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Die Verhandlungspositionen in den wichtigsten noch offenen Kapiteln Sowohl Polen als auch Tschechien haben es sich zum Ziel gesetzt, so wenig

Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union

6.7. Die Verhandlungspositionen in den wichtigsten noch offenen Kapiteln Sowohl Polen als auch Tschechien haben es sich zum Ziel gesetzt, so wenig

Übergangsfri-sten zu fordern wie möglich. Allerdings gibt es Bereiche, in denen es aus verschiedenen Gründen nicht anders geht. Im folgenden Abschnitt sollen nun die Verhandlungspositionen beider Länder in den Kapiteln miteinander verglichen werden, die als die problematisch-sten gelten und in denen auch die meiproblematisch-sten und längproblematisch-sten Übergangsfriproblematisch-sten gefordert werden.

461 vgl. Regelmäßiger Bericht. Polen, S. 95.

460 vgl. Financial Control, 28en.pdf, S. 383.

459 vgl. die wörtliche Antwort von Libor Boháč: „The Act on Financial Control has been approved by the Czech Parliament as late as in Autumn 2000. Therefore, all obstacles for the conclusion of the chapters have been removed (our view).” a.a.O.

458 vgl. Regelmäßiger Bericht. Tschechische Republik, S. 105.

457 vgl. Chapter 28: Financial Control, kap28-PDEN.doc, S. 4.

Da es aber noch keine (vorläufigen) Ergebnisse gibt, ist es nicht möglich, den letztendli-chen Erfolg der verschiedenen Verhandlungsstrategien zu bemessen, aber dennoch lassen sich durch diesen Vergleich Rückschlüsse ziehen.

% Polen benötige im Umweltschutzbereich insgesamt Übergangsfristen für vierzehn EU-Rahmenrichtlinien, die bis zum Jahre 2015 reichen, aber ansonsten wolle Polen alle Rechtsakte bis 2002 übernommen haben, lautet die polnische Postion zu den Verhandlun-gen über das Kapitel 22 Umwelt. Die höchsten Kosten bei der Umsetzung des Acquis Communautaire im Umweltrecht lägen dabei bei der Umstellung der Wasserreinhaltung, wofür allein rund 25,35 Milliarden Mark veranschlagt seien.462

Die zur Anpassung der Umweltstandards an EU-Recht notwendigen Mittel würden in Tschechien auf etwa 13,3 Millionen DM geschätzt, was etwa das Doppelte dessen ausma-che, was zwischen den Jahren 1990 und 1997 investiert worden sei, wie Miroslav Beneš betonte.463

Tschechien verlangt im Kapitel 22 Umwelt Übergangsperioden, die bis ins Jahr 2012 reichen, für die vier Bereiche Müllbehandlung, Wasserreinhaltung, Naturschutz und Industriemüll.464

Ein großes Problem im Umweltschutzbereich stellt die nukleare Sicherheit dar - man denke an das tschechische Kernkraftwerk Temelin. Tschechien hat hier das Problem, dass es mit dem erbitterten Widerstand Österreichs rechnen muss, da es das Kernkraftwerk Temelin lieber heute als morgen abgrerissen sehen und bereits mehrfach mit der Nichtratifizierung des tschechischen Beitrittsvertrages gedroht hat.465

Darüber hinaus geht es auch um eine Vielzahl von Investitionsmaßnahmen, die infolge der EU-Gesetzgebung nachzuvollziehen sind und für die beide Länder die (finanzielle) Unter-stützung der Europäischen Union benötigen.466

Für beide Länder sind somit weiterhin schwierige Verhandlungen im Gange und man kann erst nach deren Abschluss sagen, wer schließlich erfolgreicher war.

% In Polen und in Tschechien kontrovers diskutiert wurde, ob im Kapitel 4 Freier Kapitalverkehr eine Ausnahmeregelung für den Landerwerb in Grenzregionen durch

466 vgl. Sabathil, Gerhard: Osterweiterung mit der Tschechischen Republik, S. 372.

465 dies dürfte allerdings doch etwas aufgebauscht sein, da es sich andererseits Österreich nicht erlauben kann, erneut als öffentlicher Buhmann dazustehen.

464 vgl. Chapter 22: Environment, kap22-PDEN.doc, S. 10.

463 diese Zahl erscheint mir als sehr gering, vor allem im Vertgleich zu den für Polen genannten Zahlen.

Vgl. Ungarn als vollwertiges Mitglied, S. 63.

462 vgl. Ungarn als vollwertiges Mitglied in die Europäischen Union aufnehmen, in: Blickpunkt Bundes-tag, Oktober 9/2000, S. 63.

