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1. Einleitung

1.5 K + -Kanalöffner und ihr klinisches Potential

Das Wissen um die profunde physiologische Bedeutung von K+-Kanälen und das therapeutische Potential der pharmakologischen Modulation ihrer Aktivität hat zur Entwicklung verschiedener K+-Kanalöffner geführt, die (theoretisch) geeignet sind, Organ- und Gewebe-funktionen selektiv zu beeinflußen. Die wichtigsten Indikationsbereiche für K+-Kanalöffner sieht man heute in der Inneren Medizin, der Neurologie, Dermatologie und der Urologie.

Seit einigen Jahren ist das Levosimendan, ein Aktivator ATP-abhängiger K+-Kanäle (K+ATP), in eini-gen europäischen Ländern für die Therapie der Herzinsuffizienz (low output heart failure) zugelas-sen. Die hämodynamischen - positiv inotropen und vasodilatatorischen - Effekte des Medikaments sind in zahlreichen klinischen Studien dokumentiert worden, eine Verwendung des Präparats in der Ersttherapie des Myokardinfarkts, zur inotropen Unterstützung der Herzfunktion und der Senkung der Vor- und Nachlast während offener kardialer Eingriffe sowie zur Kompensation po-stinterventionaler myokardialer Dysfunktion (Stunning) wird gegenwärtig evaluiert (26). KRN 4884 (5-Amino-N-[2-(2-chlorphenyl)ethyl]-N‘-cyano-3-pyridincarboxamidin) (Kirin Brewery Inc., Pharmaceutical Division, Japan), ein als K+-Kanalöffner wirkendes synthetisches Pyridin-Derivat, befindet sich in der letzten Phase der präklinischen Entwicklung. Im Tiermodell (conscious spontaneously hypertensive rat = cSHR) hatte die Applikation von 0.5 mg/kg KG und 1.5 mg/kg KG KRN 4884 (p.o.) einen anhaltenden antihypertensiven Effekt. Die repetitive Gabe über einen

Zeitraum von 7 Tagen führte nicht zu einer vaskulären Desensibilisierung (3-Pyridin-Toleranz) der Versuchstiere gegen KRN 4884, eine Verminderung der antihypertensiven Aktivität über die Zeit wurde nicht registriert. Die Tatsache, daß sich der vasodilatatorische Effekt von KRN 4884 nach dem Absetzen der Medikation für mehrere Tage erhält, ist wahrscheinlich auf die langsame Assoziation und Dissoziation des Moleküls mit und von den Bindungsstellen in den Membranen der vaskulären glatten Muskelzellen zurückzuführen (27).

Bereits seit längerem ist bekannt, daß Aktivatoren ATP-abhängiger K+-Kanäle die experimentell induzierte Hyperreaktivität der Atemwege (airways hyperreactivity = AHR) antagonisieren, auch ihre klinische Effektivität in der Asthma-Therapie konnte gezeigt werden. Bisher war die klinische Anwendung dieser Wirksubstanzen jedoch aufgrund kardiovaskulärer Nebenwirkungen erheblich limitiert (28). Mit dem KCO 912 (3.4-Dihydro-3-hydroxy-2.2-dimethyl-4-(2-Oxo-1-piperidinyl)-N-phenyl-2 H-1-Benzopyran-6-sulfonamid) steht seit 2002 ein K+(ATP)-Öffner zur Verfügung, der AHR-Ereignisse effektiv supprimiert ohne die kardiovaskulären Funktionen zu beeinflußen.

In In vivo - Modellen, die Meerschweinchen, Rhesus-Affen oder Ratten verwendeten, führte die Gabe physiologischer Dosierungen KCO 912 (1 µg/kg KG - 3 mg/kg KG, in Abhängigkeit von der Spezies und der Route der Applikation, d.h. lokal intratracheal oder durch Inhalation) zu einer raschen Reversion (t < 5 min.) der durch Ozon, Lipopolysaccharide, Salbutamol oder Methacholin induzierten Bronchokonstriktion. Signifikante Effekte auf den Blutdruck und die Herzfrequenz der Tiere wurden nicht festgestellt. Das präklinische Profil von KCO 912, die verzögerte Passage der Verbindung aus dem Respirationstrakt in die systemische Zirkulation und die dort erfolgende ra-sche Degradierung (t0.5 = 30 min.) machen die Wirksubstanz zu einem interessanten Kandidaten für die klinische Entwicklung (29).

