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5 Die innenpolitische Ebene: Die Situation in Polen und Tschechien

5.3. Die Institutionen zur Umsetzung des Acquis Communautaire

Neben den Parteien und der öffentlichen Meinung spielen die Institutionen bei dem Beitrittsprozess eine wichtige Rolle auf der innenpolitischen Ebene des Zwei-Ebenen-An-satzes. Die zur Umsetzung des Acquis Communautaire geschaffenen Behörden und Organe beeinflussen die Beitrittsverhandlungen unmittelbar, da sie auch das Personal stellen, das mit den Verhandlungen beauftragt ist. In diesem Abschnitt sollen deshalb die Strukturen in den beiden Ländern dargestellt werden, die bei der Umsetzung des Acquis Communautaire eine Rolle spielen und die möglicherweise eine Art von Eigendynamik entwickeln können.

5.3.1 Polen

In der Perspektive der zukünftigen EU-Mitgliedschaft ist die Umsetzung des bereits ausführlich vorgestellten Europaabkommens von großer Bedeutung. Denn dadurch werden die Prozesse der wirtschaftlichen und politischen Transformation determiniert. Der institu-tionelle Rahmen für das Europaabkommen ist deshalb eine grundlegende Voraussetzung für das Umsetzungsprogramm der Wirtschaft und des Rechtssystems und eine Konsequenz aus den Erfordernissen der zukünftigen EU-Mitgliedschaft.293

Eine spezielle Rolle bei diesem Integrationsprozess spielt in diesem Zusammenhang die zentrale Staatsverwaltung, da sie den politischen Prozess initiiert, koordiniert und überwacht. Der Integrationsprozess erfordert somit schon während der Beitrittsverhandlun-gen eine Organisierung der inneren Verwaltung und eine fortwährende Politikentwicklung gegenüber der Europäischen Union.294

Polen begann mit der institutionellen Vorbereitung zur Umsetzung des Europaabkommens sehr früh; so wurde bereits am 26. Januar 1991 ein eigener Regierungsbevollmächtigter für europäische Integration und ausländische Unterstützung ernannt.295

Als Ergebnis der Zentralverwaltungsreform vom 8. August 1996 wurde ein spezieller

„Ausschuss für Europäische Integration” als oberste Behörde der staatlichen Verwaltung geschaffen. Dieser übernahm die Verantwortlichkeiten und Aufgaben des erwähnten Bevollmächtigten und wurde darüber hinaus mit größeren Kompetenzen in der Entschei-dungsfindung und in den ausführenden Angelegenheiten innerhalb der Strukturen der Zentralverwaltung ausgestattet. Diese neuen institutionellen Strukturen bestimmten die Art

295 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 132.

294 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 131.

293 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 129.

und Weise der Kooperation und der Aufgabenverteilung zwischen den Ministerien und den mit der Europäischen Union befassten Behörden.

Der Ausschuss führt seine Aufgaben mithilfe eines eigenen Amtes aus (d.i. Office of the Committee for European Integration bzw. Urząd Komitetu Integracji Europejskiej), das exklusiv für den Ausschuss arbeitet und ihm direkt untersteht.296

Die Aufgaben des „Ausschusses für Europäische Integration” beinhalten insbesondere:

# Die Koordination der Anpassung und des Integrationsprozesses sowie die Initiie-rung und Organisation der hierfür notwendigen Maßnahmen;

# Initiierung und Koordinierung des Anpassungsprozesses hinsichtlich der rechtli-chen Institutionen sowie die Einschätzung der Gesetztesentwürfe hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht;

# Beurteilung der Umsetzung der Anpassungsmaßnahmen;

# Koordinierung der Aktionen zur Inanspruchnahme ausländischer Unterstützung;

# Ausarbeitung der Maßnahmen zu einer effektiven Verwirklichung des Integrationsprozesses.297

Um seinen Aufgaben gerecht zu werden, entwickelte er die „Nationale Strategie für die Integration” (NSI), mit deren Hilfe Polen fit für den Beitritt gemacht werden soll. Darin übermittelt der Ausschuss dem Ministerrat298 seine Vorschläge zur Anpassung der Gesetze und erstellt für die Integrationsprogramme die Berichte ihrer Verwirklichung.299

