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Weiblicher Geist: Zartes Feingefühl und Oberflächlichkeit

Versuche der französischen Medizinphilosophie, post- revolutionäre ‚Models of women‘ zu etablieren

3  Weiblicher Geist: Zartes Feingefühl und Oberflächlichkeit

Der unterschiedlich ausgeprägte Intellekt der Frau ist eine direkte Konsequenz ihrer körperlichen Schwäche. Sie kann keine Arbeiten verrichten, die Muskelkraft voraussetzen, also wendet sie sich Aufgaben zu, die zartes Feingefühl erfordern und sich auf die kleinen Dinge des Lebens richten. Die Weichheit des Gewebes, der Haut und der Muskeln finden die Mediziner auch im Gehirn der Frau wieder.

Alle Bewegungen, alle Reize bewegen sich darin leichter und lebhafter als in dem des Mannes, weil die Frau über eine erhöhte Sensibilität der Nerven verfügt.3 Als Folge verfügt ihr Geist über „plus de finesse et de pénétration, que d’étendue et de profondeur“. (Cabanis 1805/1, 328–329) Die weibliche Feinheit und Eindringlich-keit des Geistes steht der Ausdehnung und Tiefe des männlichen Geistes gegen-über. Jener unterscheidet sich grundlegend, denn seine Nerven sind weniger leicht irritierbar, weshalb der Mann sich anspruchsvoller geistiger Arbeit zuwen-den kann. (Vgl. Moreau de la Sarthe 1803/1, 119–120) Geistige Arbeit erschreckt die Frau hingegen, so Cabanis im untenstehenden Zitat, denn langes gründliches Nachdenken reizt ihre Nerven im Übermaß. Sie bevorzugt Aufgaben, die mehr Taktgefühl, mehr Aufgewecktheit, mehr Vorstellungsvermögen als Wissenschaft-lichkeit, Kraft und Denken erfordern. Mehr als die Oberfläche von Dingen, so sind sich die Medizinphilosophen einig, kann der weibliche Geist nicht durchdringen:

3 „Tous les mouvements s’y font d’une manière plus facile, et par conséquent plus prompte:

ils s’y font aussi d’une manière plus vive. […] Or, la promptitude et la vivacité d’action dans le systême nerveux, sont la mesure de la sensibilité générale du sujet.“ (Cabanis 1805/1, 339)

Elle est justement effrayée de ces travaux d’esprits, qui ne peuvent s’exercer sans des médi-tations longues et profondes: elle choisit ceux qui demandent plus de tact que de science, plus de vivacité de conception que de force, plus d’imagination que de raisonnement; ceux dans lesquels il suffit qu’un talent facile enlève, pour ainsi dire, légèrement la superficie des objets. (Cabanis 1805/1, 366–367)

Einzig die Moralphilosophie ist den Frauen zugänglich, da sie, so Cabanis weiter, auf der Beobachtung des menschlichen Herzens und der Gesellschaft beruht, denn „cet art de la société qu’elles possèdent, sans doute, à un bien plus haut degré que les hommes.“ (Cabanis 1805/1, 367–368) Die Stärke weiblicher Intel-ligenz liegt in der Beobachtung von Individuen und Erforschung von Leidenschaf-ten, wobei sie dem Mann überlegen ist. Wenn die Frau sich mit vergeblicher Kraft und Mühe in der Wissenschaft oder durch Körperkraft profilieren will, verliert sie Liebreiz, Charme und Schönheit:

En général, les femmes savantes ne savent rien au fond : elles brouillent et confondent tous les objets, toutes les idées. […] Incapables de fixer assez long-temps leur attention sur une seule chose, elles ne peuvent éprouver les vives et profondes jouissances d’une méditation forte ; elles en sont même incapables. (Cabanis 1805/1, 368–369)

Zugleich macht sie sich selbst in der Wissenschaft lächerlich, da gelehrte Frauen im Grunde nichts wissen. Hier wird die Kritik Cabanis’ sehr deutlich, wenn er weiter ausführt, dass die Frau durch ihre physische und geistige Kon-stitution überhaupt nicht in der Lage ist, etwas zur Wissenschaft beizutragen.

Sie ist ungeduldig, kann sich nicht konzentrieren und deshalb nicht strukturiert denken. Sie kann nicht mit dem ‚Elan des männlichen Genies‘ mithalten. (Vgl.

