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5. ABSCHLIESSENDE DISKUSSION

5.1 Psychische Gesundheit und Verhaltensprobleme im Zusammenhang mit Prä- und

Ebenso wie in Belgien (Bean et al., 2007; Derluyn et al., 2009; Vervliet, Demott, et al., 2014), den Niederlanden (Bean et al., 2007; Smid et al., 2011), Großbritannien (Bronstein et al., 2013a), Österreich (Huemer et al., 2011) und Skandinavien (Jakobsen et al., 2014; Oppedal & Idsoe, 2012), zeigte sich in unserer Forschungsarbeit (Kapitel 2) auch bei den in Deutschland lebenden UMF eine hohe psychische Belastung und eine deutliche Vulnerabilität im Hinblick auf PTBS und Depression. Die PTBS-Symptomatik war bei den UMF im Mittel stärker ausgeprägt als bei den BMF, dennoch berichteten auch BMF hohe Raten psychischer Probleme. Wie schon in einer Vielzahl von Studien gezeigt (z.B. Bean et al., 2007; Catani et al., 2008;), waren psychische Auffälligkeiten und vor allem die PTBS-Schwere mit der Anzahl der erlebten Stressoren und traumatischen Erfahrungen assoziiert und zwar unabhängig davon, ob die jugendlichen Flüchtlinge mit oder ohne ihre Familien in Deutschland lebten. Neben Erfahrungen von organisierter Gewalt wie Krieg, Folter oder Übergriffen durch die Taliban sowie der Fluchtdauer, die für die PTBS-Schwere eine bedeutsame Rolle spielten, waren innerfamiliäre Gewalterfahrungen ein bedeutsamer Prädiktor, nicht nur hinsichtlich der PBTS-Symptomatik, sondern auch für die gesamtpsychische Belastung. Der Verlust einer Bezugsperson, den vor allem UMF häufig erfahren hatten, war weder bezüglich der Ausprägung der PTBS noch des Gesamtproblemwertes von Bedeutung. Neben dem Alter und der Zeit, die seit dem Verlust vergangen ist, sind möglicherweise vielmehr die soziale Unterstützung durch und der Kontakt zu verbleibenden Familienmitgliedern für das psychische Wohlbefinden relevant (Nickerson et al., 2011; Oppedal & Idsoe, 2015;

Shaw, 2003), weswegen eine Erhebung der wahrgenommenen Unterstützung durch Angehörige in weiteren Untersuchungen von Interesse wäre.

Weiterhin verdeutlichen verschiedene Studien den positiven Effekt von sozialer Unterstützung durch Freunde, wobei es sich als besonders günstig erwies, wenn soziale Kontakte zu Personen aus dem eigenen Kulturkreis wie auch zu im Aufnahmeland Geborenen vorhanden waren (Fazel et al., 2012; Montgomery, 2008; Oppedal & Idsoe, 2015). Die in Kapitel 2 dargestellten Ergebnisse bestätigen die Bedeutsamkeit guter Freundschaften für das psychische Wohlergehen, verdeutlichten aber auch die Relevanz von Privatsphäre, die durch die Anzahl der im Zimmer lebenden Personen

operationalisiert wurde. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass psychische Belastung das Bilden und Aufrechterhalten von Freundschaften in einem neuen Land, sowie das Erlernen der Sprache erschweren kann. Ebenso ist Misstrauen und das Gefühl von Entfremdung ein möglicher Teil der Symptomatik. Ein relativ großer Anteil der UMF gab an, Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen und dem Knüpfen vertrauensvoller Freundschaften zu haben, obwohl das prosoziale Verhalten überdurchschnittlich gut ausgeprägt war. Dies verdeutlichte sich auch im Verhalten der Jugendlichen während der Interviews, in denen sich viele UMF sehr zuvorkommend, höflich und angepasst verhielten und dennoch häufig von einer großen Einsamkeit berichteten. Die Tatsache, dass UMF schon überdurchschnittlich früh auf sich gestellt sind, Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen müssen, könnte zudem die Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen begründen.

Die Befundlage zu externalisierenden Verhaltensproblemen ist bei UMF nicht eindeutig, dennoch weisen die meisten Studien darauf hin, dass aggressives Verhalten bei dieser Gruppe keine große Rolle spielt (Bean et al., 2007; Bronstein et al., 2013;

Derluyn et al., 2009; Oppedal & Idsoe, 2012). Dies wird durch die in Kapitel 2 vorgestellten Ergebnisse sowohl hinsichtlich der UMF wie auch der BMF unterstützt.