Der Ausschuss besteht aus seinem Präsidenten - d.i. der Premierminister -, einem Sekretär im Range eines Staatssekretärs und seinen Mitgliedern, die einzelnen Minister. Falls erfor-derlich kann der Premierminister zusätzliche Mitglieder ernennen, wenn deren Expertisen für die Erreichung des gesteckten Ziels von entscheidender Bedeutung sein mögen. Der Ausschuss beschließt die Vorlagen seines Amtes im Allgemeinen durch Konsens, ein Mehrheitsentscheid ist jedoch auch möglich, falls partout keine Einstimmigkeit erreicht werden kann.300

Die Schaffung des „Ausschusses für Europäische Integration” wird in Polen nicht nur positiv gesehen, sondern auch kritisch betrachtet unter dem Gesichtspunkt, dass zwar ein neues Organ zur Koordinierung geschaffen wurde, jedoch nicht genau geklärt wurde, wie die Koordination zwischen der Arbeit des Ausschusses und seinem Amt mit der Rolle des Außenministers im europäischen Entscheidungsfindungsprozess erfolgen soll. Deshalb werden von den Kritikern Reibungsverluste befürchtet.

300 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 134.

299 vgl. Committee for European Integration: National Strategy for Integration, Warschau 1997.

298 der polnische Ministerrat entspricht im Wesentlichen dem deutschen Kabinett.

297 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 134.

296 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 132.

Nach Ansicht von Celina Blaszczyk zeigt seine bisherige Tätigkeit jedoch, dass der Ausschuss effektiv arbeitet und seine Koordinierungsfunktionen so erfüllt, dass die Anpas-sung der polnischen Wirtschaft und des Rechtssystem an die EU-Erfordernisse gute Fortschritte macht. Aus diesem Grund wurden für die Beitrittsverhandlungen seine Aufga-ben nochmals erweitert.301

Ähnlich wie in Tschechien erstellt das Amt des „Ausschusses für Europäische Integration”

sog. Harmonogramme, in denen die einzelnen Maßnahmen zur Angleichung der polni-schen Gesetze an den Acquis Communautaire und der genaue Zeitpunkt ihrer Verwirkli-chung festgelegt sind.302

In allen Ministerien wurden spezielle organisatorische Strukturen in Form eigener Abtei-lungen für die Europäische Integration geschaffen - sogenannte EuropaabteiAbtei-lungen, wobei naturgemäß dem Außenministerium eine besondere Rolle zukommt. Denn es erstellt verschiedene Berichte, in denen die Fortschritte bei der Umsetzung des Europaabkommens festgestellt werden und die die Aktivitäten jedes einzelnen Ministeriums und anderer betei-ligter Institutionen auflisten.303

Der Prozess der Angleichung der polnischen Gesetze an das Gemeinschaftsrecht wird durch die neue Verfassung aus dem Jahre 1997 noch begünstigt, denn in Artikel 90 heißt es:

„Aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages kann die Republik Polen einer inter-nationalen Organisation oder einem interinter-nationalen Organ die Kompetenz von Organen der staatlichen Gewalt in bestimmten Angelegenheiten übertragen.”304

Dies bedeutet, dass in der Verfassung Polens den Erfordernissen einer Integration Polens in die Europäische Union bereits Rechnung getragen wurde.

Zusammenfassend lässt sich nicht ausschließen, dass die genannten Behörden ein besonde-res Intebesonde-resse im Erweiterungsprozess haben. Sie haben großen Einfluss auf die Beitrittsver-handlungen da sie die Positionspapiere zu den Verhandlungskapiteln erstellen und für die Umsetzung der Richtlinien verantwortlich sind.

5.3.2 Tschechien

304 Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997, Art. 90 § 1.

303 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 139.

302 die Zeitpunkte bis zu dem die verschiedenen Maßnahmen durchgeführt sein müssen, reichen von 1997 bis ins Jahr 2010. Vgl. Urząd Komitetu Integracji Europejskiej: Harmonogram działań implementacyjnych strategii integracji, Warschau 1998.

301 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland, S. 133.

