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2.4.1 Gesetzlicher und ethischer Hintergrund

Die gesetzliche Grundlage in Deutschland bildet § 1 des Tierschutzgesetzes von 1972, in dem es heißt: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

Über die gesetzliche Ebene hinaus nimmt die Tierethik in der heutigen Gesellschaft einen immer höheren Stellenwert ein (PROCTOR 2012). Dass dies nicht immer der Fall war, zeigt die Jahrhunderte alte Diskussion einschlägiger Biologen und Philosophen um die Frage, ob Tiere überhaupt in der Lage sind, bewusst Gefühle, wie Schmerz, Freude oder Leid, bewusst wahrzunehmen (PROCTOR 2012).

BENTHAM (1789), ein Vorreiter der Tierrechte, schrieb „The Question is not, can they reason, nor can they talk but, can they suffer?“ Ein bekanntes Zitat von (DARWIN 1872) lautet „Tiere empfinden wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Unglück“ und ebnete den Weg für weitere Entwicklungen. So wurde „Schmerz“

eine der „Fünf Freiheiten“, welche vom „Farm Animal Welfare Council“ im Rahmen der Messung und Bewertung der Tiergerechtigkeit (animal welfare) definiert worden sind (COUNCIL 1992). In der Humanmedizin wird Schmerz neben Körpertemperatur, Blutdruck sowie Herz- und Atemfrequenz als „5th Vital Sign“ angesehen (LYNCH 2001). Es steht zur Diskussion ob, Schmerz auch in der Tiermedizin im Kontext der

„good veterinary practice“ als „4th Vital Sign“ seine Berechtigung hat (RICHMOND 2016).

2.4.2 Definition des Schmerzes

Schmerz beim Menschen wird von der „International Association for the study of pain“ (IASP 1979) als ein „unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis definiert, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit den Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ Hier wird deutlich, dass Schmerz sowohl sensorische als auch emotionale Komponenten beinhaltet, welche nicht nur höher gestellten Individuen zugesprochen werden sollten, sondern allen Vertebraten (FLECKNELL 2008). Es kann davon ausgegangen werden, dass eine affektive Komponente bei dieser Erfahrung eine Rolle spielt (TAYLOR et al. 2002). Die meisten Menschen können Emotionen durch verbale Kommunikation ausdrücken, wohingegen dies kleinen Kindern, alten oder mental beeinträchtigen Menschen aber auch Tieren verwehrt bleibt. Aus diesem Grund folgerte die IASP 1994, dass „das Unvermögen der verbalen Kommunikation nicht die Möglichkeit negiert, dass ein Individuum Schmerz erfährt.“ (IASP 1979). Schmerzen beim Tier werden als eine

„aversive sensorische und emotionale Erfahrung […], welche die Physiologie des Tieres und dessen Verhalten zu verändern vermögen“, definiert (MOLONY u. KENT 1997).

2.4.3 Physiologie des Schmerzes

Die Nozizeption beschreibt die physiologische Wahrnehmung schmerzhafter Stimuli ausgehend von peripheren Nozizeptoren und lässt sich stark vereinfacht dargestellt in verschiedene Phasen unterteilen: Transduktion, Transmission, Modulation, Projektion und Perzeption (LERCHE u. MUIR 2009). Bei den Nozizeptoren handelt es sich um spezialisierte, primäre, sensorische Neuronen. Noxische Stimuli verschiedener Art (mechanisch, thermisch, chemisch, elektrisch) werden in Aktionspotentiale umgewandelt (Transduktion). Die Intensität des Schmerzes ist abhängig von der Dauer, der Lokalisation, der Modalität und vor allem der Intensität der Noxe (MUIR u. WOOLF 2001). Die Schmerzweiterleitung (Transmission) erfolgt durch verschiedene Arten von Fasern. Aδ-Nozizeptoren stellen dünne, myelinisierte Nervenfasern dar und vermitteln den schnellen „scharfen“ Schmerz oder auch „first pain“. Demgegenüber stehen die unmyelinisierten C-Nozizeptoren, die den Schmerz deutlich langsamer vermitteln („second pain“). Die Qualität des Schmerzes dieser C-Fasern wird als „dumpf“ oder „brennend“ beschrieben (MUIR 2010). Beide Arten von Nozizeptoren innervieren sowohl die Haut (oberflächlicher Schmerz) als auch

