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4 Internationales Umfeld

5.1 Rechtliche Qualifikation und Übertragung von Token

5.1.3 Qualifikation nach Kleid: Wertpapiere, Wertrechte und Bucheffekten

5.1.3.2 Wertpapiere

a) Definition und Entstehung von Wertpapieren

Wertpapiere sind wie erwähnt Urkunden, mit denen ein Recht derart verknüpft ist, dass es ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch übertragen werden kann.159 Im Wertpapier-recht ist nicht gesetzlich definiert, was unter einer Urkunde zu verstehen ist. Eine Legaldefini-tion des Urkundenbegriffs findet sich dagegen sowohl im Strafrecht160 als auch im Zivilpro-zessrecht161. Als Urkunden gelten dort Schriften, Zeichen, Aufzeichnungen und dergleichen, die geeignet sind, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen. Im Straf- und Zivilprozessrecht steht jedoch die Beweisfunktion im Vordergrund. Die Urkundendefinition ist deshalb für die Zwecke des Wertpapierrechts schlecht geeignet,162 ist die Beweiskraft doch nur eine der Funk-tionen, die ein Wertpapier erfüllen soll. Eine eigene Definition des Urkundenbegriffs wird weiter im Bereich der öffentlichen Beurkundung vorgenommen.163 Arbeiten zur Einführung öffentli-cher Urkunden in elektronisöffentli-cher Form sind im Gange.164

Auch im Wertpapierrecht scheint zumindest unbestritten, dass unter Urkunde nicht zwingend ein Blatt Papier zu verstehen ist. In der Lehre zum Wertpapierrecht werden Urkunden als Schriftstücke, die eine privatrechtlich relevante Erklärung enthalten165 bzw. Schriftstücke, die (rechtserhebliche) Gedanken kundgeben,166 bezeichnet. Herausgeschält werden die Ele-mente Erklärungsträger und eine damit verbundene Willensäusserung (bzw. Beschriftung, aus der sich eine Willensäusserung ergibt).167 Erklärung und Träger müssen dauerhaft, aber nicht untrennbar miteinander verbunden sein.168 Die Lehre anerkennt auch Speichermedien, die eine elektronische Aufzeichnung einer Erklärung enthalten, als Urkunden.169 Die Erklärung sei auch bei Speichermedien genügend dauerhaft mit dem Träger verbunden.170 Zu beachten ist aber, dass bei gewissen Arten von Wertpapieren eine eigenhändige oder zumindest nachge-bildete Unterschrift gesetzlich vorgeschrieben ist, so zum Beispiel bei den Aktientiteln171, bei den Warenpapieren172 sowie bei Checks und Wechseln.173

Ein Erklärungsträger wird durch Vereinbarung einer sogenannten Urkundenklausel zum Wert-papier. Diese besagt, dass die geschuldete Leistung nur gegen Vorlage des Papiers gültig erbracht werden darf oder muss (doppelseitige Präsentationsklausel bzw. einfache Wertpa-pierklausel). Weiter kann vereinbart werden, dass der Vorleger der Urkunde als rechtszustän-dig gelten soll (doppelseitige Legitimationsklausel bzw. qualifizierte Wertpapierklausel).174 Das

159 Art. 965 OR.

160 Art. 110 Ziff. 4 StGB.

161 Art. 177 ZPO.

162 Furter 2012: Vor Art. 965–1155 OR N 2.

163 Vgl. die Definition des Begriffs der öffentlichen Urkunde in Art. 55 SchlT VE-ZGB gemäss der Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates vom Dezember 2012 (abrufbar unter: https://www.ad-min.ch/ch/d/gg/pc/documents/2215/ZGB_Oeffentliche-Beurkundung_Entwurf_de.pdf; besucht am 07.09.2018): «Aufzeichnung rechtsgeschäftlicher oder prozessrechtlicher Erklärungen oder rechtserheblicher Tatsachen in einem Dokument durch eine dazu örtlich und sachlich zuständige Urkundsperson in einer vor-geschriebenen Form und in einem vorvor-geschriebenen Verfahren».

164 Vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 25. Mai 2016. Abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Aktuell > News

> 2016 (Stand: 18.10.2018).

165 Vgl. nur Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 6.; Kuhn 2016: Art. 965 N 19, je m.w.H.

166 Vgl. Petitpierre-Sauvain 2006: 15.

167 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 6; Furter 2012: Vor Art. 965-1155 OR N 2.

168 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 7; Furter 2012: Vor Art. 965-1155 OR N 5.

169 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 8 f.; Furter 2012: Vor Art. 965-1155 OR N 3; Kuhn 2016: Art. 965 N 20 OR.

170 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 8.

