• Keine Ergebnisse gefunden

5 Die innenpolitische Ebene: Die Situation in Polen und Tschechien

5.2. Öffentliche Meinung in Polen und Tschechien

Da die öffentliche Meinung gerade für Politiker im Hinblick auf ihre Wiederwahl nicht zu vernachlässigen ist, spielt sie auch bei den Beitrittsverhandlungen eine große Rolle. Die Politiker müssen auf die Stimmung in der Bevölkerung Rücksicht nehmen, weshalb die öffentliche Meinung in der Notation des zugrunde liegenden Zwei-Ebenen-Ansatzes zu den innenpolitischen Restriktionen (domestic constraints) gehört und somit die EU-Beitritts-verhandlungen beeinflusst.

Zumindest in Polen wird ein Referendum für den EU-Beitritt ernsthaft erwogen,278 weshalb die Zustimmung der Bevölkerung zum Beitritt unabdingbar wäre, um den ausgehandelten Beitrittsvertrag zu ratifizieren. Eine Volksabstimmung in Polen ist laut Verfassung jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Es handelt sich vielmehr um eine „Kann-Bestimmung”, das heißt, der Sejm kann bestimmen, eine Volksabstimmung über die Frage der Abgabe von Souveränitätsrechten durchzuführen, ist dazu jedoch nicht verpflichtet. Allerdings ist das Ergebnis eines Referendums dann bindend.279

In Tschechien wird es zwar keine Volksabstimmung geben, aber dennoch kann die Regie-rung auch hier nicht ohne die Zustimmung der BevölkeRegie-rung handeln. Dementsprechend wurde z.B. in Tschechien im Rahmen der Informationsstrategie der Regierung bestimmt, dass die Öffentlichkeit über die verschiedensten Aspekte der EU-Mitgliedschaft zielgrup-penorientiert informiert werden muss, um eine möglichst breite Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung erreichen zu können.280

280 vgl. Kalusek, Bretislav: The Czech Republic and its Activities as Regards Joining the EU, in:

Wirtschaftspolitische Blätter 4 / 1998, S. 364-367. S. 365.

279 vgl. Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997, Art. 90 § 3 und Art. 125 § 3.

278 so heißt es in der Zeitschrift „Poland - European Union”, Nr. 3, 17. Januar 2000, Internetseite des polnischen Außenministeriums, http://www.msz.gov.pl/english/unia/ue003en.html: „Poland will ratify the treaty most probably by way of referendum.”

277 vgl. Vodička, Karel: Politisches System Tschechiens, S. 310f.

Der Systemwechsel in Polen und Tschechien brachte auch tiefgreifende Änderungen im sozialen Gefüge der Staaten mit sich. Naturgemäß kam es dabei zu einer Teilung innerhalb der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer der Transition. Vergleicht man die persönli-chen Erwartungen der Menspersönli-chen mit der Wirklichkeit, so erkennt man, dass die Stimmung in der Bevölkerung einmal von Land zu Land unterschiedlich ist, aber auch von Jahr zu Jahr schwankt:

Tabelle XV: Regimewechsel - Erwartungen und Wirklichkeit281

8 ... bestätigt. Ich hatte recht 8

darin, nichts Gutes zu erwarten.

12 ... eher enttäuscht. Ich erwartete 52

mehr ... übertroffen oder größteneils 29

erfüllt

Was man aus dieser Tabelle auch herauslesen kann, ist, dass sich die wirtschaftliche Situa-tion des Landes in den Stimmungen seiner Bevölkerung widerspiegelt. So schlug 1997 in Tschechien die positive Grundstimmung aus dem Erfolgsjahr 1995 in das Gegenteil um:

rund Zwei-Drittel der Befragten zeigten sich enttäuscht, während sich im gleichen Jahr, rund 37 Prozent der befragten Polen in ihren Erwartungen des Regimwechsels übertroffen fühlten. Die wirtschaftliche Situation ist dementsprechend: Konnte Polen im Jahre 1997 Rekorde vermelden, hatte Tschechien mit einem wirtschaftlichen Einbruch zu kämpfen, wie aus den Tabellen auf S. 38 und S. 41 ersichtlich ist.

