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Ergebnisse und Diskussion

Versuche der französischen Medizinphilosophie, post- revolutionäre ‚Models of women‘ zu etablieren

5  Ergebnisse und Diskussion

Der Platz der Frau im revolutionären Gesellschaftsentwurf ist ausschließlich auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ausgerichtet, was von den Medizinphiloso-phen durch eine natürliche Ordnung wissenschaftlich legitimiert wird. Dieses Geschlechterverhältnis ist strikt komplementär: was der Frau als Charaktereigen-schaft, Fähigkeit oder Aufgabe zugeordnet wird, ist für den Mann ausgeschlossen.

Diese strenge Geschlechtertrennung in die Sphären ‚privat‘ und ‚öffentlich‘, mit den jeweils unterschiedlichen Funktionen, ist für die Autoren der Grundstein für das soziale Gefüge: „[S]ur cette base chancelante que repose tout l’édifice de la société.“ (Roussel 1775, 41) Der Platz der Frau ist ganz klar der oikos und nicht die polis. Öffentliche Geschäfte, politische oder zivile, bleiben Männern über-lassen, die über ausreichend Kraft verfügen, sowohl körperlich als auch geistig.

(Vgl. Cabanis 1805/1, 358) Als ‚moralisches Geschlecht‘ – der Begriff wurde von Lieselotte Steinbrügge (1992) geprägt – obliegt ihr die Aufgabe, den zukünftigen und heranwachsenden Citoyens Werte zu vermitteln und sie zu moralisch und physisch gesunden Menschen zu erziehen. Gleichzeitig ist sie für das seelische und körperliche Wohl des Ehemanns zuständig. Damit sichert sie den Fortbestand der Gesellschaft und kann aufgrund ihrer ausgeprägten Moral die Degeneration verhindern, vor der um 1800 große Angst herrscht. Der Ausschluss der Frau aus

allem Öffentlichen erscheint in der Argumentation der Autoren als logische Kon-sequenz der Natur, die ihr sozusagen zum Ausgleich die wichtigste und edelste Aufgabe zugeteilt hat – die Gesundheit und Erhaltung der Art: „On diroit que dans la femme la nature à [sic!] tout fait pour les graces & pour les agréments, si on ne scavoit qu’elle a eu un objet plus essentiel & plus noble, qui est la santé de l’individu & la conservation de l’espèce.“ (Roussel 1775, 21) Gleichzeitig läuft sie aber auch selbst größte Gefahr, der Degeneration zu erliegen. Aus diesem Grund wird vor der Schwäche der Frau gewarnt und unzählige Ratgeber erscheinen, die das Leben der Frau und die Erziehung genau regeln, um eine Degeneration der Gesellschaft zu verhindern.

Es drängen sich angesichts der Ergebnisse der Textanalyse nun zwei Fragen auf: Warum reglementieren diese Entwürfe vor allem die Lebensweise von Frauen in einem solchen Maße? Warum unterscheiden diese sich so komplementär von jenen für Männer?

Die Revolutionäre haben eine Erneuerung der gesamten Gesellschaft und des Menschen vor Augen, die republikanischen Idealen und Naturgesetzen ent-spricht. Die Frau ist in diesem Entwurf die Schnittstelle für die Umsetzung einer utopischen Gesellschaftsvision. Denn sie garantiert durch ihre Gebärfähigkeit das erwünschte Bevölkerungswachstum, wodurch ihre physische Gesundheit unerlässlich ist. Sie ist für die Erziehung der Kinder verantwortlich, weshalb sie moralischen Idealen entsprechen muss. Die Natur als Legitimationsbasis für eine gesellschaftliche Ordnung ist eng mit politischen Implikationen verbunden und wird zum ideologischen Kampfbegriff. Diese natürliche Stellung der Frau ist aus folgenden Gründen so stark eingeschränkt: Für das Funktionieren der neuen Ordnung und die Stärkung der Nation ist eine Regeneration der Gesellschaft und eine Kontrolle des Körpers notwendig. Jedoch können manche Menschen ihren Körper aufgrund mangelnder physischer und moralischer Stärke nicht kon-trollieren, zu denen als Hochrisikogruppe eben auch Frauen gehören. Sie gelten neben Intellektuellen und Kindern als Hochrisikogruppe für die angestrebte Regeneration der französischen Gesellschaft. (Vgl. Quinlan 2007, 128–134) Yuval-Davis’ (2001, 12) These zufolge, reproduzieren „Frauen […] Nationen biologisch, kulturell und symbolisch“, weshalb sie strengen Einschränkungen unterworfen sind, wie sie an aktuellen Beispielen nachverfolgt. Diese Bürde der Frau und wie sehr Wissenschaft und Ideologie – beide im Dienste und Interesse der Nation agierend – einander bedingen, veranschaulichen die Diskurse rund um die Ent-völkerungsangst und das Ideal der Mütterlichkeit.

Die auf diesen medizinphilosophischen Entwürfen basierende streng kom-plementäre bürgerliche Ordnung der Geschlechter ist konstitutiv für die Moderne.

