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–Verfassungsänderung und Parlamentswahlen im Februar und März 2005

19 A. Akajew: Optimistischer Blick in die Zukunft. Gedanken über die Außenpolitik und die Weltordnung. Verlag Internationale Beziehungen, Moskau 2004, Seite 56.

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

Exkurs «Kirgisische Demokratie»

In ihrer ganzen Geschichte hatten die Kirgisen keine anderen Formen der Gesellschaftsordnung außer der Gemeindedemokratie. Die Sklaverei (privates Eigentum an Menschen) und der Feudalismus (privates Eigentum an Grund und Boden) waren ihnen fremd. Zu den traditionellen Formen der Gesellschaftsordnung bei den Kirgisen wie auch bei anderen asiatischen Nomadenvölkern zählen die Militärautokratie und die Nomadendemokratie.

Die beiden Machtformen sind in ihrem Wesen repräsentativ und beinhalten ein hohes Maß an demokratischer Mitbestimmung. Abgesehen von der kurzen sowjetischen Machtperiode war der Totalitarismus den zentralasiatischen Machtregimes nie eigen. Die Autokratie war stets weitgehend beschränkt und orientierte sich an den Interessen des Volkswohles.

Demokratische Werte sind der kirgisischen Mentalität eigen, so dass sie sowohl als gesellschaftliche Lebens- und Verhaltensnormen als auch als Institutionen angenommen und in Kraft gesetzt wurden. Erst nachdem die Kirgisen russische und später auch sowjetische Ansätze in ihre Gesellschaft übernahmen, traten ernsthafte Verformungen dieser Mentalität ein. Die Macht der Intellektuellen rückte in den Hintergrund und räumte der Macht der Mitläufer den vorderen Platz ein. Dennoch hielt sich auch damals der unterschwellige Einfluss der intellektuellen Elite auf die Machthaber.

Die Rückkehr zu demokratischen Grundsätzen der Gesellschaftsordnung begann hierzulande erst nach 1985. Umso rasanter verliefen die Veränderungen in Kirgisistan nach der Unabhängigkeit.

Um die Besonderheiten der politischen Veränderungen in der Region besser zu verstehen, sollte man zwei Umstände besonders beachten:

Erstens: Die zentralasiatischen Staaten und das dabei aus westlicher Sicht am weitesten fortgeschrittene Kirgisistan versuchen eine Demokratie aufzubauen, die nur im Hinblick auf einige äußere Merkmale dem amerikanischen oder dem europäischen Demokratiemodell ähnlich ist. In Kirgisistan und im benachbarten Kasachstan gibt es heute einen asiatischen Liberalismus. Es wäre sinnlos, die Gewissens- und die Meinungsfreiheit, den Parlamentarismus und die zahlreichen politischen Parteien und öffentlichen Bewegungen zumindest in diesen beiden zentralasiatischen Staaten abzustreiten.

Zweitens. Von Anfang an stand der Demokratisierungsprozess in den zentralasiatischen Staaten unter großem äußeren Druck der Weltmächte.

Damit sind nicht nur ausländische und internationale demokratische Institutionen gemeint. Mehrere wirtschaftlich und politisch starke Staaten nutzen die politischen und wirtschaftlichen Folgen der Transformation, um ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen in der zentralasiatischen Region zu verfolgen. Sehr viele Experten verbinden die 2002 durch sämtliche zentralasiatische Staaten gegangene Welle der Oppositionsbewegungen direkt mit der verstärkten Präsenz der US-amerikanischen und der

DIE POLITIK KIRGISISTANS

europäischen Militärkräfte im NATO-Bündnis. Wenn diese Vermutung wahr ist, so haben wir es mit den sogenannten militärpolitischen «Think-Tanks» zu tun, die eine «Unterstützung des Demokratisierungsprozesses» zum Ziel haben, wie sie ihre Mission selbst bezeichnen. In diesem Fall haben die äußeren demokratisierenden Einflüsse eine direkte destabilisierende Wirkung.