171 Art. 622 Ziff. 5 OR.

172 Art. 1153 Ziff. 1 OR.

173 Art. 991 Ziff. 8 OR, Art. 1096 Ziff. 7 OR sowie Art. 1100 Ziff. 6 OR.

174 Kuhn 2016: Art. 965 N 6. ff.

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Wertpapier entsteht durch Ausstellen der Urkunde und vertraglicher Vereinbarung der Urkun-denklausel. Diese Vereinbarung wird als Begebungsvertrag bezeichnet.175 Das verbriefte Recht kann entweder bereits bestehen oder mit dem Begebungsvertrag neu geschaffen wer-den. Der Begebungsvertrag ist im schweizerischen Recht nicht ausdrücklich geregelt; es ist davon auszugehen, dass er auch stillschweigend abgeschlossen werden kann.

b) Verbriefte Rechte

Der Verbriefung in Wertpapieren sind grundsätzlich alle obligatorischen Ansprüche zugäng-lich. Bei gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaften ist es nur dort möglich, wo das Gesetz es erlaubt, was aktuell nur bei der Aktiengesellschaft und der Kommanditaktiengesellschaft der Fall ist.176 Ein entsprechender numerus clausus herrscht auch im Sachenrecht, eine Verbrie-fung dinglicher Rechte ist nur beim Schuldbrief177 und dem Anleihenstitel mit Grundpfand-recht178 möglich.179 Bei Warenpapieren wird nicht das dingliche Recht an der Ware selbst, sondern der obligatorische Herausgabeanspruch auf die Ware verbrieft.180 Nach verbreiteter Definition handelt es sich bei einem Warenpapier um eine «wertpapiermässige Empfangsbe-stätigung für erhaltene, fremde Sachen, mit Verpflichtung, die Sache nur dem legitimierten Papierinhaber wieder herauszugeben.»181 Dennoch kann mit Übergabe der Warenpapiere das Eigentum an der Ware übergehen, da mit der Übertragung des Warenpapiers auch der mittel-bare Besitz an der Ware übertragen wird.182

c) Wirkungen der Verbriefung

Das Wertpapier erfüllt je nach Vereinbarung unterschiedliche Wirkungen. Man unterscheidet Wertpapiere des öffentlichen Glaubens (Inhaber- und Ordre-Papiere) und Namenpapiere:183

Namenpapiere (Rektapapiere): Die geschuldete Leistung darf und muss nur gegen Vorlage des Papiers gültig erbracht werden (doppelseitige Präsentationsklausel bzw.

einfache Wertpapierklausel).

Wertpapiere öffentlichen Glaubens: Die geschuldete Leistung darf und muss nur gegen Vorlage des Papiers gültig erbracht werden (doppelseitige Präsentationsklausel bzw.

einfache Wertpapierklausel). Zudem gilt der Vorleger der Urkunde als rechtszuständig (doppelseitige Legitimationsklausel bzw. qualifizierte Wertpapierklausel). Es werden zwei Unterformen der Wertpapiere öffentlichen Glaubens unterschieden:

Inhaberpapiere (Bsp. Inhaberaktien): Der Besitzer des Papiers gilt als rechts-zuständig.

Ordrepapiere (Bsp. Namenaktien): Der Besitzer des Papiers, der zudem im Pa-pier als Berechtigter oder dessen Rechtsnachfolger genannt wird, gilt als rechtszuständig. Die Rechtsnachfolge wird durch die sogenannte Indossamen-tenkette auf der Rückseite der Urkunde ausgewiesen.

Bei den Wertpapieren öffentlichen Glaubens kommt ein Verkehrsschutz zum Tragen, welcher sie traditionell umlauffähig machen sollte. Der Erwerber eines verbrieften Rechts wird in

175 Vgl. Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 261 ff.

176 Furter 2012: Vor Art. 965-1155 OR N 10.

177 Art. 842 ff. ZGB.

178 Art. 875 ZGB.

179 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 11 ff.; Furter 2012: Vor Art. 965-1155 OR N 8.

180 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 1512.

181 Oftinger/Bär 1981: Art. 902 N 4; weiter Christen/Hauck 2012: Art. 1153-1155 OR N 1; Ernst 2016:

Art. 925 ZGB N 2.

182 Vgl. Ernst 2016: Art. 925 ZGB N 3; im Einzelnen unten: Ziff. 5.1.4.3.

183 Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 253.

