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2.1 Medikamente

2.1.2 Ketamin

Ketamin gehört zu der Gruppe der „dissoziativen Anästhetika“, welche zu einer Anästhesie, Analgesie und Katalepsie führen (HAAS u. HARPER 1992; MUIR 2009a). Aus der Anwendung in der Humanmedizin ist bekannt, dass die dissoziative Wirkung einen Zustand der „Trennung zwischen Körper und Umwelt“ hervorruft (MUIR 2009a; MORGAN u. CURRAN 2012). Besonders populär ist das Ketamin

sowohl in der Tier- als auch in der Humanmedizin aufgrund seiner kurzen Wirkdauer und dem Fehlen von starken kardiovaskulären und respiratorischen Nebenwirkungen (MUIR et al. 1999; MUIR 2009a). Dies macht die Substanz als „Feldanästhetikum“

auch heutzutage noch zu einem wichtigen Bestandteil der Kinder- und Notfallmedizin, insbesondere in Entwicklungsländern (HODGES et al. 2007; DONG et al. 2015).

2.1.2.1 Wirkmechanismus

Chemisch betrachtet handelt es sich bei Ketamin um ein Cyclohexanon-Derivat. In einer Studie aus dem Jahr 1968 konnte mittels EEG-Ableitungen an Katzen gezeigt werden, dass das thalamoneokortikale Projektionssystem der Haupt-Wirkort des Ketamins zu sein scheint (MIYASAKA u. DOMINO 1968). Dort kommt es zu einer Dämpfung bei gleichzeitiger Stimulation des limbischen Systems (MIYASAKA u.

DOMINO 1968; DETSCH u. KOCHS 1997; KRESS 1997), was zu

„psychomimetischen und lokomotorischen Begleiterscheinungen“ (KRESS 1997) führt.

Lange nach der Erstanwendung des Ketamins als Anästhetikum im Jahre 1964 (MORGAN u. CURRAN 2012) ist der genaue Wirkmechanismus noch nicht vollends geklärt. Fest steht jedoch, dass es seine Hauptwirkung als nicht-kompetitiver Antagonist am N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA) entfaltet (HAAS u. HARPER 1992). Der NMDA-Rezeptor stellt einen postsynaptisch lokalisierten Ionenkanal-Komplex dar und unterliegt einer spannungsabhängigen Mg2+-Blockade, die erst bei stärkerer Depolarisation aufgehoben wird. Gleichzeitig zählt er zu den Rezeptoren des exzitatorischen Neurotransmitters Glutamat im ZNS. Die Bindung des Ketamins an der Phenzyklidin-Bindungsstelle des NMDA-Rezeptor-Komplexes „verhindert den Glutamat-induzierten Einstrom von Na2+- und Ca2+-Ionen, sofern das Neuron gleichzeitig depolarisiert ist (KRESS 1997). Ketamin-Wirkungen an anderen Rezeptoren werden in der Literatur teils kontrovers diskutiert, wobei verschiedene Studien Hinweise auf Wirkungen an Opioid-Rezeptoren sowie muskarinergen und nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren geben (HUSTVEIT et al. 1995; KRESS 1997).

Das derzeit auf dem deutschen Markt erhältliche Ketamin für das Pferd besteht aus den Enantiomeren R(-)-Ketamin und S(+)-Ketamin. Das S(+)-Ketamin besitzt eine vierfach höhere Affinität zum NMDA-Rezeptor (KLEPSTAD et al. 1990), sodass Studien aus der Humanmedizin von kürzeren, sanfteren Aufwachphasen mit weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen, wie psychomimetischen Effekten, berichten

(ENGELHARDT 1997). Eine klinische und pharmakokinetische Studie untersuchte den Einfluss von S(+)-Ketamin bei der Hengstkastration im Feld. Mit einer Dosierung von 2,5 mg/kg KGW i. v. ließen sich in puncto Induktion und Aufwachphase vergleichbare Ergebnisse erzielen wie nach 2,2 mg/kg KGW i. v. des racematischen Ketamins, wobei aufgrund der schnelleren Elimination des S(+)-Ketamins ein zusätzlicher Bolus nach 10 bis 15 Minuten erforderlich war (CASONI et al. 2015).

2.1.2.2 Pharmakokinetik

Nach intravenöser Bolus-Gabe von 2,2 mg/kg KGW Ketamin kann eine kurze Distributionsphase von 2,9 Minuten und eine längere Eliminationsphase von 42, respektive 65 Minuten beobachtet werden (KAKA et al. 1979; WATERMAN et al.

1987). Ähnliche Werte ließen sich auch nach einer kontinuierlichen Infusion mit Ketamin (1,5 mg/kg/Std) nachvollziehen (LANKVELD et al. 2006). Die Wirkdauer eines Ketamin-Bolus ist dosisabhängig und beträgt etwa zehn Minuten (MUIR 2009a). Die Metabolisierung des Ketamins erfolgt in der Leber und in der Lunge (KNOBLOCH et al. 2006) mithilfe des Cytochrom-P450-Systems. Der Hauptmetabolit, das Norketamin, besitzt noch ein Drittel bis ein Fünftel der Potenz des Ketamins (KOHRS u. DURIEUX 1998; KNOBLOCH et al. 2006). Zudem verbleiben etwa 40 % des Ketamins durch die schnelle Umverteilung vom zentralen in das periphere Kompartiment zum Zeitpunkt der Aufwachphase nicht-metabolisiert im Körper (KAKA et al. 1979).

Aufgrund dessen können wiederholte Bolus-Gaben von Ketamin zur Kumulation führen (LANKVELD et al. 2006). Eine Umverteilung des verbliebenen Ketamins und seiner aktiven Metaboliten zurück in das zentrale Kompartiment während der Aufwachphase, können diese darüber hinaus verlängern und durch die nachteilige Wirkung auf die Muskelkoordination auch verschlechtern (BETTSCHART-WOLFENSBERGER 2012b).