In der Neurologie befindet sich die Akut-Therapie des Schlaganfalls (Apoplex, Ischemic stroke) gegenwärtig in einer Phase der kritischen Analyse ihrer Effektivität, neue Therapie-Optionen wer-den diskutiert. Das Apoplex-Ereignis ist physiologisch durch die Initiierung einer biochemischen Kaskade charakterisiert, die schließlich zu einer Hyperexzitabilität cortikaler Neurone führt. Die Ursache dafür ist die exzessive Freisetzung exzitatorischer Aminosäuren und Neuropeptide und die Erhöhung der intrazellulären Konzentration freien Ca2+ als Folge der lokalen Ischämie. In neuro-protektiv wirkenden NMDA (N-Methyl-D-Aspartat) Antagonisten und der Blockierung spannungs-abhängiger Ca2+-Kanäle sieht man daher neue Strategien der Behandlung. Da der Mechanismus der Freisetzung von Neurotransmittern und die Kontrolle der neuronalen Erregbarkeit auch K+ -Kanäle involviert, gilt solchen K+-Kanalöffnern, die selektiv auf neuronale K+-Kanäle wirken, das Interesse der neuropharmakologischen Forschung. BMS-203252 (Bristol Myers Squibb Inc., USA), ein Fluoroxindol, ist ein Aktivator der Ca2+-abhängigen large conductance K+-Kanäle und der spannungsabhängigen non-inactivating K+-Kanäle, auch als KCNQ-Kanäle bezeichnet, die wich-tige Suptypen neuronaler K+-Kanäle repräsentieren. Im Tiermodell der permanenten Okklusion der mittleren Zerebralarterie (middle cerebral artery = MCA) reduzierte BMS-203252, appliziert i.v. in einer Dosierung von 0.3 mg/kg KG innerhalb von 2 h nach der Okklusion des Gefäßes,

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signifikant das cortikale Infarktvolumen. Eine klinische Studie der Phase III, die 1.978 Patienten mit akutem Apoplex einschloß, ergab jedoch keine Unterschiede zwischen der wiederholten Administration von BMS-204352 (0.1 mg/kg KG - 2 mg/kg KG i.v innerhalb von 48 h nach dem Anfallsereignis) oder der Gabe eines Placebo-Präparats (30,31). Die Erregung cortikaler Neurone durch die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter und Alterationen der Konzentration freien Ca2+ spielt auch in der Pathophysiologie der Epilepsie eine Rolle. Es ist daher nachvollziehbar, daß die Sicherheit und Effektivtät von K+-Kanalöffnern auch in dieser Indikation untersucht worden ist. Retigabin (ASTA Medica GmbH, Deutschland), wie das BMS-204352 ein selektiver Aktivator neuronaler K+-Kanäle, zeigte in verschiedenen präklinischen Epilepsie-Modellen einen deutli-chen antikonvulsiven Effekt. Dieser ergibt sich vermutlich aus verschiedenen Mechanismen der Substanzwirkung, welche die Potenzierung der zentralen, GABA-abhängigen Neurotransmission und die Modulation der Aktivität zellulärer Na+-und Ca2+-Kanäle einschließt. Phase II - Studien zeigten eine Verminderung der Frequenz der Krampfereignisse um mehr als 50% in 12 von ins-gesamt 35 Patienten mit Therapie-refraktärer Epilepsie. Häufige moderate Nebenwirkungen wa-ren Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Übelkeit. Die neuroprotektiven Eigenschaften des Retigabin lassen grundsätzlich auch eine Anwendung der Substanz in der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer- und Huntington-Krankheit oder der Multiplen Sklerose vielver-sprechend erscheinen (32).

Neben malignen Erkrankungen der Niere, Harnblase und Prostata sowie Dysfunktionen des obe-ren und unteobe-ren Harntrakts (Steinerkrankungen, Overactive Bladder Syndrome = OAB, Lower Urinary Tract Symptomatology = LUTS, Benigne Prostatahyperplasie = BPH, BPH-assoziierte Obstruktionen des Blasenauslaßes = BOO) sind auch Störungen der männlichen und weiblichen Sexualfunktion Gegenstand der klinischen Urologie. Die Erektile Dysfunktion (ED) ist neben der Ejaculatio praecox (EP) die häufigste sexuelle Funktionsstörung des erwachsenen Mannes.

Obwohl mit den selektiven Phosphodiesterase (PDE)5-Inhibitoren Sildenafil (VIAGRA®), Tadalafil (CIALIS®) und Vardenafil (LEVITRA®) effektive, verträgliche und sichere orale Pharmakotherapien zur Verfügung stehen, ist die Identifizierung neuer innovativer Wirksubstanzen zur raschen Wiederherstellung der Erektionsfunktion nach wie vor ein Ziel der klinisch-pharmakologischen Forschung. Gegenwärtig werden neue PDE5-Inhibitoren (Avanafil, Lodenafil, Udenafil, nitrosy-liertes Sildenafil), alpha1-Rezeptorantagonisten (Phentolamin), NO-unabhängige Aktivatoren der zytosolischen Guanylatzyklase (BAY 41-2272, BAY 41-8543, A 344905, A 350619), Rho-Kinase (ROK)-Inhibitoren (Y-27632), synthetische Melanocortin-Rezeptoragonisten (PT-141) und Wachstumsfaktoren (z.B. human Growth Hormone = hGH) in präklinischen oder klinischen Modellen auf ihre Verwendbarkeit in der Indikation ED getestet (33). In diesem Zusammenhang sieht man auch in K+-Kanalöffnern potentielle Kandidaten für neue Strategien der Therapie. Nach der intraarteriellen Injektion von Pinacidil, einem Aktivator von K+(ATP)-Kanälen, führte die elek-trische Stimulation des N. pelvicus im Tiermodell zu einem Ansteig des intracavernösen Drucks (ICP). Pinacidil amplifizierte außerdem die erektogene Wirkung von Acetylcholin und Prostaglandin E1 (PGE1) und antagonisierte die durch die K+-Kanalblocker 4-Aminopyridin, Glibenclamid und

