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Lebenswelten in Bezug auf Ästhetik – Beschreibung der Sinus-Milieus

Die Milieu-Studie U27 hat die Lebenswelten Jugendlicher unter dem Aspekt der Sinus-Milieus untersucht. Unter Sinus-Sinus-Milieus sind jene Jugendliche zusammengefasst, „die sich in Lebensauffassung und Lebensweise ähneln, d. h. ähnliche Wertprioritäten, soziale Lagen und Lebensstile haben.“148, so die AutorInnen. Darüber hinaus gibt sie einen guten Einblick in die so genannte Alltagsästhetik bzw. in ästhetische Präferenzen von Jugendlichen.

Ziel der Studie war es, neue Zugänge und Blickwinkel auf junge Menschen zu bekommen und der Gefahr der Pauschalisierung, der Jugendliche immer wieder ausgesetzt sind, entgegen zu wirken.149 Die wichtigste Grundaussage der Studie liegt wohl darin, dass es „die Jugendlichen“ so nicht gibt.

Tobias Kläden macht darüber hinaus darauf Aufmerksam, dass die Studie für die Vielfalt an Lebenswelten heutiger Jugendlicher lediglich sensibilisiere. Außerdem mache sie deutlich, „dass Jugendliche keine homogene Gruppe darstellen und daher die Kenntnis von Milieudifferenzierung nötig ist […].“150, so der Theologe.

Auch die AutorInnen der Studie sind der Ansicht, dass gerade bei Jugendlichen „die Entwicklung und Ausformung der soziokulturellen (Kern)Identität“151 noch nicht fertig sei – weshalb sie eher von Milieuorientierung sprechen.152

Die folgenden zwei Abbildungen zeigen die Sinus-Milieus der 14-19 jährigen Jugendlichen und der 20-27 jährigen jungen Erwachsenen:153

148 Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 9.

149 Vgl. ebd. 12.

150 Kläden, „Wie ticken Jugendliche?“, 86.

151 Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 12.

152 Vgl. ebd.

153 Beide Grafiken entnommen aus: http://www.mpfs.de/fileadmin/Tagung2008/Charts/Calmbach.pdf [abgerufen am 28.1.2013].

In der ersten Abbildung sind die Lebenswelten der 14-19-jährigen Jugendlichen im Blick. Die soziale Lage wird anhand der Schulbildung dargestellt und die Grundorientierung teilt sich in A:

Traditionelle Werte (Pflichterfüllung, Sicherheit, Ordnung und Selbstkontrolle), B: Modernisierung (Materialismus, Genuss, Individualisierung, Postmaterialismus, und Selbstverwirklichung) und C:

Neuorientierung (Multioptionalität, Experimentierfreude, Leben in Paradoxien und Selbstmanagement) auf. Die Alters-spezifische Orientierung zielt bei Jugendlichen, die dem Bereich A nahe stehen, auf „Ein-Ordnung“ ab.154 Dies schließt „ein moralisch gutes Leben führen;

Anerkennung und soziale Einbettung; sicher und überlegen sein durch Klarheit und Entschiedenheit; sich nützlich und angenehm zeigen“155 mit ein. Modernisierung, Bereich B, ist in zwei Alter-spezifische Orientierungen aufgeteilt: Diese sind einerseits Geltung und andererseits (Anders) Sein.156 Unter Geltung versteht die Studie „Teilhaben an Lifestyle-Trends; modisch und

154 Vgl. Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 114.

155 Ebd.

156 Vgl. ebd.

modern sein, aber normal bleiben; das Leben heute genießen; Zukunft planen und ankommen.“157 (Anders) Sein inkludiert „Aufbrechen, etwas entdecken, anders und authentisch sein; eine starke und richtige Position finden; Kritik und Widerstand.“158 Der Bereich C, Neuorientierung, ist ebenso aufgeteilt: Einerseits in die „Adaptive Navigation“ („Eigene Chancen und Optionen suchen: offen und ehrgeizig, pragmatisch und flexibel sein; sich vielfältig andocken, wo es nützt“) und andererseits in die „Selbst- Exploration“ („Eigene neue Wege gehen, kreatives, mediales und synästhetisches Spielen mit Formen und Bedeutungen: neue (eigene) Perspektiven auf sich u. Welt (er)finden“)159.

