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Jugendlichen aus einer alkoholbelasteten Familie

In diesem Kapitel wird auf die Verhaltensstörungen von Kindern und Jugendlichen aus einer alkoholbelasteten Familie eingegangen. Zuerst wird die Hyperaktivität und Störung des Sozialverhaltens erläutert. Danach wird auf Angststörungen und Depressionen eingegangen. Zum Schluss wird aufgezeigt, ob Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien verstärkt zu diesen Auffälligkeiten neigen.

6.1 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

ICD-10 definiert Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als hyperkinetische Störung oder als einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung.

Diese Gruppe von Störungen ist charakterisiert durch einen Beginn vor dem siebten Altersjahr. Kennzeichnend sind Schwierigkeiten bei der Ausdauer für Beschäftigungen, die einen kognitiven Einsatz verlangen sowie die Schwierigkeit zwischen mehreren Tätigkeiten hin und her zu wechseln (Zobel, 2006, S. 37). Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass diese Symptome vermehrt im Unterricht in der Schule auftreten, da dieser Ausdauer in der Aufmerksamkeit verlangt.

Die Diagnosen nach ICD-10 werden durch bestimmte Symptomkriterien bestimmt (Manfred Döpfner und Tobias Banaschewski, 2012, S. 271-273):

Einfache Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung (F90.0)

Diese zeigt sich in Vergesslichkeit, leichter Ablenkbarkeit und schlechter Konzentration sowie einer Hyperaktivität in Form von extremem Bewegungsdrang, motorischer Unruhe und Ruhelosigkeit. Die Symptome müssen situationsübergreifend und beeinträchtigend sein.

Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1)

In diesem Fall sind sowohl die Kriterien für die Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens (F91) sowie die einfache Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung (F90.0) erfüllt.

Sonstige hyperkinetische Störung (F90.8)

Werden nicht alle Kriterien einer einfachen Aufmerksamkeit- und Aktivitätsstörung erfüllt, spricht man von einer sonstigen hyperkinetischen Störung.

Zusammenfassung Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung

Aufmerksamkeitsdefizitstörung und Hyperaktivität können sowohl gemeinsam als auch getrennt auftreten. Die beschriebenen Symptome treten in der frühen Kindheit auf und nicht nur in der Schule, sondern in verschiedenen Handlungskontexten. Diese Symptome können zu Problemen führen, sei dies beim Lernen oder beim Kontakt mit Gleichaltrigen.

6.2 Störung des Sozialverhaltens

Bei der Störung des Sozialverhaltens nach ICD-10, erklären Ulrike Petermann und Franz Petermann (2012), werden insbesondere vier verschiedene Typen der Störung des Sozialverhaltens unterschieden:

Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens (F91.0) Diese Störung manifestiert sich in einem extrem aggressiven Verhalten gegenüber anderen Familienmitgliedern. Vorkommen können auch tägliche Übergriffe auf Familienmitglieder. Dieses Verhalten äussert sich ausschliesslich im familiären Rahmen.

Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen (F91.1)

Diese Störung zeigt sich in einem auffälligen Verhalten in Bezug auf die Beziehungen zu Gleichaltrigen. Diese Kinder und Jugendlichen haben keine Freundschaften und dauerhafte Beziehungen. Dieses Verhalten führt zu Ablehnung durch das Umfeld und folglich oft zur sozialen Isolation.

Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen (F91.2)

Diese Kinder und Jugendlichen können dauerhafte Freundschaften aufbauen. Diese sind oft auf aggressive, dissoziale und delinquente Gleichaltrige bezogen. Das Verhältnis zu erwachsenen Autoritätspersonen kann negativ geprägt sein.

Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten (F91.3) Diese Störung äussert sich als ein andauerndes Muster von negativem, trotzigem oder sogar feindseligem Verhalten. Regeln oder Verbote können nicht eingehalten werden.

Es besteht eine geringe Frustrationstoleranz. Meist zeigt sich dieses Verhalten gegenüber Erwachsenen oder Gleichaltrigen (S. 295-297).

