Coaching und die Rolle des Unbewussten Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für
4 Was bedeutet dies nun für wirksames Coaching?
Die bisherigen Ausführungen haben zwei Punkte deutlich gemacht. Erstens spielen Psyche und Persönlichkeit sowie ihre Veränderbarkeit auch im Coa-ching eine große Rolle. Zweitens wird die Persönlichkeit eines Menschen ent-scheidend durch unbewusste und vorbewusste Inhalte und Prozesse auf den limbischen Ebenen bestimmt. Es ist deutlich geworden, dass der Einfluss der kognitiven Ebene auf das Erleben und Verhalten recht gering ausfällt, sodass tief greifende Veränderung nur durch starke emotionale Einwirkung auf den drei limbischen Ebenen erreicht werden kann. Hier spielen das Unbewusste und das Vorbewusste eine bedeutende Rolle. Das heute häufig stark kognitiv-reflexions-orientierte Coaching sollte daher hinterfragt und basierend auf diesen Erkennt-nissen weiterentwickelt werden.
Im Coaching geht es nicht immer um tief greifende Persönlichkeitsent-wicklung. Manchmal kann für die Klientin oder den Klienten ein Fortschritt bereits darin bestehen, durch Reflexion eine neue Perspektive auf ein Thema zu gewinnen oder eigene Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Aus diesem Grund ist es, vor allem im Coaching, notwendig, Problemarten, -ursachen und -tiefen präzise voneinander zu unterscheiden. Roth und Ryba (2016) bieten dafür die in Tabelle 3 dargestellten, unspezifischen – im Sinne von grundlegenden – und spezifischen Ansatzpunkte für Coaching und Therapie an und ordnen diese dem Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit zu.
Tabelle 3: Unspezifische und spezifische Ansatzpunkte für Coaching und Therapie (in Anlehnung an Roth & Ryba, 2016, S. 353 f.)
Ansatzpunkt Erläuterung
Neurowissen-schaftliche Ebene Unspezifische Ansatzpunkte
Zielklärung Konkrete und genaue Beschreibung von Zielen und möglichen Problemlösungen.
KE, OLE Ressourcenaktivierung Hinweis auf Stärken des Klienten/der
Patien-tin und die Möglichkeit, sich in dieser Weise zu erleben und zu verhalten.
KE, OLE
Problemaktualisierung
und Erlebnisaktivierung Aktivierung der neuronalen Netzwerke, die am Problem beteiligt sind.
KE, OLE, MLE Spezifische Ansatzpunkte
Umgehung des
Problems Vermeidung des Problems oder Veränderung von Rahmenbedingungen dergestalt, dass das Problem nicht mehr auftritt.
OLE, MLE
Symptom- oder Problembeseitigung
Beseitigung eines Symptoms oder Problems, das im Laufe der Zeit seine ursprüngliche Funktion verloren hat.
OLE, MLE
Kognitiv-motivationaler
Perspektivwechsel Vermittlung der Einsicht in die Hintergründe des Erlebens und Verhaltens durch ergebnis-orientierte Selbst- und Problemreflexion.
KE, OLE
Emotionen und
Körperempfindungen Vergegenwärtigung und Nacherleben von Emotionen sowie Abschwächung und Selbst-beruhigung von überschießenden Affekten.
Überwindung einer »neuromuskulären
Vollzieht sich bei leichteren Belastungen in corticalen limbischen, bei schwereren,
»strukturellen« Defiziten in subcorticalen limbischen Strukturen. Neu eingeübte Verhal-tensweisen löschen nicht die vorhandenen, sondern überdecken sie. »un-reifer« Fähigkeiten, Nachholen wichtiger Erfahrungen.
OLE, MLE
Umstrukturierung der inneren Landkarte
Verlassen des bisherigen, zu engen Bezugs-rahmens und Neuorganisation der inneren Landkarte. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt, dass das Umlernen und Neu-Erleben unter Hypnose erleichtert zu sein scheint.
KE, OLE, MLE
Entscheidungs- und Loslassprozesse
Trennung von dysfunktional gewordenen Vorstellungen und Fantasien.
KE, OLE
Ansatzpunkt Erläuterung Neurowissen-schaftliche Ebene
Umsetzungsunterstüt-zung und Evaluation Förderung der Umsetzung der Ziele im All-tag, Aktions- oder Zeitpläne, Durchdenken von Realisierungsmöglichkeiten, Antizipation möglicher Hindernisse, Einplanen von Beloh-nungen usw. Kontrolle des Erfolgs der Inter-ventionen und gegebenenfalls Nachbessern.
KE, OLE, MLE
Abkürzungen: KE = bewusste, kognitiv-sprachliche Ebene; OLE = bewusste obere limbische Ebene; MLE = nicht erinnerungsfähige bzw. tief vorbewusste, mittlere limbische Ebene;
ULE = unbewusste, untere limbische Ebene
Grob kann unterschieden werden zwischen eher »oberflächlichen«, das heißt weniger tief liegenden Problemen, und hartnäckigen Erlebens- und Verhaltens-mustern, denen meist emotionale Konflikte im Sinne des psychodynamischen Ansatzes zugrunde liegen. Um bei Letzteren professionell wirksam sein zu können, braucht es auch im ergebnisorientierten Coaching Kenntnisse in Psychodynamik. Eine unkritische und unreflektierte Übernahme der psycho-dynamischen Therapiekonzepte ist jedoch nicht zu empfehlen. Aus heutiger Sicht sind einige von Freuds Annahmen nicht haltbar (vgl. für eine ausführ-liche Darstellung Roth & Ryba, 2016). Zum anderen ist eine Methodik, die auf Einsicht setzt, aus neurowissenschaftlicher Sicht wenig geeignet, um das lim-bische System als Sitz von Psyche und Persönlichkeit nachhaltig zu verändern.
