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6 Finanzmarktrecht

6.6 Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG)

6.6.5 FIDLEG-Pflichten bei einem ICO

Aufgrund der in Ziffer 6.6.4 gemachten finanzmarktrechtlichen Einordnung eines ICOs können bei der Durchführung desselben gewisse Pflichten aus dem FIDLEG für das Unternehmen relevant sein. Nachfolgend wird auf diese Pflichten näher eingegangen.

6.6.5.1 Prospektpflicht nach Artikel 35 ff. FIDLEG

Der Prospektpflicht unterliegen Anbieter von Effekten im Sinne von Artikel 3 Buchstabe b FIDLEG und jene Personen, die um deren Zulassung zum Handel auf einem Handelsplatz gemäss Artikel 26 FinfraG nachsuchen. Ausgelöst wird die Prospektpflicht entweder durch ein öffentliches Angebot, wie es in Artikel 3 Buchstabe h FIDLEG definiert wird677 oder durch ein Gesuch um Zulassung zum Handel auf einem Handelsplatz.

Im Rahmen eines ICOs ist in erster Linie der Primärmarkt von Relevanz. Wenn ein Unterneh-men durch Mitteilung an das Publikum gelangt, wobei die Mitteilung die für den Kauf oder die Zeichnung von Token als Effekte ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und den Token selber enthalten muss, dann handelt es sich um ein öffentliches Angebot, wel-ches entsprechend die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts auslöst, es sei denn, das Angebot falle unter die Ausnahmeregelung gemäss Artikel 36 ff. FIDLEG.678

6.6.5.2 Inhalt des Prospekts nach Artikel 40 ff. FIDLEG

Der Inhalt des Prospekts soll dem Schutzzweck der Prospektpflicht entsprechend in leicht ver-ständlicher Form und so objektiv und aktuell wie möglich alle Angaben zum Emittenten, zum Garantiegeber und zur Effekte enthalten, um der Anlegerin und dem Anleger einen Anlageent-scheid in voller Kenntnis der Sachlage und der Anlagerisiken zu ermöglichen.

674 Art. 58 FIDLEG und Art. 60 ff. FIDLEG.

675 Vgl. dazu Ziff. 6.6.5.4.

676 Botschaft FIDLEG/FINIG, 8948.

677 Vgl. Ziff. 6.6.4.3.

678 Vgl. Ziff. 6.6.5.3.

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Darzustellen im Prospekt sind Angaben zum Emittenten – oder zu allfälligen Garantiegebern bei Emissionen von Forderungspapieren – gemäss Artikel 40 Absatz 1 Buchstabe a Ziffern 1–

4 FIDLEG insbesondere betreffend:

– die Organe, wobei nicht von einem engen formellen Organbegriff ausgegangen wird, sondern alle Verwaltungs-, Geschäftsleitungs-, gesellschaftsrechtlichen Aufsichts- und Revisionsorgane umfasst sein sollen;

– die letzte Jahresrechnung, bestehend aus Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang679; – die aktuelle Geschäftslage, soweit sie nicht bereits genügend im Rahmen der

Rech-nungslegung abgebildet ist;

– wesentliche Perspektiven, worunter etwa Angaben zum Forschungs- und Entwick-lungsstand sowie zu den Marktaussichten in den massgeblichen Geschäftsbereichen fallen können;

– wesentliche Risiken, worunter allfällige Abhängigkeiten von Patenten und Lizenzen oder bevorstehende Änderungen im regulatorischen Umfeld gezählt werden können;

– wesentliche Streitigkeiten, worunter etwa bevorstehende oder laufende Zivil-, Straf-, Schieds- oder Verwaltungsverfahren zu subsumieren sind.680

Zu den Effekten und zum Angebot als solchem hat der Prospekt ausführliche Angaben zu enthalten:681 zu den Effekten namentlich die damit verbundenen Rechte, Pflichten und Risi-ken682 für die Anlegerinnen und Anleger und zum Angebot namentlich die Art der Platzierung und den geschätzten Nettoerlös der Emission. Die konkreten Angaben werden in der sich der-zeit in Vernehmlassung befindenden E-FIDLEV noch näher ausgeführt werden, wobei vorge-sehen ist, dass die E-FIDLEV Anhänge mit Schemata sowohl für die einzelnen Prospektarten als auch für das Basisinformationsblatt enthalten wird. Diese Schemata erscheinen auch bei der Durchführung eines ICOs als praktikabel und einsetzbar.

