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2.4 Religiosität

2.4.2 Typisierung jugendlicher Religiosität – ein Versuch

2.4.2.1 Fünf Typen – eine Darstellung

Die Studie „Religiöse Signaturen heute“ und Andreas Prokopf kam zu fünf Typen, welche die religiöse Orientierung Jugendlicher bzw. ihre Einstellungsmuster dazu beschreiben. In der vorliegenden Studie wurden 700 Jugendliche (davon etwa 70% römisch-katholische und etwa 30%

protestantische Jugendliche) im Alter von 16 Jahren zu ihrer Religiosität und ihrer Einstellung zu Glaube und Kirche befragt. Die Umfrage fand in mehreren Gymnasien in Unterfranken statt. Die Autoren machen darauf aufmerksam, dass eine echte Repräsentativität zwar nicht gegeben ist, die Ergebnisse trotzdem über sich hinaus weisen.84 Dabei gilt: Eine Bewertung der Gesamtheit scheint sinnvoller zu sein als die der einzelnen Typen. Darauf machen auch die Autoren der Studie

79 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 384.

80 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 9-11

81 Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 384.

82 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 195. 240-241.

83 Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 384.

84 Vgl. ebd. 54ff.

aufmerksam: Die Typisierung könne hilfreich sein, einen allgemeinen Überblick über die Strukturen der Religiosität zu geben, ersetze aber keine Einzelbefunde.85 Der Überblick zeigt dennoch allgemeine Tendenzen an, die für die Gestaltung von Jugend-adäquater Liturgie von Interesse sein können.

Typ1: Kirchlich-christlich

Jugendliche, die diesem Typus nahe stehen, – etwa 17% –, sind geprägt durch ein nahes Verhältnis zum christlichen Glauben, zu Kirche und Gottesdienst. Die Zugehörigkeit zur Kirche empfinden sie vor allem wegen der sozialen Beziehungen, die sich darin entwickeln können, als wichtig.86 Die Gemeinschaftserfahrung (etwa durch Gesang und Gebet) ist ihnen eindeutig wichtiger als der institutionelle Charakter von Kirche. Kirchlich-christliche Jugendliche sind jedoch trotz der höchsten Kirchenbindung unter den einzelnen Typen in Bezug auf Kirche weder unkritisch noch konservativ: Veränderungs- und Reformbereitschaft wird von ihnen ebenso eingefordert wie die Erweiterung der Rechte für Frauen in der Kirche. Auch der regelmäßige Gottesdienstbesuch wird auf seinen Inhalt und seine Qualität hin reflektiert. Dabei ist ihnen die Rücksichtnahme auf ihre Individualität und Persönlichkeit besonders wichtig. Ihr Glauben ist nicht in starre Formen gepresst, sondern sie sehen ihn vielmehr als in Entwicklung begriffen.87 Ein allzu enger Zusammenhang zwischen Kirche und Glaube wird außerdem abgelehnt.88 Trotzdem geben sie an, dass sie kirchlich vermittelte, traditionelle Glaubensinhalte als Halt und Orientierung gebend empfinden – auch wenn ihnen die Art und Weise der Vermittlung ab und zu langweilig erscheint. Auch das Gebet an und mit einem persönlichen, biblischen Gott, ist für sie selbstverständlich. Da verwundert nicht, dass die persönliche Beziehung zu ihm für diese Jugendlichen wichtigstes Ziel des Glaubens ist und dieser sinnstiftend und Hoffnung gebend wirkt. Kirchlich formalisierte Gebete halten sie tendenziell für langweilig. Gespräche über Religion haben bei diesen Jugendlichen jedoch einen stark existentiellen Charakter.89

In einem Punkt unterscheidet sich diese, relativ kleine Gruppe stark von den anderen: Religiöse Selbstbestimmung ist für sie weniger wichtig bzw. erheben sie keinen nachhaltigen Anspruch darauf.90

85 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 383.

86 Vgl. ebd. 390-391. 426.

87 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 205-226.

88 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 395.

89 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 188-216.

90 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 407.

Typ 2: Christlich-autonom

Sinnstiftend und Hoffnung gebend, so würden auch Jugendliche, die dem größten Typus

„Christlich- autonom“ (etwa 27% der befragten Jugendlichen) entsprechen, den Glauben an die von ihnen bezeichnete „höhere Macht“ beschreiben.91 Glaubensgemeinschaften betreffend sind sie jedoch deutlich kritischer eingestellt als die kirchlich- christlichen Jugendlichen: Kirche als Organisation wird von ihnen beispielsweise mit dem Argument abgelehnt, „dass Kirche mit Religion und Glauben nichts zu tun hat.“92 Die Zugehörigkeit zu dieser sei auch nur zufällig und die Heimatgemeinde ist im allgemeinen konservativ und unattraktiv, so die Grundannahme. Trotzdem wollen die meisten ihre eigenen Kinder später einmal taufen lassen – als eine Art Verwurzelung mit dieser bestimmten Tradition, die jedoch später ganz frei weiterverfolgt oder abgelegt werden darf.

