• Keine Ergebnisse gefunden

Versuch und Irrtum (Trial and Error)

Im Dokument Six Sigma Green Belt (Seite 37-44)

5 Design of Experiments (DoE) im Überblick

5.1 Versuch und Irrtum (Trial and Error)

Die erste Methode ist „Trial and Error“. Jeder weiß, dass es keine erfolgs-versprechende Idee ist, einfach planlos, unstrukturiert und ohne jegliche Dokumentation darauf los zu probieren, dennoch wird das immer noch sehr oft getan. Es werden an vielen möglichen Einflussfaktoren ohne Sys-tematik, Abstimmung und Dokumentation Veränderungen vorgenommen.

Am Ende steht nur eine Feststellung: Erfolg oder kein Erfolg. Im Falle von

„Erfolg“ ist nicht klar, warum es zu dieser Verbesserung gekommen ist.

Damit ist auch unklar, was zu tun ist, wenn das bearbeitete Problem zu-rückkehrt. Im Fall von „kein Erfolg“ kann auch keine Aussage über die Wirkungen der einzelnen Faktoren gemacht werden. Die schwer wiegende Unsicherheit kommt daher, dass sich möglicherweise deren Effekte ja gegenseitig aufheben Wie kann „Trial and Error“ für unser Benzin-verbrauchs-Beispiel aussehen?

In einem Brainstorming werden Ideen gesammelt, mit denen der Benzin-verbrauch reduziert werden könnte. Beispielsweise könnte daraus diese Ideen-Liste entstehen:

• Benzinmarke ändern

• Höhere Oktanzahl

• Langsamer fahren

• Motor besser einstellen

• Auto waschen und wachsen

• Neue Reifen

• Reifendruck ändern

Bei „Trial and Error“ werden alle diese Maßnahmen irgendwie durch-geführt, und am Ende des Tages schaut man sich das Ergebnis an.

Möglich ist Fall 1: Der Benzinverbrauch ist gesunken. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? Kurzfristig vielleicht schon, denn das Ziel ist ja er-reicht. Aber ein Unbehagen bleibt. Denn Sie wissen nicht, was die ent-scheidende Maßnahme oder die entent-scheidenden Maßnahmen waren.

Wenn der Spritverbrauch wieder steigt, wissen Sie nicht, was zu tun ist.

Sollten Sie den Reifendruck neu einstellen oder schon wieder neue Reifen kaufen? Oder reicht es auch, mal wieder durch die Waschstraße zu fah-ren?

Möglich ist auch Fall 2: Der Benzinverbrauch ist nicht zurückgegangen.

Können Sie daraus schließen, dass all die betrachteten Faktoren keinen Einfluss haben? Auch das können Sie nicht. Möglicherweise heben sich nämlich die Maßnahmen gegenseitig auf.

Fazit: Bei „Trial and Error“ lernen Sie nichts! Sie können auch keine opti-malen Einstellungen oder Wechselwirkungen finden.

5.2 OFAT (One Factor at a Time)

Dies ist die „Schulbuch-Methode“. Wie oft wird (fälschlicherweise) davor gewarnt, mehrere Faktoren gleichzeitig zu variieren? Besser sei es angeb-lich, immer nur einen Faktor zu optimieren und sich dann den nächsten Faktor vorzunehmen. Leider geht uns damit die Information über Wech-selwirkungen komplett verloren, und ein Optimum finden wir – wenn über-haupt – dann nur rein zufällig.

Was versteht man unter einer Wechselwirkung? Dazu gebe ich Ihnen ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Raum mit zwei gegenüberliegenden Fenstern. Im Raum ist es sehr warm und Sie möch-ten die Raumtemperatur senken und frische Luft in den Raum bringen. Sie nehmen sich zuerst „Faktor 1“ vor, das Fenster auf der linken Raumseite.

