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5. ABSCHLIESSENDE DISKUSSION

5.3 Versorgung und Therapie

Die seelische Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Integration der Geflüchteten und deren Kinder. Doch auch jene, die in ihre Heimatländer zurückkehren, bedürften einer guten psychischen Konstitution, um ein neues Leben zu gestalten und beim Wiederaufbau einer Region mitzuwirken (Elbert, Wilker, Schauer, &

Neuner, 2016; Metzner et al., 2016; Schauer, 2012)

Aus den in Kapitel 2 dargestellten Ergebnissen der Längsschnittstudie zum Verlauf psychischer Auffälligkeiten bei UMF wird ersichtlich, wie wichtig ein Zugang zur professionellen Hilfe ist. Zwar wurde nicht zwischen verschiedenen psychiatrischen und psychologischen Behandlungs- oder Beratungsangeboten differenziert, dennoch zeigte sich nach Inanspruchnahme ein insgesamt stärkerer Symptomrückgang als bei jenen die keine professionelle Hilfe erhalten hatten. Letztere erfuhren eher eine Verschlechterung der Depressionssymptomatik. Zudem wurde deutlich, dass vor allem hoch belastete UMF Hilfe in Anspruch genommen hatten. Dies lässt vermuten, dass für die UMF, die während der Studie meistens noch im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe betreut wurden, der Zugang zu Psychiatern und psychotherapeutischen Angeboten erleichtert war. Nicht nur sind die Chancen für eine Kostenübernahme von Dolmetschern durch das Jugendamt höher (Metzner et al., 2016), auch beschäftigen einige Einrichtungen psychologische Mitarbeiter wodurch die Inanspruchnahme von Behandlung für UMF besser möglich wird. Für erwachsene und begleitete minderjährige Flüchtlinge hingegen ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund eines hohen bürokratischen Aufwands, einer unklaren Kostenübernahme von Dolmetscherkosten und fehlender Behandlungsangebote deutlich schwieriger (Bundespsychotherapeutenkammer, 2015;

Elbert et al., 2016; Metzner et al., 2016). Vor allem das Erleben einer großen Anzahl verschiedener traumatischer Erfahrungen ist mit einer komplexeren Symptomatik und geringeren Spontanremission assoziiert (Kolassa et al., 2010). Für die Behandlung der PTBS ist eine traumafokussierte Therapie dann unabdingbar, wobei sich die NET als effektives Vorgehen zur Behandlung von Flüchtlingen erwiesen hat (Eberle-Sejari et al., 2015; Gwozdziewycz & Mehl-Madrona, 2013; Lambert & Alhassoon, 2015).

Die Versorgung von Flüchtlingen wir hauptsächlich von spezialisierten Institutionen und weniger von niedergelassenen Psychotherapeuten geleistet (Metzner et al., 2016).

Dies begründet sich nicht nur durch die bürokratischen und langwierigen

Genehmigungsverfahren, auch haben manche Psychotherapeuten Respekt vor der Arbeit mit Dolmetschern sowie vor der Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten der Flüchtlinge im Rahmen zahlreicher Expositionssitzungen. Während für die Anwendung der NET bei Asylbewerbern etwa 10 bis 12 Doppelsitzungen anberaumt waren (Adenauer et al., 2011; Hensel-Dittmann et al., 2011; Frank Neuner et al., 2008;

Stenmark et al., 2013), zeigen Erfahrungen aus Postkonfliktregionen, dass posttraumatische Stresssymptome schon in vier bis acht Doppelsitzungen effektiv reduziert werden konnten (Bichescu et al., 2007; Catani et al., 2009; Ertl et al., 2011;

