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5.2 Diskussion der Ergebnisse

5.2.4 Unzureichende Anästhesie- und Operationsqualität

5.2.6.3 Weitere Einflüsse

Das Pferd als non-verbales Wesen und Fluchttier weist evolutionär bedingt Verhaltensweisen auf, die Schmerzen maskieren (TAYLOR et al. 2002). Daher wäre es denkbar, dass die Anwesenheit des Beobachters bei einigen Pferden zu einem verminderten Ausdrucksverhalten von Schmerzen geführt hat. Vorangegangene Studien haben Gebrauch von Videokameras gemacht und konnten somit sicherstellen, dass die Pferde nicht von einer Person abgelenkt wurden (DALLA COSTA et al. 2014; DALLA COSTA et al. 2016; VANDIERENDONCK u. VAN LOON 2016). In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die Tiere weniger Schmerz exprimierten, sobald ein Beobachter anwesend war. Zusätzlich nahmen die Pferde Kontakt („contact-seeking-behaviour“) zu einer ihnen vertrauten Person auf, wobei weniger schmerzassoziierte Gesichtsausdrücke beobachtet werden konnten (GLEERUP et al. 2015b). Diese Kontaktaufnahme steht im Gegensatz zu schmerzassoziiertem Rückzugsverhalten, wie es in einer anderen Studie beobachtet wurde (PRICE et al. 2003). Das „contact-seeking-behaviour“ könnte demnach hilfreich bei der frühen Erkennung von Schmerzen sein, wenn sich die Pferde in einer vertrauten und sicheren Umgebung wägen (GLEERUP et al. 2015b). Die Tiere in der Studie von GLEERUP et al. (2015b) waren für die Studienzwecke sehr gut an den Untersucher gewöhnt. Die Probanden dieser Studie waren zwar an den Menschen gewöhnt, jedoch bestand keine feste Bindung zum Beobachter, weshalb das oben beschriebene Verhalten nicht zu erwarten war und kaum von allgemeiner Neugierde bzw. Explorationsverhalten abzugrenzen ist.

5.2.6.4 Composite Pain Scale

Die medianen Composite Pain Scale Gesamtscores waren in allen Gruppen und zu allen Zeitpunkten - im Vergleich zu dem maximal erreichbaren Score - sehr niedrig (0-2 von maximal 36 erreichbaren Punkten). In einer Studie wurde dieselbe CPS bei verschiedenen viszeralen und somatischen Schmerzzuständen angewendet (VAN LOON et al. 2010). In der Gruppe der kastrierten Tiere (n = 30) wurden vergleichbar niedrige CPS-Scores gemessen wie in der hiesigen Studie. Tiere, die hingegen einer

Kolikoperation unterzogen wurden, wiesen deutlich höhere CPS-Scores auf (VAN LOON et al. 2010).

Bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse der CPS fällt auf, dass es trotz der niedrigen Gesamtscores zwei Stunden nach Erreichen des sicheren Standes einen Unterschied zwischen der Lidocain- und Kochsalzgruppe gab. Zudem sind in der Kochsalz-Gruppe mehr Extremwerte bei insgesamt höheren Maximalscores vertreten. Ein Beispiel dafür war Pferd Nr. 26 (Gruppe DRIPNaCl). Das Pferd zeigte extreme Unruhe im Sinne von exzessivem Treten und Scharren sowie kontinuierlichen Kopfbewegungen und Fressunlust. Eine Studie, die erstmals den Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit und Expression von Schmerzen beim Pferd untersuchte, gibt Hinweis darauf, dass Tiere, die hohe Scores für Extraversion erhielten, auch Schmerz deutlicher anzeigten (IJICHI et al. 2014). Da das Tier in dieser Studie bereits in der Voruntersuchung verhaltensauffällig war, ist eine Abgrenzung zwischen schmerzassoziiertem, postoperativen Verhalten zu Verhaltensauffälligkeiten anderer Genese schwer möglich.