So oder so wird das geopolitische Engagement der «Democracy Promotion Institutes» von den politischen Eliten und der öffentlichen Meinung in den Staaten dieser Region als eine real existierende Tatsache wahrgenommen. Dies beeinträchtigt aber das Ansehen der in dieser Form propagierten Demokratie selbst. Demokratie wird als ein Teil des Neukolonisierungsprozesses empfunden. Zumal es kein Geheimnis ist, dass die Umsetzung der westlichen demokratischen Prinzipien als eine Schwächung der Staatsmacht und als Zeichen ihrer starken Abhängigkeit verstanden wird. Nach Meinung usbekischer und selbst kasachischer Politiker und Experten besteht eine direkte Verbindung zwischen der angeblich

«überspitzten» Demokratisierung in Kirgisistan und der gestiegenen Gefahr des Terrorimportes aus Kirgisistan in diese Staaten. Nicht nur politische Prominenz, sondern auch die Öffentlichkeit vertritt diese Meinung. Die Unterschiede im Tempo der Umsetzung demokratischer Reformen birgt somit eine Gefahr für die zwischenstaatlichen Beziehungen innerhalb der Region.20

Generell sollte man die in Asien weitaus länger als in Europa existierende traditionelle Demokratie berücksichtigen und sehr vorsichtig mit der Implementierung westlicher demokratischer Normen und Institutionen in die asiatische Gesellschaft umgehen. Die zehnjährigen Erfahrungen mit derartigen Aktionen zeigen, dass die Effekte äußerer Einwirkungen auf die Entwicklung der Demokratien in dieser Region extrem niedrig sind. Das liegt aber keinesfalls an den Besonderheiten nationaler Mentalitäten und den jeweiligen Personen der zentralasiatischen Staatsoberhäupter. Das Problem besteht vielmehr im Wesen dieses Demokratieexports und in seinen für die lokalen Gegebenheiten mitunter völlig fremden Inhalten. In den zentralasiatischen Staaten wird die Politik durch Sippeninteressen beeinflusst, denn «hier gilt es, die Einschränkungen des politischen Pluralismus hinzunehmen, um dadurch die Staatlichkeit als politisches Instrument zur Vertretung des öffentlichen, ja des gesellschaftlichen Gesamtinteresses zu wahren, was allerdings aus Sicht der entwickelten Demokratien antidemokratisch scheinen mag.»21

Die 2002 erfolgten Massendemonstrationen im kirgisischen Süden verkörpern per se die vor Überspannung geplatzte Modernisierung. Weder die staatliche Maschinerie noch die sozialen Normen können sich im gleichen Tempo wie die Psychologie der Masse der Gesellschaft verändern. Als ob dem Volk die historische Matrix der Freiheitsliebe dank der einst von Präsident Akajew betriebenen Demokratisierungspolitik wieder bewusst geworden wäre.

20 W. Bogatirew: The Central Asian Transition: Threats to Security. – Helsinki Monitor, 2003, No 3.

21 J. Saadanbekow: Autokratie und Demokratie im Osten, in: Kultegin, Astana 2003, Seite 388.

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Dennoch bestand das Dramatische darin, dass diese Wandlung in einer Gesellschaft erfolgte, die soweit keine wirtschaftliche Selbständigkeit und politischen Kultur erreicht hatte und von einer Macht regiert wurde, die es nicht vermochte, die von ihr ausgelösten Gesellschaftsabläufe in den Griff zu bekommen.

Kurz vor 2005 spitzte sich die politische Lage im Staat soweit zu, dass die Ablösung der obersten Macht im Raum stand. Hierfür gab es folgende Gründe:

• fehlendes Wachstum in der Wirtschaft und bei der Lebensqualität. Zwar wurde ein geringes Wirtschaftswachstum und der Rückgang der Armut nach 1996 verzeichnet, dennoch kamen die langsamen Veränderungen nicht als Fortschritt bei den Menschen an. Insbesondere im ländlichen Raum fehlten spürbare Ergebnisse. Dadurch wurden sämtliche vom Staat erklärten Reformprogramme in den Augen des Volkes abgewertet.