Sie öffnen das Fenster und stellen fest, es kommt etwas frische Luft her-ein. Nachdem Sie das linke Fenster wieder geschlossen haben, öffnen Sie das gegenüber liegende Fenster. Hier stellen Sie denselben Effekt fest, etwas frische Luft strömt in den Raum. Nun öffnen Sie beide Fenster gleichzeitig. Was geschieht? Es entsteht ein Durchzug, der vielleicht die Papier-Blätter vom Tisch fegt. Dieser Effekt tritt nur auf, wenn beide ter gleichzeitig geöffnet werden. Das bedeutet, ob das Öffnen eines Fens-ters einen Luftzug erzeugt, hängt davon ab, ob das andere Fenster auf oder zu ist. Allgemeiner ist der Begriff im folgenden Merksatz definiert.

Merksatz:

Eine Wechselwirkung liegt dann vor, wenn der Effekt eines Faktors von der Einstellung eines anderen Faktors abhängt!

Um OFAT anhand des Beispiels „Benzinverbrauch“ zu erklären, reduzie-ren wir die Anzahl der zu betrachtenden Faktoreduzie-ren auf die Geschwindigkeit, den Reifendruck und die Oktanzahl.

Abb. 32: OFAT-Tabelle

Der Versuch beginnt mit einer Einstellung. Nun wird ein Faktor variiert, hier die Geschwindigkeit. Reifendruck und Oktanzahl bleiben konstant. Die Änderung im Verbrauch wird beobachtet. Der Verbrauch bei 100 ist höher als bei 80. Die weiteren Versuche werden daher immer bei Geschwindig-keit 80 durchgeführt. Beim dritten Versuch bleiben nun GeschwindigGeschwindig-keit und Oktanzahl konstant, der Reifendruck wird verändert. Das Ergebnis sagt, dass ein höherer Reifendruck zu einem geringeren Verbrauch führt.

Daher wird die Einstellung 3,0 für den Reifendruck beibehalten. Es kommt der letzte Versuch: Geschwindigkeit und Reifendruck noch immer kon-stant, Oktanzahl wird reduziert. Der Verbrauch nimmt wieder zu. Das bes-te Ergebnis liefert somit Geschwindigkeit 80, Reifendruck 3 und Oktanzahl 95. Aber ist das wirklich das beste Ergebnis? Das kann man nicht mit Si-cherheit behaupten, denn wir haben nicht alle vorhandenen Kombinatio-nen ausprobiert. Vielleicht wäre beispielsweise die Kombination Ge-schwindigkeit 80, Reifendruck 2,5 und Oktanzahl 91 besser? Darüber können wir keine Aussage machen. Denn mit OFAT betrachtet man immer nur die Abhängigkeit des Outputs von einem Faktor.

Damit begeht man einen großen Fehler. Die folgende Grafik zeigt den Verbrauch als Funktion von Geschwindigkeit und Reifendruck.

Abb. 33: Kontourdiagramm

Dieses Kontourdiagramm ist wie eine Isobaren-Karte oder eine topografi-sche Wanderkarte zu lesen. Die äußere rote Linie zeigt Ergebnisse mit (ca.) 10,7 l/100 km. Die mittlere Linie zeigt einen Verbrauch von 9,7 l/100 km an und die nächste steht für 8,5 l/100 km. Es ist somit eine Fläche dar-gestellt, deren tiefster Punkt (geringster Verbrauch) als Optimum unten rechts dargestellt ist. Wenn Sie den Versuch nach OFAT durchführen, be-ginnen Sie mit einer als erfolgsversprechend eingeschätzten Einstellung für den Reifendruck und variieren die Geschwindigkeit. Sie bewegen sich damit auf der Linie von unten nach oben. Der Spritverbrauch sinkt zu-nächst und steigt dann wieder an. Mit der Geschwindigkeit, die zum ge-ringsten Spritverbrauch führte, geht man in den nächsten experimentellen Durchgang. Die Geschwindigkeit bleibt konstant und der Reifendruck wird erhöht. Auch hier wird das Ergebnis zunächst besser, dann wieder schlechter. Als beste Einstellung wird der Schnittpunkt der beiden Gera-den angenommen, was leider nicht der Realität entspricht. Und was tut man da? Das Ziel ist, die Fläche zu untersuchen, aber mit dieser Methode bewegt man sich auf zwei Geraden. Das macht keinen Sinn.