Zusammenfassung Störung des Sozialverhaltens

Bei einer Störung des Sozialverhaltens zeigt sich das Verhalten als schwerwiegender als gewöhnlicher kindischer Unfug oder jugendliche Aufmüpfigkeit. Beispiele dafür sind Tyrannei in einem aussergewöhnlichen Mass und ungewöhnliche häufige und schwere Wutausbrüche. Es kann davon ausgegangen werden, dass es bei den meisten Kindern und Jugendlichen manchmal vorkommen kann, dass sie lügen, stehlen oder aggressives Verhalten gegenüber anderen zeigen. Dies kann im Verlauf von ihrer Entwicklung vorkommen, ohne dass von einer schwerwiegenden Verhaltensstörung ausgegangen werden muss.

Bekommt man aber diese Verhaltensweisen nicht in den Griff, d.h. sie wiederholen sich oder manifestieren sich, wird von einer Störung des sozialen Verhaltens gesprochen (Nani Kail, 2007).

6.3 Angststörungen

Angst kann sich in unterschiedlichen Formen zeigen. Die Angst kann erlebt werden, sie kann körperlich zum Ausdruck gebracht werden oder äussert sich im Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Auch hier wird das System ICD-10 zur Strukturierung beigezogen. Ulrike Petermann und Lydia Suhr-Dachs (2012) erklären, es wird zwischen vier Angststörungen im Kindes- und Jugendalter unterschieden.

Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (F93)

Diese Angststörung tritt im Kontext einer bevorstehenden oder eingetroffenen Trennung von einer wichtigen Bezugsperson auf. Bei Trennungsangst handelt es sich erst um eine Störung, wenn dieses Verhalten im Schulalter oder im Jugendalter auftritt (S. 353).

Phobische Störung des Kindesalters (F93.1)

Ängste auf Tiere, Höhen, Naturgewalten oder geschlossene Räume (Petermann und Suhr-Dachs, 2012, S. 369).

Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (F93.2)

Kinder und Jugendliche, die unter sozialer Ängstlichkeit leiden, haben Angst vor fremden Personen. Für sie ist es nicht relevant, ob es sich dabei um Kinder, Jugendliche oder Erwachsene handelt (Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters, ohne Datum).

Generalisierte Angststörung des Kindesalters (F93.8)

Kindern und Jugendlichen, die unter einer generalisierten Angststörung leiden, machen sich übermässig und langfristig mehr als 6 Monate Sorgen über ein bestimmtes Thema, wie zum Beispiel, schlecht in der Schule zu sein, wenig Freunde zu haben oder im Sport zu versagen (Petermann und Suhr-Dachs, 2012, S. 356).

Zusammenfassung Angststörung

Auf Basis dieser Ausführungen kann davon ausgegangen werden, dass Kinder und Jugendliche mit einer Störung in sozialer Ängstlichkeit, sehr grosse Mühe haben, sich auf soziale Kontakte einzulassen oder an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen.

Kinder und Jugendliche, die an einer generalisierten Angststörung leiden, sind meist Perfektionisten, weil sie Angst haben einen Fehler zu begehen. Dadurch sind sie eher selbstunsicher und brauchen oft starke Anerkennung von ihrem Gegenüber und Bestätigung, dass sie es richtig machen.

6.4 Depression

Zur Depression erklärt Zobel (2017), dass bei Kindern und Jugendlichen, die an einer Depression leiden, die gleichen Begrifflichkeiten nach ICD-10 verwendet werden, wie bei den Erwachsenen, weil davon ausgegangen werden kann, dass sie ähnliche Merkmale haben. Die ICD-10 unterscheidet verschiedene Formen depressiver Symptome.

Depressive Episode (F32)

Die depressive Episode tritt mit Antriebs-, Stimmungsschwankungen und Lustlosigkeit über mindestens zwei Wochen auf. Sie kann durch eine schwierige Lebenssituation ausgelöst werden oder auch anlagebedingt sein. Weiter müssen Symptome dazukommen, wie z.B. Schlafstörungen, wenig Selbstvertrauen, geringes

Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Suizidgedanken und Unentschlossenheit (Gunter Groen und Franz Petermann, 2012, S. 441).

Rezidivierende depressive Störung (F33)

Bei der rezidivierenden depressiven Störung handelt es sich um eine wiederholte depressive Episode (F32), wie unmittelbar vorangehend beschrieben.

Anhaltende affektive Störung (F34)

Hierbei handelt es sich mehr um Stimmungsstörungen. Bei der anhaltenden affektiven Störung liegen weniger schwerwiegende Symptome vor, wie bei der rezidivierenden depressiven Störung und der depressiven Episode (Groen und Petermann, 2012, S.

