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Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union

6.3. Die Verhandlungsführer

Als Zeichen dafür, dass ihr die Erweiterung am Herzen liegt, ernannte die Europäische Kommission unter dem Italiener Romano Prodi einen eigenen nur für die Erweiterung zuständigen Kommissar, den Deutschen Günter Verheugen.

Dieser soll sämtliche Aktivitäten, die die Erweiterung betreffen koordinieren und unter seiner Aufsicht bündeln. Für die Erweiterung wurden seitens der Europäischen Union mehrere Teams gebildet, von denen jedes für ein bestimmtes Land zuständig ist. Jedes dieser Teams untersteht einem Direktor und alle Direktoren der verschiedenen Teams unterstehen wiederum dem Erweiterungskommissar Günter Verheugen.

Auch wenn jede einzelne der Personen aus den Teams persönliche Gründe und Interessen haben mag, ist im Rahmen des Zwei-Ebenen-Ansatz lediglich der Verhandlungsführer entscheidend, da er schließlich seinen Segen abgeben muss.

Dessen persönliche Interessen sind jedoch nur schwer abzuschätzen. Man kann aber davon ausgehen, dass er, wie im theoretischen Kapitel gesagt, auf seine Reputation bedacht ist und somit ein persönliches Interesse an einem Erfolg hat.

Dieser Ruf hat jedoch in letzter Zeit etwas gelitten, als sich Günter Verheugen mit seiner laut geäußerten Überlegung, in Deutschland ein Referendum über die Erweiterung durch-zuführen in die Nesseln setzte.350 Die internationale Kritik auf diesen Vorschlag war verheerend, dabei hatte er sich schon früher ähnlich geäußert. So sagte er in einem Interview mit der ZEIT bereits 1999: „Die Erweiterung wird scheitern, wenn Europa es

350 vgl. SZ-Interview mit Günter Verheugen. „Das Volk soll über die EU-Erweiterung entscheiden”, in:

Süddeutsche Zeitung vom 2./3. September 2000, S. 14.

349 vgl. Busch, Berthold: Die Osterweiterung der Europäischen Union, S. 4.

348 vgl. Landau, Alice: From this point onwards: searching for the path, in: Price, Victoria Curzon: The Enlargement of the European Union. Issues and strategies, London 1999, S. 163-168, S. 164.

347 Sajdik, Martin: EU-Erweiterung: Hintergrund, Entwicklung, Fakten, S. 76.

wieder so versucht wie beim Vertrag von Maastricht: einfach durchpauken. Das geht nicht gut!”351

Man kann also - vor allem nach der internationalen Kritik - davon ausgehen, dass Verheu-gen ein starkes persönliches Interesse an Fortschritten im Verhandlungsprozess hat, und er dabei auch bereit ist, Zugeständnisse zu machen, um nicht in eine Erbsenzählerei zu verfallen:

„Aber im Ernst, ich nenne den Menschen drei Gründe. Erstens müssen wir eine Friedensordnung für ganz Europa schaffen. Demokratie, Rechtsstaat, Menschen-rechte - das sind doch Grundlagen für alle Entwicklungen. Zweiter Grund: In einem größeren gemeinsamen Markt gewinnen alle Europäer. Das schafft Wohlstand und Jobs, in Ost und West. Und drittens: Wir haben nicht ewig Zeit. Wenn wir uns aufführen wie die Erbsenzähler, riskieren wir, das eine oder andere Land auf dem weiten Weg zur europäischen Einheit zu verlieren. Vergessen Sie nicht: Den Mittel- und Osteuropäern fordern die Veränderungen enorme Opfer ab. Das lässt sich populistisch gegen Europa wenden. Deshalb brauchen unsere Partner im Osten Gewissheit.”352

Jedoch dürfen seine Zugeständnisse nicht zu weit gehen, um nicht als zu weich dazustehen und womöglich noch zu riskieren, dass seine ausgehandelten Ergebnisse noch gekippt werden. Zur Beschleunigung des Erweiterungsprozesses schlägt Verheugen inzwischen vor, die Gespräche auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen es um Übergangsfristen geht. Die Kommission müsse dabei zwischen „vertretbaren, verhandelbaren und unakzep-tablen Forderungen” unterscheiden, lautete Verheugens Aussage bei der Vorstellung der aktuellen Fortschrittsberichte.353

Günter Verheugen versucht bei den Verhandlungen die Länder auch bei der Ehre zu packen, um sie zu verstärkten Anstrengungen zu ermuntern:

„Not only the Union wants Poland to join the community but it also needs it. You can rest assured that you will join the Union as an equal partner on equal rights.

Poland is a key country among the candidates to the Union and that is why we would like it to be a country leading in terms of adaption progress.”354

Auch wenn Günter Verheugen somit durchaus ein persönliches Interesse am Fortschritt der Beitrittsverhandlungen hat, so hat insgesamt gesehen die Kommission jedoch keine eigene Verhandlungsposition.355 Oder anders ausgedrückt, Verheugen ist an einem

355 laut einem Interview mit der Task Force vom 20.5.1998 habe die Kommission selbst keine Verhand-lungsposition. Dies bedeute jedoch nicht, so der Interviewpartner weiter, dass die Kommission eine Warteposition einnehme, denn die EU habe niemals eine so schwierige Erweiterung zu bewältigen gehabt, die tiefgreifende und unpopuläre Reformen benötige. Vgl. Landau, Alice: From this point onwards, S. 164.

354 Poland - European Union, Nr. 10, 6. März 2000, Internetseite des polnischen Außenministeriums:

http://www.msz.gov.pl/english/unia/ue010.html.

