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Verständnis von Zivilgesellschaft aus Sicht der Befragten

5.1 Perzeptionen der Befragten zu den Konzepten

5.1.2 Verständnis von Zivilgesellschaft aus Sicht der Befragten

ver-ankert ist, wurden die verschiedenen Akteure auch nach dem Begriff selbst befragt.

Die Aussagen waren dabei überaus vielfältig und lassen in ihrer Gesamtbetrachtung einige interessante Rückschlüsse zu.

Ein Großteil der befragten Gruppen und staatlichen Akteure versteht unter Zivilge-sellschaft einen Zusammenschluss von Personen (vgl. u. a. oZW019, jZA032, jS060). Diese Perspektive weist deutliche Schnittmengen mit dem klassischen Ver-ständnis von Zivilgesellschaft als „associational life“ auf, das auf Alexis de Tocquevil-le zurückgeht (vgl. Edwards 2009: 18ff.). Eine Aussage, die diese Positionen zusammenfassend beschreibt, definiert Zivilgesellschaft als „Ensemble de la popula-tion [avec un] minimum d’organisapopula-tion – quand il y a une forme du groupement/

d’organisation“ (pE084). Zudem bestehen, ähnlich wie im wissenschaftlichen Dis-kurs, unterschiedliche Meinungen dazu, ob die Kirche zur Zivilgesellschaft zu zählen ist oder nicht. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Akteure wird zum einen die Meinung vertreten, dass lediglich Interessenverbände wie die Handelskammer der Zivilgesell-schaft zugehörig seien, andere hingegen schließen den gesamten Privatsektor mit ein (vgl. oE075, pE084, oS119). Sechs Gruppen sehen sich explizit als Teil der Zivil-gesellschaft, innerhalb derer sie ihren Beitrag leisten wollen (vgl. u. a. oZW019, o-ZA082, oZA130).

Demgegenüber existieren vereinzelte Positionen, die die gegenteilige Meinung ver-treten, Zivilgesellschaft bestehe aus Individuen, die sich nicht organisierten (vgl. o-ZA104, oS016), teilweise mit dem Vorwurf verbunden, sie erwarteten immer nur etwas von anderen anstatt selbst aktiv zu werden (vgl. oS127). Auch wird die

Mei-nung vertreten, unter Zivilgesellschaft seien vorrangig die Leaders17 und Notables18 zu verstehen. Nur in einigen wenigen Fällen verfügen Akteure über keinerlei Ver-ständnis des Begriffs (vgl. jS029, jS031, jZA062).

Verschiedentlich äußern einige Gruppen, dass sie Kooperation und Unterstützung untereinander charakteristisch für zivilgesellschaftliches Engagement halten (vgl.

u. a. oZW012, jZW028). Sowohl von staatlichen Akteuren als auch von Gruppen selbst werden zudem die Orientierung am Gemeinwohl und die Verbesserung der Lebensumstände an der Basis und im gesamten Land als Merkmale der Zivilgesell-schaft genannt (vgl. oS009, oZW019).

Fast ausnahmslos wird Wert auf eine klare Abgrenzung zum Staat gelegt (vgl. jS022, oZA114). Staat und Zivilgesellschaft erscheinen als Antipoden. Selbst politische Par-teien werden konsequent dem Staat zugeordnet (vgl. oZA068). Das Verständnis be-züglich des Verhältnisses zum Staat ist zum einen durch Advocacy- und Watchdog-Funktionen gekennzeichnet (vgl. jZA047, jZA069), zum anderen wird die helfende Rolle gegenüber dem Staat hervorgehoben, indem die Einhaltung von Gesetzen und die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten, wie dem Zahlen von Steuern als notwendi-ge zivilnotwendi-gesellschaftliche Verhaltensweisen notwendi-genannt werden (vgl. jZA058, pE081).

Charakteristika starker zivilgesellschaftlicher Gruppen aus Sicht der Befragten

In Ergänzung zum oben beschriebenen Verständnis des Begriffs Zivilgesellschaft, wurde auch nach Merkmalen gefragt, die aus Sicht der Interviewpartner eine starke zivilgesellschaftliche Organisation charakterisieren. Diese können Anhaltspunkte für die gezielte und erfolgreiche Planung und Durchführung von Maßnahmen der Zivil-gesellschaftsförderung aufzeigen (s. Kap. 5.4.3).