Die tschechische Regierung erließ eine Reihe von Resolutionen zur Implementierung und Interpretation des Europaabkommens schon bevor es in Kraft trat. Hierfür wurden ähnlich wie in Polen spezielle Organe geschaffen:

Der „Regierungsausschuss für Europäische Integration” ist ein strategisches Organ für die Ministertreffen mit dem Premierminister. Das Hauptziel ist die Diskussion der verschiede-nen Entwürfe und Maßnahmen sowie die Ausarbeitung und Koordinierung der Strategien und Aktivitäten gegenüber der Europäischen Union. Es gibt keine regelmäßigen Treffen, sondern bei Bedarf einberufene Versammlungen.305

Der ausführende Arm des Regierungsausschusses und der praktische Koordinator für das Europaabkommen ist der sogenannte „Arbeitsausschuss für die Implementierung des Assoziierungsabkommens”. Dieser Arbeitsausschuss bereitet die Tagesordnung des Regie-rungsausschusses vor und garantiert die Umsetzung der gebilligten Maßnahmen. Er besteht aus höheren Regierungsbeamten und arbeitet zwischen den verschiedenen Abteilungen.

Angeführt von dem Vizeaußenminister unterstützt er die tschechischen EU-Verhandler und einzelne Mitglieder davon sind auch direkt im Beitrittsverhandlungsteam mit der Europäi-schen Union vertreten.306

Eine Ebene darunter gibt es Arbeitsgruppen, die unter ihrem jeweils zuständigen Fachbe-reich der staatlichen Verwaltung angesiedelt sind und deren Vorsitzende vom jeweiligen Minister ernannt sind. Für die Implementierung des Assoziierungsabkommens gab es insgesamt 22 Arbeitsgruppen, die je nach Bedarf zusammenkamen und die jeweils für eines der 22 Kapitel oder Titel des Europaabkommens zuständig waren - siehe Grafik IV auf S. 52. Im Rahmen der tschechischen Beitrittsverhandlungen zur EU bilden sie einen wichtigen Stützpfeiler für das Verhandlungsteam und dienen als Werkzeug für die Vorbe-reitung und Koordinierung der Verhandlungspositionen. Die Struktur der bisherigen Arbeitsgruppen wurde deshalb entsprechend der Struktur der Beitrittsverhandlungen angepasst.307

Aus der hohen Zahl an Arbeitsgruppen folgt, dass einige in den Zuständigkeitsbereich ein und derselben Abteilung bzw. Ministeriums fallen und dass andererseits die Arbeitsgrup-pen, die sich mit Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitiken oder auch mit der Telekommuni-kation befassen, unter die Zuständigkeit von mehr als einer Abteilung fallen. Aus diesem Grund kann bei keiner dieser Arbeitsgruppen ein Mitglied des Arbeitsausschusses den

307 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 116.

306 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 115.

305 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 115.

Vorsitz ausüben, weil in jenem Organ jede Abteilung von einem höheren Staatsbeamten vertreten wird.308

Diese komplizierte Struktur hat zur Folge, dass ein ungenügender Informationsfluss entsteht und unterschiedliche Ansichten einzelner Arbeitsgruppen miteinander konkurrie-ren können.

Aufgrund eines Regierungsbeschlusses wurde jedes Ministerium dazu verpflichtet, eine Europaeinheit zu schaffen, die die Umsetzung des Europaabkommens in ihrem Zuständig-keitsbereich sicherstellen sollte. Dabei blieb die konkrete Ausgestaltung dieser Maßnahme jedoch jedem einzelnen Ministerium selbst überlassen, was dazu führte, dass es keine einheitliche Struktur und somit einerseits ineffiziente und andererseits auch gut funktionie-rende Abteilungen gibt. Weil somit die gesamte Struktur nicht sehr effektiv ist, kritisierte die Europäische Union bereits die Verspätung Tschechiens in diesem Bereich.309

Eigentlich sollten diese Europaeinheiten der einzelnen Ministerien eng mit den Arbeits-gruppen zusammenarbeiten, um das Verhandlungsteam zu unterstützen, aber Václav Šmejkal hat starke Zweifel, ob sie überhaupt in der Lage sind, den Anforderungen des Verhandlungsteams Folge leisten zu können.310

Die Kommunikationslinien zwischen den tschechischen Organen zur Umsetzung des Europaabkommens und den EU-Organen wird in erster Linie durch die gemeinsamen Organe sichergestellt, die wie in untenstehender Tabelle deutlich gemacht, bis auf den Parlamentarischen Ausschuss ihre jeweiligen tschechischen Entsprechungen haben:

Tabelle XVIII: Institutioneller Rahmen der Implementation311

Gemeinsamer Parlamentarischer Ausschuss

Verhandlungsarbeitsgruppen (26) Unterausschüsse (12)

Arbeitsgruppen (22)

Operationelles Verhandlungsteam Assoziierungsausschuss

Arbeitsausschuss für die Imple-mentation des Europaabkommens

Oberstes Verhandlungsteam Ministerrat

Assoziierungsrat Regierungsausschuss für die

Europäische Integration

Europäischer Rat Regierung der Tschechischen

Republik

Andere Organe Tschechiens Gemeinsame Organe von

Tschechien und EU Organe Tschechiens

Ein weiterer Verbindungskanal ist natürlich auch die ständige tschechische Vertretung in Brüssel, denn über sie werden die Interessen Tschechiens gegenüber der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten vertreten.312

312 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 120.

