• Keine Ergebnisse gefunden

Dosym Satpajew

DIE POLITIK KASACHSTANS

Während der letzten 14 Jahre vollzog sich die politische Entwicklung Kasachstans in mehreren Phasen:

1991 – 1995

Postsowjetische Zeit Typische Merkmale:

• Pro-westliche und demokratische Romantik,

• Elemente des sowjetischen administrativen Kommandosystems,

• Hohe politische Aktivität der Bevölkerung,

• Beginnende allmähliche Festigung der Präsidialmacht bei gleichzeitiger Schwächung der Volksvertretungsorgane,

• Suche nach einem optimalen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsmodell

1995 – 1999

Endgültige Personifizierung der Staatsmacht Typische Merkmale:

• Verfassungsrechtliche Festigung der Präsidialmacht,

• Endgültige Bildung von Instrumenten zum Kräfteausgleich unter den einflussreichen Lobbygruppen,

• Popularisierung eines «besonderen Entwicklungsweges»,

• Entscheidung für ein «asiatisches Modell» der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, das Motto «Erst die Wirtschaft, dann die Politik»,

• Beginn einer harten Konfrontation zwischen der Staatsmacht und der Opposition

1999 – 2001

Vorläufige Stabilisierung Typische Merkmale:

• Schnelles Tempo der Wirtschaftsreformen bei Beibehaltung der konservativen politischen Ordnung,

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

• Verlängerung der Amtszeit des Staatspräsidenten als Indikator für die Festigung der Autokratie,

• Stabilität innerhalb der politischen Elite 2001 – 2004

Zuspitzung der interelitären Konflikte Typische Merkmale:

• Diskrepanz zwischen der offenen Wirtschaft und der abgeschirmten politischen Staatsordnung,

• Ungleichgewicht innerhalb der politischen Elite und ihre Zersplitterung als Folge,

• In Vorbereitung der Wahl betreten politische Schattenfiguren die politische Arena,

• Vereinigung und Belebung der kasachischen Opposition, verstärkte Konfrontation mit der Staatsmacht

2004 – 2005

Reaktion auf die Ablösung der Machteliten in Georgien, der Ukraine und Kirgisistan, Mobilisierungszeit, Vorbereitung auf die Präsidentenwahlen

Typische Merkmale:

• Veränderungen im Justizbereich zwecks Verstärkung der staatlichen Aufsicht über den Mediensektor sowie den öffentlichen und politischen Raum Kasachstans,

• Konfrontation mit dem «dritten Sektor», Verschärfung der staatlichen Aufsicht über lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen,

• Verstärkung der Konfrontation zwischen der Opposition und der Staatsmacht,

• Transformation der parteipolitischen Gesellschaftsordnung (Gründung von neuen Parteikoalitionen sowohl auf präsidentenunterstützender als auch auf Oppositionsseite), Zersplitterung und Auflösung mancher Parteien

2005 – 2006

Zweite Konfliktwelle innerhalb der Machtelite, Beginn einer weiteren reformpolitischen Phase

Typische Merkmale:

• Mord an den ehemals hochrangigen Beamten Altynbek Sarsenbajew und Samanbek Nurkadilow, die sich der Opposition angeschlossen hatten,

DIE POLITIK KASACHSTANS

• Neue Konflikte im Umfeld des Präsidenten im Zusammenhang mit den Morden an Sarsenbajew und zwei seiner Mitstreiter, Kampf einzelner einflussreicher Mitglieder der Machtelite um das Präsidentenamt nimmt an Aktualität zu,

• Wiederholter Versuch des Präsidenten, den Kräfteausgleich innerhalb der regierenden Elite durch die Beschränkung ihres Einflusses auf heimische Presse und Medien wiederherzustellen,

• Kasachstan bereitet sich auf die Verhandlungen über den beantragten OSZE-Vorsitz im Jahre 2009 vor,

• Einführung des Wahlverfahrens für die Besetzung der Bürgermeisterämter auf der untersten Gemeindeebene,

• Beschleunigte Implementierung des lokalen Selbstverwaltungssystems in Kasachstan,

• Veränderungen im parteipolitischen Umfeld des Landes, Zusammenschluss der präsidentenfreundlichen Parteien, nationalpatriotische Kräfte werden aktiv, neue sozialdemokratische Oppositionspartei bildet sich,

• Mögliche Änderung der Staatsverfassung hinsichtlich des Wahlprinzips für die legislative Gewalt wird erwartet

