesellige Jugendliche (20%) oder kreative Freizeitelite (18%) charakterisieren.“39

Hinsichtlich der sozialen Herkunft lässt ein Faktum erneut aufhorchen: Jeder zweite Jugendliche aus der Unterschicht lässt sich in die Gruppe „Medienfixierte“ einordnen – sie verbringen ihre Zeit also am häufigsten mit Fernsehen und Internet.40

2.3.4 Ethik und Gesinnung

Das weit verbreitete Bild, Jugendliche würden sich weder für Werte, Moral oder Politik interessieren, kann so nicht stehen gelassen werden.

Die Shell-Jugendstudie etwa zeigt, dass bei Jugendlichen ein klares Bedürfnis nach verbindlichen sozialen Regeln da ist und gesellschaftliche Beziehungen ihrer Meinung nach einer moralischen Regelung bedürfen.41 Neben Fleiß, Ehrgeiz und Leistungsstreben sind ihnen Werte wie Freundschaft, Verlässlichkeit und Vertrauen so wichtig wie selten zuvor.Thomas Gensicke folgert daraus selbstbewusst, dass die Mentalität der Jugend auf moralischen Grundfesten stehe.42

Traditionelle Tugenden sind also weder „out“, noch bedürfen sie offensichtlich einer jugendlichen

38 Vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, 98- 99.

39 Ebd. 98.

40 Vgl. ebd. 100.

41 Vgl. Gensicke, Wertorientierungen, 213.

42 Vgl. Gensicke, Wertorientierungen 226; Picot/Willert, Jugend unter Druck?, 340.

Rebellion.

Wolfgang Gaiser und Martina Gille folgern Ähnliches aus der DJI-Jugendsurvey: Das Werterepertoire Jugendlicher entspreche im Grunde ganz und gar „den Erwartungen der Gesellschaft nach Gemeinsinn, Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft“43, so Gille und Gaiser.

Auch die Sympathie für sozial-ökonomische Bewegung wie Umweltschutzgruppen, Friedensinitiativen und Menschenrechtsgruppen ist, zumindest für Deutschland gesprochen, unverändert sehr hoch, so die DJI-Jugendsurvey.44 Auch für Idealismus, sofern er „cool“ ist, würden sich Jugendliche schnell erwärmen lassen, so Thomas Gensicke von der Shell-Jugendstudie.45

Fazit:

Jugendliche lassen sich nach wie vor für Dinge begeistern, wenn sie ihren „eigenen Stil des Meinens und Tuns“46 dabei nicht aufgeben müssen. Denn auch schon die DJI-Jugendsurvey stellte fest, dass Bevormundung, Hierarchie, Vereinnahmung und unhinterfragbare normative Setzungen, gerade in Bezug auf Jugendpastoral, für Jugendliche eher abschreckend wirken.47 Ähnliches geht auch aus anderen Studien hervor: „Religiöse Signaturen heute“ wies schon 2003 darauf hin, dass Jugendliche persönliche Autonomie in religiösen Fragen unbedingt gewahrt wissen möchten. Nur so lassen sie sich auf kirchliche Angebote ein, „verweigern sich jedoch in dem Moment, wo sie sich vereinnahmt oder bevormundet fühlen.“48

Ethische, moralische, gesellschafts- und umweltpolitische Themen können demnach Jugendlichen ohne weiteres zugetraut werden – wieso nicht auch in Jugendliturgien? Wichtig dabei ist folgendes ganz besonders: Moralisierende, oberflächliche, den Aspekt der Selbstbestimmung ausschließende und die Lebenswelt nicht streifende Vermittlung sollte vermieden werden. Dies bestätigt sich im folgenden Kapitel über die Religiosität von Jugendlichen.

43 Gaiser / Gille, Jungsein heute, 71.

44 Vgl. ebd. 73.

45 Vgl. Gensicke, Wertorientierungen, 225.

46 Ebd. 211.

47 Vgl. Gaiser / Gille, Jungsein heute, 67.

48 Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 386.