Die Ungleichheit von Mann und Frau ist für den Zusammenhalt der bürger-lichen Gesellschaft wesentlich, sowohl im Sozialen, im Politischen als auch im

Kulturellen. (Vgl. Eder 2002, 127–129) Dieses binäre komplementäre Ordnungs-schema verläuft entsprechend der Logik der „dualen Ausdifferenzierung der Wertsphären des Öffentlichen und Privaten und ihrer Definition in der Moderne.“

(Klinger 2004, 26) Der Mann ist darin hart und vernünftig und nimmt am kapita-listischen Wettbewerb teil. Er verkörpert alles, was die moderne Politik und Öko-nomie ausmacht. Die Frau hingegen ist weich, emotional und verkörpert Moral und Humanität. Sie symbolisiert, „unberührt vom Prozess der Modernisierung“

(Klinger 2004, 27), einen ahistorischen Naturzustand. Historische Forschungen haben gezeigt, dass es sich bei der geschlechtlichen Zuordnung dieser Merkmale und Sphären um eine Fiktion und keinen universellen Grund für die Ungleich-heiten handelt. Angesichts dessen muss uns bewusst sein, dass die Kategorie biologisches Geschlecht nicht als tatsächlich existierende Differenz verstanden werden darf, sondern ebenso wie soziales Geschlecht als Diskursmodi, wie auch Yuval-Davis (2001, 23) betont. Als Gegenschablone zum imaginierten ahis-torischen Zustand der Frau steht der Mann, der Kucklick (2008, 91–92) zufolge die Verkörperung des modernen Subjektbegriffs ist. Er ist dynamisch, wandel-bar und unbestimmt. Das erlaubt ihm, sich in einer funktional-differenzierten Gesellschaft an beliebiger Stelle einzufügen, und macht ihn gleichzeitig zu einer Bedrohung. Systemtheoretisch betrachtet spiegelt Männlichkeit die Fragmentie-rung und die Ambivalenz der modernen Gesellschaft wider. So verinnerlicht er die Moderne sowohl im Positiven mit Produktivität und Selbstbestimmung, als auch im Negativen mit Zerrissenheit, Vernunft, Abstraktion und Differenzierung.

Das Sein der Frau ist nun im Unterschied zum unbestimmten männlichen Sein teleologisch ausgerichtet und bietet eine stabile, unveränderliche Größe. Die Frau ist daher ordnungsstiftend für Moral und Gesellschaft, ihr ist ein bestimmter Platz und eine bestimmte Rolle zugeordnet. Doch genau diese Schwäche wird in der Argumentation paradoxerweise zu ihrer Stärke. Sie ist wie der Mann durch die Natur bestimmt und darf diese Position nicht verlieren. Ihre Tugenden und ihre Liebe machen sie anschlussfähig. Damit ist die Frau „Garantin für Sozia-lität“. (Kucklick 2008, 12) Der weibliche Subjektbegriff grenzt sich vom männ-lichen dadurch ab, dass er nicht selbstreferentiell ist, sondern sich an anderen, externen Quellen orientiert. Der Referenzpunkt liegt immer außerhalb: es ist der Ehemann, die Kinder, Gott, und damit ist die Frau wesentlich für Geselligkeit. Sie ist im Unterschied zum Mann kein autopoietisches System. Sie ist ein „geborener Fremdbezug“ (Kucklick 2008, 12) und braucht den Anschluss, der eine externe moralische Instanz bedingt. Diese Anschlussbedürftigkeit definiert und schränkt den weiblichen Subjektbegriff ein.

Die Lektüre dieser Texte zeigt, dass die Geschlechtersemantiken funktions-spezifisch in den verschiedenen Systemen distribuiert sind. Die körperlich schwa-che und sensible Konstitution ist für ihren Platz in der Familie zuhause genau

zugeschnitten, wohingegen die männliche Stärke für die Bereiche Politik, Wirt-schaft und Recht und für den Schutz der Familie prädestiniert. Die Frau ist in diesen Entwürfen dem Mann durch ihre ausgeprägte Aufmerksamkeit, Aufopfe-rungsbereitschaft, Mitleids- und Liebesfähigkeit moralisch überlegen und somit Maßstab in den Subsystemen Familie und Liebe. Es gibt demzufolge kein linear-hierarchisches Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Deshalb wählt Kucklick (2008, 216) den Begriff der Heterarchie, um die Relationierung der Geschlechter zu beschreiben, die „strukturgenau auf die funktional differenzierte Gesellschaft der Moderne“ (Kucklick 2008, 15) passt. Die postrevolutionären wissenschaftli-chen Definitionen von Weiblichkeit tragen die Semantiken der Moderne und ihre Gesellschaftsordnung in sich.

Literaturverzeichnis

Quellen

Cabanis, Pierre-Jean-Georges. Rapports du physique et du moral de l’homme. 2 Bde. Paris:

Crapelet, 1805.

Desmahis, Joseph-François-Édouard. „Femme (morale)“. Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Hg. Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert.

Paris: Briasson, David, Le Breton & Durand, 1751–1780. Bd. 6. 472–475.

Moreau de la Sarthe, Jacques-Louis. Histoire naturelle de la femme. 3 Bde. Paris: Duprat, Letellier & comp., 1803.

Roussel, Pierre. Système physique et moral de la femme. Ou Tableau philosophique de la constitution, de l’état organique, du tempérament, des mœurs et des fonctions propres au sexe. Paris: Vincent, 1775.

Thomas, Antoine-Léonard. Essai sur le caractère, les mœurs et l’esprit des femmes dans les différens siècles. Paris: Moutard, 1772.