442).

Zusammenfassung Depression

Bei der depressiveren Störung bei Kinder und Jugendlichen steht eine Affektänderung im Vordergrund. Diese kann sich zeigen, als eine erhöhte traurige, und gedrückte Stimmung über längere Zeit. Auch ist eine Veränderung der Motivation und des persönlichen Antriebs zu erkennen. Auch wenn sich depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen prinzipiell in der gleichen Weise äussern wie bei den Erwachsenen, muss das Alter und damit der Entwicklungsstand in Betracht gezogen werden.

6.5 Beobachtungen von Verhaltensauffälligkeiten bei

Kindern und Jugendlichen aus einer alkoholbelasteten Familie

Wie in der Ausgangslage (Kapitel 1) erörtert wurde, haben Studien zu Kindern und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien darauf hingewiesen, dass diese ein Risiko haben für eigene psychische Störungen. Moesgen (2010) zeigte auf, dass gewisse Untersuchungen ein erhöhtes Vorkommen von Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität für Kinder und Jugendliche aus einer alkoholbelasteten Familie vorfanden.

Diese Befunde bestätigten sich jedoch nicht in allen Studien. Gewisse Studien, die mit Kindern und Jugendlichen aus einer alkoholbelasteten Familie durchgeführt wurden, ergaben, dass eine elterliche Alkoholbelastung nicht in direkter Verbindung zu einem höheren Risiko für ein ADHS steht. Es müssen weitere Faktoren, wie ein niedriger

haben ergeben, dass der einzige Risikofaktor für eine Aufmerksamkeitsstörung die elterliche Zurückweisung ist (S. 26).

Bei der Störung des Sozialverhaltens fanden Schuckti et al. (2000) bei einer Studie mit 162 Kindern aus alkoholbelasteten Familien und nicht alkoholbelasteten Familien heraus, dass kein direkter Zusammenhang besteht zwischen elterlichen Alkoholbelastungen und einer Störung des Sozialverhaltens bzw. einem oppositionellen Verhalten des Kindes.

Zum gleichen Ergebnis kam auch die Greifswalder Familienstudie (2004) welche auch darauf hindeutet, dass kein direkter Zusammenhang besteht zwischen elterlichen Alkoholproblemen und einer Störung des Sozialverhaltens. Was in der Studie von Barnow et al. (2004) erkannt wurde, ist, dass bestimmte Variablen, wie elterliche Zurückweisung oder väterliche antisoziale Persönlichkeitsstörung, in direktem Zusammenhang mit einem erhöhten Aufkommen von Aggressivität oder Delinquenz bei den Kindern führen kann (Moesgen, 2010, S. 28).

Bei den Verhaltensstörungen Angst und Depression wird in mehreren Studien von einem Zusammenhang zum alkoholbelasteten Elternhaus berichtet. Zobel (2017) macht deutlich, dass es auch hier schwierig ist, die Auffälligkeiten der Kinder spezifisch auf die alkoholbelastete Familiensituation zurückzuführen. Die starke Zerrüttung der Familie infolge der Alkoholsucht sowie zusätzliche psychologische Erkrankungen der Eltern können die Ursache für die psychische Störung bei Kindern sein (S. 41). Auch hier ist erkennbar, dass der Risikofaktor aus einer alkoholbelasteten Familie zu kommen, alleine kein erhöhtes Risiko für eine Angst oder Depressionserkrankung ist.

Wichtig hierbei ist es zu unterstreichen, dass nicht alle Kinder und Jugendliche, die aus einer alkoholbelasteten Familie stammen, eine Verhaltensstörung entwickeln und dass die Alkoholerkrankung alleine kein Indikator ist für das Auftreten von Verhaltensstörungen. Vielmehr kann aus der Studienlage geschlossen werden, dass Risiko- und Schutzfaktoren eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob gewisse Kinder und Jugendliche trotz grosser Belastungen psychisch gesund bleiben. Im folgenden Kapitel wird auf diese Faktoren eingegangen. Ausserdem wird das Phänomen der Resilienz beschrieben, welches die Eigenschaft umfasst, trotz einflussstarken Risiken im nahen Umfeld psychisch gesund zu bleiben.