Hier bietet es sich eher an, mit hypnotherapeutischen Methoden zu arbeiten, da im Zustand der Trance ein besserer Zugriff auf vorbewusste Inhalte und eine Neustrukturierung von internalen Netzwerken möglich ist.
Insgesamt wäre es wünschenswert, im Sinne von Gilligan und Dilts eine Sowohl-als-auch-Haltung im Coaching zu etablieren. Auf diese Weise könn-ten die Stärken der jeweiligen Coaching-Ansätze sinnvoll in einem kohären-ten Coaching-Modell integriert werden, das idealerweise neurowissenschaft-lich fundiert ist.
Literatur
Cox, E., Bachkirova, T., Clutterbuck, D. (2014). The Complete Handbook of Coaching (2nd ed.). Los Angeles: Sage.
DBVC (2016). Definition Coaching. www.dbvc.de/der-verband/ueber-uns/definition-coaching.
html [15.2.2017].
Erickson, M. H., Rossi, E. L. (2015). Hypnotherapie. Aufbau – Beispiele – Forschungen. Stuttgart:
Klett-Cotta.
Ermann, M. (2008). Freud und die Psychoanalyse: Entdeckungen, Entwicklungen, Perspektiven.
Stuttgart: Kohlhammer.
Freud, S. (1991). Die Traumdeutung. Frankfurt a. M.: Fischer.
Gilligan, S. (2014). Generative Coaching – kreatives Bewusstsein nutzen. In A. Ryba, D. Pauw, D. Ginati, S. Rietmann (Hrsg.), Professionell coachen. Das Methodenbuch: Erfahrungswissen und Interventionstechniken von 50 Coachingexperten (S. 390–400). Weinheim: Beltz.
Greif, S. (2008). Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion. Göttingen: Hogrefe.
Greif, S. (2014). Coaching und Wissenschaft – Geschichte einer schwierigen Beziehung. Organi-sationsberatung, Supervision, Coaching, 21 (3), 295–311.
Grimmer, B. Neukom, M. (2009). Coaching und Psychotherapie. Gemeinsamkeiten und Unter-schiede – Abgrenzung oder Integration? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Kriz, J. (2007). Grundkonzepte der Psychotherapie (6., vollst. überarb. Aufl.). Weinheim: Beltz.
Lankton, S. R., Lankton, C. H. (2010). The Answer Within. A Clinical Framework of Ericksonian Hypnotherapy. Bethel: Crown House.
Maxwell, A. (2009). How do business coaches experience the boundary between coaching and therapy/counselling? Coaching: An International Journal of Theory, Research and Practice, 2 (2), 149–162.
Passmore, J. (2007). An Integrative Model for Executive Coaching. Consulting Psychology Journal:
Practice and Research, 59 (1), 68–78.
Peter, B. (2009). Die Ideengeschichte des Unbewussten in Hypnose und Psychoanalyse. Hypnose- ZHH. 4 (1+2), 49–78.
Price, J. (2009). The coaching/therapy boundary in organizational coaching. Coaching: An Inter-national Journal of Theory, Research and Practice, 2 (2), 135–148.
Rauen, C., Strehlau, A., Ubben, M. (2011). Eine integrative Theorie über die grundlegenden Wirk-zusammenhänge im Coaching. In B. Birgmeier (Hrsg.), Coachingwissen (S. 147–160). Wies-baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Roberts, V. Z., Jarrett, M. (2007). What is the difference and what makes the difference? A com-parative study of psychodynamic approaches to executive coaching. In H. Brunning (Ed.), Executive Coaching: Systems-Psychodynamic Perspective (pp. 3–39). London: Karnac Books.
Roth, G. (2004). Das Verhältnis von bewusster und unbewusster Verhaltenssteuerung. Psycho-therapie Forum, 12 (2), 59–70.
Roth, G., Ryba, A. (2016). Coaching, Beratung und Gehirn. Neurobiologische Grundlagen wirksa-mer Veränderungskonzepte. Stuttgart: Klett-Cotta.
Roth, G., Strüber, N. (2014). Wie das Gehirn die Seele macht. Stuttgart: Klett-Cotta.
Schmidt, G. (2011). Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung (4. Aufl.). Heidel-berg: Carl-Auer.
Schmidt-Lellek, C. J., Buer, F. (2011). Life-Coaching in der Praxis – Wie Coaches umfassend beraten.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Schreyögg, A. (2013). Psychodynamische Perspektiven im Coaching und in der Organisationsbe-ratung. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 20 (4), 375–377.
Schüßler, G. (2002). Aktuelle Konzeption des Unbewussten – Empirische Ergebnisse der Neuro-biologie, Kognitionswissenschaften, Sozialpsychologie und Emotionsforschung. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 48 (2), 192–214.
Segers, J., Vloeberghs, D., Hendrickx, E. (2011). Structuring and Understanding the Coaching Industry: The Coaching Cube. Academy of Management Learning & Education, 10 (2), 204–221.
Stahl, G. K., Marlinghaus, R. (2000). Coaching von Führungskräften: Anlässe, Methoden, Erfolg – Ergebnisse einer Befragung von Coaches und Personalverantwortlichen, Zeitschrift für Füh-rung und Organisation, 69 (4), 199–207.
Turner, E. (2010). Coaches’ views on the relevance of unconscious dynamics to executive coaching.
Coaching: An International Journal of Theory, Research and Practice, 3 (1), 12–29.
Whybrow, A., Palmer, S. (2006). Taking stock: A survey of Coaching Psychologists’ practices and perspectives. International Coaching Psychology Review, 1 (1), 56–70.
Wildflower, L. (2013). The Hidden History of Coaching. UK: McGraw-Hill Education.