Moreau de la Sarthe 1803/1, 121) Besonders scharf erklingt die Kritik an jenen Frauen, die sich in der Wissenschaft versuchen, denn dabei verlieren sie ihre Geschlechtlichkeit. Sie hören auf Frau zu sein und verlassen ihren Platz in der Gesellschaft. Erfolgreiche Frauen tut Cabanis als Sonderfall ab und sieht sie als noch größeres Übel. Sie vernachlässigen alle Aufgaben, die die Natur ihr zugedacht hat. Diese Frauen werden zu „êtres incertains“ (Cabanis 1805/1, 369), zu unbestimmten Wesen, da sie ihre Funktion vernachlässigen. Cabanis führt seine Sorgen um die in seinen Augen bedauernswerten Frauen aus: Sie können einen jungen Mann nicht mit ihren Reizen anziehen und ihn mit Annehmlich-keiten umsorgen. Ebenso befürchtet er, dass sie nicht von den Höhen ihres Genies herabsteigen, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern. All das, so ist der Autor überzeugt, sichert jedoch das Glück und die Gesundheit der Frau und macht ihren Wirkungsbereich aus. (Vgl. Cabanis 1805/1, 369–370) Moreau de la Sarthe relativiert dies ein wenig, indem er ausführt, dass die Tat-sache, dass Frauen in Wissenschaft, Kunst und Religion bislang nichts Großes

geschaffen haben, zweifellos auch in der Erziehung, Vorurteilen, Gebräuchen und bestimmten Umständen begründet ist. Er streicht aber gleichzeitig hervor, dass die ihr eigentümliche physische Organisation in erster Linie ausschlag-gebend ist, die er auf die gleiche Weise wie Cabanis beschreibt. (Vgl. Moreau de la Sarthe 1803/1, 119–120)

Der weibliche Geist mag zwar für abstraktes, wissenschaftliches Denken ungeeignet sein, doch entstehen aus genau dieser Schwäche „ces sentiments doux & affectueux qui constituent le principale caractère de la femme.“ (Roussel 1775, 31–32) Bei ihren von der Natur zugedachten Aufgaben wird die Frau mehr durch Instinkt als durch Intellekt geleitet. Diese Vorstellung nimmt bei Cabanis (1805/1, 378) mystische Züge an, wenn er schreibt, dass dieser „instinct animal“

eine unwiderstehliche, unergründliche Kraft auf die Frau ausübt und sie die Sprache der Natur hört. Dank ihrer Instinkthaftigkeit handeln Frauen moralisch unmittelbarer und lindern die Leiden der Menschen um sie herum, während Männer noch überlegen würden. Die Medizinphilosophen sind sich einig, dass die Frauen, auch wenn sie nicht so brillant wie Männer seien, umso nützlicher für die Arterhaltung sind. (Vgl. Roussel 1775, 31–32; Thomas 1772, 140–141) Intel-lektuelle Unterlegenheit ist ein natürlicher Vorteil, davon zeigt sich Roussel überzeugt, wenn er argumentiert, dass schwache und machtlose Kinder in den Händen der kalten Vernunft von Männern nicht lange überleben würden.4 Nur die Frau stürzt sich ohne nachzudenken in die Flammen, um ihr Kind zu retten, führt er als Beispiel für die hingebungsvolle Fürsorge der Frau an. (Vgl. Roussel 1775, 48–49) Diese unmittelbare Reaktion ist jedoch nicht nur positiv konnotiert.

Die weibliche maßlose und unreflektierte Emotionalität zeigt sich auch in der Raserei und Grausamkeit bei Aufständen, wovor Moreau de la Sarthe (1803/1, 126) warnt, wenn ihre Sensibilität pervertiert oder verirrt ist. Wenn sie jedoch innerhalb ihrer naturgegebenen Bahnen, also der Menschlichkeit und Liebe, bleibt, befähigt sie ihre gesteigerte Sensibilität zu heroischen Taten und Hin-gebung, wozu Männer wegen ihrer Rationalität nicht imstande wären, streicht Moreau de la Sarthe (1803/1, 126) hervor.

4 „Cette organisation étoit sans doute nécessaire dans le sexe, à qui la nature devoit confier le dépot de l’espece humaine encore foible & impuissante. Celle-ci eut mille fois péri, si elle eut été réduite aux secours tardifs && [sic!] incertains de la froide raison.“ (Roussel 1775, 48)