Die beiden größten Gruppen sind die so genannten „Hedonistischen Jugendlichen“ und die

„Performer Jugendlichen“. Die Studie ergab, dass diese beiden Gruppen von der Kirche kaum angesprochen werden. Die Reichweite erstrecke sich nämlich den AutorInnen nach lediglich auf die traditionellen, die bürgerlichen und die postmateriellen Jugendlichen. Auch die Gruppe der konsum-materialistischen und der experimentalistischen Jugendlichen werden von der Kirche kaum bis gar nicht erreicht.160 Dies zeigt, dass der „Rekrutierungsschwerpunkt katholischer Jugendverbände“161 vorwiegend bei Gruppen mit relativ hohem Bildungsniveau und tendenziell traditionellen Werten liegt. „Die quantitativ größten Milieus (Moderne Performer und Hedonisten; auch Experimentalisten), die zusammen 65 % der Jugendlichen ausmachen, werden nicht oder nur singulär erreicht.“162, so die Studie. Dies liegt laut Ruth Huber und Markus Raschke vorwiegend an einer ästhetischen Exklusion – beispielsweise in Bezug auf Musik oder Sprache.163Matthias Sellmann plädiert deshalb zu Recht für eine Milieu-sensible Pastoral, die auch die Alltagsästhetik jener Jugendlicher in den Blick nimmt, die tendenziell kirchen-fern sind.164 Und das ist Christian Gentges nach eine große Mehrheit.165

Im nächsten Schritt werden die einzelnen Sinus-Milieus genauer erläutert.

157 Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 114.

158 Ebd.

159 Ebd.

160 Vgl. ebd. 25.

161 Ebd. 25.

162 Ebd.

163 Vgl. Huber/ Raschke, Das innovative Potential von Jugendkirchen, 118-119.

164 Vgl. Sellmann, Vorwort, 7-10.

165 Vgl. Gentges, „Lass mich lernen,...“, 84.

2.6.1 „Traditionelle Jugendliche“

Eine relativ kleine Gruppe (4% der befragten Jugendlichen) wird als „Traditionelle Jugendliche“

beschrieben. Die Eltern sind meist ebenso aus dem Milieu der Traditionsverwurzelten bzw. der so genannten Konservativen. Jugendliche, die diesem Typ nahe stehen, sind laut Studie eher in Realschulen, Gymnasien oder konfessionellen Schulen anzutreffen. Von der Erwachsenenwelt distanzieren sie sich kaum.166 Eher das Gegenteil ist der Fall: Deren hierarchische Muster und Moralvorstellungen werden „nicht nur klaglos akzeptiert sondern sind und bleiben Vorbild“167. An diversen Modeerscheinungen nehmen diese Jugendlichen eher wenig Anteil. Auffallend ist, dass ihnen Außer-Gewöhnliches (wie etwa exzentrisches Verhalten oder Personen, die anders denken oder aussehen) tendenziell eher suspekt ist.168 „Das Fremde“, so die Studie, „irritiert, sorgt für Unordnung, stört das Gefüge und Gleichgewicht, ist unvertraut, potentiell gefährlich, Konkurrenz für das Eigene.“169