Auch die PTBS-Symptomatik war dementsprechend nicht mit aggressiven Verhaltensweisen assoziiert. Die hohen Werte auf der Skala „Prosoziales Verhalten“

begründen jedoch die Annahme, dass eine Reizbarkeit und Anspannung belasteter Probanden, stark kontrolliert und nicht nach außen getragen wurde.

In Anbetracht der Ergebnisse verschiedenster Studien, die trotz unterschiedlicher Asylsysteme und Unterbringungsformen, unterschiedlicher Bleibeperspektiven und Aufenthaltslängen alle auf die hohe psychische Belastung der UMF hinweisen (Bean et al., 2007; Derluyn & Broekaert, 2007; Jensen, Skårdalsmo, &

Fjermestad, 2014; Seglem, Oppedal, & Raeder, 2011; Vervliet, Lammertyn, Broekaert, &

Derluyn, 2014), verwundert es nicht, dass auch bei der in Kapitel 2 beschriebenen Längsschnittstudie im Mittel keine Veränderungen der psychischen Symptomatik (PTBS, Depressivität, psychosomatische Probleme und Verhaltensprobleme) zu beobachten war. Einige Studien deuten darauf hin, dass der Verlauf der Depressivität bei Flüchtlingen stärker von der Anzahl der Postmigrationsstressoren abhängt als von traumatischen Erlebnissen, während es für den Verlauf posttraumatischer Stresssymptome genau gegenteilig zu sein scheint (Heptinstall et al., 2004; Montgomery,

2010; Sack et al., 1999; Vervliet, Lammertyn, et al., 2014). Passend hierzu stellte die Analyse der individuellen Verläufe (Kapitel 2) heraus, dass die PTBS-Ausprägung in den meisten Fällen konstant blieb oder sich bei 23 Prozent über die Zeit hinweg verbesserte, während sich hinsichtlich der individuellen Depressivitätsverläufe eine hohe Variabilität zeigte und in 27 Prozent der Fälle eine Verschlechterung eintrat. Zudem waren der Zusammenhang zwischen den Depressivitätswerten zu beiden Messzeitpunkten weniger stark ausgeprägt als zwischen den PTBS-Werten. Diese Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass aktuelle Faktoren den Depressivitätsverlauf stärker beeinflussen. Im Rahmen der Längsschnittstudie wurde bezüglich möglicher Postmigrationsstressoren der Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsstatus und der psychischen Gesundheit untersucht. Der Erhalt eines sicheren Aufenthaltsstatus hatte jedoch keinen Effekt auf die Ausprägung der Depressivität oder der PTBS. Das Asylverfahren und die damit verbundene unsichere Bleibeperspektive sind allerdings nur ein Beispiel verschiedener Stressoren, denen UMF begegnen können. Weitere Belastungen, wie die Sorge um Familienangehörige oder Diskriminierungserfahrungen wurden in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt. Die Befundlage zum Einfluss einer unsicheren Bleibeperspektive im Rahmen des Asylverfahrens ist nicht eindeutig (Fazel et al., 2012;

Seglem et al., 2011). Bei BMF zeigte sich in einer dänischen Studie, dass vor allem die Dauer des Asylverfahrens einen Einfluss auf das Wohlbefinden hatte (Nielsen et al., 2008). Wenner, Razum, Schenk, Ellert und Bozorgmehr (2016) stellten in ihrer Untersuchung fest, dass weniger der Erhalt eines sicheren Aufenthaltsstatus als die sich damit ergebenden Veränderungen im sozialen Status, wozu auch der verfügbare Wohnraum gehört, für das psychische Befinden von Bedeutung waren. Vor diesem Hintergrund sollte bedacht werden, dass eine Veränderung des Aufenthaltstitels bei UMF, anders als bei BMF oder erwachsenen Flüchtlingen, aufgrund der vom Bleiberecht unabhängigen Betreuung durch die Kinder- und Jugendhilfe, meist keinen unmittelbaren Einfluss auf den sozialen Status oder den Lebensalltag hat. Zudem rückt das Asylverfahren häufig erst kurz vor dem Erreichen der Volljährigkeit in den Vordergrund, wobei UMF auch über das 18. Lebensjahr hinaus durch erfahrene Betreuer und Vormünder begleitet und unterstützt werden, während BMF und deren Familien meistens auf sich allein gestellt sind.

