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2.4 Religiosität

2.4.4 Bedeutung für die Jugendliturgie

Liturginnen und Liturgen müssen sich bewusst sein, dass Religion und Religiosität für Jugendliche tendenziell wenig Bedeutung haben: Gottes- und Glaubensfragen tangieren kaum ihren Alltag. Ein möglicher Zugang wäre, auf kreative Weise eine Tür für die religiöse Dimension der Wirklichkeit

120 Sellmann, Jugendliche Religiosität als Sicherungs- und Distinktionsstrategie im sozialen Raum, 28.

121 Vgl. ebd.

122 Ebd. 29.

123 Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 195.

124 Vgl. ebd. 195-219.

125 Ebd. 219.

126 Ebd.

zu öffnen. Dies sollte möglichst existentiell und persönlich geschehen und auf ihre Lebenswirklichkeit abgestimmt sein. Dazu eignen sich thematische Gottesdienste ebenso wie spezielle Events zu bestimmten Anlässen.

Für eine Jugend-adäquate Liturgie ist es nicht nur wichtig, über die Lebenswelt Jugendlicher Bescheid zu wissen, sondern sie bei der Themenfindung und der konkreten Gestaltung aktiv mit einzubeziehen.

Wie Andreas Prokopf aufzeigte, ist es bei der Themenwahl wichtig, diese auf ihre biographische Verankerung im Leben der Jugendlichen hin zu prüfen. Der Autor nennt hier Bereiche wie Fremdsein, Verunsicherung, Heimatlosigkeit oder Unruhe.127 Themen, die angesichts der Ängste und Sorgen, wie sie in der Shell- Jugendstudie aufgezeigt wurden, durchaus Anklang finden könnten, und – verbunden mit der christlichen Hoffnungsperspektive – beitragen können zu einer Sinn stiftenden Reflexion über das eigene Lebens.

Dabei ist eines ganz besonders zu beachten: Jugendliche müssen sich mit den Inhalten persönlich identifizieren können.128 Ein Grund mehr, sie in die Planung und Vorbereitung von liturgischen Feiern „von und für Jugendliche“ mit einzubeziehen.

Das Faktum, dass Jugendliche Religiosität größtenteils nicht in der Kirche suchen, sollte die kirchlich Verantwortlichen animieren, sich auf die Suche nach den Lebensthemen, den Ängsten und Sorgen, Freuden und Hoffnungen (Vgl. GS Kap 1) Jugendlicher zu machen. Auf die Einteilung in richtig und falsch, gut und schlecht sollte dabei verzichtet werden. Macht sich Kirche ernsthaft auf die Suche, kann die Relevanz von Glaube und Religion für Jugendliche leichter zugänglich werden.

Es zeigt sich ebenfalls, dass Jugendliche Religion dann als nützlich erachten, wenn sie dem eigenen Leben Orientierung gibt und konkrete Hilfestellungen anbietet.129 Dieses praktische nutzbar-Machen von Religion als Diesseitsbewältigung sollte in der Vorbereitung von jugend-gerechter Liturgie nicht außer Acht gelassen werden.130 Ebenso sollten Liturginnen und Liturgen Raum schaffen für eine Begegnung mit dem eigenen Selbst, dem eigenen Ich, denn gerade auf der Ebene

„wo das eigene Leben, die eigenen Antriebe zur Frage werden, dort wird Religion gesucht.“131, so Martin Sellmann.

Wie bereits verdeutlicht, verbindet ein Großteil der Jugendlichen dezidiert christliche mit eigenen religiösen Vorstellungen. Sie eignen sich Tradition an und entwerfen ihre eigene Haltung in diese hinein neu. Dieses Faktum darf nicht sofort als „Verwischung“ von Glaubenswahrheit oder

127 Vgl. Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 197.

128 Vgl. ebd. 195

129 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 386.

130 Vgl. Sellmann, Jugendliche Religiosität als Sicherungs- und Distinktionsstrategie im sozialen Raum, 37.

131 Ebd. 29.

Beliebigkeit abgetan werden. Es sollte als ernsthafter Versuch der religiösen Deutung und Erschließung von Welt und Wirklichkeit gewertet und als gemeinsamer Ausgangspunkt für das Sprechen über Religion hergenommen werden.

Die Gemeinschaftserfahrung ist für viele Jugendliche in Bezug auf religiöse Praxis von besonderer Wichtigkeit. Bei Jugend-adäquater Liturgie sollte dieser Sehnsucht nach dem „sich aufgehoben wissen“ in einem größeren Ganzen und dem bewussten Erleben von Sinn-stiftender Gemeinschaft unbedingt berücksichtigt werden. Grundvoraussetzung ist die Vermittlung des Gefühls von Willkommen sein von Seiten der Verantwortlichen.