Charakteristisch an dieser Gruppe ist vor allem die Kritik an der Auflösung traditioneller Werte. Der Lebensstil von traditionellen Jugendlichen ist oft bewusst anders als bei anderen Gleichaltrigen.170 So reichen beispielsweise ihre Hobbys der Studie nach „vom Basteln und Handwerken bis hin zum Lesen von Biographien großer Politiker, Helden und Heiligen – bei sehr Kirchennahen auch Enzykliken.“171 In ihrer Alltagsästhetik grenzen sie sich von der Popkultur und von diversen Subkulturen klar ab. Dies zeigt sich etwa in den Musikvorlieben: Volksmusik steht konkurrenzlos an erster Stelle. An zweiter Stelle stehen Schlager, klassische Musik und Musical. Dance, Electronic oder Weltmusik rangieren ganz unten. Interessanterweise haben traditionelle Jugendliche aus dem oberen Segment auch die größte Affinität zu Chormusik oder geistlicher Musik. Musik dient für Jugendliche, die diesem Milieu nahe stehen, einerseits zur Entspannung und andererseits zu Unterhaltung.172 „Häufig präferieren Traditionelle Jugendliche auch Musik mit deutschen Texten […].“173, so die Studie.

Die Vorlieben in Bezug auf Kunst und Kultur bleiben meist auf der Ebene des Klassisch-traditionellen: Werden beispielsweise klassische Werke modern interpretiert, wirkt dies tendenziell irritierend.174

166 Vgl. Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 119. 123.

167 Ebd. 121.

Traditionelle Jugendliche sind generell stärker in ländlichen Gegenden zu finden und zeigen unter anderem eine hohe Affinität zu Kirche und Vereinen. Dabei sind die Gemeinschaft von Gleichgesinnten und das soziale Engagement wichtige Komponenten.175 Obwohl Kirche „das unhinterfragte Fundament, auf dem sie stehen“176 zu sein scheint, äußern auch diese Jugendlichen Wünsche bezüglich Neuerungen an die Liturgie. So wünschen sie sich beispielsweise Predigten, die stärker auf ihre Alltagswelt eingehen und generell „peppiger“ [sic!] sind. Junge Menschen zwischen 20 und 27 Jahren betonen stärker den Wunsch nach Interaktion während eines Gottesdienstes.177 Generell ist aus der Studie abzulesen, dass sich die Haltungen junger Menschen aus dem traditionellen Milieu mit zunehmendem Alter meist verstärken.178

2.6.2 „Bürgerliche Jugendliche“

Jugendliche, die diesem Typus nahe stehen, sind laut Studie vor allem in Realschulen und Gymnasien anzutreffen – die soziale Lage ist also (wie auch in der Abbildung erkennbar) eine relativ hohe. „Teilhaben an Lifestyle-Trends; modisch und modern sein, aber normal bleiben; das Leben heute genießen; Zukunft planen u. ankommen“179 spielen laut Studie eine wichtige Rolle bei so genannten bürgerlichen Jugendlichen. Was meint die Studie damit konkret? Vielleicht ist dies an den Musikvorlieben am deutlichsten erkennbar. Diese liegen eher im „populären Mainstream“180, haben beim genauen Hinsehen trotzdem eine große Bandbreite. An erster Stelle stehen zwar Rock-und Popmusik, doch auch Country- Rock-und Westernmusik oder Musicals werden gerne gehört. Die AutorInnen stellen fest, dass an dieser Musik die Kombination aus Kraft und Romantik charakteristisch ist. Für die Jugendlichen ist es wichtig, dass die Musik das eigene Lebensgefühl spiegelt und man sich in sie hineinfallen lassen kann, wenn man beispielsweise traurig oder verliebt ist.181 Musik wird offensichtlich in ihrer Funktion als „Mood Management“182 gerne genutzt. „Für sie ist Musik Tanzmusik, Spaß, muss rhythmische Harmonie (eingängige Refrains) haben. Häufig hören sie Radio, also den Mainstream, von dem sich Postmaterielle und Experimentalisten gern – mit der Diktion (sub)kultureller Überlegenheit – abgrenzen.“183, so die Sinus- Milieustudie.