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nem Vertrauen auf die Verfügungsmacht des Veräusserers und in das verbriefte Recht ge-schützt.184 Grundlage dieses Vertrauens ist – entsprechend den dinglichen Rechten – die Pub-lizität.185 Die Rechtszuständigkeit sowie der Inhalt des verbrieften Rechts sollen von aussen erkennbar sein, weshalb man sich im Handel darauf verlassen kann. Dieser Verkehrsschutz ist bei Inhaberpapieren im Vergleich zum Fahrniseigentum sogar erweitert. Während eine Sa-che von einem nicht Berechtigten dann nicht erworben werden kann, wenn sie dem ursprüng-lichen Eigentümer gegen dessen Willen abhandenkam,186 ist ein gutgläubiger Erwerber von Inhaberpapieren auch in solchen Fällen in seinem Erwerb geschützt.187 In Bezug auf den Inhalt des verbrieften Rechts greift eine Einredebeschränkung.188 Der aus der Urkunde Verpflichtete haftet grundsätzlich für den durch die Urkunde erweckten Rechtsschein.189

Die Verbriefung von Rechten hat v. a. auch Auswirkungen auf die Übertragung dieser Rechte.

Diese erfolgt grundsätzlich nach den Regeln des Sachenrechts und nicht mehr nach den Re-geln, welche für das verbriefte Recht anwendbar wären.190

d) Token als Wertpapiere de lege lata?

Im Positionspapier der Blockchain Taskforce zur rechtlichen Einordnung von ICOs wird die Ansicht vertreten, dass Token bei einer teleologischen Auslegung des Wertpapierbegriffs als Wertpapiere qualifiziert werden können.191 Token werden dabei zusammen mit der Blockchain (als öffentlich zugänglicher Datenbank) als Erklärungsträger qualifiziert.192 Token seien geeig-net, eine Erklärung festzuhalten und seien mit der Blockchain dauerhaft verbunden. Die Block-chain könne damit die gleichen Funktionen erfüllen wie eine herkömmliche elektronische Ur-kunde oder PapierurUr-kunde. Token enthielten eine Inhaberklausel, da ersichtlich sei, dass nur der Inhaber des Private Keys das im Token «verbriefte» Recht geltend machen könne.193 Schliesslich sei auch ein Besitz und damit eine Besitzübertragung an einem Token denkbar, da diese Begriffe bei teleologischer Auslegung digital zu verstehen seien.194 Wie ein Besitzer übe der Inhaber eines Private Keys tatsächliche Gewalt über einen Token aus. Bereits im Positionspapier wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Auslegung mit Rechtsunsicher-heit verbunden ist. Die Blockchain Taskforce verzichtet in ihrem White Paper denn auch da-rauf, sich dieser Position anzuschliessen. Dies aufgrund von «mangelnder Rechtssicherheit resp. fehlender Gerichtspraxis».195

Tatsächlich ist ungewiss, ob sich ein Gericht dieser Auffassung anschliessen würde. Fraglich ist bereits, ob bei einem Token tatsächlich von einer mit einem Träger verbundenen Erklärung ausgegangen werden kann. Im Regelfall besteht ein Token nur aus einem Eintrag in einem digitalen Register und es liegen somit nicht zwei verschiedene Elemente, die miteinander ver-bunden sind, vor. Auch ist fraglich, ob die Besitzesregeln tatsächlich entgegen der herrschen-den Lehre digital ausgelegt werherrschen-den können und somit auf das Element der Körperlichkeit ver-zichtet werden kann. Wie bereits bei der rechtlichen Qualifikation von Daten dargelegt wurde, ist das Element der Körperlichkeit für das geltende Sachenrecht nach wie vor zentral.196 Auch das Wertpapierrecht fusst auf der Vorstellung, dass Wertpapiere greifbare Gegenstände sind,

184 Vgl. Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 326 ff.

185 Vgl. Ziff. 5.1.2.4.

186 Art. 934 ZGB.

187 Art. 935 ZGB.

188 Art. 979 OR; Art. 1146 OR.

189 Vgl. Meier-Hayoz/von der Crone 2018: Rz. 366.

190 Vgl. dazu Ziff. 5.1.4.3.

191 Vgl. Blockchain Taskforce 2018b: 6 ff.; so auch Weber/Iacangelo 2018: Rz. 7 ff.

192 Blockchain Taskforce 2018b: 6 f.

193 Blockchain Taskforce 2018b: 8.

194 Blockchain Taskforce 2018b: 10 f.

195 Blockchain Taskforce 2018a: 21.

196 Vgl. Ziff. 5.1.1.1 und Ziff. 5.1.2.4.

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mit denen Rechte verkörpert bzw. versachlicht werden können.197 Die besonderen Regeln des Wertpapierrechts beruhen mit anderen Worten auf der Verbindung eines nichtkörperlichen Rechts mit einem körperlichen Gegenstand. Der Wertpapierbegriff erscheint damit der Digita-lisierung nicht ohne Weiteres zugänglich.198