Bei der Diskussion zu aggressiven Verhalten bei Jugendlichen ist zu beachten, dass die Adoleszenz und das frühe Erwachsenenalter insgesamt von aggressiveren

Umgangsformen geprägt sind als spätere Lebensabschnitte (Tremblay, 2000). Dennoch ist die Ausprägung aggressiven Verhaltens variabel und ein kleiner Anteil Jugendlicher, meist jener, die schon seit früher Kindheit durch aggressive Verhaltensweisen auffielen, behält diese auch im Erwachsenenalter bei. Doch weshalb verhalten sich manche Jugendliche aggressiv, während es andere nicht tun? Ebenso wie bei vielen psychischen Problemen wird auch hier von einer Interaktion (epi)genetischer, lerngeschichtlicher und situativer Faktoren ausgegangen (Anderson & Carnagery, 2004). Aus einer Vielzahl von Studien wird ersichtlich, dass Gewalterfahrungen innerhalb der Familie mit einer erhöhten Vulnerabilität für Aggressivität und Delinquenz der Kinder einhergehen (Gershoff, 2002; Widom & Maxfield, 2001). Doch welche Rolle spielen sozial-gesellschaftliche Einflüsse in einem Land in dem Gewalt an der Tagesordnung ist? Die in Kapitel 3 vorgestellte Untersuchung zeigte, dass organisierte Gewalterfahrungen im Hinblick auf aggressive Verhaltensweisen der UMF keine bedeutsame Rolle spielten, wohingegen sich neben Erfahrungen innerfamiliärer Gewalt die Ausprägung der appetitiven Aggression als bedeutsamster Faktor herausstellte. Der außerfamiliäre Kontext schien somit keinen signifikant normativen Charakter zu haben und war für viele UMF der Grund ihr Heimatland zu verlassen. Dies mag bei Jugendlichen, die sich an ein System der Gewalt angepasst haben oder Gefallen daran finden anders sein. Eine Untersuchung von in einem südafrikanischen Armenviertel lebenden Männern, zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen bezeugten traumatischen Erlebnissen außerhalb der Familie und selbstverübter Gewalt sowie der Ausprägung appetitiver Aggression (Hinsberger et al., 2016). Ein Studie mit ehemaligen Kindersoldaten lässt zudem darauf schließen, dass ein hohes Maß an appetitiver Aggression in einem gewaltakzeptierenden Kontext mit einem höheren sozialen Status einhergeht (Crombach et al., 2013). Die Relevanz verschiedener Umwelteinflüsse für die Entwicklung scheint mit dem Alter zu variieren. Während in der Kindheit familiäre Einflüsse sehr wichtig sind, vergrößert sich normative Einflüsse von Faktoren außerhalb der Familie in der Pubertät (Gershoff, 2002; Tremblay, 2010). Ein Untersuchung von Kombattanten im Kongo zeigte, dass jene die im Alter von 16 und 17 zu den bewaffneten Truppen kamen, die höchste Ausprägung der appetitiven Aggression aufwiesen (Köbach

& Elbert, 2015). In der in Kapitel 3 vorgestellten Studie verließen die Jugendlichen im Durchschnittalter von 15 Jahren ihre Heimatländer; die Erfahrungen die die UMF auf der Flucht gemacht hatten wurden allerdings nicht differenziert erhoben. Ob der Zeitpunkt

zu dem Gewalterfahrungen in verschieden Kontexten gemacht wurden relevant für die Ausprägung aggressiven Verhaltens ist, kann aus den vorliegenden Daten nicht abgeleitet werden. Die potentielle Relevanz des Alters sollte aber in weiteren Studien Beachtung finden. Es ist anzunehmen, dass eine Disposition für die Faszination an Gewalt, ein Teil der psychobiologischen Ausstattung eines jedes Menschen ist, wobei die Umwelt in der eine Person aufwächst für die Ausprägung und Regulation appetitiver Aggression eine wichtige Rolle spielt (Elbert, Moran, & Schauer, im Druck.). In der vorliegenden Arbeit, wie auch in verschiedenen anderen Studien (Crombach & Elbert, 2014; Crombach et al., 2013; Hecker et al., 2012), zeigte sich außerdem, dass die Anzahl verübter Gewalttaten mit der Ausprägung appetitiver Aggression positiv assoziiert ist.

Geht die Ausübung von Aggression mit den verstärkenden Gefühlen von Macht, Kontrolle und Genuss einher, ist die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Gewaltausübung hoch (Crombach et al., 2013). Selbstverübte Gewalt und appetitive Aggression verstärken sich somit gegenseitig.