Die „Distinktion der Konventionalität“184 steht bei diesen Jugendlichen auch in anderen

175 Vgl. Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 142. 148.

176 Ebd. 147.

Lebensbereichen (Modestil, Zugehörigkeit zu Jugendkulturen,...)im Vordergrund.185

Die Jugendlichen, die dem Typus „bürgerlich“ nahe stehen, können der Studie nach noch eher als

„kirchennah“ bezeichnet werden. Obwohl Glaube eine tendenziell untergeordnete Rolle spielt, gibt es Überlegungen an einen „guten“ Gottesdienst: „Gruppenerlebnis, die eigene und nicht vorformulierte Sprache sowie die Atmosphäre mit Kerzen, modernen Liedern (begleitet von Gitarre, Schlagzeug, Querflöte) und vielen Symbolen, die man versteht: Das ist eine gute Kirche.“186

2.6.3 „Konsum-materialistische Jugendliche“

Jugendliche (aber auch junge Erwachsene), die der Studie nach der Kategorie „Konsum-materialistisch“ nahe stehen, kommen vorwiegend aus Bildungs- und einkommensschwachen Haushalten. Etwa 11% der Jugendlichen und 13% der jungen Erwachsenen befinden sich in dieser mitunter sehr schwierigen Ausgangslage.187 Die Ergebnisse der Studie decken sich vielfach mit denen der Shell-Jugendstudie, denn auch diese zeigt auf, dass Kinder mit geringem Bildungsniveau in der Regel aus Haushalten kommen, die ebenso tendenziell „bildungsfern“ und folglich (meist) einkommensschwach sind.188 So sind „Konsum-materialistische Jugendliche“ zumindest für Deutschland gesprochen beispielsweise eher selten in Gymnasien anzutreffen.189 Was versteht die Sinus-Milieustudie U27 nun genau unter „Konsum-materialistischen Jugendlichen“? Da die katholische Kirche laut Studie diese Jugendlichen kaum bis gar nicht erreicht190, kommt ihnen hier besondere Aufmerksamkeit zu.

Die spezifische Grundorientierung wird in der Sinus-Milieustudie folgendermaßen beschrieben:

„Häufig kommen diese Jugendlichen aus ´ungeordneten´ Familienverhältnissen. Zum Teil sind die Eltern (oder ein Elternteil) berufstätig mit bescheidenem Einkommen;

zum Teil aber sind beide Eltern – seit längerer Zeit/immer wieder für längere Zeit – arbeitslos und zu Hause. Diese Jugendlichen erleben keinen geregelten Tagesablauf mit festen Aufsteh- und Frühstückszeiten, dass die Eltern das Haus verlassen, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vielfach sind die Jugendlichen – auch wenn die Eltern zu Hause sind – auf sich allein gestellt, müssen ihre Schule, ihre Freizeit und Freundeskontakte selbst organisieren. Sie wissen oft nicht, ob und wann ihre Eltern

185 Vgl. Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 179

186 Ebd. 186.

187 Vgl. ebd. 210.

188 Vgl. Kapitel 2.1.2

189 Vgl. Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 210.

190 Vgl. ebd. 25.

zu Hause sind und ob sie sich um sie kümmern.“191

Jugendliche, die dem Milieu „Konsum-materialistisch“ nahe stehen, haben aufgrund ihrer schlechten Erfahrung oft eine starke Sehnsucht nach einer heilen, harmonischen Familie. (Dies ist vor allem bei Mädchen besonders stark ausgeprägt). Sie sind es auch, die relativ früh eine eigene Familie gründen wollen. Jungen sind dagegen tendenziell auf Selbstdarstellung und Anhäufung von Prestige-Objekten aus. Dahinter steckt meist ein sehr geringes Selbstbewusstsein und die Sehnsucht nach Teilhabe, Anerkennung und Aufstieg. Die Kluft, die sich zwischen diesem Wunsch und der Realität auftut, wird oft mit einem Marken-orientierten Konsumverhalten versucht zu überbrücken.