Weiter hat der Prospekt eine Zusammenfassung zu enthalten, die in knapper Form und in allgemein verständlicher Sprache die wesentlichen Informationen enthält.683 Sowohl der Pros-pekt als auch die darin enthaltene Zusammenfassung können in einer der drei Amtssprachen oder in Englisch abgefasst sein. Die Zusammenfassung selber muss klar und verständlich sein, der Prospekt darf ausführlicher und komplexer ausfallen, da er sich in der Regel in der Mehrheit an erfahrene Akteure am Finanzmarkt richtet.

6.6.5.3 Ausnahmen von der Prospektpflicht nach Artikel 36 ff. FIDLEG

Artikel 36 FIDLEG nennt abschliessend verschiedene Formen eines öffentlichen Angebots, bei denen sich aus Sicht des Kundenschutzes und aus Gründen der Verhältnismässigkeit die Prospektpflicht nicht rechtfertigt. So handelt es sich bei den Anlegerinnen und Anlegern bei Angeboten nach Artikel 36 Buchstabe a, c und d FIDLEG um solche, die aufgrund ihrer wirt-schaftlichen Möglichkeiten keines besonderen Schutzes bedürfen.684 Bei Angeboten, die sich nach Buchstabe b an einen limitierten Anlegerkreis richten, besteht in der Regel eine nahe Beziehung zwischen Anlegerinnen und Anlegern sowie Anbietern, welche Missbräuche weit-gehend ausschliessen dürfte.685 Das Parlament hat den Anlegerkreis hier auf 500 Personen

679 Art. 959–959c OR

680 Zum ganzen Absatz, vgl. Botschaft FIDLEG/FINIG, 8974.

681 Art. 40 Abs. 1 Bst. b und c FIDLEG.

682 Dies umfasst grundsätzlich auch die im Blockchain- bzw. DLT-Kontext besonderen technischen Risiken.

683 Art. 40 Abs. 3 FIDLEG.

684 Weil sie als professionelle Kunden gelten (Art. 36 Bst. a FIDLEG); weil die Anlegerinnen und Anleger Effekten im Wert von mindestens 100‘000 Franken erwerben (Art. 36 Bst. c FIDLEG) oder weil das Angebot eine Mindeststückelung von 100‘000 Franken aufweist (Art. 36 Bst. d FIDLEG).

685 Botschaft FIDLEG/FINIG, 8971.

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festgelegt. Angebote mit einem Gesamtwert von höchstens 8 Millionen Franken über einen Zeitraum von 12 Monaten (Buchstabe e) fallen ebenfalls unter die Ausnahmeregelung, wobei die betragsmässige Limite von 8 Millionen Franken den Vorgaben der EU zur Prospektpflicht im EU-Raum entspricht.686

In Artikel 37 und Artikel 38 FIDLEG werden sodann weitere mögliche Ausnahmen nach Art der Effekten und Ausnahmen für die Zulassung zum Handel definiert.

6.6.5.4 Basisinformationsblatt (BIB) für Finanzinstrumente nach Artikel 58 ff. FIDLEG Im Grundsatz muss bei Angeboten von komplexen Finanzinstrumenten an Privatkundinnen und -kunden vom Ersteller des Finanzinstruments vorgängig immer ein BIB erstellt werden.

Für Finanzinstrumente, für welche nach Artikel 58 Absatz 1 FIDLEG ein BIB zu erstellen ist und die im Rahmen einer Emission auf dem Primärmarkt den Anlegerinnen und Anlegern zur Zeichnung angeboten werden, muss vor der Zeichnung wenigstens eine vorläufige Fassung des BIB vorliegen.687

Gemäss Artikel 60 FIDLEG soll das BIB die wesentlichen Angaben enthalten, damit Anlege-rinnen und Anleger eine fundierte Anlageentscheidung treffen und zwischen verschiedenen Produkttypen sowie zwischen Produkten verschiedener Ersteller – unter Umständen verschie-dener Branchen – vergleichen können. Dabei handelt es sich um eine kurze und leicht ver-ständliche Dokumentation.688 Weiter muss das BIB ein eigenständiges Dokument sein und sich dabei deutlich von Werbematerialien unterscheiden.689