Was macht die statistische Versuchsplanung anders? Bei der statistischen Versuchsplanung startet man in einem – nach bisherigem Wissensstand – bestmöglichen Versuchsfenster. Für jeden Faktor (hier: Geschwindigkeit und Reifendruck) wählt man dazu eine niedrige und eine hohe Einstellung.

Wenn möglich ergänzt man den Versuch noch um den sogenannten Zent-ralpunkt. Das ist die mittlere Einstellung aller Faktoren gleichzeitig. Für jeden dieser fünf Versuchspunkte erhalten wir ein Ergebnis für den Sprit-verbrauch. Das beste Ergebnis hat die Einstellung oben rechts mit 9,3 l/100 km.

Abb. 34: DoE - erster Versuchsplan

Nun folgen praktische Überlegungen. Ist der Spritverbrauch von 9,3 l/100 km ausreichend? Dann könnte man das Experimentieren an dieser Stelle beenden. Wenn nicht, gibt es einen Folgeversuch. Unter Umständen kann der Folgeversuch so aufgebaut werden, dass vorhandene Versuchs-ergebnisse integriert werden können, wie Abb. 35 zeigt. Auch hier gibt es für jeden Faktor eine niedrige und eine hohe Stufe sowie den Zentral-punkt. Bei welchen Faktoreinstellungen erhält man das beste Ergebnis?

Diesmal links unten. Das ist die Richtung, in der noch bessere Ergebnisse zu erwarten sind.

Abb. 35: DoE - zweiter Versuchsplan

Auch bei diesem Ergebnis stellt sich wieder die Frage, ob das Ergebnis ausreicht oder ein Folgeversuch notwendig ist. Dieses sequentielle Vor-gehen wird so lange fortgesetzt, bis es keine Richtung mehr gibt, in der es besser wird, wie in Abb. 36 zu sehen.

Abb. 36: DoE - dritter Versuchsplan

Das beste Ergebnis finden wir für den Punkt in der Mitte. Es gibt somit keine Richtung in der man weiter forschen könnte. Das ist, als wenn man am Nordpol stünde, dann wäre die einzige Himmelsrichtung Süden.

Man weiß dann, dass man in der direkten Nähe eines Optimums ist. Wenn notwendig kann man dieses Optimum auch genau bestimmen mit soge-nannten Wirkungsflächenversuchsplänen. Das bestmögliche Ergebnis wird auf diesem Weg Schritt für Schritt systematisch ermittelt. Mit OFAT kann dieses Ergebnis nur mit viel Glück und sehr geringer Wahrschein-lichkeit gefunden werden.

In dem DoE werden alle möglichen Kombinationen der Faktoreinstellun-gen im Experiment durchgeführt. Dadurch ist es zusätzlich möglich, die oft auftretenden und für robuste Prozesse so wichtigen Wechselwirkungen zu identifizieren. Mit OFAT haben Sie keine Chance, das zu schaffen.

Merksatz:

Ein Optimum finden wir mit „Trial and Error“ und OFAT nur zufällig.

Wechselwirkungen zwischen Faktoren sind mit „Trial and Error“ und OFAT generell nicht erkennbar. OFAT dauert in der Regel länger und benötigt mehr Versuche als DoE und ganz wichtig: Wir lernen nur wenig bis gar nichts über das System.

Deshalb: Ab sofort sollten Sie niemals wieder „Trial and Error“ oder OFAT anwenden!

Was aber tun, wenn das nötige Wissen zur DoE noch nicht zur Verfügung steht und schnell eine Lösung des Problems nötig ist. Hier kann man Ihnen nur den Rat geben, sich in einer kurzfristig zwingenden Situation ei-nen ausgewieseei-nen Experten zur Hilfe zu holen. Alles andere birgt hohe Risiken in sich. Den eigenen Wissensaufbau über die fachgerechte Durch-führung einer DoE sollten Sie dann aber planvoll nachziehen.

Im Dokument Six Sigma Green Belt (Seite 37-44)