Ausländer verhandelt werden solle. Die einen befürchteten einen Ausverkauf an Deutsch-land, die anderen argumentierten, dass eine Ausnahmeregelung nicht notwendig sei und die Preise künstlich niedrig hielte, was den ländlichen Regionen eine wichtige Einnahmequelle vorenthielte.467

Im Hinblick auf die Verhandlungen setzten sich in beiden Ländern zunächst die Hardliner durch. So fordert Polen:

„Due to significant political and social considerations Poland requests the follow-ing transition periods upon the accession:

& 5 years for real estate for investment purposes;

& 18 years for agricultural and woodland real estate.”468

Tschechien fordert hier ebenfalls eine Übergangsperiode, auch wenn nicht präzisiert wird, wie lang diese sein soll:

„...the Czech Republic asks for a transitional period for:

! retaining legal restrictions ... on the acquisition of real estate by non-residents from non-EU member countries and

! acquiring by Community nationals and Community companies of real estate...”469

Das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen und es ist fraglich, ob die EU es zulassen wird, dass derartig lange Fristen gelten sollen und dass es im polnischen Fall weiterhin für den Grunderwerb einer Genehmigung des Innenministeriums bedarf.470

Die polnische Forderung nach einer Übergangsfrist von 18 Jahren kann meiner Ansicht nach nur einen ersten Verhandlungsvorschlag bedeuten, sodass man sich schließlich auf eine längere Frist von 10 bis 15 Jahre einigen kann und nicht sofort die volle Freizügigkeit gewähren muss. Es zeugt somit von der Wichtigkeit dieses Themas für Polen.

Hier ist von innenpolitischer Seite mit sehr starkem Druck zu rechnen, da dieses Thema in Polen hochgradig emotional gesehen wird und die Politiker somit auch die psychologi-schen Empfindlichkeiten der Menpsychologi-schen berücksichtigen müssen: der (polnische) Boden gilt als ein Symbol der historisch hart umkämpften Freiheit. Ein Verkauf des Bodens -zumal an Deutsche - käme somit fast einem Verkauf der polnischen Seele gleich.471

471 Bronisław Geremek betont dabei: „Es geht aber nicht darum, daß der ehemalige Besitzer in seinen ehemaligen Besitz zurückkehrt. Die europäische Realität wird eine Antwort auf das Heimweh bringen.” Vgl. Sommer, Theo: Heimweh nach Europa, S. 7.

470 vgl. Regelmäßiger Bericht. Polen, S. 46.

469 Chapter 4: Free Movement of Capital, kap4-PDEN.doc, S. 6.

468 Free Movement of Capital, 04en.pdf, S. 66.

467 vgl. Bedarff, / Schürmann: NATO und EU aus der Perspektive Ostmitteleuropas, S. 60.

In Tschechien ist der innenpolitische Druck nicht ganz so extrem, aber auch hier fürchtet man sich vor einem Ausverkauf an Deutschland oder den Ansprüchen ehemaliger Vertriebener.

Da dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen ist, kann Putnams Hypothese noch nicht überprüft werden. Erst nach Abschluss dieses Kapitels kann abschließend beurteilt werden, ob die Hypothese zutrifft, dass innenpolitischer Druck die Verhandlungsposition stärkt und wieweit dadurch die Verhandlungen beeinflusst wurden.

% Die Integration der Beitrittskandidaten in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union wird in Kapitel 7 Landwirtschaft verhandelt und ist eines der schwie-rigsten Probleme der Osterweiterung, da die Landwirtschaft in den MOEL eine weitaus größere Rolle spielt als in den jetzigen Mitgliedstaaten. Im Durchschnitt arbeiten 22 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in den MOEL im landwirtschaftlichen Sektor, während es innerhalb der Europäischen Union lediglich 5 Prozent sind - siehe auch Tabelle auf S. 144.472

Die Landwirtschaft ist auch deshalb ein so großes Problem, weil die durchschnittlichen Hofgrößen in den MOEL zu klein und unproduktiv sind. Sind es in Polen 7,5 Hektar, so sind es im EU Durchschnitt 18,4 und in Deutschland 47,0 Hektar pro Betrieb. Zudem sind die Böden nach jahrzehntelanger Misswirtschaft ausgelaugt und müssten über fünf Jahre lang mit 500 Mark pro Hektar mit Dünger saniert werden, wie Reinhard Krumm schreibt, was für viele unerschwinglich ist.473

Polens Forderungen im Kapitel Landwirtschaft sind beträchtlich. Das Positionspapier listet insgesamt 55 Problembereiche auf, in denen Übergangsregelungen bis ins Jahr 2010 verlangt werden.