Zu den wesentlichen Angaben zählen insbesondere zunächst der Name des Finanzinstru-ments und die Identität des Erstellers690, damit am Point of Sale Klarheit herrscht, ob der Pro-duktanbieter zugleich der Ersteller des Finanzinstruments ist. Weiter benötigen Anlegerinnen und Anleger ausreichende Angaben zum Produkttyp, den Eigenschaften und den Risiken des Produkts sowie Transparenz über sämtliche mit einer Investition in das Produkt verbundenen direkten und indirekten Kosten.691 Das BIB soll zudem allfällige Einschränkungen und Nach-teile bei der Rückgabe des Produkts – etwa lange Laufzeiten oder mangelnde Liquidität – aufdecken.692 Im BIB ist weiter anzugeben, ob für das Produkt eine Genehmigungspflicht be-steht oder das Gesetz für den Ersteller oder Garanten eine Bewilligungspflicht statuiert.693 So muss sich der Ersteller beispielsweise über die rechtliche Ausgestaltung eines Finanzinstru-ments als Kollektivanlage oder als strukturiertes Produkt entscheiden und hat diesen Ent-scheid im BIB festzuhalten (Etikettierungspflicht).694

Nach Artikel 59 FIDLEG sind Aktien und diesen gleichzustellende Effekten, insbesondere For-derungspapiere ohne derivativen Charakter, von der Pflicht zur Erstellung eines BIB ausge-nommen. Aktien und Forderungspapiere ohne derivativen Charakter stellen seit Jahrzehnten eine traditionelle Anlageform dar und es kann davon ausgegangen werden, dass die grundle-genden Charakteristika dieser Anlageformen auch Privatkundinnen und -kunden bekannt sind.

Wenn im Rahmen eines ICOs ein Unternehmen demnach Token ausgibt, die Aktien oder Ak-tien gleichzustellende Effekten abbilden, dann kann auf die Erstellung eines BIB verzichtet

686 Art. 3 Abs. 2 Bst. b Prospektrichtlinie (Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Text von Bedeutung für den EWR).

687 Botschaft FIDLEG/FINIG, 8986.

688 Vgl. Art. 61 Abs. 1 FIDLEG; Botschaft FIDLEG/FINIG, 8988.

689 Art 61 Abs. 2 FIDLEG.

690 Art. 60 Abs. 2 Bst. a FIDLEG.

691 Art. 60 Abs. 2 Bst. b–d FIDLEG.

692 Art. 60 Abs. 2 Bst. e FIDLEG.

693 Art. 60 Abs. 2 Bst. f FIDLEG.

694 Botschaft FIDLEG/FINIG, 8988.

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werden. Dasselbe gilt, wenn Token Forderungspapiere ohne derivativen Charakter darstellen (beispielsweise ein Plain-Vanilla-Bond oder dergleichen).

6.6.5.5 Prüfung des Prospekts und Veröffentlichung nach Artikel 51 ff. und Artikel 64 ff. FIDLEG

Wer in der Schweiz Effekten in einem öffentlichen Angebot zum Kauf oder zur Zeichnung an-bietet oder um deren Zulassung zum Handel ersucht, hat vorgängig einen Prospekt nach Ar-tikel 40 ff. FIDLEG zu veröffentlichen, ausser eine der Ausnahmebestimmungen greift im kon-kreten Fall.695 Der Prospekt ist vor seiner Veröffentlichung gemäss den Bestimmungen nach Art. 51 ff. FIDLEG zu prüfen.696Das BIB unterliegt keiner Prüfpflicht. Die Prüfung muss durch eine von der FINMA zugelassene Prüfstelle erfolgen.697 Nach ihrer Genehmigung bleiben Prospekte während eines Jahres für öffentliche Angebote oder Zulassungen zum Handel auf einem Handelsplatz gültig.

Die Pflicht zur Veröffentlichung des Prospekts wird in Artikel 64 ff. FIDLEG festgehalten. Der Prospekt ist dabei spätestens mit Beginn des öffentlichen Angebots oder der Zulassung der betreffenden Effekte zum Handel zu veröffentlichen. Gleichzeitig ist der Prospekt nach seiner Genehmigung bei der Prüfstelle zu hinterlegen.698

Die Pflicht zur Veröffentlichung des BIB ist in Artikel 66 FIDLEG normiert und tritt zur Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts hinzu. Als Grundsatz gilt nach Artikel 66 Absatz 1 FIDLEG, dass bei öffentlich angebotenen Finanzinstrumenten, für die ein BIB zu erstellen ist,699 dieses veröffentlicht werden muss.