Zwar weist Kasachstan eine ungewöhnliche politische Entwicklung auf, dennoch sollte unterstrichen werden, dass die politische Gesellschaftsordnung des Staates an sich keinen Einzelfall darstellt. Vielmehr besitzt sie die gleichen Vor- und Nachteile wie auch Dutzende andere politische Systeme weltweit und beinhaltet autokratische Merkmale. Solche Machtregimes sind jedoch für die meisten postsowjetischen Staaten typisch. Manche Ideologen versuchen, bestimmten Begriffen einen anderen terminologischen Gehalt zu verleihen, wie es beispielsweise bei der Benutzung des Begriffs der gelenkten Demokratie der Fall ist. Seinerzeit bezeichnete der westliche Politologe E.

Shills diesen Begriff ein wenig anders, nämlich als «betreute Demokratie».

Dennoch verändert sich die Summe bekanntlich nicht bei einer Umstellung bzw. einem Platzwechsel der Summanden.

Das grundlegende typische Merkmal für die meisten autokratischen Machtregimes ist ein eingeschränkter Pluralismus und ein schmaler politischer Spielraum bei gleichzeitig existierender mehr oder weniger freier Wirtschaft und erfolgreichen Marktreformen. Außer seiner administrativen Machtpolitik ist Kasachstan auch durch seine erhebliche politische Unberechenbarkeit mit anderen zentralasiatischen Staaten vergleichbar. Die Gründe dafür sind folgende fünf Kernprobleme:

• Keine Beziehungen zwischen Staat und Opposition nach demokratischem Verständnis,

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

• Fehlendes konfliktfreies Verfahren zur Übergabe der Staatsmacht an einen Nachfolger, die ganze politische Ordnung richtet sich an einer Person oder einer Personengruppe aus,

• Eine politische Schattenszene dominiert über die Politik, Interessen dieser Cliquen oder Clans haben Vorrang vor Staatszielen,

• Fehlendes langfristiges Strategieprogramm für politische Reformen, auf politische Herausforderungen (Terrorismus, Opposition etc.) wird nur reagiert,

• Instabile Legitimität der Staatsmacht

Das letztgenannte Problem ist besonders schwerwiegend, da es dabei um die politische Stabilität der Staatsgewalt geht. Wie Demosthenes einst sagte: «Zwei Merkmale stehen für den Wohlstand eines Staates: Reichtum und Vertrauen in den Staat». Bislang fehlt es Kasachstan an zuverlässigen Indikatoren für die Legitimität seiner Staatsmacht und ihrer Beliebtheit bei der Bevölkerung. Das führt dazu, dass sowohl die Regierung als auch die Opposition kein zuverlässiges Instrument zur Bestätigung ihrer Legitimität in der Hand haben, wenn sie auf die Legitimität beziehungsweise die Illegitimität der bestehenden politischen Gesellschaftsordnung pochen. Die Regierung will dieses Instrument erst gar nicht haben und die Opposition kann es sich bislang nicht leisten, da dieses Instrument allein in freien und unverfälschten Wahlen besteht.

Im folgenden sollen die Hauptfaktoren genannt werden, die den politischen Stabilitätsgrad Kasachstans wesentlich beeinflussen. Manche dieser Faktoren bilden die Grundlage der politischen Stabilität im Lande, deren Vorraussetzung eine Beständigkeit der Beziehungen innerhalb der politischen Elite ist. Bedingt können diese Faktoren in innere und äußere unterteilt werden, wobei die inneren Faktoren bedeutsamer als die äußeren sind.

Innere Faktoren Politische Genesis

Die Aufrechterhaltung des Kräftegleichgewichts zwischen einflussreichen Lobbygruppen ist eine der grundlegenden Vorrausetzungen, die bei der Analyse der von den folgenden Bedingungen abhängigen politischen Situation in Betracht gezogen werden sollte. Das ist auf der einen Seite die Kräfteverteilung zwischen den konkurrierenden politischen Akteuren und auf der anderen Seite die Fähigkeit des Präsidenten, die Situation unter Kontrolle zu halten. Das gelingt ihm, indem er keiner konkurrierenden Lobbygruppe so viel Macht zugesteht, dass sie Ansprüche auf die Erweiterung ihrer politischen und wirtschaftlichen Interessen geltend machen könnte.