Gemäß dem neuesten Fortschrittsbericht der EU-Kommission hat Polen im Agrarbereich

„seit dem letzten Bericht wenig Fortschritte in der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstands gemacht.”474 Es droht deshalb eine Verzögerung des polnischen Beitritts um mehrere Jahre und Bruno Dethomas, Chefdiplomat der EU in Warschau, kommentiert dazu: „Polen ist noch weit entfernt von dem, was wir erwarten.”475

Im Prinzip entspricht der längst fällige Strukturwandel, der mithilfe von SAPARD (500 Mio €) gefördert werden soll, den Interessen Polens. Da aber die meisten Höfe für

475 Krumm, Reinhard: Das Ziel nicht erreicht, S. 222.

474 Regelmäßiger Bericht. Polen, S. 50.

473 vgl. Krumm, Reinhard: Das Ziel nicht erreicht, S. 222.

472 vgl. Stankovsky, Jan / Plasser, Fritz / Ulram, Peter A.: On the Eve of EU Enlargement, S. 153.

ihren Eigenbedarf produzieren, müssten diese umgeschult werden, was zu einer großen Arbeitslosigkeit führen würde. Die polnischen Landwirte fühlen sich zudem in ihrer Existenz von den „billigen, staatlich subventionierten Agrarimporte(n) aus der EU”

bedroht und wollen sie durch lautstarke Proteste von Polen fernhalten.476 Die Entschärfung dieser sozialen Zeitbombe ist aufgrund des hohen Wählerpotenzials - 40 Prozent der Wähler - kaum möglich.477 Reinhard Krumm konstatiert deshalb:

„Polen wird damit den ehrgeizigen Plan, bis Ende 2002 alle 31 Verhandlungskapi-tel der EU abgearbeitet zu haben, kaum umsetzen können.”478

Die Europäische Union muss nach Ansicht Leszek Balcerowiczs ihre Gemeinsame Agrar-politik ändern, da das bisherige System genau dort Schranken schaffe, wo Polen oder auch Ungarn einen komparativen Vorteil haben. Eine marktorientierte Reform der GAP sei nicht nur wichtig, um exzessive Kosten der Erweiterung zu vermeiden, sondern auch, weil die GAP selbst ein schlechtes Beispiel für die Beitrittskandidaten darstelle.479

Denn nicht der große und ineffiziente Landwirtschaftssektor in Polen ist das größte Hinder-nis für den EU-Beitritt, der eigentliche Stolperstein ist nach polHinder-nischer Ansicht vielmehr die EU-Agrarpolitik selbst: „Die europäischen Regierungschefs wissen, daß die Agrar-marktordnung Unsinn ist, tun aber nicht genug dagegen.”480

Im Vergleich zu Polen spielt in Tschechien die Landwirtschaft keine so große Rolle. So sind nur etwa 8 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt und die Betriebsgröße ist im direkten Vergleich viel größer bei einem größeren Einsatz von Maschinen, weshalb die Landwirtschaft auch kein besonders großes Problem für den Beitritt darstellt.481 Aber auch in Tschechien kann die Umstellung des Agrarsektors nicht von heute auf morgen vonstat-ten gehen, weshalb mehrere Übergangsregelungen gefordert werden.

Ähnlich wie in Polen ist auch in der Tschechischen Republik eine kritische Haltung gegen-über der EU-Agrarmarktordnung verbreitet: „Die EU-Agrarmarktordnung ist eine Idiotie, die reformiert werden muß.”482

482 so ein tschechischer Interviewpartner. Vgl. Bedarff, / Schürmann: NATO und EU aus der Perspektive Ostmitteleuropas, S. 71.

481 vgl. Bedarff, / Schürmann: NATO und EU aus der Perspektive Ostmitteleuropas, S. 29.

480 so ein polnischer Interviewpartner. Vgl. Bedarff, / Schürmann: NATO und EU aus der Perspektive Ostmitteleuropas, S. 59.

479 vgl. Balcerowicz, Leszek: Europe growing together, in: Price, Victoria Curzon: The Enlargement of the European Union. Issues and strategies, London 1999, S. 3-9, S. 8.

478 vgl. Krumm, Reinhard: Das Ziel nicht erreicht, S. 222.

477 vgl. Krumm, Reinhard: Das Ziel nicht erreicht, S. 222.

476 vgl. Schmidt-Häuer, Christian: Freier Fall in die Marktwirtschaft, in: DIE ZEIT, Nr. 5, 28.01.1999, o.S.