Falls ein ICO nicht unter eine der Ausnahmebestimmungen gemäss Artikel 36 ff. FIDLEG fällt, hat der Emittent demnach einen Prospekt mit Inhalt gemäss Artikel 40 ff. FIDLEG zu erstellen, diesen wie soeben ausgeführt entsprechend prüfen zu lassen und vor Beginn des Angebots zu veröffentlichen. Ferner hat er, sofern sich sein Angebot an Privatkundinnen und -kunden richtet und keine Ausnahmebestimmung nach Artikel 59 FIDLEG greift, ein BIB zu erstellen und dieses ebenfalls vor Beginn des Angebots zu veröffentlichen. Beim BIB besteht, wie dar-gelegt, keine Prüfpflicht.

6.6.5.6 Weitere Pflichten nach FIDLEG

Neben den oben erwähnten Pflichten des Emittenten ist es denkbar, dass noch weitere Ak-teure im Rahmen eines ICO involviert sind. So wäre zumindest denkbar, dass inskünftig eine Bank im Rahmen eines Vermögensverwaltungsmandates oder einer Anlageberatung selber für Kunden erstmals herausgegebene Token kaufen oder auf dem Sekundärmarkt für Kunden erwerben möchte.

Bei all diesen Tätigkeiten, die Finanzdienstleistungen von Finanzdienstleistern im Sinne des FIDLEG darstellen,700 ist wiederum die Qualifikation von Token als Finanzinstrumente ent-scheidend.701 Falls diese gegeben ist, so greifen die Verhaltensregeln des 2. Kapitels des FIDLEG.702 In besagtem Kapitel werden die aufsichtsrechtlichen Verhaltensregeln der dienstleister festgehalten, welche diese bei der gewerbsmässigen Erbringung von

695 Vgl. Ziff. 6.6.5.3.

696 Botschaft FIDLEG/FINIG, 8980-8981.

697 Art. 52 FIDLEG.

698 Vgl. Art. 64 Abs. 1 Bst. a und b FIDLEG.

699 Vgl. Ziff. 6.6.4.3, im Grundsatz immer beim Erstellen und Anbieten von Finanzinstrumenten an Privatkundinnen und -kunden.

700 Vgl. Ziff. 6.6.2.3.

701 Vgl. Ziff. 6.6.2.2.

702 Art. 7–20 FIDLEG.

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dienstleistungen zu beachten haben. Grundsätzlich haben sie stets im Interesse ihrer Kundin-nen und Kunden zu handeln, was sich auch bereits aus dem Auftragsrecht ergibt.703 Finanz-dienstleister, welche im Rahmen eines ICO die emittierten Token ihren Kunden (auf dem Se-kundärmarkt) empfehlen, verkaufen oder in deren Namen kaufen, also beispielsweise Banken, unterstehen selbstredend den vorgenannten Pflichten.704

6.6.6 Fazit

Nach Ansicht des Bundesrates besteht derzeit im Anwendungsbereich des FIDLEG kein Än-derungsbedarf. Gerade die Neuartigkeit und Komplexität der verschiedenen Finanzinstru-mente im Blockchain-Bereich rechtfertigen beispielsweise aus Sicht eines angemessenen Kundenschutzes, aber auch aus Gründen der Reputation des Schweizerischen Finanzplatzes, eine Prospektpflicht. Diese Prospektpflicht gilt auch in der analogen Welt und es sind derzeit keine Gründe ersichtlich, die eine Differenzierung der Prospektpflicht nach den Geschäftsmo-dellen erfordern. Mit Blick auf die Funktion eines Prospekts, welcher den potenziellen Investo-ren den Anlageentscheid erleichtern und alle Interessenten auf den gleichen Informations-stand bringen soll, ist ebenfalls kein konkreter Handlungsbedarf ableitbar.

Ferner ist im Auge zu behalten, dass die Emission von Anleihen allenfalls zu einer Tätigkeit als Bank führen kann, wenn auf das Erfordernis eines Prospektes bzw. eines Basisinformati-onsblattes verzichtet würde, da dann diese Schuldverschreibungen bzw. das Entgegenneh-men dieser Einlagen nicht mehr unter die Ausschlussgründe zur Qualifikation als Publikums-einlage fallen würden.705 Abhilfe schaffen können sich die Emittenten dadurch, dass sie für Emissionen von Anleihen, welche nicht unter die Ausnahmebestimmungen von Artikel 36 ff.

FILDEG und Artikel 59 FIDLEG fallen würden,706 auf freiwilliger Basis zumindest ein Basisin-formationsblatt (BIB) nach Artikel 58 ff. FIDLEG herausgeben, damit die entgegengenomme-nen Gelder nicht als Publikumseinlage im Sinne der BankV gelten.707

6.7 Kollektivanlagengesetz (KAG)