2.1.2.3 Anwendung

Ketamin findet als Injektionsanästhetikum in der Pferdemedizin breite Anwendung (MUIR 2009a). Es wird insbesondere zur Induktion in Kombination mit Muskelrelaxantien (MUIR et al. 1977; SCHMIDT-OECHTERING et al. 1990;

HOPSTER et al. 2008) und zur Aufrechterhaltung von Kurznarkosen (MUIR et al.

1977; GREENE et al. 1986; MCCARTY et al. 1990) im Rahmen der TIVA eingesetzt.

Dabei wird durch die sympathomimetische Wirkung des Ketamins der kreislaufdepressiven Wirkung des Xylazins entgegengewirkt (MUIR et al. 1977).

Zudem konnte gezeigt werden, dass Ketamin einen MAC-sparenden-Effekt von bis zu 37 % bei Halothannarkosen aufweist (MUIR u. SAMS 1992). Eine neuere Studie untermauert dies, und es konnten durch die Anwendung einer Dauertropfinfusion (1 mg/kg/Std) Ketamin etwa 20 % des volatilen Anästhetikums Isofluran eingespart werden (PÖPPEL et al. 2015).

Nicht nur unter anästhetischen, sondern auch unter analgetischen Gesichtspunkten spielt Ketamin eine wichtige Rolle. Besondere Bedeutung kommt hier dem NMDA-Rezeptor zu, der sowohl beim Menschen (KLEPSTAD et al. 1990) als auch im Tiermodell (FISHER et al. 2000) an der Perzeption von Schmerzen beteiligt zu sein scheint. Sowohl im ZNS als auch im Dorsalhorn des Rückenmarks und viszeral zu finden, sind NMDA-Rezeptoren im Rahmen der synaptischen Plastizität an der Langzeitpotenzierung beteiligt (KRESS 1997). Eine anhaltende Aktivierung der NMDA-Rezeptoren führt jedoch über Veränderungen der Ionenströme zu erhöhter Ansprechbarbarkeit und kann im „Wind-up-Phänomen“ resultieren (COSTIGAN u.

WOOLF 2000), weshalb NMDA-R-Antagonisten, wie Ketamin, in subanästhetischen Dosen zunehmend sowohl präventiv als auch therapeutisch (WAGNER et al. 2002;

CORRELL et al. 2004) eingesetzt werden. Die analgetische Wirkung bietet zudem auch Vorteile bei Zahnextraktionen am stehenden, sedierten Pferd. In einer aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass Ketamin als Zusatz bei Romifidin-basierter Sedierung zu einem tieferen Sedierungsgrad und Einsparung des Alpha-2-Adrenozeptor-Agonisten führte (WITTENBERG-VOGES et al. 2016).

Darüber hinaus wird Ketamin in einer equinen Makrophagenzelllinie eine „Zytokin-modulierende Aktivität“ zugesprochen, was es für die Therapie von Endotoxämien interessant macht (LANKVELD et al. 2005).

2.1.2.4 Kardiovaskuläre und respiratorische Wirkungen

Ketamin nimmt durch seine kaum kardiovaskulär und respiratorisch depressiven Wirkungen (MUIR et al. 1999) im Vergleich zu den volatilen Anästhetika eine Sonderstellung ein. Zwar konnten für Ketamin direkt negativ inotrope Effekte auf das Myokard nachgewiesen werden (DIAZ et al. 1976), jedoch überwiegen bei klinischer Dosierung die durch die Hemmung der Wiederaufnahme von Katecholaminen hervorgerufenen sympathomimetischen Effekte des Ketamins. Dies kann sich in einer Erhöhung der Herzfrequenz, einem erhöhten myokardialen Sauerstoffbedarf

und erhöhtem Herzauswurf und Blutdruck äußern (MUIR et al. 1977; HASKINS et al.

1985).

Der Effekt von Ketamin auf den Respirationstrakt ist als minimal anzusehen, wobei ein charakteristisches „apneustisches“ Atemmuster auftreten kann (MUIR 2009a).

Das Atemminutenvolumen bleibt jedoch erhalten (BERRY 2015).

2.1.2.5 Unerwünschte Wirkungen

Schwerwiegende unerwünschte Ketamin-Wirkungen im klinischen Einsatz resultieren meist aus unzureichender Sedierung (MUIR 2009a) und äußern sich in Exzitationen (FIELDING et al. 2006; MUIR 2009a). Daher sollte Ketamin beim Pferd niemals als alleiniges Anästhetikum angewendet werden (HUBBELL et al. 2000; MUIR 2009a).

Bei der Anwendung von Ketamin ist außerdem zu beachten, dass wiederholte Bolus-Gaben zur Kumulation und somit, aufgrund der negativen Beeinflussung der Muskelkoordination, zu verschlechterter Aufstehqualität führen können, ohne die Anästhesietiefe merklich zu beeinflussen (MUIR u. SAMS 1992). Zudem zeichnen sich Ketamin-basierte Anästhesien durch Katalepsie und Nystagmus aus, was die Bestimmung der Anästhesietiefe anhand der okulären Reflexe erschwert.

Kontraindiziert ist die Anwendung von Ketamin in anästhetischen Dosierungen bei ZNS- und Schädel-Traumata, da der intrakraniale Druck erhöht wird (CLARKE 2014c). Studien konnten jedoch zeigen, dass Ketamin in subanästhetischen Dosierungen nach ZNS-Trauma neuroprotektive Effekte aufweist (WANG et al.

2017).

2.1.3 Guaifenesin