Die gesamten Verhandlungsprobleme im Kapitel Landwirtschaft aufzuzeigen, würde den Rahmen dieser Arbeits sprengen. Es kann somit nur allgemein festgestellt, dass die Verhandlungen über das Agrarkapitel allgemein als die schwierigsten gelten, die deshalb noch lange nicht abgeschlossen sein dürften. Hier ist auch der innenpolitische Druck sehr groß und nach Abschluss dieses Kapitels wird man ablesen können, stark die innenpoliti-schen Restriktionen das Verhandlungsergebnis beeinflussten.

% Die großen Einkommensdifferenzen zwischen der Europäischen Union und den beiden Beitrittskandidaten üben einen starken Sog auf die Arbeitnehmer in Polen und Tschechien aus. Daher könnte es nach deren Aufnahme in die EU zu entsprechenden Zuwanderungsbe-wegungen in andere Mitgliedstaaten und hier vor allem Deutschland kommen.483 Dies ist die Hauptsorge im Kapitel 2 Freizügigkeit von Personen.

Die Frage ist anscheinend nicht, wie Patrick Puhani behauptet, ob nach einer EU-Osterwei-terung mit einer Zuwanderung zu rechnen ist, sondern vielmehr wie viele Zuwanderer kommen werden und was dies für den (deutschen) Arbeitsmarkt bedeuten wird. Wenn man, so Patrick Puhani, davon ausgehe, dass die „Osteuropäer” ungefähr dieselben Anteile wie Griechen und Türken erreichen werden, hieße dies, dass bis zu 2 Mio. statt heute knapp 400’000 „Osteuropäer” in Deutschland leben könnten.484 Eine wahre Horrorvorstel-lung in den Augen mancher Politiker.

Die Effekte der Freizügigkeit auf die Arbeitslosigkeit sind jedoch erstaunlicherweise sehr gering. So hat laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung die Zuwanderung von ca. 3,9 Mio. Personen nach Deutschland in den Jahren 1988-1993 ledig-lich zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote um 0,24 Prozentpunkte geführt. Im Verhältnis zum Niveau der Arbeitslosenquote (1993: 8,3 %) scheint der Effekt auf den Arbeitsmarkt also fast vernachlässigenswert zu sein. Bei einem kräftigen Wirtschaftswachstum in Polen und Tschechien ist darüber hinaus auch mit einer Re-Migration zu rechnen, wie es z.B. in Spanien der Fall war, vor dessen Beitritt auch in Horrorszenarien vor massenhaften spani-schen Wanderarbeitern gewarnt hatte.485

485 vgl. Puhani, Patrick A.: Mehr Konkurrenz für gering Qualifizierte, S. 19.

484 vgl. Puhani, Patrick A.: Mehr Konkurrenz für gering Qualifizierte, S. 19. Der Begriff „Osteuropäer”

wird nicht nur von Puhani sehr diffus verwendet. Tschechien ist kein osteuropäisches Land, Prag liegt westlicher als Wien, und wenn man Polen als Osteuropas und nicht Mitteleuropa bezeichnet, dann ist zu fragen, wo Weißrussland bzw. der europäische Teil Russlands liegt.

483 vgl. Puhani, Patrick A.: Mehr Konkurrenz für gering Qualifizierte, in: EUmagazin 1-2/1998, S.18-21, S. 18.

Es ist kaum zu verwundern, dass Polen in diesem Kapitel keine Übergangsfristen fordert, sondern im Gegenteil, möglichst von Beginn der Mitgliedschaft an, die volle Freizügigkeit erreichen will.

Ob es dazu allerdings kommen wird, wird man erst am Endergebnis sehen können. Höchst-wahrscheinlich wird sich Polen hier in diesem für die EU wichtigen Bereich zu einer Übergangsfrist bereit erklären, wenn dafür in anderen Bereichen die EU Entgegenkommen signalisiert. Ein klassischer Bereich für Issue-linkage.

Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, dass Polen in den noch offenen Verhand-lungskapiteln hartnäckiger seine Interessen durchsetzen will und insgesamt mehr Forderun-gen erhebt als Tschechien. Wie weit Polen dies zum Vorteil gereicht, kann erst nach Abschluss aller verbliebenen Verhandlungskapitel gesahgt werden. Erst dann kann auch abschließend bestimmt werden, welches der beiden Länder die erfolgreicheren Verhand-lungsstrategien gewählt hat. Im folgenden Abschnitt soll aber ein Zwischenergebnis versucht werden.

6.8. Aktueller Stand und Ergebnisse der bisherigen Verhandlungsrunden