DIE POLITIK KASACHSTANS

Wirtschaftliche Genesis

Interne und externe Wirtschaftsfaktoren Interne Faktoren

• Stabile Förderung und Export von mineralischen Bodenschätzen wie Erdöl und -gas

• Bekämpfung des Schattenmarktes

• Diversifizierung der Wirtschaft

• Korruptionsbekämpfung Externe Faktoren

• Hohes Entwicklungstempo der Weltwirtschaft

• Günstige Preiskonjunktur auf dem Weltenergiemarkt Externe geopolitische Faktoren

1. Politische Stabilität in den Nachbarstaaten 2. Regionale Stabilität in Zentralasien

Es sei hervorgehoben, dass die politische Risikoentwicklung in allen Staaten Zentralasiens traditionell auf drei Ebenen gemessen wird:

• innerstaatliche Risiken,

• regionale Risiken (Beziehungen zwischen den zentralasiatischen Staaten, Einfluss auf die Regionalpolitik der Drittstaaten, konfliktträchtige

«Inseln» innerhalb der Region),

• globale Risiken (negative Globalisierungsfolgen)

Kasachstan kann unter allen zentralasiatischen Ländern einen Risikograd unter dem Durchschnittswert aufweisen – eine Tatsache, die für Investoren und geopolitische Großspieler weitgehend akzeptabel ist, jedoch die politische Berechenbarkeit der Führungsriege ausschließt. Der einzige Faktor, der alle Staaten dieser Region vereint, ist die Hauptvariable bei der Bemessung des politischen Risikogrades – ein fehlendes konkretes Instrumentarium für die Machtnachfolge und den konfliktfreien Wechsel politischer Eliten. Die politische Elite Kasachstans war zu keiner Zeit homogen, sondern setzte sich aus mehreren verschiedenen Gruppen und einzelnen Spitzenfiguren zusammen, deren Einfluss von der Nähe zum Zentrum des politischen Entscheidungsprozesses – dem Staatspräsidenten – direkt abhing.

Das Hauptproblem des Präsidenten Nursultan Nasarbajew besteht darin, dass er seine Rolle als Hauptschiedsrichter interelitärer Beziehungen nach und nach einbüßt. Dieses politische Gebilde, das er in den letzten 14 Jahren um sich herum aufbaute, wird zu einem immer komplizierteren

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

Organismus, der sich aus mehreren anspruchsvollen Schattenspielern zusammensetzt, die ihre Ansprüche auf wirtschaftliche und politische Handlungsfreiheit immer nachdrücklicher geltend machen. Dabei fürchten sich alle vor der Neuaufteilung des Eigentums, die mit dem Rücktritt von Nursultan Nasarbajew so gut wie sicher eintreten wird. Das ist aber nur halb so schlimm. Im Moment besteht die höchste Gefahr für den Präsidenten in einer abnehmenden Kontrolle über die politische Elite. Das wird zur Störung des Interessengleichgewichts zwischen zahlreichen konkurrierenden Elitegruppen führen.

Gleichzeitig hat sich die Staatsmacht gegenüber der Gesellschaft und vor allem gegenüber der Opposition bislang als ziemlich homogen präsentiert.

Die Situation schlug Ende 2001 um, als sich die Zersplitterung innerhalb der politischen Elite soweit zuspitzte, das es zu einer weitreichenden Veränderung der Verhältnisse nicht nur in einzelnen Elitegruppen, sondern im gesamten politischen Raum Kasachstans führte.

Entwicklungsstufen der politischen Elite Kasachstans

Die politische Elite Kasachstans hat sich in mehreren Schritten herausgebildet:

1991-1994

Überwiegende Dominanz der säkularen administrativen Parteielite und der Lobbygruppen, Neuaufteilung des öffentlichen Eigentums, grassierende Korruption auf allen Ebenen der Staatsmacht.

1994-2001

Einstieg der Unternehmens- und Geschäftsprominenz in die Staatsmacht.

Beginn der Reibungen und Konfrontationen zwischen der alten Parteielite und der neuen politischen Spitze. Der Präsident baut ein neues System zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen einzelnen Lobbygruppen auf und verstärkt gleichzeitig die eigene Macht.

2001-2003

Erste Störung des Gleichgewichts zwischen den Lobbygruppen, die zur Zersplitterung der politischen Elite führte.

Ursachen:

1) übermäßige Zunahme des Einflusses einiger Angehöriger der Präsidentenfamilie, was Unmut bei einigen Vertretern der politischen und unternehmerischen Prominenz auslöste,

2) Missverhältnis zwischen raschem wirtschaftlichen Aufschwung und abgeschotteter politischer Ordnung.