Tetraethylammonium (TEA) induzierte Hemmung der durch Acetylcholin und PGE1 induzierten Relaxation der cavernösen glatten Muskulatur (34). Doppelblinde, Placebo-kontrollierte klinische Studien zur Frage der Effektivität und Sicherheit einer intracavernösen oder oralen Anwendung des K+(ATP)-Kanalöffners in Patienten mit ED sind bisher jedoch noch nicht durchgeführt wor-den.

Die Bedeutung körperlich-ästhetischer Aspekte für die individuelle Lebensqualität in den westli-chen Industriegesellschaften des 21. Jahrhunderts hat dazu geführt, daß Aspekte der sogenannten Life style - Medizin in verschiedenen Fachdisziplinen, z.B. der Dermatologie, zunehmend in die kli-nische Routine integriert werden. Dazu zählen auch bestimmte Erscheinungsformen des erblichen bedingten Haarausfalls (androgenetische Alopecie) und die Bemühungen um die Entwicklung einer pharmakologischen Therapie dieses Phänomens. Obwohl seit mehr als 30 Jahren bekannt ist, daß die topische Applikation von Minoxidilsulfat, einem Aktivator von K+(ATP)-Kanälen des Sarcolemms, das Wachstums von Kopf- und Körperhaaren stimuliert, interessiert man sich erst seit einigen Jahren für die physiologischen Mechanismen, die dieser Wirkung zugrunde liegen. Die Expression von K+(ATP)-Kanälen in den Haarfollikeln konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden, dennoch geht man davon aus, daß die stimulatorische Wirkung von Minoxidil auf die Aktivierung dieses K+-Kanal Subtyps in den mesenchymalen Zellen der dermalen Papillen der Haarfollikel und/oder den Haarmatrix-Zellen zurückzuführen ist. Es ist bekannt, daß die mor-phometrische Reduktion der Größe terminaler Follikel der Kopfhaut und die daraus resultieren-de Verkürzung resultieren-des Wachstumszyklus resultieren-der Haare (Anagen-Phase) die primären Ereignisse in resultieren-der Manifestation der androgenetischen Alopecie sind. Während die Entwicklung neuer Follikel (folli-kuläre Neogenese) unter der topischen oder oralen Anwendung von Minoxidil mit Sicherheit aus-geschlossen werden konnte, zeigte die Untersuchung von Biopsien der Kopfhaut von Patienten, die mit einer topischen Zubereitung des K+(ATP)-Kanalöffners behandelt worden waren, das Auswachsen der zuvor morphologisch reduzierten Follikel zu normaler Größe. Eine Stimulation der zellulären Proliferation durch Minoxidil konnte an kultivierten Haut- und Haarfollikel-Zellen nach-vollzogen werden, allerdings wurden auch inhibitorische Effekte der Substanz auf die Kollagen-Synthese sowie eine Stimulation der Freisetzung des vaskulären Wachstumsfaktors Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) und der Synthese von Prostaglandin beobachtet. Es bleibt zu klären, welche dieser Effekte von Relevanz für die Stimulation des Haarwuches durch Minoxidil sind und welche Bedeutung diesen Ergebnissen im Hinblick auf die zukünftige Verwendung von K+-Kanalöffnern in der Pharmakotherapie der androgenetischen Alopecie zukommt (35,36).

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Abb. 3: Allgemeine chemische Struktur von K+-Kanalöffnern: Die zentrale Gruppe ist ein Benzopyran- (oder, al-ternativ, ein Methylpropanamid-) Grundgerüst, an das verschiedene lineare oder ringförmige Substituenten mit positiven oder negativen induktiven Eigenschaften gekoppelt sind, welche die pharmakologischen Charakterisitika des Moleküls (z.B. hypotensiv-vasodilatatorisch, antidepressiv, neuroprotektiv, proliferationsfördernd) und seine Stabilität gegen enzymatisch-biologische Degradierung definieren. Die Benzopyran-Grundstruktur ist häufig durch eine Substitution des Phenylrings gegen einen Anilidring modifiziert.