Die in dieser Studie verwendete modifizierte CPS ist mit zwölf Kategorien sehr umfangreich. Die klinische Anwendbarkeit war jedoch gut. Bei detaillierter Betrachtung der Ergebnisse fällt auf, dass einige Kategorien quantitativ deutlich häufiger Anwendung fanden als andere und verantwortlich für die teils höheren Gesamtscores waren. Dazu gehört vor allem die Körperhaltung. Am häufigsten zeigten die Pferde eine gelegentliche Umverteilung der Lastaufnahme (ohne Tremor) und teils eine Gliedmaßen entlastende Haltung, von der das Schildern – als Zeichen des Ruheverhaltens – anhand der CPS schwer abzugrenzen ist. In etwa vergleichbarer Häufigkeit traten gelegentliches Scharren und gelegentliches Treten unter den Bauch auf sowie intermittierendes zur Flanke schauen. Einige Pferde zeigten insbesondere zu den Messzeitpunkten 2 und 6 Stunden nach Erreichen des sicheren Standes eine geringgradige Inappetenz. Die physiologischen Parameter waren weitestgehend unauffällig, jedoch zeigten einige Tiere eine erhöhte Rektaltemperatur von 38,2°C und 38,5°C. In Bezug auf die Beurteilung des interaktiven Verhaltens wurde die Palpation der schmerzhaften Region aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Dabei wäre die Aussagekraft vermutlich fraglich gewesen, denn viele Hengste tolerieren die Palpation der Inguinalregion per se nicht ohne Fixierungsmaßnahmen.

Insgesamt war mittels der verwendeten CPS die Erkennung eines postoperativen Kastrationsschmerzes möglich, auch wenn sich dieser in Scorepunkten ausgedrückt nur sehr subtil darstellte. Das interaktive Verhalten und die physiologischen Parameter innerhalb der hier verwendeten CPS waren jedoch wenig aussagekräftig.

Dies kann vermutlich auf die Geringgradigkeit des Schmerzes zurückgeführt werden.

Auch wenn physiologische Parameter in dieser Studie meist unauffällig waren, gehören diese einerseits zu einer vollständigen Allgemeinuntersuchung und andererseits nimmt insbesondere die Herzfrequenz immer noch eine Stellung als Haupt-Schmerzindikator (PRICE et al. 2002) unter Tierärzten ein. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass Tierärzte, die lediglich auf Herzfrequenz achten, den Schmerz unzureichend erkennen. Ebenso können Einflussfaktoren wie Dehydratation, Stress, Endotoxämien, Angst und Medikamente ursächlich für Veränderungen der Herzfrequenz sein. Somit sollte die Herzfrequenz als alleiniger Parameter zu Schmerzevaluierung sehr kritisch betrachtet werden (AUER 2016) und besser im Kontext mit einer zusammengesetzten Schmerzskala angewendet werden (DE GRAUW u. VAN LOON 2016). Sowohl beim Menschen (VAN DIJK et al. 2001) als auch beim Pferd (VAN LOON et al. 2010) hat sich die Kombination aus physiologischen Parametern, Verhaltensparametern und der Interaktion mit dem Beobachter als vorteilhaft herausgestellt und bewahrt den multidimensionalen Charakter einer Skala (TAFFAREL et al. 2015).

Die verwendete Composite Pain Scale scheint nicht sensitiv genug zu sein, um eine vermeintlich milde Schmerzhaftigkeit zu graduieren. Dies könnte daran liegen, dass die CPS anhand eines induzierten, akuten orthopädischen Schmerzes entwickelt wurde (BUSSIERES et al. 2008) und für den Kastrationsschmerz weniger gut geeignet ist.

Nach Versuchsbeginn der vorliegenden Studie wurde eine speziell für den akuten milden bis moderaten Schmerz angepasste, an Pferden nach Kastration validierte, multidimensionale zusammengesetzte Schmerzskala (UNESP-Botucatu) publiziert (TAFFAREL et al. 2015). Nach Prüfung der Spezifität, Relevanz und Validität der Kriterien konnten die Autoren mit ihrer Skala zwischen schmerzhaften und nicht-schmerzhaften Pferden differenzieren. Beim Vergleich der Beobachtungen dieser Studie in Bezug auf die CPS und in der UNESP-Botucatu-Skala enthaltenen Kategorien stimmen einige Kriterien überein (z. B. unter den Bauch treten, Scharren, zur Flanke schauen). Andere in dieser Studie beobachtete Verhaltensmuster

(Umverteilung des Gewichts) sind hingegen anders benannt (Anheben der Hintergliedmaßen). Insgesamt hätte die von TAFFAREL et al. (2015) publizierte UNESP-Botucatu-Skala vermutlich zu einer genaueren Unterscheidung zwischen verschiedenen Schmerzgraden führen können, dennoch weisen die Autoren darauf hin, dass eine Prüfung der Skala unter experimentellen und klinischen Bedingungen notwendig ist (TAFFAREL et al. 2015).