somatische und viszerale Strukturen (tiefer Schmerz) (HELLYER et al. 2007). Auch der viszerale Schmerz wird über C-Nozizeptoren vermittelt (MUIR 2010). Aß-Nozizeptoren stellen low-threshold Mechanorezeptoren dar und vermitteln in der Regel keinen Schmerz (BOSMANS et al. 2009). Im Weiteren treten die afferenten Nervenfasern über das Dorsalhorn des Rückenmarks ein, wo sie mit den dort vorhandenen Neuronen synaptisch in Kontakt treten (VAN LOON 2012). Es werden nozizeptor-spezifische Neurone und „wide dynamic range“ (WDR) Neurone unterschieden. Letztere vermögen auch nicht-schmerzhafte Stimuli weiterzuleiten.

Schmerzhafte Stimuli führen zur Freisetzung verschiedener Neurotransmitter. Die Schmerzweiterleitung von peripher nach zentral darf nicht als starres System verstanden werden. Die Modulation findet auf der Ebene der primären sensorischen Neurone und der Dorsalhornneurone statt und zeichnet sich durch reversible Änderungen der Erregbarkeit der Neurone aus, die auf molekularer Ebene stattfinden (BOSMANS et al. 2009). Informationen aus dem Rückenmark werden entweder über direkte monosynaptische Verbindungen oder Interneurone an das Gehirn projiziert.

Zunächst am Thalamus eintreffend, wird ein Teil des sensorischen Inputs an den Cortex und das limbische System weitergeleitet. Bei erfolgreicher Übertragung der Signale findet hier schließlich die bewusste und subjektive Wahrnehmung (Perzeption) des Stimulus statt (MUIR u. WOOLF 2001).

2.4.4 Klassifikationen des Schmerzes

In der Literatur sind diverse Klassifikationen von Schmerz beschrieben. Eine Einteilung kann anatomischer (somatisch/viszeral), zeitlicher (akut/chronisch) oder ätiologischer (entzündlich/neuropathisch) Natur sein (BOSMANS et al. 2009), wobei Überschneidungen möglich sind. Akuter Schmerz fungiert als physiologischer Schutzmechanismus des Körpers, hat also eine lebensnotwendige Funktion (HELLYER et al. 2007). Chronische Schmerzzustände hingegen erfüllen keine physiologisch sinnvolle Funktion (HELLYER et al. 2007) und können zu physiologischen, metabolischen und immunologischen Veränderungen führen.

Der Übergang von physiologischen zu pathologischen Schmerzzuständen ist mitunter fließend. Pathologischer oder auch maladaptiver Schmerz weist keine protektive Funktion auf (HELLYER et al. 2007) und ist meist persistierend oder wiederkehrend – auch lange nachdem das traumatische Ereignis oder die Krankheit abgeklungen sein sollte. Es kommt also zu einer Entkopplung von Noxe und Schmerz. Als Konsequenz kann es zu langanhaltenden und übertriebenen

Reaktionen auf noxische Stimuli (Hyperalgesie) oder nicht-noxische Stimuli (Allodynie) kommen. Ausgelöst wird der pathologische Schmerz durch inflammatorische (operative Eingriffe, Traumata, Ischämien, Osteoarthritis, Laminitis, Infektion) oder neuropathische Prozesse (Nervenschnitte, Kompressionen) (MUIR u.

WOOLF 2001).

2.5 Schmerzmanagement