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5. Diskussion

5.1 In vitro-Organbad-Experimente

Wie unter 4.1.1 beschrieben, verursachte die kumulative Gabe der K+-Kanalöffner eine dosisab-hängige Reversion der durch 80 mM KCl induzierten tonischen Kontraktion der Uretermuskulatur.

Das Maximum der Reversion der initialen Tension (Rmax) lag in einem Intervall von 12% (BRL 38227) bis 56% (HOE 234). Innerhalb des in den Experimenten verwendeten Konzentrationsinter-valls (1 nM - 10 µM) konnte lediglich für HOE 234 ein EC50-Wert abgeleitet werden (6.5 µM). Die Wirkungen von K+-Kanalöffnern (HOE 234, Cromakalim, Levcromakalim = BRL 38227, Pinacidil, YM 934), darunter auch die in dieser Arbeit verwendeten Verbindungen, sind in In vitro - Model-len bisher vor allem an isolierter glatter Muskulatur des vaskulären Systems und der Atemwege

Die Experimente an vaskulärer Muskulatur verwendeten ringförmige Präparate der Vena saphena magna, die Patienten im Rahmen der Korrektur variköser Venen aus dem Ober- oder Unterschenkel entnommen worden waren, Segmente der Mesenterialarterie, isolierte subkutane Arteriolen sowie Gefäße des Myometriums ( Ø 1 mm - 3 mm). Eine Konstriktion des Gewebes wurde durch KCl (80 mM), Prostaglandin F2 alpha, die alpha-Adrenozeptoragonisten Phenylephrin oder Noradrenalin oder, im Falle der aus der Muskelschicht des Uterus isolierten arteriellen Gefäßanteile, das endo-gene vasokonstriktorische Peptid Vasopressin induziert. Alle Arbeiten beschreiben eine effektive, dosis-abhängige Reversion der vaskulären Tension durch die K+-Kanalöffner, die angegebenen EC50-Werte liegen in einem Intervall von 0.39 ± 0.04 µM bis 1.7 ± 0.25 µM, diese korrespondie-ren mit Rmax-Werten, die zu 70 ± 2% bis 81 ± 6% bestimmt wurden. Die spontane kontraktile Aktivität isolierter intrauteriner Arterien wurde durch Cromakalim oder Pinacidil in einem Kon-zentrationsintervall 1 nM - 5 µM vollständig inhibiert (52-55). Diese Ergebnisse entsprechen den unter 4.1.2 beschriebenen Effekten von HOE 234 auf isolierte Segmente der A. coronaria (Rmax

= 100 ± 0%), A. pulmonalis (Rmax = 60%) und A. renalis (Rmax = 50%) und bestätigen die we-sentlich geringere vaskuläre Aktivität des S 0121, dessen Rmax-Werte zwischen 15.5% (A. renalis) und 28% (A. coronaria) bestimmt wurden. Auch CHESS-WILLIAMS ET AL. (1999), welche die Ef-fekte von Levcromakalim und YM 934 auf die durch den Muskarinagonisten Carbachol induzierte tonische Kontraktion isolierter Streifenpräparate des humanen Detrusormuskels untersuchten, berücksichtigten in ihrer In vitro-Studie den relevanten Punkt einer möglichen (Uro-)Detrusors-elektivität der beiden K+-Kanalöffner. Zu diesem Zweck führten sie ergänzende Experimente zur inhibitorischen Wirkung der Substanzen auf den Tonus isolierter Segmente der Mesenterialarterie durch. Der Vergleich der Substanzeffektivtäten (Drug Efficacy = Rmax) zeigte keine statistisch signifikanten Unterschiede der Wirkungen von Levcromakalim und YM 934 auf die muskarinerge Tension der Detrusormuskulatur oder die adrenerg (durch Phenylephrin) vermittelte Konstriktion der vaskulären Segmente. Aus einer um den Faktor 2 höheren Sensitivität (Drug Potency) der Streifenpräparate des Detrusors gegen YM 934 ließ sich ebenfalls keine selektive Wirkung des K+-Kanalöffners auf die glatte Muskulatur der Harnblase ableiten (56). Betrachtet man die Sub-stanzeffektivität von S 0121 an zirkulären Segmenten des Ureters (Rmax = 19.5 ± 3%) und der vaskulären glatten Muskulatur (Rmax A. coronaria = 28 ± 3%, Rmax A. pulmonalis = 16 ± 5.4%, Rmax A. renalis = 15.5 ± 5.5%), so ist festzustellen, daß die spasmolytische Wirkung der Substanz auf den Ureter trotz ihrer geringen vaskulären Aktivität sehr wahrscheinlich nicht in eine klinische Effektivität in der Pharmakotherapie der (Uretero-)Urolithiasis übersetzt werden kann.