Viele Jugendliche verbinden mit Kirche unflexible religiöse Gesetzmäßigkeiten und starre bzw.

wenig lebendige Glaubensformen.132 Dies kann mit liturgischen Feiern durchbrochen werden, die

- den Jugendlichen Freiraum, Autonomie und Selbsttätigkeit einräumen.

- ihr ästhetisches Empfinden in Bezug auf Musik, Raum oder Sprache Ernst nehmen.

- auf glaubwürdige und authentische Verantwortliche setzt.

- eine Sprache finden, die die Jugendlichen verstehen.

- weder vereinnahmend noch bevormundend sind.

- den Entkirchlichungsprozess und die damit verbundene Praxiskrise nicht den Jugendlichen zum Vorwurf sondern sich mit ihnen gemeinsam auf die Suche nach lebendiger Liturgie macht.

Ähnlich wie beim Reden über Religion und Glaube muss sich auch die Liturgie, speziell die Jugendliturgie, mit der Frage nach der subjektiven Relevanz im Leben der Jugendlichen auseinandersetzen. Erst wenn diese Relevanz, sei es auf der emotionalen oder der Vernunft-Ebene, erschlossen oder spürbar ist, kann Liturgie verwandeln oder bereichern. Erst dann ist ein volle, bewusste und tätige Teilnahme, wie es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat, möglich.

Ein weiteres, wesentliches Merkmal ist von Wichtigkeit: Glauben und Leben, Wort und Tat von Kirche selbst müssen nach Innen und nach Außen miteinander im Einklang stehen. Gute Liturginnen und Liturgen haben es selbst bei einer guten Vorbereitung schwer, „anzukommen“, wenn diese Balance von Seiten der Amtskirche in einigen wichtigen Bereichen nicht gegeben ist.133 Und: Liturginnen und Liturgen sollten sich gut auf die Rede von Gott vorbereiten. Ist diese geprägt durch ein „nur so ist es richtig, nur so sollst du es glauben“ kann mit einer großen Sicherheit mit der Abkehr der Jugendlichen gerechnet werden.

Dass viele Jugendliche mit dem biblischen Gottesbild wenig anfangen können, liegt meiner

132 Vgl. Ziebertz, Religiöse Signaturen heute, 386.

133 Hier ist der Umgang mit den Missbrauchsfällen in der röm. Katholischen Kirche nur ein Beispiel.

Vermutung nach eher an dem tendenziellen nicht Bescheid wissen über den Inhalt und die Botschaft der Bibel. Dass Gott auch aus christlichem Verständnis heraus immer „der ganz andere“ ist, sich nicht festmachen oder zu einem eingegossenen Bild machen lässt und wir wenn dann nur analog über ihn sprechen können, ist vermutlich nicht weit verbreitet. Ein Aufarbeiten und Sichtbarmachen der biblischen Gottesvorstellung könnte aufzeigen, dass auch diese durch unterschiedliche Herangehensweisen geprägt (Adlermutter, Ewiger, Allmächtiger, Vater, Mutter, „Ich bin der ich bin“...) und den (tendenziell abstrakten) Vorstellungen der Jugendlichen mitunter nicht ganz unähnlich ist. Denn auch sie scheinen vorsichtig zu sein, Gott ein allzu vorgefertigtes Bild zuzuschreiben.

Religiöse Tradition kann in liturgischen Feiern dann vermittelt werden, wenn sie sich „persönlich glaubhaft in den eigenen Erfahrungsbereich integrieren lässt.“134 Dazu bedarf es einer authentischen und glaubwürdigen Vermittlungsrolle. Liturginnen und Liturgen mit einer guten theologischen Ausbildung und dem Gespür für Gruppen (und Gruppendynamiken) sind gefragt, die im Reden und Tun authentisch bleiben.

Ein letztes Resümee in Bezug auf sakrale Räume: Liturginnen und Liturgen können sich m.E. nach trauen, liturgische Feiern in sakralen Räumen abzuhalten. Viele der befragten Jugendlichen gaben nämlich an, dass für sie der Kirchenraum Ort der Ruhe und der Besinnung ist. Diese Anders-Orte, die einen klaren Kontrast zu profanen Räumen haben, sollten in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden. Über die Bedeutung des Raumes näheres im Kapitel „Jugendliche Ästhetik und (Kirchen-)Raum“.

134 Prokopf, Religiosität Jugendlicher, 239.