Ergebnis: eingeschränkte Möglichkeiten der Geschäftsprominenz, sich am Machtkampf zu beteiligen.

DIE POLITIK KASACHSTANS

2003 – 2005

Der Präsident stellt das Gleichgewicht innerhalb der politischen Elite Kasachstans unmittelbar vor den Präsidentenwahlen wieder her, die Opposition innerhalb der Elite geht mit der demokratischen Koalition «Pro gerechtes Kasachstan» in die Offensive.

2005 – 2006

Eine zweite Welle interelitärer Konflikte bewegt Kasachstan. Offensichtlich beginnt ein ernsthafter Kampf um das Präsidentenamt innerhalb der Umgebung des Präsidenten. Zum ersten Mal wird versucht, den Mord an zwei ehemaligen hochrangigen Beamten, die sich der Opposition angeschlossen hatten, in Verbindung mit diesem Kampf zu bringen.

Politischer Frust breitet sich in den Reihen der Opposition aus und mit ihm bleibt ihre Unfähigkeit erhalten, eine ernsthafte Alternative zur aktuellen Regierung zu bieten. Es entstehen neue oppositionelle Parteien und mit ihnen politische Bewegungen, die zu einem Konkurrenzkampf insbesondere in den Reihen der nationalpatriotischen Bewegung durchaus fähig sind.

Die Parlamentswahlen 2004 machten die Notwendigkeit politischer Reformen im Lande öffentlich. Das löste einen Wettlauf zwischen der Staatsmacht und der Opposition um die strategische Initiative bei den geplanten Reformen aus. Dennoch vermochten die Wahlen nicht ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich eine Grundlage für die Konsolidierung der Machtelite und der Gesellschaft zu schaffen. Im Gegenteil, nach den Wahlen verlief der nun noch tiefere Bruch nicht nur zwischen der Staatsmacht und der Opposition, sondern mitten durch die politische Elite. Der für viele unerwartete Rücktritt des einstigen Präsidenten des Unterhauses im Parlament und eines der Spitzenmänner der präsidentenfreundlichen Otan-Partei, Scharmachan Tujakbai, der die Staatsmacht der Machenschaften bei der Stimmenauszählung bezichtigte, ist nur ein weiteres Glied in der Kette der Ereignisse, die 2001 einsetzten. Vor Scharmachan Tujakbai hatte sich bereits ein anderes Mitglied des Präsidententeams, Samanbek Nurkadilow, vom ersten Mann im Lande abgewandt. Der Erste, der in die Opposition gegangen war, war Premierminister Akeschan Kaschageldin.

Porträt der heutigen politischen Elite Kasachstans

• wirtschaftliche, politische, informelle und mentale Abschottung und Riesenentfernung vom Volk,

• die Elite agiert im Rahmen einer strengen hierarchischen Ordnung, Professionalität ist mitunter weniger wichtig als persönliche Treue und Blutsverwandtschaft, die Geschäftsprominenz ist davon weniger betroffen,

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

• die regierende Elite ist inhomogen, vielmehr wird sie mit permanenten Gegensätzen konfrontiert und schließt sich in unterschiedlichen inneren Gruppen zusammen, die aufgrund gleicher Interessen und der aktuellen Konjunktur zustande kommen,

• der eigentliche Kampf innerhalb der Elite wird nicht um den Anspruch auf den Erhalt der Staats- und Gesellschaftsordnung, sondern vielmehr um den Anspruch auf die Beeinflussung des Staatsoberhaupts und der übrigen Elitegruppen ausgetragen, um dadurch die Staats- und Gesellschaftsentwicklung nach eigenen Konzepten steuern zu können, als Stabilitätsgarant innerhalb der politischen Elite gilt alleine der Staatspräsident.

Konfliktkräfte innerhalb der politischen Elite Kasachstans

Momentan ist die politische Elite Kasachstans mit Kräften ausgestattet, die neue Konfrontationen zwischen unterschiedlichen Elitegruppen auslösen und das politische Risiko für Kasachstan steigern können.