Das Volk kannte diese Programme und ihre Inhalte nicht und fasste die zahlreichen nationalen Ideen, Programme und Matrizen als von der Regierung ausgedachte Tricks auf, um an weitere ausländische Zuschüsse zu kommen und die Lage nach außen hin als gut zu präsentieren;

• die allgemein verbreitete Meinung über die fehlende äußere Souveränität der Staatsmacht. Festzustellen war dabei eine starke Abhängigkeit von den Gebern, die globale Zentren der Finanz- und Militärmacht (die USA, Russland und China) vertraten, sowie die Unfähigkeit, eine harte Position gegenüber den stärkeren Nachbarn (Kasachstan und Usbekistan) zu vertreten. Die angestrebte multipolare Politik wurde als Schwäche und ständiges Manövrieren aufgefasst und ausgelegt;

• Abwertung der obersten Machtentscheidungen. Unzählige Gesetze, Erlasse und Regierungsvorschriften wurden größtenteils nicht ausgeführt;

• allgemein zu spürender Mangel an einer starken Staatsmacht. Trotz der immer neuen Verwaltungsreformen bekam man das Gefühl, dass diese nicht vollständig umgesetzt wurden. Offensichtlich war die nicht nach Qualifikation entschiedene Besetzung der obersten Verwaltungsämter, insbesondere in den letzten zwei Jahren;

• die Reaktion auf die zunehmende Monopolisierung der realen politischen Macht im Staat nach 1995. Nur die vom Präsidenten erbrachten Ideen wurden gutgeheißen. Sämtliche politischen und personellen Entscheidungen wurden im Präsidentenapparat getroffen. Jeder Ausdruck politischer Selbständigkeit war als feindlich und unzulässig verpönt. Es gab keine politische Geschlossenheit;

• der Staat duldete keine oppositionellen Gefühle, Bewegungen und Politiker und strebte eine ideologische und politische Verfolgung der Kritiker und Andersdenkenden an;

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• Verzweiflung machte sich angesichts der hohen Demokratieerwartungen der ersten Jahre breit. Mehrere demokratische Ansätze arteten in eine Quasi-Demokratie nach dem Sowjetmuster aus. Gefördert wurden die kollaborierenden Nichtregierungsorganisationen und die Mitläufer-Massenmedien, die öffentliche Propaganda-Veranstaltungen nach bester sowjetischer Art durchführten;

• Die große Gruppe der vom Staat benachteiligten Menschen einschließlich der zahlreichen oberen Beamten außer Dienst. Die damalige Personalpolitik vermittelte jedem Entlassenen das Gefühl, dass man ihn ungerecht behandelte, ausnutzte und entsorgte;

• katastrophaler Anstieg der Korruption und ihr Einzug in sämtliche Lebensbereiche. Das Volk ahnte die Korruption in den obersten Etagen der Staatsmacht. Neben der um sich greifenden Gelderpressung durch die Miliz, Finanzbeamte und andere zum Wohle des Volkes berufene Staatsdiener herrschte die feste Überzeugung, dass diese Gelder nach oben, auch an den Präsidenten, weiterverteilt werden. Außerdem war man fest davon überzeugt, dass die Ernennung für alle öffentlichen Ämter einschließlich des Kabinettsvorsitzenden und der Minister gegen eine an die Präsidentenfamilie zu zahlende Provision erfolgte;

• das entstandene Phänomen der Familienregierung und die negative Reaktion der politischen Eliten auf die Einmischung der Angehörigen der Präsidentenfamilie in die Personalpolitik und die Entscheidungsprozesse.

Diese Reaktion spitzte sich durch die aktive PR der Präsidentenfamilie weiter zu. Dadurch war man davon überzeugt, dass die Präsidentenmacht weitervererbt werden würde;

• hoher politischer Ehrgeiz innerhalb der neuen Politikergeneration.

