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Persönlichkeit und das Unbewusste in den Neurowissenschaften

Im Dokument Wirkung im Coaching (Seite 66-70)

Coaching und die Rolle des Unbewussten Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für

3 Persönlichkeit und das Unbewusste in den Neurowissenschaften

In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Neurowissenschaften und die Psychologie viele neue Erkenntnisse über die Grundlagen des menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns gewonnen. Dazu gehört auch der Befund, dass das Unbewusste das Bewusstsein stärker bestimmt als umgekehrt und dass Letzteres nur in geringem Maße Einsicht in die unbewussten Determinanten des Erlebens und Verhaltens hat, wie ja schon Freud festgestellt hat. Betrachten wir nun das, was aus neurowissenschaftlicher Sicht unter unbewusstem, vor-bewusstem und vor-bewusstem Erleben zu verstehen ist, bevor wir uns mit dem Vier-Ebenen-Modell von Psyche und Persönlichkeit auseinandersetzen.

3.1 Das Unbewusste, das Vorbewusste und das Bewusste

Tabelle 1 stellt im Überblick das neurowissenschaftliche Verständnis von Un-bewusstem, Vorbewusstem und Bewusstem dar (vgl. dazu Roth & Ryba, 2016).

Tabelle 1: Das Unbewusste, das Vorbewusste und das Bewusstsein Das Unbewusste Primär unbewusst

Zustände, die grundsätzlich nicht bewusst gemacht werden kön-nen, weil sie nicht in einem »be-wusstseinsfähigen Format« vor-liegen (z. B. Wahrnehmungen der sensorischen, corticalen Areale wie unter anderem die Prozesse der Netzhaut usw.).

Wahrnehmungsprozesse, welche die Bewusstseinsschwelle nicht überschreiten.

Sekundär unbewusst

Wahrnehmungen, die nicht in das Langzeitgedächtnis gelangen.

Prozesse vor Ausreifung des Langzeitgedächtnisses (infantile Amnesie).

Hirnvorgänge, die außer-halb der Großhirnrinde, also subcortical ablaufen. Viele Vertraut-heitsgedächtnis), die aktuell nicht bewusst sind, aber bewusst ge-macht werden können.

Die Inhalte sind je nach Veranke-rung unterschiedlich leicht bzw.

schwer abrufbar – unter Umstän-den werUmstän-den sie »sekundär unbe-wusst«, d. h. nicht erinnerbar.

Abläufe, die automatisiert und da-mit in das prozedurale Langzeit-gedächtnis abgesunken sind. Meinig-keit des Körpers, Autorschaft und Kontrollempfinden, Verortung in Zeit und Raum, Unterscheidung von Realität und Vorstellung).

Großhirnrinde, insbeson-dere vorinsbeson-deres und hinteres Arbeitsgedächtnis.

Deutlich wird, dass der Begriff des Unbewussten in den Neurowissenschaften anders definiert wird als in psychoanalytischen und hypnotherapeutischen Kon-zepten. Das, was dort mit dem Unbewussten gemeint ist, entspricht aus neuro-wissenschaftlicher Perspektive dem tiefen Vorbewussten.

3.2 Persönlichkeit: rationaler Ratgeber und eigentlicher Akteur Hirnphysiologisch betrachtet, wird die Persönlichkeit eines Menschen durch drei Ebenen des limbischen Systems und eine vierte Ebene der Großhirnrinde bestimmt (vgl. zum Folgenden Roth & Ryba, 2016). Diese Ebenen und die mit ihnen verbundenen Prozesse unterscheiden sich funktional voneinander und sind dem Individuum entweder unbewusst oder vorbewusst/bewusst. Ihre Ent-wicklung wird durch folgende fünf Faktoren determiniert: Gene im engeren Sinne, die epigenetischen Gen-Regulationsmechanismen, vorgeburtliche Ein-flüsse, die Bindungserfahrung in den ersten drei Jahren nach der Geburt und den weiteren Sozialisationsprozess.

Die untere limbische Ebene wird vor allem durch genetisch-epigenetische und vorgeburtliche Einflüsse geprägt und ist später nur noch wenig beeinflussbar. Sie sichert über die Kontrolle der vegetativen Funktionen die biologische Existenz und steuert grundlegende affektive Verhaltensweisen wie Angriff, Verteidigung, Flucht, Erstarren, Aggressivität und Sexualverhalten. Außerdem bestimmt sie das Temperament, mit dem ein Mensch geboren wird. Die Prozesse auf dieser Ebene laufen völlig unbewusst ab und können nur indirekt über Erregungen bewusst werden, die in die bewusstseinsfähige Großhirnrinde dringen.