Der angestrebte EU-Beitritt ihres Landes wird jedoch trotzdem nicht in Frage gestellt. Im Jahre 1995 waren in Meinungsumfragen 87 % der befragten Tschechen der Meinung, dass Tschechien den EU-Beitritt anstreben sollte.282 Diese hohe Zahl wird nun zwar nicht mehr erreicht, neueren Umfragen zufolge bewegt sich die Zahl der EU-Befürworter um die 60 Prozent,283 aber die Anzahl derer, die sich explizit gegen einen Beitritt aussprechen, ist mit 13 % immer noch sehr gering - siehe Tabelle unten auf S. 81.

283 vgl. Schwarz, Karl-Peter: Europäischer als die EU, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.

November 2000, S. 11.

282 zu den Gegnern der EU-Integrationn gehören insbesondere Wähler der kommunistischen Partei Böhmens und Mährens und anderer Linksparteien (48 %), weniger Anhänger der Sozialdemokraten (15 %) und von den Sympathisanten der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) lehnten nur 1 % den Beitritt ab. Vgl. Vodička, Karel: Politisches System Tschechiens, S. 233. Zum typischen Wählerbild der tschechischen Parlamentsparteien, vergleiche auch die Tabelle auf S. 143.

281 vgl. Stankovsky, Jan und andere: On the Eve of EU Enlargement, Tabelle 21, S. 70.

Grundsätzlich ist auch die polnische Bevölkerung einem EU-Beitritt gegenüber sehr positiv eingestellt, obwohl die Europaskepsis auch etwas zugenommen hat. So meinten im März 1998 55 % in einer Befragung, Polen werde lediglich Mitglied 2. Klasse werden und die Einschätzung, die Vorteile würden die Nachteile überwiegen, teilten im April 1998 nur noch 32 %, während 31 % der Befragten vom Gegenteil überzeugt waren.284

Bei einer Volksabstimmung über den EU-Beitritt, würde immer noch eine satte Mehrheit dafür stimmen, auch wenn die Zustimmung etwas abgebröckelt ist, wie nachfolgender tabellarischer Übersicht zu entnehmen ist:

Tabelle XVI: Stimmentscheidung bei einem eventuellem EU-Referendum in Polen285

18

Bei der Unterstützung des polnischen Beitritts ist festzustellen, dass es keine politischen Unterschiede gibt. Die Unterschiede in der Einstellung zur Europäischen Union sind fast ausschließlich mit sozioökonomischen Variablen verknüpft: Höherer Bildungsstand korre-liert positiv und zunehmendes Alter sowie Intensität der Religionsausübung negativ mit der Akzeptanz eines Beitritts.286 Unter den Gegnern des EU-Beitritts finden sich jene, die von der Landwirtschaft leben und allgemein die sozialen Gruppen, die bei ihrer Anpassung an die Marktwirtschaft mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen haben.287 Ältere Bürger zeigen also eine geringere Unterstützung, während Stadtbewohner und Bürger mit höherer Bildung und höherem Einkommen deutlich stärker einen Beitritt befürworten.288

Insgesamt gesehen wird die Beziehung zwischen der Europäischen Union und den MOEL als für alle gewinnbringend betrachtet. So bezeichneten im Jahre 1997 rund 42 Prozent der befragten Polen diese als eine ausgeglichene Beziehung, jedoch sahen zur gleichen Zeit 17 Prozent der befragten Tschechen in der EU den Hauptgewinner gegenüber 20 Prozent, die meinten, ihr Land gewinne mehr.289

289 vgl. Stankovsky, Jan / Plasser, Fritz / Ulram, Peter A.: On the Eve of EU Enlargement, S.183.

288 vgl. Blaszczyk, Celina: European Policy-Making in Poland - Institutional and Political Framework, in: Lippert, Barbara / Becker, Peter: Towards EU-Membership. Transformation and Integration in Poland and the Czech Republic, Bonn 1998, S. 129-152, S. 147.