Diese Jugendlichen besuchen in der Regel zwar selten einen Gottesdienst (dabei ist für sie die eigene Motivation maßgeblich), wenn jedoch besondere Gottesdienste mit attraktiven Inhalten angeboten werden, besuchen sie diesen. Für sie sind vor allem thematische Gottesdienste interessant – die allgemeine Liturgie wird als langweilig empfunden; ein wichtiges Ergebnis für die Jugendliturgie. Glaube muss für diese Jugendlichen vor allem persönlich relevant sein und wird auf dessen Verwobenheit im alltäglichen Leben hin reflektiert. Er besitzt für sie darüber hinaus durch die Beinhaltung moralisch-ethischer Normen das Potential, Alltägliches kritisch zu hinterfragen.

Jesus ist für sie demnach durchaus ein moralisches Vorbild, das zugleich fasziniert und provoziert.

So geben sie etwa an, dass seine Menschlichkeit beeindruckt und sein Schicksal empört. Ihr Gottesbild bleibt jedoch ganz bewusst abstrakt und unbestimmt. Sie reden eher von einer unpersönlichen, ungeschlechtlichen, im Verborgenen wirkenden „höheren Macht“, die im Inneren des Menschen angesiedelt ist.93 Der Immanenz Gottes messen sie sogar mehr Bedeutung zu als der kirchlich-christliche Typ.94

Für die Liturgie ist ein weiteres Ergebnis von besonderem Interesse: Ziel des Glaubens ist für diese Jugendlichen nämlich das Erleben von Sinn in einer Gemeinschaft.95 Aufmerksamkeit verdient auch, dass sie unter Gebet vielfältige Handlungen verstehen, etwa das Schreiben eines Tagebuchs an eine nicht bestimmte Instanz, das Gespräch mit Gott, aber auch Stoßgebete vor einer sportlichen Aktivität. Außerdem greifen sie gerne in Krisenzeiten auf das Gebet zurück.96 Dazu ist eines zu bemerken: „Das traditionelle Gebet, so wie es den Jugendlichen aus kirchlichen Bezügen oder als

91 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 216. 426.

92 Ebd. 220.

93 Vgl. ebd. 200-226.

94 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 392.

95 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 206.

96 Vgl. ebd. 192.

Abendgebet bekannt ist, besitzt für sie weniger Attraktivität als die individuelle Aufarbeitung des Alltags.“97, so der Autor. Dies gelingt ihnen offensichtlich gut in sakralen Räumen: Diese wirken auf sie anziehend, da sie Ruhe und Kontrast zum Alltag ausstrahlen und die Jugendlichen dort gut über ihr Leben und ihren Glauben nachdenken können.98

Typ 3: Konventionell-religiös

Im Mittelpunkt steht bei Jugendlichen, die diesem Typ nahe stehen (etwa 20 % der befragten Jugendlichen), ebenfalls die Gemeinschaftserfahrung. Dieses Sinn-gebende Gemeinschaftserlebnis stellt für sie auch das Ziel des Glaubens dar – ein Ergebnis, das in Bezug auf Jugendliturgie besondere Aufmerksamkeit verdienen sollte. Obwohl diese Gemeinschaftserfahrung positiv konnotiert wird, geben diese Jugendlichen mehrheitlich an, dass sie Kirche, Gottesdienst und Liturgie als langweilig empfinden und sie bei den spärlichen Gottesdienstbesuchen nur hingehen,

„weil es eben so Tradition ist“. Trotz allem geben sie an, dass kirchliche Traditionen wie Ritus und Gottesdienst, durchaus Orientierung geben, auch wenn Gebete öfters nur so „runtergesagt“

werden.99

Ihr Verhältnis zur Kirche bleibt jedoch auf weiten Strecken unverbindlich. Damit liegen sie im religiösen Mainstream, so die Studie „Religiöse Signaturen heute“. Eben deshalb werden sie als konventionell-religiös bezeichnet.100

Die Existenz Gottes wird von diesen Jugendlichen jedenfalls nicht in Frage gestellt, auch wenn die Abstraktheit ihrer Vorstellung so groß ist, „dass ein konkretes Gottesbild für diese Jugendlichen schwer möglich ist.“101 So reden auch sie meist von einer „höheren Macht“, die sie sich größtenteils männlich vorstellen, dann aber nicht weiter spezifizieren. Helfenden Einfluss für Menschen in Not, Sinn und Hoffnung vermittelnd und Lebensbedingungen verbessernd – das sind Attribute, die ihm zugeschrieben werden. So ist es nicht verwunderlich, dass auch diese Jugendliche angeben, ihre Kinder später einmal taufen lassen zu wollen.102 Dies deckt sich auch mit den Autoren der Studie

„Religiöse Signaturen heute“, die ebenfalls zu dem Schluss kommen, dass Lebenswenden von diesen Jugendlichen durchaus innerhalb der Kirche gefeiert werden wollen.103 Gebet in Krisenzeiten wird von ihnen durchaus angewandt. Über die Wirkung sind sie sich jedoch unsicher. Für die später

97 Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 192.