Schaal et al., 2009). Für niedergelassener Psychotherapeuten bedeutet die Verschriftlichung der Narration nach den Sitzungen einen nur schwer in den Arbeitsalltag zu integrierender Zusatzaufwand, während das Legen der Lebenslinie sehr gern als therapeutisches Mittel zur Strukturierung und Herstellung der Übersichtlichkeit genutzt wird. Auf Grundlage der Rückmeldungen durch niedergelassenen Psychotherapeuten und den Erfahrungen aus Postkonfliktregionen, wurde die NET im Kontext der hier vorgestellten Forschungsarbeit modifiziert. Durch eine stärkerer Strukturierung sowie eine Verringerung der Sitzungsanzahl und Schreibarbeit sollte die Effizienz und Passung zum Alltag niedergelassener Psychotherapeuten gesteigert werden. Als gänzlich neues Element wurde den Patienten in diesem Projekt die schriftliche Auseinandersetzung mit einem Teil der traumatischen Erlebnisse als Hausaufgabe aufgegeben, so dass in den Therapiesitzungen nur noch drei Konfrontationen mit den jeweils schlimmsten Ereignissen stattfanden. Trotz der teilweise schwierigen Wohnbedingungen der Asylbewerber zeigte die in Kapitel 4 dargestellte Pilotstudie, dass die Erledigung der Hausaufgaben gut gelang, wobei der Umfang der schriftlichen Hausaufgaben keinen Einfluss auf die Effektivität hatte. Die LL-NET war gut durchführbar und ergab eine hohe, wenn auch im Vergleich zur herkömmlichen NET etwas niedrigere Effektstärke. Bei der Hälfte der Therapieteilnehmer zeigte sich eine Reduktion der PTBS-Symptomatik sowie der Depressivität, wobei der Rückgang der PTBS-Schwere mit einer Verbesserung des Funktionsniveaus einherging. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Faktoren den Therapieerfolg beeinflussen. Aufgrund der kleinen Stichprobe können die Ergebnisse nur erste Hinweise dazu geben. Während sich die Gruppe jener, die von der LL-NET profitierten, weder in der Erledigung der Hausaufgaben, noch in der Anzahl erlebter Traumata oder der PTBS-Schwere von jenen unterschieden die nicht profitierten

scheinen Schamgefühle des Klienten für den Therapieerfolg relevant zu sein. Probanden mit hohen Schamwerten profitierten von der LL-NET nicht in dem Maße wie jene mit geringerem Schamempfinden. Durch die Reduktion der Sitzungsanzahl und die nur drei verbleibenden Expositionssitzungen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass unangenehme, schambesetzte Erfahrungen vermieden werden. Dabei ist ein empathisches, detailliertes Durchsprechen notwendig, um entsprechende Scham-assoziierte Kognitionen aufzudecken und bearbeiten zu können (Deblinger, 2005).

Außerdem wird mehr Zeit für den Aufbau von Vertrauen benötigt, was in der NET durch eine individuellere Therapieplanung besser umsetzbar ist. Vor Therapiebeginn sollte daher das Schamerleben des Klienten erhoben werden, um über die Anwendung der LL-NET zu entscheiden, beziehungsweise diese mit einem entsprechenden Fokus auf die Bearbeitung der Scham zu kombinieren. Untersuchungen zur Behandlung von traumaassoziierten Schamgefühlen durch die herkömmliche NET sowie deren Einfluss auf den Behandlungsverlauf stehen noch aus.

Wie in Kapitel 3 beschrieben, zeigte sich die Ausprägung der appetitiven Aggression im Hinblick auf selbstverübte Gewalt als bedeutsamster Prädiktor. Die Neigung zu aggressiven Verhalten scheint ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein (Widom, 1989b), was sich auch in der vorgestellten Längsschnittstudie aufgrund der gleichbleibenden Aggressionswerte andeutet. Da in der Pilotstudie zur LL-NET die Aggressionswerte schon vor Therapiebeginn sehr niedrig waren, kann auf Grundlage der Daten keine Aussage über den Rückgang der Aggressivität gemacht werden. Eine Betrachtung selbstverübter Gewalttaten war in der LL-NET jedoch bislang nicht vorgesehen, weswegen sich die Therapie in der im Kontext des Projektes evaluierten Form auch nicht zur Behandlung von Klienten mit Täteranteilen eignet. Allerdings werden im Rahmen der FORNET (Elbert, Hermenau, Hecker, Weierstall, & Schauer, 2012) - einer Variante der NET zur Behandlung von (traumatisierten) Gewalttätern - nicht nur traumatische Erlebnisse im Detail besprochen sondern auch selbstverübte Gewalttaten und die damit verbundenen positiven und negativen Emotionen bearbeitet.

Diese Variante zeigt sich nicht nur für die Behandlung der PTBS Symptomatik als erfolgversprechend sondern auch für die Reduktion selbstverübter Gewalt (Hecker, Hermenau, Crombach, & Elbert, 2015). Für die Behandlung von Klienten mit Täteranteilen, wäre daher eine Erweiterung der LL-NET um die Bearbeitung selbstverübter Gewalttaten empfehlenswert.