287 allerdings wird der EU-Beitritt auch von Arbeitslosen unterstützt, wenn diese damit rechnen, im Ausland arbeiten zu können. Vgl. Wilkiewicz, Zbigniew: Verstärkte Europa-Skepsis in Polen, in:

Osteuropa-Archiv, 49. Jahrgang, Heft 5, Mai 1999, A 202.

286 vgl. Juchler, Jakob: Polens Haltung zur Europäischen Union, S. 490.

285 Angaben in Prozent, Quelle: Juchler, Jakob: Polens Haltung zur Europäischen Union, S. 490.

284 vgl. Juchler, Jakob: Polens Haltung zur Europäischen Union. Fortschritte trotz Spannungen und zunehmender Skepsis, in: Osteuropa, 49. Jahrgang, Heft 5, Mai 1999, S. 486-492, S. 489.

Wenn in Tschechien die Erweiterung einem heimischen Publikum schmackhaft gemacht werden soll, dann ist ein Hauptargument oft auch der Mangel an Alternativen, weshalb die allgemeine Zustimmung auch nicht so hoch ist wie in Polen.290 Ein Referendum wäre deshalb für die tschechische Regierung weitaus riskanter als für die polnische Regierung.

Aber auch in Tschechien ist, wie gesagt, nur eine kleine Minderheit explizit gegen den EU-Beitritt:

Tabelle XVII: Referendum für den EU-Beitritt291

13 19

Tschechien 49

6 17

Polen 63

Dagegen Neutral

Dafür

Einen Schlüssel zum Verständnis der tschechischen Euro-Skepsis bietet nach Karl-Peter Schwarz eine Analyse des tschechischen Sozialanthropologen Ladislav Holý. Dieser weise daraufhin, dass die Tschechen in ihrem Selbstverständnis „europäischer” seien als ihre Nachbarn und besondere nationalistische Ambitionen als vorgeblich europäische Werte ausgegeben werden. So sei die ODS zwar die „tschechischste aller tschechischen Parteien”, aber sie sei zugleich auch die „europäischste” mit 87 Prozent Befürwortern unter ihren Reihen. Und dies, obwohl von der ODS die meiste Kritik an der EU geübt wird.292

Da die Öffentlichkeit im Falle eines Referendums lediglich über Ja und Nein abstimmen und sie nicht direkt auf die Beitrittsverhandlungen einwirken kann - diese finden quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt -, ist der Einfluss auf den konkreten Verhand-lungsprozess relativ gering. Im Moment ist somit nur die Wiederwahl für die Politiker wichtig und solange sich die meisten Parteien einig sind im gemeinsamen Ziel des Beitritts, dürfte es Randparteien nicht gelingen, die Stimmung in der Bevölkerung zu ihren Gunsten kippen zu lassen, sodass die Wiederwahl nicht auf dem Spiel steht.

292 vgl. Schwarz, Karl-Peter: Europäischer als die EU, S. 11. Karl-Peter Schwarz führt an, dass nach dem tschechischen Selbstverständnis Tschechien eigentlich sogar europäischer als die EU selbst sei und dass unter EU-Diplomaten deshalb seit geraumer Zeit das Aperçu kursiere, „nicht die EU stehe vor ihrer Erweiterung, sondern die Tschechische Republik.” a.a.O.

291 Angaben in Prozent, Quelle: Central and Eastern Eurobarometer 8 (CEEB 8), Internetseite der Europäischen Kommission: http://www.europa.eu.int/comm/dg10/epo/ceeb8/ceeb18_38.pdf, Annex Figure 32, S. 15.

290 selbstverständlich werden auch positive Argumente (z.B. endgültige Anerkennung des tschechischen Rechtes dazu zugehören, wo es hinwill; Sicherheitspolitische Aspekte als Garant der Stabilität und Demokratie in Tschechien; Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess sowie ökonomische Vorteile...) für die Erweiterung benutzt, aber es fällt doch auf, dass die EU in der Hauptsache als einzige Möglichkeit gesehen wird, zu der es keine Alternative gibt. Vgl. Bugge, Peter: Czech Percep-tions of the Perspective of EU-Membership, S. 48.