98 Vgl. ebd. 224.

99 Vgl. ebd. 203. 206. 426.

100 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute , 393.

101 Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 213.

102 Vgl. ebd. 194-216, 226.

103 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 400.

behandelte Bedeutung von liturgischen Räumen ist interessant, dass auch für diese Jugendliche Kirchenräume Schutz und Ruhe ausstrahlen.104

Typ 4: Autonom-religiös

Autonom-religiöse Typen (etwa 20% der befragten Jugendlichen)105 betrachten Kirche tendenziell stark institutionell und äußerst kritisch. Diese hat ihrer Ansicht nach keinen Bezug zu Glaube oder Religion und religiöse Erfahrungen, die sie in dieser gemacht haben, werden als negativ bewertet.

Die Heimatgemeinde wird als konservativ und die Gemeindemitglieder als langweilig empfunden.

Ihre eigene Zugehörigkeit zur Kirche ist für sie rein zufällig und ein Kontakt kaum vorhanden.

Doch der erste Eindruck darf nicht täuschen: Obwohl auch die Liturgie als langweilig empfunden wird und deshalb der Gottesdienst kaum besucht wird, heißt dies nicht, dass diese Jugendlichen nicht über Glaube und Religion nachdenken. Ganz im Gegenteil: Gespräche über Religion verlaufen sogar meist intensiv und existentiell. Auch nicht-christliche Religionen sind für sie attraktiv und helfen ihnen nach eigenen Angaben, ihren Alltag in einem anderen Licht zu sehen.

Explizit kirchlich-christliche Tradition und Bibel sind für sie jedoch Bereiche, mit denen sie wenig anfangen können. In Bezug auf Glaube und Religion steht die Autonomie im Mittelpunkt: Sie gehen in Abgrenzung von der Kirche ihren ganz eigenständigen religiösen Weg und entwickeln individuelle religiöse Glaubenskonzepte. Die religiöse Selbstbestimmung zeigt sich etwa im Gottesbild: Ein persönlicher Gott, dem man durch das Gebet nahe sein kann, ist für Jugendliche, die diesem Typ nahe stehen, zwar undenkbar, der Glaube an eine „höhere Macht“ bzw. eine verborgene Kraft ist jedoch existent.106 „Diese sei abstrakt, offenbare sich in der Natur und durchströme alles als Energie“107 so der Grundgedanke dazu. Ihre Glaubensüberzeugungen suchen sie ganz bewusst außerhalb der Kirche.108 Anders zeigt sich der Bezug dieser Jugendlichen zum Kirchenraum: Es ist für sie durchaus ansprechend, in diesem Raum „betend still zu werden“109, klarerweise aber nur dann, wenn darin gerade kein Gottesdienst gefeiert wird.110

Als wichtiger Hinweis für Liturginnen und Liturgen kann ein weiteres Ergebnis Prokopfs herangezogen werden. Dieses bezieht sich zwar auf den Religionsunterricht, ist aber für die Vorbereitung von Jugendliturgie von besonderer Relevanz:

104 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 188-192.

105 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 426.

106 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 192-213.

107 Ebd. 213.

108 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 400.

109 Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 226.

110 Vgl. ebd.

Jugendliche, die dem Typ „autonom-religiös“ nahe stehen (aber auch die Typen 1-3), haben eine stärkere Bereitschaft, am Religionsunterricht teilzunehmen, wenn dieser persönlich, existentiell und biographisch verankert ist.111 Diese Attribute sollten auch Verantwortliche von Jugendliturgien unbedingt beachten.

Typ 5: Nicht-religiös

Religion ist für Jugendliche, die diesem Typ nahe stehen, eine reine „Selbstkonstruktion“. Das heißt, dass Religion für sie „selbst gemacht“ ist und auf einer Illusion beruht. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Jugendlichen weder das Gefühl haben, dass ihnen Religion Orientierung geben könnte, noch dass Gott existent ist oder mit ihrem Leben etwas zu tun haben könnte.112 Dies bedeutet jedoch wiederum nicht, dass sie atheistisch im ideologischen Sinn sind oder gegen Religion ankämpfen: Religion ist für sie entweder irrelevant113 oder sie geben an, sich prinzipiell wenig Gedanken darüber zu machen.114 Sie sind auch die einzige Gruppe, die Religionsunterricht an Schulen ablehnt.115 Andreas Prokopfs nüchternes Ergebnis ist, dass für diese Jugendlichen kirchliche Tradition nicht nur langweilig und unerheblich ist116, sondern sie offensichtlich auch gar nicht auf der Suche nach irgendeiner religiösen Beheimatung sind. Diese Gruppe ist mit etwa 15% die kleinste. 117