Häufig wird dieses Verhalten durch Idole aus der Musik-Szene (vorwiegend Hip-Hop) gestärkt, die es vermeintlich geschafft haben, ihrer misslichen Lage zu entkommen und nun in verschwenderischem Reichtum leben können. Fragt man Jugendliche nach ihren Zukunftswünschen, ähneln diese oft den Szenarien aus Hip Hop-Videos, in denen ein schönes Haus mit Pool, schnelle Autos und teure, modisch-sportliche Kleidung Usus sind. Ein schöner Körper und dessen Darstellung scheint außerdem bei beiden Geschlechtern ein wichtiges Thema zu sein.

Dabei ist es der Studie nach weniger wichtig, einen eigenen Stil zu haben, sondern das zu tragen, was eben gerade angesagt ist. Dies zeigt sich auch im Musikgeschmack: Gehört wird das, was in den Charts gespielt wird – Von Pop, Rock bis hin zu Hip Hop. Klassische Musik, Oper oder Weltmusik sind ihnen in der Regel fremd. Stilistische Provokation in Bezug auf Kleidung, Musik und dem allgemeinen kulturellen Bereich liegt ihnen eher fern. Vor allem Musik hat in erster Linie eher eine Vergemeinschaftungs-Funktion als eine distinktive: Es wird sich dem so genannten

„Mainstream“ angepasst. Offenheit gegenüber experimentellen Abweichungen ist kaum vorhanden.

Was Freundschaften betrifft werden diese meist im gleichen Milieu gefunden.192 Die Studie sagt dazu jedoch: „Man [die Jugendlichen] berichtet häufig von falschen Freunden und Menschen, von denen man ausgenutzt wurde. Entsprechend vorsichtig schließt man enge Kontakte.“193 Was ihre Freizeitgestaltung angeht gibt es wenig geplante Aktivitäten. Die Medienorientierung zeigt sich darin, dass (vor allem Jungen) angeben, in ihrer Freizeit hauptsächlich Computer-Spiele zu spielen.

Mädchen gehen nach eigenen Angaben lieber mit FreundInnen „shoppen“.194

Ein Ergebnis ist vor allem für die Jugendpastoral von Bedeutung: Verantwortung zu übernehmen ist für viele etwas Seltenes, aber etwas Besonderes, das sie mitunter sehr gerne tun. Ob in der Schule als StreitschlichterIn, MediatorIn oder Erste-Hilfe Beauftragte/r195 – „Hier übernehmen sie mit Stolz

191 Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 211.

192 Vgl. ebd. 210-227. 234.

193 Ebd. 225.

194 Vgl. ebd.

195 Vgl. ebd. 227.

die Verantwortung, da dies Dinge sind, die den Jugendlichen nahe liegen“196, so die Sinus-Milieustudie U27. Jedoch wird ihnen die Gelegenheit, „etwas bewegen“ und bei Entscheidungsprozessen dabei sein zu können, ihrer Ansicht nach meist verwehrt. So ist es nicht verwunderlich, dass Politik-Verdrossenheit typisch für diese Jugendlichen ist.197 Das meist geringe Engagement auf gesellschaftlicher Ebene scheitert einerseits an den Ideen, was man denn tun könne, und andererseits „ist ihnen bisher in ihrem Alltag keine Organisation über den Weg gelaufen;

niemand hat sie angesprochen oder ihnen solches [gesellschaftliches Engagement] praktisch erklärt.“198