Starke Gruppen zeichnen sich nach Aussage der Befragten durch verschiedene Fä-higkeiten und Kompetenzen aus. Dazu gehören vor allem eine gute interne Organi-sation, Managementfähigkeiten, Leadership und eine interne demokratische Struktur (vgl. u. a. jZA058, oU018, pW080). Zudem wird mehrfach erwähnt, dass eine Grund-voraussetzung darin besteht, dass eine Gruppe überhaupt aktiv ist (vgl. jZA049, jS022, pW080) und über die Fähigkeit verfügt eigene Mitglieder zu mobilisieren (vgl.

jS087, pE085).

17 Unter Leader communautaire versteht man gemeinhin (meist) männliche Mitglieder der Gemein-schaft, z. B. einen Priester, Voudou-Priester oder Pfarrer bzw. einen Vertreter der ASEC oder CASEC, die über eine moralische, politische oder religiöse Autorität verfügen, und die die Bevölkerung bei Bedarf um Rat bittet.

18 Unter Notables versteht man gemeinhin (meist) männliche Mitglieder der Gemeinschaft, die für lo-kale Verhältnisse ein beträchtliches Vermögen besitzen oder einen ehrenhaften Beruf, wie etwa Schuldirektoren, ausüben.

Gleichzeitig sollte eine Gruppe auf Grundlage einer stabilen Normen- und Wertebas-is agieren. Als BeWertebas-ispiele werden der Respekt der Menschrechte (vgl. oN076), staats-bürgerliches Pflichtgefühl (vgl. oSo16, oN129), Glaubwürdigkeit und Anstand bzw.

Ehrlichkeit genannt. Auf diesen Werten basierend leistet die Gruppe im Idealfall ihren Beitrag zur Entwicklung der Gemeinschaft (vgl. jW041, oW027, pE084) und vertritt nach Möglichkeit die Interessen ihrer Mitglieder und der Bevölkerung nach außen (vgl. u. a. jW103, oN044, pU083). Vereinzelt werden auch der Einsatz für den Schutz der Umwelt und die Vorbereitung auf Katastrophen als Merkmale starker Gruppen genannt (vgl. oN138, pE089). Erfüllt eine Organisation vorgenannte Kriterien, kann sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit einem hohen Maß an Legitimität und Reprä-sentativität sicher sein.

Ein weiteres Merkmal ihrer Stärke ist ein hoher Grad an Autonomie insbesondere in materieller und finanzieller Hinsicht (vgl. jN048, oW027), auch um manipulative Ein-griffe durch Politiker unwahrscheinlicher werden zu lassen (vgl. jZA058). Zwei inter-viewte Gruppen sind der Ansicht, dass es sie stärkt, wenn sie Abstand zur Politik halten und die Übernahme politischer Funktionen vermeiden (vgl. jZA047, jZA058).

Auf der Ebene der Experten, Entwicklungspartner und der strategischen Partner der Welthungerhilfe fordern jedoch einige explizit die Vertretung politischer Interessen und neben Kooperation auch die Beeinflussung, Blockade und Provokation im Rah-men politischer Entscheidungsprozesse (vgl. u. a. jU063, jZA047, pE081).

Zwischen dem Verständnis vieler Befragter von Zivilgesellschaft und den Charakte-ristika einer starken Gruppe und dem in Kapitel 4.2 diskutierten theoretischen Kon-zept bestehen also viele Überschneidungen. So werden unter Zivilgesellschaft meist organisierte Zusammenschlüsse gesehen, die klar vom Staat getrennt sind. Wie in der Literatur zum Thema ist die Trennung zwischen Privatwirtschaft und Kirche hin-gegen weniger eindeutig. Auch gehen Befragte sowohl auf die ökonomische, politi-sche, soziale und ökologische Rolle ein, die Zivilgesellschaft einnehmen kann.

Insgesamt argumentieren die Interviewpartner in hohem Maße normativ, wenn sie die Stärke zivilgesellschaftlicher Gruppen beurteilen. So stellen sie positive Normen und Werte in den Vordergrund, die weitgehend dem Bild einer guten Zivilgesellschaft entsprechen.