Experimente an isolierter humaner Bronchialmuskulatur zeigten eine dosisabhängige Reversion der durch den Muskarinagonisten Methacholin (1 µM) verursachten tonischen Kontraktion der Gewebesegmente als Reaktion auf die kumulative Zugabe von BRL 38227 oder HOE 234 (1 nM - 10 µM). Die nach der Applikation der maximalen Substanzkonzentration der K+-Kanalöffner gemessene Relaxation betrug 80% (BRL 38227) und 90% (HOE 234) der durch 0.1 mM (100 µM) des unspezifischen PDE-Inhibitors Papaverin eingeleiteten Antagonisierung der cholinergen Tensi-on. Die in der Literatur angegebenen EC50-Werte der dilatatorischen Wirkung der K+-Kanalöffner liegen im unteren mikromolaren Bereich (0.07 µM - 0.24 µM). Eine Präinkubation der Bronchial-präparate mit Glibenclamid, einem Inhibitor ATP-sensitiver K+-Kanäle, führte zu einer deutlichen

Diskussion

Der Detrusormuskel war das erste Organ des der Ableitung und Speicherung des Harns dienenden Systems, an dem die Effekte eines K+-Kanalöffners evaluiert wurden. FOVAEUS ET AL. (1989) zeigten eine Inhibition der durch den Muskarin-Agonisten Carbachol und niedrige K+ -Konzentra-tionen (< 60 mM) induzierten Kontraktilität isolierter Streifenpräparate des humanen Detrusors durch Pinacidil, eines Aktivators ATP-abhängiger K+-Kanäle (K+ATP), dessen antihypertensive Eigenschaft zum damaligen Zeitpunkt bereits bekannt war. Außerdem registrierten sie eine kon-zentrationsabhängige Zunahme des Efflux von 86Rb aus preloaded glatten Muskelzellen des De-trusors in Gegenwart von Pinacidil, dieser Effekt blieb nach einer Präinkubation der Zellen mit den K+-Kanalblockern Tetraethylammoniumchlorid (TEA) und Procain aus. Aus ihren Beobachtungen schlossen FOVAEUS ET AL. darauf, daß die Aktivierung von K+-Kanälen ein neues Prinzip der Pharmakotherapie von Störungen der Speicherfunktion der Harnblase (OAB = Overactive Bladder, Detrusorhyperaktivität) sein könnte (58). Diese Hypothese wurde von DARBLADE ET AL. im Jahr 2006 erneut propagiert. Sie untersuchten, ebenfalls an isolierten Streifenpräparaten des huma-nen Detrusormuskels, die Wirkung des K+(ATP)-Kanalöffners Pinacidil (10 µM) sowie nanomolarer Konzentrationen (100 nM) von Iberiotoxin und Apamin, beide selektive Inhibitoren Ca2+ -aktivier-ter K+-Kanäle, auf die Frequenz, Amplitude und die Kraftentwicklung über die Zeit (Area under force-time curve) myogener phasischer Kontraktionen des Gewebes. In diesem In vitro-Modell induzierten Iberiotoxin und Apamin eine signifikante Zunahme des Maximums der Kontraktions-amplituden und der Fläche unter der Kraft-Zeit Kurve, während die phasische Kontraktilität durch Pinacidil inhibiert wurde (59). Eine klinische Studie zeigte unter der oralen Gabe von Pinacidil (25 mg/Tag) jedoch keine signifikanten Änderungen der urodynamischen Parameter oder eine Verbes-serung der Symptomatik in einer Gruppe von 10 männlichen Patienten mit Detrusorinstabillitäten und einer Blasenauslaßobstruktion (BOO = Bladder Outlet Obstruction), allerdings wurde nach der Applikation der Wirksubstanz eine deutliche Verminderung des Blutdrucks der Probanden registriert (60). Ähnliche Ergebnisse beschreiben KOMERSOVA ET AL. (1995), welche die Effekte von BRL 38227 (Levcromakalim) (7.5 µg/kg KG) auf die Blasenfunktion von sechs Querschnitt-Patienten untersuchten. In diesem Modell zeigte die Füllungs- und Miktionszystometrie lediglich eine Verlängerung der mittleren Dauer der Detrusorkontraktionen, Änderungen anderer urodyna-mischer Parameter wurden nicht festgestellt. Auch die Gabe von Levcromakalim führte zu einer Reduktion des Blutdrucks der Patienten (von 126 mm Hg auf 104 mm Hg), weshalb KOMERSOVA ET AL. keine Möglichkeit einer oralen Applikation höherer Dosierungen des K+-Kanalöffners sehen (61).