Die katholische Kirche betreffend kritisieren sie in der Regel weder die Hierarchie, noch die grundlegenden Werte. Als „langweilig“ empfunden wird vielmehr die Art der Vermittlung und der Darstellung (etwa im Gottesdienst). Dabei schreckt sie nach eigenen Angaben vor allem das lange Sitzen auf harten Bänken, das Still-sein und das frühe Aufstehen ab.199 „Diesem Negativbild entgegen wünschen sich diese Jugendlichen eine moderne, mediale Aufbereitung des Gottesdienstes. Darin zeigt sich das für dieses Milieu charakteristische Vertrauen in die Attraktivität und Realitätskraft von Bildern.“200 Interessant dabei ist die religiöse Vorbildfunktion von Pop-oder Sportstars: Wenn sich diese verbal oder nonverbal – etwa durch ein für alle sichtbares Kreuzzeichen vor einem Sport-Turnier – zu Gott bekennen, wirkt dies auf diese Jugendlichen meist sehr beeindruckend.201 Diese Selbstinszenierungen, die vor jedem Spiel rituell wiederholt werden, wirken laut Studie „für sie aufgrund ihrer ästhetischen Ausdruckskraft viel eindringlicher, attraktiver, überzeugender und auch authentischer als die bekannten liturgischen Rituale“202, so die Sinus-Milieustudie U27.

2.6.4 „Postmaterielle Jugendliche“

Jugendliche, die dieser Kategorie nahe stehen (etwa 6%), kommen meist aus Elternhäusern mit gutem Einkommen und höherem Bildungsstandard und sind der Studie nach überwiegend GymnasiastInnen. Charakteristisch an dieser Gruppe ist ein starkes politisches Interesse mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und das Suchen nach einem übergeordneten Sinn in Bezug auf Weltanschauung, Engagement und Berufsorientierung.203 Dabei ist es ihnen wichtig, eine „eigene

196 Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 227.

197 Vgl. ebd.

198 Ebd.

199 Vgl. ebd. 228.

200 Ebd. 229.

201 Vgl. ebd.

202 Ebd. 230.

203 Vgl. ebd. 238-239.

Einstellung zu den Dingen um sich herum zu entwickeln“204, kritisch und weltoffen zu bleiben und ihrem Vorsatz „selbstbewusst zu ihren Eigenheiten und Meinungen zu stehen – auch wenn die Konsequenz ist, (zeitweise) isoliert zu sein“205 näher zu kommen. Diese Jugendlichen kritisieren oftmals die Konsum-orientierte Umwelt mit dem Vorwurf der Oberflächlichkeit und suchen selbst nach einer gewissen „Tiefendimension“ des eigenen Alltags. Dieser „Tiefendimension“ liegt etwa die Frage nach der Ursache des (als problematisch gesehenen) aktuellen Zustandes der Welt zu Grunde. Viele dieser Jugendlichen suchen nach plausiblen Erklärungen und entwickeln dabei der Studie nach oftmals starke, radikale Positionen. Dies zeigt sich etwa in ihren Berufsvorstellungen:

Die Verbindung von Sinn und Spaß, ohne den Anspruch auf eine überdurchschnittlich hohe Bezahlung, steht für sie im Mittelpunkt. Die Möglichkeit der Selbstverwirklichung, der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für Menschen und Welt wichtig sind, sind ebenfalls zentrale Grundpfeiler in Bezug auf ihre beruflichen Wünsche.206 Als Identitäts-stiftend erleben sie auch die Exploration fremder Kulturen: Hier können sie ihrem Interesse, „Neues für sich zu entdecken, „auf-und auszubrechen“ (im übertragenen Sinn) und über Vertrautes hinauszugehen [...]“207 nachgehen. Ihrer Offenheit und Wissbegierde steht gleichzeitig eine starke Abneigung gegenüber hierarchischen Strukturen oder starren Abläufen gegenüber. So verwundert es nicht, dass sie die katholische Kirche, die diese Jugendlichen als eben so erleben, meist ablehnen.208