353 vgl. Bolesch, Claudia / Oldag, Andreas: Gute Noten für sieben EU-Beitrittskandidaten, in: Süddeut-sche Zeitung vom 9. November 2000, S. 8.

352 vgl. Wernicke, Christian: Schluss mit der Erbsenzählerei, o.S.

351 vgl. Wernicke, Christian: Schluss mit der Erbsenzählerei!, in: DIE ZEIT, Nr. 50, 09.12.1999, o.S.

Gesamtfortschritt interessiert, nicht jedoch an bestimmten Ländern. In dieser Magisterar-beit wird somit auch die Konzentration auf die beiden Beitrittskandidaten Polen und Tschechien gelegt.

Das Verhandlungsteam Tschechiens für die Beitrittsverhandlungen besteht aus Spezialisten verschiedener Ministerien, die vor Eröffnung der Beitrittsverhandlungen bereits an dem Prozess der Vorbereitung der Verhandlungspositionen beteiligt waren.356 Die Verhand-lungsdelegation umfasst 12 hochrangige Mitarbeiter unter Führung des Staatssekretärs für europäische Angelegenheiten Pavel Telička.357

Pavel Telička ist begeisterter Europäer, weshalb er auch den Spitznamen Pan Evropa (Herr Europa) trägt. Bei ihm laufen alle Fäden zusammenlaufen, die schließlich nach Brüssel führen und er versteht es gemäß Daniel Brössler nicht, warum viele seiner Landsleute seine Europhorie nicht begreifen.358 Pavel Telička hat absolut keine Angst davor, dass die Erwei-terung scheitern wird: „Dieses Land befindet sich in Mitteleuropa. Wir sind stärker in Europa verankert als so manches Mitglied der Union.”359

Er geht auch weiterhin davon aus, dass der Beitrittstermin 2003 oder 2004 eingehalten werden kann, denn bei einer größeren Verzögerung stünde ansonsten die Glaubwürdigkeit der EU und des politischen Establishments auf dem Spiel.360 Mit dieser Aussage wird somit auf die Rolle der Glaubwürdigkeit bei den Verhandlungen hingewiesen, wie im theoreti-schen Teil dieser Magisterarbeit bereits erwähnt. Würde die EU die Erweiterung auf die lange Bank schieben, würde ihre Reputation derart darunter leiden, dass sie in zukünftigen Verhandlungen Probleme hätte, da die Verhandlungspartner dann nie sicher sein könnten, dass es von Seiten der EU Ernst ist.

Auch die polnische - 18-köpfige - Verhandlungsdelegation besteht aus hochrangigen Vertretern. Sie wird von Jan Kułakowski angeführt, der als Staatssekretär in der Kanzlei des Premierministers tätig ist und zum Regierungsbevollmächtigten für Polens Beitrittsver-handlungen mit der EU ernannt wurde. Jan Kułakowski wirkt auf den ersten Blick wie ein zerstreuter Professor, doch erweist er sich auf den zweiten Blick als präzis argumentieren-der Diplomat, „argumentieren-der wie ein Computer alle wichtigen Zahlen und Fakten im Kopf hat.”361

361 Urban, Thomas: Die Europhorie verfliegt, die Hoffnung bleibt, in: Süddeutsche Zeitung vom 2./3. Dezember 2000, S. 13.

360 vgl. Brössler, Daniel: Der Satellit will nicht mehr kreisen, S. 10.

359 zitiert bei Brössler, Daniel: Der Satellit will nicht mehr kreisen, S. 10.

358 vgl. Brössler, Daniel: Der Satellit will nicht mehr kreisen, in: Süddeutsche Zeitung, vom 9. November 2000, S. 10.

357 vgl. Internetseite des tschechischen Außenministeriums: http://www.mzv.cz/en/useful/negteam.html.

356 vgl. Kalusek, Bretislav: The Czech Republic and its Activities as Regards Joining the EU, S. 365.

Unter seiner Führung finden sich in der Hauptsache Unterstaatssekretäre der einzelnen Ministerien zusammen und ähnlich wie in Tschechien, befinden sich auch im polnischen Verhandlungsteam Personen, die aus den extra für den Beitritt geschaffenen Institutionen rekrutiert werden.362

Während jedoch auf tschechischer Seite ein Vertreter der tschechischen Nationalbank sitzt, fehlt ein entsprechendes Mitglied in Polen. Das tschechische Verhandlungsteam weist darüber hinaus vier Mitglieder aus dem Außenministerium auf, während in Polen lediglich ein Staatssekretär des Außenministeriums am Verhandlungstisch sitzt, aber dafür zwei Vertreter der Staatskanzlei, und auch ihr Vertreter bei der Europäischen Union ist direkt an den Verhandlungen beteiligt.363

Die polnischen Verhandler gelten nach Jakob Juchler in der EU als „hartnäckige und teilweise unbequeme Verhandlungspartner”, die ihren eigenen Stolz haben. So unterstrich Jan Kułakowski, dass es Polen nicht zulassen werde, in die Rolle des armen Cousins gedrängt zu werden.364 Weiter meinte er, dass der Erfolg Polens nicht darin liege, alle in den Verhandlungspositionen dargelegten Postulate durchzusetzen, da dies unmöglich sei, sondern „the result of the negotiations, which will not dismiss the achieved compromises from the contents of stands.”365 Darüber hinaus machte er auch deutlich, dass Polen gewillt ist, seine Interessen durchzusetzen:

„Wir sind zu Kompromissen bereit, doch nicht in Grundsatzfragen. Sollten unsere wichtigsten Verhandlungspunkte auf dem Spiel stehen, müsste gegebenenfalls das Beitrittsdatum 2003 geopfert werden.”366