Durch all diese Gründe kam es zu Veränderungen in den politischen Kräfteverhältnissen. Es bildeten sich vier Arten der Präsidentenopposition:

1) Die Opposition aus der Mitte des Volkes, die aus zwei Gruppen bestand:

denjenigen, die mit der Lage im Staat und dem Präsidenten unzufrieden waren (10–15 Prozent) sowie denjenigen, die den Präsidenten für schlecht, dennoch besser als die anderen, hielten (35–40 Prozent);

2) Die politische Opposition in konkreter Gestalt, vertreten durch mehrere zusammengeschlossene Gruppen, die den Rücktritt des Präsidenten anstrebten;

3) die «Wohnzimmeropposition» nach sowjetischer Art: Intellektuelle aus Stadt und Land unterstützten den Präsidenten formell, waren jedoch in der Tat gegen ihn eingestellt und trugen diese Stimmung durch ihr Umfeld weiter. Dazu zählten alle größeren Elitegruppen einschließlich der engsten Vertrauten des Präsidenten;

4) die unzufriedene politische, Verwaltungs-, und Geschäftsprominenz einschließlich der Beamten jeden Ranges. Hierzu zählten auch zahlreiche frühere Beamte.

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Unter den gegebenen Bedingungen reichte diese kritische Masse in ihrer Gesamtheit bei weitem aus, um den Machtwechsel zu bewerkstelligen.

Ende 2004 bildete sich eine weitverzweigte Struktur im Staat, die gegen das herrschende Regime politisch auftreten konnte. Sie bestand aus drei Blöcken:

Block I – oppositionelle Parteien und Bewegungen. Im Herbst 2004 prüften sie eine Vereinigung unter einer Dachorganisation und schlossen sich letztlich im zentralen Koordinationsrat im Dezember zusammen, dessen Rückgrat die Volksbewegung Kirgisistans mit Kurmanbek Bakijew an der Spitze bildete.

Block II – das Netzwerk aus Nichtregierungsorganisationen. Damals gab es mindestens drei NGO-Arten: das NGO-Netzwerk um die Koalition

«Pro Demokratie und Zivilgesellschaft», das NGO-Netzwerk um die USAID-finanzierte Verbandsvereinigung zur Förderung der Zivilgesellschaft, und das NGO-Netzwerk um die Informationszentren zur Demokratieförderung, gegründet vom Nationalen Demokratieinstitut, USA.

Block III – die oppositionellen Massenmedien. Diese wurden von internationalen Verlagen und sonstige Stiftungen gefördert.

Die politische Kräfte um den Präsidenten präsentierten sich als wesentlich schwächer. Gebildet wurden diese von zwei größeren («Alga Kirgisistan!» und

«Adilet») und einigen kleineren Parteien, zwei kontrollierten NGO-Verbänden (Volkstag Kirgisistans und NGO-Vereinigung) sowie von einigen quasi-realen Strukturen (Demokratischer Sicherheitsrat, Unternehmerrat etc.). Wegen ihrer Geradlinigkeit gewannen all diese Strukturen den Ruf des Hofgesindes, das nur die Befehle aus dem Regierungspalast ausführt.

Eine für den Präsidenten Akajew negative Rolle spielte der zur Haupttaktik erkorene Informationskrieg gegen die Opposition. Dieser Weg entpuppte sich aber als ein Fehlgriff, da die Ergebnisse den Absichten direkt widersprachen und das Ansehen des Präsidenten stark ramponierten. Die Massenmedien warben freiwillig für alle Hauptoppositionellen, so dass es sie keine Anstrengung kostete, Sympathien in der Bevölkerung zu sammeln.

Das markanteste Beispiel lieferte hier Frau R. Otunbajewa, die durch Veröffentlichungen in der Regierungspresse kurzfristig zu einer beliebten Volkspolitikerin aufstieg. Die Taktik des Entgegenwirkens, etwa durch gefälschte Oppositionellenorgane (Kel-Kel) und zeitgleiche Veranstaltungen (Kurultay) empfand das Volk als Rückgriffe der Macht auf Methoden aus dem russischen Politiklabor, was nach den Ereignissen in der Ukraine besonders scharf und negativ auffiel.

Dank dieser Kampagne bekam das weltweite Image Kirgisistans tiefe Kratzer. Es häuften sich negative Berichte über den Zustand der Demokratie im Staat. Über eine zunehmende Autokratie des bestehenden Regimes wurde berichtet, bedingt durch die von Akajew angestrebte Beibehaltung der Macht.

Seine Aussagen über den Verzicht einer wiederholten Kandidatur für das Präsidentenamt klangen nicht glaubwürdig genug, da ein Machtnachfolger