Ihre Freizeit verbringen Jugendliche, die von der Studie diesem Milieu zugeordnet werden, vorrangig mit Lesen, Sport, Musizieren oder anderen künstlerisch-kreativen Tätigkeiten. Vor allem Musik nimmt in ihrem Leben meist eine ganz zentrale Stellung ein.209 „Sie ist Ausdruck ihres Lebensgefühls, ihrer aktuellen Befindlichkeit.“210, so die AutorInnen. Außerdem wird Musik nicht nur konsumiert oder zum Zweck der Entspannung gebraucht, sondern stellt eine gewisse Geisteshaltung dar. Musik muss ihrer Meinung nach eine „message“ haben und diese authentisch vermitteln können. Die Lieder wollen verstanden werden und mit dem Inhalt möchte man sich identifizieren können.211 „Musik“, so die Studie, „stellt somit einen wichtigen Faktor der (politischen) Identitätsfindung der Postmateriellen dar: Sie sehen ihr politisches Bewusstsein zu einem nicht unerheblichen Teil von Popmusikern und deren Texten beeinflusst.“212 Was den Musikgeschmack betrifft ist das Spektrum relativ breit: Er umfasst Rock bis Pop, Black Music

204 Bund der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor, Wie ticken Jugendliche?, 240.

205 Ebd.

(Blues, Soul, Funk) und Hardrock, aber auch Weltmusik, Reggae, Indie, klassische Musik oder Jazz. Tendenziell wird dabei auf „handgemachte“ Musik, die Authentizität vermitteln kann, Wert gelegt. Gegenüber allzu „kommerzieller“ Musik, die sich lediglich den allgemeinen Hörgewohnheiten anpasst, besteht eine gewisse Distanz.213

„Postmaterielle Jugendliche“ spielen außerdem sehr oft ein eigenes Instrument – eine Tätigkeit, die stark vom sozialen Hintergrund abhängt: „Postmaterielle Jugendliche profitieren hinsichtlich des Erlernens von Instrumenten deutlich von ihrem sozialen Hintergrund. Nach wie vor ist das Instrumentenlernen von einem hohen elterlichen Sozialstatus abhängig, welcher bei den Eltern Postmaterialistischer Jugendlicher in aller Regel gegeben ist.“214

Die Jugendlichen wurden auch genauer zum Thema Gottesdienst befragt:

Dieser wirke auf sie ihren Angaben nach meist steif und altmodisch. Aufschlussreicher sind ihre Wünsche an diesen: Mehr Lebendigkeit und Modernität ist gefragt.215 Jugendgottesdienste und Kirchbands „aber auch eine andere Nutzung des Gottesdienstraumes würde Gefallen finden.“216 Vor allem die als hart und starr beschriebenen Kirchenbänke, die vom Altarraum allzu sehr getrennt sind, wirken unattraktiv.217 „Das Idealbild einer Kirche ähnelt den Beschreibungen oder Erlebnissen von Taizé: warme Farben, bequeme Sitzmöglichkeiten und, dass Menschen einander zugewandt sind und nicht starr auf einer Bank sitzen und nur in eine Richtung schauen.“218, so die Grundhaltung. Kirchenräume, in denen die Bänke im Kreis um den Altar aufgestellt sind, machen beispielsweise einen positiven Eindruck.219

2.6.5 „Hedonistische Jugendliche“

Das Milieu der so genannten „Hedonistischen Jugendlichen“ ist mit 26% das größte, sinkt jedoch mit zunehmendem Alter. (Bei den jungen Erwachsenen beträgt das Milieu nur mehr etwa 16%.) Charakteristisch ist eine starke Spaß-und Erlebnisorientierung mit einer gleichzeitigen Abneigung gegenüber einem bevormundenden, autoritären, fremdbestimmten und „pädagogisch aufgeladenen“

Umfeld. So zeigen Jugendliche, die diesem Milieu zugeordnet werden, beispielsweise wenig bis gar kein Interesse an Schule. Trotzdem wissen auch sie, dass eine gute Ausbildung für spätere Berufschancen wichtig ist. Jugendliche, die diesem Milieu nahe stehen, besuchen der Sinus-Studie

Umfeld. So zeigen Jugendliche, die diesem Milieu zugeordnet werden, beispielsweise wenig bis gar kein Interesse an Schule. Trotzdem wissen auch sie, dass eine gute Ausbildung für spätere Berufschancen wichtig ist. Jugendliche, die diesem Milieu nahe stehen, besuchen der Sinus-Studie