311 Quelle: Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, Tabelle 1, S. 120.

310 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 119.

309 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 118.

308 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 117.

Die institutionelle Sicherstellung der Beziehung zur Europäischen Union konnte in der tschechischen politischen Szene nicht gelöst werden und es gibt einige offene Varianten.

Die zwei kleineren Koalitionspartner ODA und KDU-ČSL waren seinerzeit genauso wenig wie die größte Oppositionspartei ČSSD gegen die Schaffung eines speziellen Ministeriums für europäische Angelegenheiten, wie der - allerdings ergebnislose - Versuch der ODA zeigt, die europäische Agenda ihrem damaligen Minister ohne Aufgabenbereich zukom-men zu lassen.

Diese Idee war jedoch nicht von Erfolg gekrönt aufgrund der allgemeinen Abneigung des damaligen Ministerpräsidenten Václav Klaus gegen bürokratische Strukturen und die Furcht des tschechischen Außenministers vor einer weiteren Dezentralisierung.313

Ähnlich wie in Polen legte die tschechische Regierung im Mai 1999 ein Programm unter der Bezeichnung „Wirtschaftliche Strategie des EU-Beitritts” (Hospodářská strategie vstupu do Evropské unie 1999) vor, in dem die durchzuführenden Maßnahmen dargestellt sind.314

Aufgrund des Europaabkommens ist Tschechien bereits verpflichtet, seine derzeitige und seine zukünftige Gesetzgebung mit derjenigen der Europäischen Union zu harmonisieren.

Hierfür wurde ein besonderes Werkzeug, das sogenannte Harmonogramm geschaffen.

Dabei handelt es sich um eine vierteljährlich der Regierung vorgelegte Datenbank, in der die Annäherung der tschechischen Gesetzgebung an die EU-Erfodernisse aufgezeigt wird.

Darin aufgelistet sind der bisher erreichte Grad der Übereinstimmung sowie die geschätzte Zeit zur Erfüllung der entsprechenden Verpflichtungen.315

Zur Identifizierung der einzelnen Zuständigkeitsbereiche wurde das komplette Weißbuch den verschiedenen Ministerien vorgelegt, die sich daraus diejenigen Akte heraussuchen durften / mussten, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, weshalb in rund 8 Prozent der Fälle die Zuständigkeit nicht sofort geklärt werden konnte. Dies erscheint im Vergleich zum Vorgehen Österreichs seinerzeit ineffektiver, denn dort erhielten die einzelnen Ministerien nicht das komplette Weißbuch, sondern lediglich eine Liste mit den EU-Akten, von denen angenommen wurde, dass sie in ihren Zuständigkeitsbereich fielen.316

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl Polen als auch Tschechien eigene bürokratische Strukturen schufen, die das jeweilige Land bei seinem Weg in die

316 vgl. Kalusek, Bretislav: The Czech Republic and its Activities as Regards Joining the EU, S. 366.

315 vgl. Kalusek, Bretislav: The Czech Republic and its Activities as Regards Joining the EU, S. 365.

314 vgl. Jílková, Jiřina: Osterweiterung der EU und die Rolle der Strukturfonds, S. 392.

313 vgl. Šmejkal, Václav: European Policy-Making in the Czech Republik, S. 123.

Europäische Union unterstützen sollen. Aus diesen Organen rekrutieren sich zum Teil die jeweiligen Verhandlungsteams. Die speziell geschaffenen Organe erarbeiten sämtliche Maßnahmen und Strategien des Beitrittsprozesses. Sie beeinflussen deshalb nicht die Beitrittsverhandlungen, sondern sie gestalten sie. Dabei zeigt es sich, dass es zumindest im Falle Tschechiens zu Koordinationsproblemen und Reibungsverlusten kommt, die soweit gingen, dass das Land in seinen Erfolgen bei der Umsetzung des Acquis Communautaire zurückfiel.