Die mittlere limbische Ebene entwickelt sich vornehmlich in den ersten drei Jahren nach der Geburt und wird wesentlich durch die frühkindliche Bindungs-erfahrung beeinflusst. Auch wenn diese Zeit teilweise bewusst erlebt wird, sind ihre Inhalte später nicht erinnerungsfähig, weil sich das Langzeitgedächtnis in dieser Phase noch nicht ausgebildet hat. Dies wird als infantile Amnesie bezeichnet. Diese Ebene bildet jedoch die unbewusste Grundlage unserer Kern-persönlichkeit. Sie legt fest, was wir als belohnend empfinden und was uns moti-viert. Außerdem bestimmt sie das Verhältnis zu uns selbst und zu anderen und ist die Grundlage unserer Empathiefähigkeit.

Die obere limbische Ebene entwickelt sich etwa ab dem vierten Lebensjahr und ist erst mit 18 bis 20 Jahren einigermaßen »ausgereift«. Sie bettet sozusa-gen die Kernpersönlichkeit, die durch die beiden unteren Ebenen determiniert ist, in die soziale Welt ein. Auf der Grundlage sozialer Erfahrung bilden sich unser bewusstes Selbst und unser Verständnis von Moral und Ethik heraus.

Die Kernpersönlichkeit wird also konkretisiert und passt sich an die

Erforder-nisse des gesellschaftlichen Lebens an. Dieser Prozess findet bewusst statt. Die obere und die mittlere limbische Ebene können nur durch starke Emotionen verändert werden.

Den drei limbischen Ebenen steht die kognitiv-sprachliche Ebene gegenüber, die vornehmlich in der Großhirnrinde angesiedelt ist. Ihre Entwicklung beginnt ab dem dritten Lebensjahr und verändert sich zeitlebens. Die kognitiv-sprach-liche Ebene bildet die Grundlage von Intelligenz, Verstand und Einsicht sowie von planvollem Handeln. Sie ist sozusagen der rationale Ratgeber. Auf dieser Ebene findet auch die rationale oder pseudorationale Darstellung und Recht-fertigung des bewussten Ichs vor sich selbst und anderen statt.

Wichtig ist nun, sich vor Augen zu führen, dass die Großhirnrinde als Sitz von Intelligenz und Verstand keinen direkten Einfluss auf Veränderungen in den limbischen Ebenen hat, die umgekehrt stark auf die kognitiv-sprachliche Ebene einwirken. Die drei limbischen Ebenen sind nämlich der Entstehungsort von Affekten, Gefühlen, Empathie, Motiven, Handlungszielen, Gewissen, Moral und Ethik. Sie prägen somit weitgehend unsere Persönlichkeit und unser egoistisches und soziales Handeln. Dies erklärt, warum kluge Ratschläge und Einsichten allein Menschen meist nicht nachhaltig beeinflussen. Wird nur die kognitive Ebene erreicht, dann wird sozusagen der »rationale Ratgeber«, nicht aber der

»eigentliche Akteur« gecoacht. Damit relativiert sich die Wirksamkeit der als zentral eingeschätzten ergebnisorientierten Selbst- und Problemreflexion (Greif, 2008) im Coaching. Dies bedeutet keineswegs, dass Reflexion keine Rolle mehr spielen sollte, sondern dass sie allein nicht alle Problemstellungen lösen kann.

Tabelle 2: Vier-Ebenen-Modell von Psyche und Persönlichkeit

Ebene Funktionen Entwicklung

Untere limbische Ebene Primär unbewusst.

Limbisch-vegetative Grundachse:

Hypothalamus.

Zentrale Amygdala, zentrales Höhlengrau, vegetative Zentren des Hirnstamms.

Sekundär unbewusst, d. h. nicht erinne-rungsfähig aufgrund der infantilen Amnesie.

Kann auch »tief vorbewusste« Anteile besitzen. (Bindungs-)Erfahrun-gen. Nur über starke emotionale Einwir-kungen veränderbar.

Ebene Funktionen Entwicklung Obere limbische Ebene

Bewusst.

Kann ins Vorbewusste absinken.

Limbische Areale der Großhirnrinde:

Prä- und orbitofrontaler, cingulärer und insulärer Cortex.

Einbettung der Kernpersönlichkeit in die soziale Welt

Die Entwicklung beginnt mit etwa vier Jahren und ist erst im Alter von 18 bis

Linke Großhirnrinde, besonders die Sprachzentren und der präfrontale Cortex, cortico-hippocampales System. beginnt mit etwa drei Jahren und verändert sich ein Leben lang.

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