Zu den möglichen Ursachen für neue Konflikte zählen folgende:

Objektive Gründe:

• Fehlende Balance zwischen einzelnen Elitegruppen,

• Mangelnde Möglichkeiten für die Verwirklichung eigener wirtschaftlicher Ambitionen,

• Unkoordinierte Personalpolitik,

• Objektiver Prozess des Erwachsenwerdens der Elite, die nun größere Handlungsfreiheiten beansprucht

Subjektive Gründe:

• Spekulation über einen vorgezogenen Rücktritt des Präsidenten, Diskussionen über mögliche Nachfolger,

• Zustand einer permanenten psychischen Anspannung innerhalb der politischen Elite, der durch einen zu häufigen Personalwechsel ausgelöst wird,

• Ermüdung der einzigen Machtgruppe durch zu lange Regierungszeit Im Gegensatz zu Russland, wo die Großindustriellen einst den politischen Entscheidungsprozess stark beeinflussten, lockerte sich die vertikal ausgerichtete Präsidialmachtordnung zu keiner Zeit und hielt die Geschäftsprominenz langfristig unter strenger Kontrolle. Scharfe Strafen folgten nach jedem Versuch, sich der Präsidentenkontrolle zu entledigen.

DIE POLITIK KASACHSTANS

Anlässlich der ersten Parlamentssitzung der dritten Legislaturperiode erinnerte der Präsident wiederholt daran, wer die politischen Spielregeln in Kasachstan bestimmt. Damals erwähnte das Staatsoberhaupt zehn

«Megaholdings», die 80 Prozent des kasachischen Bruttoinlandsproduktes kontrollieren und die Transparenz und Konkurrenz am Binnenmarkt beeinträchtigen. Die Pointe bestand aber darin, dass manche von ihnen angeblich die Macht an sich reißen wollten. Diese Erklärung konnte man als Warnung an all diejenigen betrachten, die zugelassene Grenzen überschreiten und gegen Spielregeln verstoßen, die vom Staatsoberhaupt bestimmt wurden.

Natürlich stellt sich die Frage, wen der Präsident mit seiner Aussage über die kasachischen Finanz- und Industriegruppen meinte. Um sie zu beantworten, sollte man wissen, dass die meisten in die Machtelite eingebetteten Finanz- und Industriegruppen zum nächsten oder dem fernen Umgebungskreis des Präsidenten gehören. Außerdem greifen diese beiden größten Konglomerate ineinander. Zwischen ihnen vollzieht sich eine permanente Entwicklung, die von der Partnerschaft über die Konkurrenz bis hin zur Konfrontation reicht.

Zur Ablösung der Machteliten gilt, dass vier Modelle im postsowjetischen Raum momentan existieren:

• Russisches Modell (Nachfolger)

• Aserbaidschanisches Modell (Machübergabe innerhalb einer Familiendynastie)

• Ukrainisches Modell (Sieg der oppositionellen Elite)

• Georgisches Modell (Sieg der oppositionellen Elite)

• Kirgisisches Modell (Sieg der oppositionellen Elite)

Für Kasachstan wird sich das russische Modell der Machtübergabe wohl am besten eignen, da es die politische Stabilität im Lande sichern wird. Neben der Suche nach einem optimalen Modell der Regierungsnachfolge sollte sich die politische Elite Kasachstans um ein weiteres Anliegen kümmern, um den Beginn politischer Reformen. Hierbei stehen vier zu lösende Probleme an:

1) Die strategische Reforminitiative ist dem Präsidenten vorbehalten. In einem solchen Fall sagen die Politikwissenschaftler gewöhnlich, wer dem Präsidentenohr am nächsten stehe, auf den komme alles schließlich an.

Leider haben sich mehr Konservative und Falken und weniger Liberale und Verfechter des politischen Dialogs um dieses Ohr versammelt.

Zumal die Wahrung politischen Gesichts für den Präsidenten ebenfalls wichtig ist, damit Reforminitiativen nicht als ein Zugeständnis gegenüber internationalem und innerem Druck aufgefasst werden.

2) Der Begriff politischer Reformen wird von diversen politischen Kräften Kasachstans unterschiedlich ausgelegt. Es gibt keinen gesamtpolitischen

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

Konsens über die Hauptrichtungen dieser Reform. Das nötige Tempo der Reformumsetzung wird ebenfalls unterschiedlich gesehen.

3) Bislang gibt es kein einziges anerkanntes politisches Gewicht in Kasachstan, das zu einem legitimen Partner der Staatsmacht im Bereich der Entwicklung und Umsetzung der politischen Reformen werden könnte. Ein solches Gewicht könnte nur eine vollwertige demokratische Koalition darstellen, deren Gründung im politischen Rahmen Kasachstans theoretisch zwar möglich, praktisch aber unwahrscheinlich ist.