In vitro-Studien zu den Effekten von K+-Kanalöffnern auf die kontraktile Aktivtät des Ureters verwendeten fast ausschließlich isoliertes Gewebe verschiedener Labortiere. MAGGI ET AL. (1994

& 1996) untersuchten die inhibitorische Wirkung von Cromakalim auf die durch 80 mM KCl indu-zierte tonische Kontraktion ebenso wie auf die durch elektrische Feldstimulation (EFS) provozier-te, Tetrodotoxin (TTX)-resistente phasische Kontraktilität isolierter Segmente des Ureters, die sie Meerschweinchen entnommen hatten. Sie beobachteten eine vollständige Suppression der durch EFS vermittelten Kontraktionen in Gegenwart von 3 µM Cromakalim (EC50 = 0.47 µM), dieser Effekt wurde durch mikromolare Konzentrationen von Glibenclamid antagonisiert. Im Gegensatz dazu registrierten sie keine ausgeprägte Reversion der tonischen Kontraktion durch den K+

-Ka-nalöffner. Lediglich eine von ihnen beobachtete phasische Komponente der durch KCl eingelei-teten Kontraktion der Uretermuskulatur wurde von Cromakalim (3 µM) inhibiert (62). Ähnliche Ergebnisse beschreiben auch DE MOURA & DE LEMOS NETO (1996), die Experimente an isolierten zirkulären Segmenten des humanen Ureters durchführten. Sie registrierten keine Reversion der durch 60 mM KCl induzierten tonischen Kontraktion der Uretermuskulatur durch Cromakalim, daß sie bis zu einer maximalen Konzentration von 10 µM in die Badkammern applizierten (63). Diese Arbeiten bestätigen die unter 4.1 beschriebenen marginalen Effekte von BRL 38227 auf den Tonus der glatten Muskulatur des Ureters. Experimentelle Arbeiten, welche neben Cromakalim oder Lev-cromakalim auch HOE 234 und S 0121 an isolierten Gewebesegmenten des Ureters des Menschen, des Kaninchens oder Meerschweinchens getestet haben, sind in der Literatur nicht verfügbar. Im Gegensatz dazu evaluierten zahlreiche In vitro-Studien die dilatatorischen Effekte von Wirksub-stanzen aus der Gruppe der PDE-Inhibitoren auf die Kontraktilität der Uretermuskulatur. STIEF

& TAHER ET AL. (1995) zeigten in Organbad-Experimenten eine Antagonisierung der tonischen, durch KCl induzierten Kontraktion zirkulärer Gewebesegmente durch Rolipram, einen Inhibitor der cAMP-spezifischen PDE4 (64). Die Hypothese, daß die nitrinerge, von NO und cGMP abhängige Signaltransduktion an der Antagonisierung der kontraktilen Aktivität des Ureters beteiligt ist, war die Rationale für funktionelle Experimente mit selektiven Inhibitoren der cGMP-spezifischen PDE5. KÜHN ET AL. (2000) beschreiben eine Reversion der Tension der Gewebesegmente in Ge-genwart der PDE5-Inhibitoren BAY 12-7715 und E 4021, die von ihnen bestimmten EC50-Werte der Substanzwirkungen lagen jedoch im oberen mikromolaren Bereich (BAY 12-7715 = 20 µM, E 4021 = 50 µM) (65). SAIGHI ET AL. (2000) registrierten nach kumulativer Gabe von Zaprinast (M&B 22984, 10 nM - 100 µM), das als Inhibitor der cGMP-spezifischen PDE5 und der sowohl cAMP als auch cGMP hydrolisierenden PDE1 charakterisiert ist, nur eine marginale Reversion des Tonus isolierter proximaler Segmente des Ureters, beobachteten allerdings eine Potenzierung der relaxierenden Wirkung des Nitrovasodilators (NO-Donors) Na+-Nitroprussid in Gegenwart des PDE-Inhibitors (66). Auch GRATZKE ET AL. (2006), die ebenfalls mit der Organbad-Methode die Effekte der PDE5-Inhibitoren Zaprinast, Tadalafil, Sildenafil und Vardenafil auf den humanen Ureter untersuchten, beschreiben nur geringe In vitro-Effekte dieser Substanzen auf die tonische Kontraktion der glatten Muskulatur. Keine der von ihnen verwendeten Substanzen führte zu einer 50%igen Reversion des initialen Tonus (EC50) der zirkulären Uretersegmente, sie bestimmten für das Tadalafil einen Rmax von lediglich 6.0 ± 4%, für das Sildenafil ergab sich ein Wert von 20 ± 4%, für Vardenafil betrug dieser 23 ± 12%. (67). In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berück-sichtigen, daß die pharmakologische Wirkung eines PDE-Inhibitors im Gegensatz zu der eines K+ -Kanalöffners durch die Akkumulation der zyklischen Nukleosidmonophosphate cAMP oder cGMP vermittelt wird. Da der Umsatz zyklischer Nukleotide in isolierten Segmenten glattmuskulärer Organe gering ist, können durchaus superphysiologische Konzentrationen eines PDE-Inhibitors notwendig sein, um eine Gewebereaktion zu induzieren. Da ein Organsystem In vivo durch eine höhere Nettoproduktion zyklischer Nukleotide charakterisiert ist, kann die Wirkung eines PDE-Inhibitors deshalb wesentlich ausgeprägter sein (68,69).

Diskussion

Die Ergebnisse der Organbad-Experimente zeigen, daß pharmakologisch aktive Verbindungen aus der Wirkstoffgruppe der K+-Kanalöffner (BRL 38227 = Levcromakalim, HOE 234, S 0121) zu einer Reversion der durch KCl induzierten Tension isolierter ringförmiger Gewebepräparate des Ureters führen. Diese Effekte sind jedoch, wie im Fall des Levcromakalim (Rmax = 12 ± 3%) und S 0121 (Rmax = 19.5 ± 3%), wahrscheinlich zu gering, um in eine relevante klinische Wirkung im Sinn einer effektiven lokalen Spasmolyse, einer Beschleunigung der Konkrement-Passage und einer Linderung der Koliksymptomatik übersetzt werden zu können, oder wären, wie im Fall des HOE 234, mit erheblichen vaskulären Nebenwirkungen verbunden, welche die Anwendung der Sub-stanz und die zu verwendende Dosierung wesentlich limitieren würden.