4) In Kasachstan und anderen Staaten Zentralasiens wird die Macht in einem übertriebenen Maße personifiziert, so dass die innenpolitische Lage weitgehend gefährdet ist. Das schlimmste Szenario für einige Staaten dieser Region könnte ein zugespitzter Kampf bis hin zu einem bewaffneten Konflikt mit unberechenbaren Folgen um die neu zu besetzende Stelle des Staatsoberhaupts sein. Dieser würde zwischen politischen sowie Finanz- und Clangruppierungen ausgetragen und könnte die regionale Stabilität negativ beeinflussen.

Trotz dieser Probleme ist Kasachstan für politische Reformen reif, da es keine andere vernünftige Alternative gibt. Drei Voraussetzungen sollten für eine politische Reform erfüllt werden:

• wirtschaftliches Potenzial, da politische Reformen in einem armen Staat eher in einer Misere als in einem Erfolg enden,

• politischer Wille, der sich nicht über Konjunkturinteressen, sondern durch strategische Zielsetzungen für die politische Entwicklung definiert,

• Nachhaltigkeit, da politische Reformen ein langfristiges Vorhaben bedeuten

Eine Voraussetzung dieser drei ist in Kasachstan bisher erfüllt: Ein günstiges Wirtschaftsklima, vor dessen Hintergrund die ungünstige politische Landschaft ins Auge sticht. Sollten diese Reformen tatsächlich starten, sind folgende Schritte nötig:

- Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, - Parlamentarische Reform,

- Parteireform,

- Dezentralisierung der öffentlichen Gewalt, - Sicherung politischer Nachhaltigkeit, - Regelung politischer Nachfolge Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen

Ohne entsprechende rechtliche Grundlage sind politische Reformen undenkbar. Die bisherige Verfassung stimmt mit der heutigen politischen Wirklichkeit nicht mehr überein. Ihre Anpassung sollte in nächster Zukunft erfolgen.

DIE POLITIK KASACHSTANS

Parlamentarische Reform

Eines der Grundziele der politischen Reform sollte der Aufbau eines funktionierenden Systems sein, das ohne Erhöhung des Stellenwerts des Parlaments innerhalb der Staatsordnung undenkbar ist. Unter anderem geht es dabei um die Mitwirkung des Parlaments bei der Kabinettsbildung. Dabei sollte man nicht die Möglichkeit ausschließen, dass das Endziel der parlamentarischen Reform die Gründung eines Einkammerparlaments sein könnte. Das ist kein Selbstzweck. Die heutige Teilung der obersten gesetzgebenden Versammlung bedeutet eher eine politische Rückversicherung der Staatsmacht als einen wirklichen Beitrag zur Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit. In der Tat liefert in den Augen der Staatsmacht nur die letzte von insgesamt sechs verfassungsrechtlichen Befugnissen, die zur ausschließlichen Kompetenz des Senates gehören, eine Existenzberechtigung für das Oberhaus. Diese Befugnis bezieht sich auf die Prüfung des vom Unterhaus gestellten Antrages über die Entlassung des Staatspräsidenten aus seinem Amt und die Zuführung der Prüfungsergebnisse der gemeinsamen Sitzung der beiden Parlamentskammern. Gleichwohl handelt es sich dabei nicht um den Aufbau einer neuen parlamentarischen Ordnung, für die weder die politischen Rahmenbedingungen noch das parteipolitische System reif sind.

Parteireform

Die Reform des parteipolitischen Systems begann erst vor kurzem, dennoch ging es dabei eher um künstliche Begrenzungen des parteipolitischen Spielraums als um eine Erweiterung des politischen Engagements und Spielraums der Parteien. Das Parteiensystem ist bislang ein Anhängsel der politischen Gesellschaftsordnung, mit dem die regierende Elite nichts anzufangen weiß. Für Verbote ist es wohl zu spät und die Förderung der Parteien kann schlimme Folgen haben. Diese Situation zeigt die beschränkten Fähigkeiten und die nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der politischen Parteien Kasachstans beim Mitwirken an politischen Reformen. Die zentrale Aufgabe einer Parteienreform ist es, den Parteien zu ermöglichen, auf den politischen Entscheidungsprozess Einfluss zu nehmen:

Das kann über das Parlament, über die sich ablösenden politischen Eliten und über eine rege Interaktion mit anderen Institutionen der Zivilgesellschaft, deren schlummerndes Potenzial nicht ausgenutzt wird.

Das kann über das Parlament, über die sich ablösenden politischen Eliten und über eine rege Interaktion mit anderen Institutionen der Zivilgesellschaft, deren schlummerndes Potenzial nicht ausgenutzt wird.